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Zum Würfelbecher

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Zeit: Gegenwart

Koordinate: Fuxina


Nachdenklich schritt Hieronymus Stern zum zweiten Mal am

heutigen Tag über den großen Basar von Fuxina. Der Torwächter,

ein grün uniformierter Fiesling, hatte ihn nach scharfer Musterung,

wahrscheinlich wegen seiner schwarzen Augenkappe nach der gültigen

Tageslosung gefragt und anschließend mit einem leicht mürrischem

Kopfnicken den Durchgang freigegeben. Stern wunderte

sich immer wieder, wie schnell die Stadt wuchs. Im Grunde war

es nicht verwunderlich, denn der Planet Joy mit seiner Hauptstadt

Fuxina war im Arm das Zentrum der JIXX-Spiele.

Diese Einschätzung wurde auf allen bewohnten Welten des

Arms ohne Einschränkung geteilt. Hier trafen sich alle, die diesem

Spiel verfallen waren und sich die Reise nach Joy leisten konnten.

Auf welche Weise auch immer sie die benötigten Silberlinge zusammen

bekamen. Sie hofften auf das große Glück, auf Ruhm

und Ehre, vor allem jedoch auf sagenhaften Reichtum. Einige Piraten

seiner Mannschaft gehörten ebenfalls zu den Teilnehmern

des Spiels.

Er selbst beteiligte sich gelegentlich an den Wettkämpfen, allerdings

mit bescheidenem Erfolg. Zu einem großen JIXX-Meister

würde er es nie bringen, doch dies war auch nicht seine Motivation,

warum er an den Spielen teilnahm. Hier konnte er interessante

Kontakte zu potenziellen Kunden und Auftraggebern aus vielen

Welten bekommen, ohne dafür weite Reisen auf sich nehmen zu

müssen.

Der Aufenthalt auf Alurien, dem einzigen Kontinent auf Joy,

bot einen großen Vorteil, hier galt das Gesetz der Gilde. Dieses

befahl eindeutig, dass für die Zeit der Spiele von allen Teilnehmern

ein Waffenstillstand einzuhalten war. In dieser Hinsicht gab

es keine Ausnahme. Jegliche Fehden, die sonst auf anderen Welten

oder im Meer der Sterne ausgefochten wurden, mussten hier und

jetzt ruhen. Die Gilde der Wächter sorgten mit eiserner Hand für

die Einhaltung dieser Vorschrift und zähneknirschend befolgten

selbst Freibeuter, Desperados und Angehörige aller mit Polizeibefugnissen

ausgestatteten Häscher dieses Gesetz. Dieser Umstand

ermöglichte Stern und seiner Mannschaft einen relativ gefahrlosen

Aufenthalt auf Joy, den er weidlich zu nutzen wusste.

Trotz der späten Stunde folgten Hieronymus Stern eine Schar

Bettelkinder, die aus den angrenzenden staubigen Gassen auftauchten,

seit er den Platz betreten hatte. Lärmend und mit ausgestreckten

Händen liefen sie hinter dem einäugigen Piraten her,

um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie wussten, dass er trotz

seines grimmigen Aussehens ein Herz für ihre Nöte hatte. Stets

ließ ihnen der einäugige Kapitän etwas zukommen, denn er kannte

ihr Elend nur zu genau. Diesem Verhalten war es zu verdanken,

dass ihm bei jedem Besuch Fuxinas eine recht große Schar an Kindern

folgte.

Der Kapitän des Sternteufel enttäuschte seine Anhängerschaft

auch diesmal nicht. Mit einer Hand griff er in einen Beutel, der

Silberlinge enthielt. Sie wurden auf den meisten bewohnten Welten

des Arms als Währung akzeptiert und stellten somit auch in

Fuxina das gängigste Zahlungsmittel dar.

»Hier«, rief er und drückte jedem der dankbaren Kindern ein

paar Silberlinge in die ausgestreckte Hand. »Geht, kauft euch zu

essen, meinetwegen auch zu naschen. Doch vergesst nicht, denen

etwas abzugeben, die es nicht geschafft haben hierher zu kommen!«

Mit glücklichen Gesichtern trollte sich die Schar und eilte zu

den Ständen, die großteils auch zu dieser späten Stunde noch offen

waren, um ihre Gabe sogleich bei den Buden umzusetzen. Da

gab es duftendes Brot und würziges Fleisch, das in großen Pfannen

schmorte oder sich an Spießen über flackerndem Feuer oder

heißer Glut drehte. Vielerlei Gebäck lockte die hungrigen Mäuler,

wobei allein schon der Geruch Hieronymus Stern das Wasser im

Munde zusammenlaufen ließ

Gut, dann würde er MayLi eben etwas später aufsuchen, damit er

zuvor in der Taverne Zum Würfelbecher einkehren konnte, um dort zu

speisen. Er kannte den Wirt Barnabas Gorian ganz gut, denn bei ihm

wurde, zu einem redlichen Preis, dass beste Steak in ganz Fuxina

serviert. Außerdem mochte er die hübsche Jolande, die Tochter des

Wirtes, die für ihre Gäste immer ein freundliches Lächeln auf den

Lippen hatte und ihn besonders zuvorkommend bediente. Hier

sah er oft bekannte Spieler, mit denen er auch schon am Spieltisch

gesessen hatte. Traf vielleicht jemanden, der über die neuesten Gerüchte

berichten konnte und auch einem interessanten Geschäft

nicht abgeneigt war. Die Taverne wurde gut besucht, selbst zu dieser

Stunde konnte er mit einer großen Anzahl an Gästen rechnen.

Ja, dass schien ihm eine gute Idee. Erst den Magen füllen und

dann bei seiner alten Kampfgefährtin MayLi nach Neuigkeiten

forschen. Mit einem leichten Lächeln, das über sein stoppeliges

Gesicht huschte, lenkte er seinen Schritt in Richtung Taverne. Der

Gasthof lag am Rande des Viertels, in dem auch einige der heimischen

Spieler ihre Häuser hatten. Eine grob gepflasterte breite

Zufahrt führte zum imposanten Eingang, über dem ein großes

Schild hing. Auf der riesigen Tafel aus Bronze waren zwei Becher

und acht Würfeln dargestellt. Darüber lächelte wie eine Sphinx

der Mystische Würfler, der Patron des Spiels. Damit symbolisierten

sie die Hauptbestandteile des JIXX-Spiels. Mit einem schnellen

vorsichtigen Blick nach hinten verharrte Stern kurz, bevor er die

große Tür aufstieß, die in schweren schmiedeeisernen Angeln hing

und einen überaus stabilen Eindruck vermittelte.

Die verglasten Scheiben spiegelten das Licht der vielen Öllampen

wieder und dennoch vermochten sie nicht, den großen Raum

ausreichend zu erhellen. Dafür roch es nach altem Rauch, der sich

in vielen Jahren tief im Holz der Decke eingenistet hatte, um den

dort lebenden Holzwürmern eine anheimelnde und wohnliche

Atmosphäre zu verschaffen. Auch hier wurde dem Laster von Pfeife

und Räucherstäbchen gefrönt und diverse Spucknäpfe zeugten

von den weniger angenehmen Gewohnheiten einiger Besucher.

Hieronymus Stern ließ den Blick langsam in die Runde gehen,

wobei er die Anwesenden aus reiner Gewohnheit flüchtig musterte.

Seine Hand lag dabei unverdächtig, doch wie selbstverständlich

auf dem Griff seines zweischneidigen Dolches, der den beziehungsreichen

Namen Meuchling trug. Sein Schwert Nimrod hatte

er in der Obhut seiner Gefährtin Aurelia zurückgelassen, denn

Langwaffen waren in der Stadt nicht zugelassen. Die Gilde achtete

rigoros auf die Einhaltung dieser Vorschrift, was dem Kapitän jedoch

nur recht war.

In einer Ecke erblickte er erstaunlicherweise Mondlicht, die

Pangäerin, von der er sich erst vor kurzem am Lagerfeuer verabschiedet

hatte. Die anderen Gäste, soweit er es überblicken konnte,

waren ihm zumeist unbekannt. Nur mit einigen wenigen hatte er

bereits an den Spieltischen gesessen, wobei er ihre zumeist flüchtige

Bekanntschaft machte. Stern hob die Hand, um den Wirt Gorian

kurz zu grüßen. Dieser wiederum erwiderte seinen Willkommensgruß

mit einem knappen Nicken, um dann in seiner geschäftigen

Tätigkeit munter fortzufahren.

Die Pangäerin hatte Sterns Eintreten bemerkt und winkte ihn

mit einer kleinen, jedoch eindeutigen Geste zu sich. Langsam näherte

sich Hieronymus Stern ihrem Tisch und lächelte sie freundlich

an, bevor er mit einem leichten Grinsen ihr gegenüber Platz

nahm. Behutsam legte er den dunklen Dreispitz beiseite, fuhr sich

mit den Fingern kurz durch die mit leichten Silberfäden durchsetzte

Mähne und blickte dann der Frau offen ins Gesicht, wobei

er sie aufmerksam musterte. Stern wusste wenig über das kleine

Volk der Pangäer, dem sie angehörte. Sie waren eine seltene Abart

der menschlichen Rasse und hatten sich in den langen Zeiten der

Abgeschiedenheit vollkommen eigenständig entwickelt. Verstreut

über den ganzen Spiralarm waren ihre Weisen Frauen mächtiger Magie

kundig. Die weiblichen Angehörigen zumeist hoch gewachsen

und mit strahlend blauen Augen sowie einem Blick, der in die Tiefe

der Seele zu reichen schien. Lange silberfarbene Locken waren bei

ihnen gängige Haartracht, welche oft bis zu den Hüften hinunter

reichten. Sie kleideten sich gern in zarte, durchscheinend wirkende

Gewänder, die bis zu den nackten Füßen hinab fielen, was ihre

weiblichen Reize angenehm betonte. Die Männer glichen ihnen

im Körperbau, waren jedoch noch etwas größer, ebenfalls schlank

und ausgesprochen feingliedrig. Sie galten als begnadete Künstler

und hervorragende Bogenschützen. Selten traf man mehr als zwei

oder drei von ihnen auf eine der vielen Welten des Arms. Es waren

stolze Menschen, die den Ehrenkodex ihres Volkes über das eigene

Wohl stellten, jedoch weitgehend unter sich blieben.

›Was nur hatte gleich zwei dieses Volkes nach Alurien verschlagen?

War es das Spiel oder steckte mehr dahinter, als die mysteriöse

Fee bei ihrem Treffen am Lagerfeuer erzählt hatte?‹

Diese Gedanken gingen Hieronymus Stern beim Anblick Moon’dan’s

durch den Kopf.

»Savoi, Mondlicht, ich grüße euch erneut. Ich bin etwas überrascht,

euch hier zu treffen. Was verschafft mir die Ehre, euch in

dieser Taverne zu begegnen, wo doch unsere letzte Zusammenkunft

noch nicht lange zurück liegt?«

»Savoi, ich grüße euch ebenfalls, Kapitän Stern. Eine gemeinsame

Freundin hat mir gesagt, wo ich euch eventuell finden kann.

Darum wollte ich euch hier erwarten. Ich hatte das starke Gefühl,

dass ihr mir etwas mitteilen möchtet, wobei kein Dritter anwesend

sein sollte«, entgegnete sie mit leisen Worten, wobei sie ihn

freundlich anlächelte. Hieronymus Stern runzelte überrascht die

Stirn. Es traf wahrhaftig zu, dass die Weisen Frauen der Pangäer

über die Gabe der Vorahnung verfügten, wie sonst hätte sie seine

Gedanken erraten können.

»In der Tat, Mondlicht, es ist gut, dass ich euch jetzt schon

getroffen habe. Ich muss euch noch etwas mitteilen, was ich lieber

unter vier Augen mit euch besprechen möchte«, machte Stern

aus seiner Absicht ein kleines Geheimnis. Neugierig blickte ihn

Moon’dan an, jedoch wurden die weiteren Ausführungen von

Stern durch Jolande unterbrochen. Das junge Mädchen war an den

Tisch herangetreten, wobei sie beide Gäste mit einer freundlichen

Geste begrüßte.

»Darf ich euch etwas bringen?«, erkundigte sie sich mit heller

Stimme. Dabei blickte sie fragend auf die Neuankömmlinge, von

denen sie nur Kapitän Stern kannte. »Für mich bitte einen Becher

von eurem gerühmten Blaubeersaft, gesüßt mit etwas Lotushonig«,

gab die Fee ihre Bestellung auf.

»Mir bringt eine Flasche Rotwein, von den Hängen des Wolkengebirges, Jolande.

Das Steak bestelle ich später«, ergänzte Hieronymus

Stern den Auftrag. Mit einem entzückten Nicken dankte die

hübsche Wirtstochter, um dann davonzueilen und den Gästen das

Gewünschte zu besorgen. Neugierig blickte ihn die Pangäerin mit

ihren strahlend blauen Augen fragend an. Sie wartete auf die Fortführung

dessen, was ihr der Kapitän mitteilen wollte. Mit leiser

Stimme fuhr Stern in seinem Bericht fort.

»Ich muss euch vor Nachforschungen beim hiesigen Wirt warnen,

Mondlicht. Diese Taverne ist nicht geheuer, es scheint da ein

finsteres Geheimnis zu geben. Hört Moon’dan«, betonte er eindringlich,

»dunkle und mächtige Kräfte verbergen sich dahinter.

Ich hatte vor drei Jahren bei einer Beutefahrt auf Riva ein Schiff

des Tempels erobert. Nun ja, eigentlich mehr geplündert als erobert,

denn das Schiff selbst ließen wir ungeschoren. Dabei hatten

wir, außer Gold und Edelsteinen, eine große Menge Bastillafelle

erbeutet. Doch das Wesentliche waren einige zauberkräftige Artefakte,

hinter denen die Tempelbrut her gewesen war. Sie sollten

vom damaligen Kommandanten der Galeone zu einem geheimen

Schatzdepot transportiert werden, wo sie natürlich nicht ankamen.

« Hieronymus Stern lächelte, als er sich die damalige Aktion

wieder ins Gedächtnis rief. Dabei klopfte er mit einer Hand auf

den Dolch an seiner Seite.

»Dieser Dolch, Meuchling, war ein Teil der Beute. Damals bekam

meine Mannschaft ein neues Mitglied. Aurelia, die Schiffsführerin

der Heiligen Kuh, wechselte die Seite, weil sie sich für

ein Leben in Freiheit und gegen den Tempel und dessen Unterdrückung

entschied, denn in ihrer Heimat bestand Gefahr für ihr Leben. Sie entstammt der

höheren Hierarchie, was bedeutet, dass sie über einige Dinge Bescheid wusste, die

nur Mitgliedern des internen Zirkels bekannt waren.

Darüber hinaus hat sie mir in einer unterhaltsamen Stunde« und hier lächelte Hieronymus Stern leicht verträumt während ein kaum wahrnehmbares Zucken seine

Mundwinkel umspielte, »einige merkwürdige Geschichten aus ihrem

damaligen Domizil erzählt. Vor langer Zeit, es mag ungefähr

fünfzehn Jahre her sein, wurde aus dem Herrscherhaus des regierenden

Fürsten ein kleines Mädchen geraubt. Üble Halunken sollen es gewesen sein,

die sämtliche Dienerschaft bei dem Überfall niedermachte.«

Sterns Stimme bebte vor Zorn. Sie wurde dabei so laut, dass

sich an den entfernten Tischen Köpfe in ihre Richtung drehten.

Schnell mäßigte der Kapitän seine Lautstärke als er seine Erzählung

fortsetzte.

»Die Entführer konnten unerkannt entkommen, Moon’dan. Einzig

das kleine Mädchen nahmen sie mit. Ein großer Fehler, glaube

ich, denn die Kleine war die zukünftige Thronerbin. Irgendwann

sollte sie den sagenhaften Spinnensessel besteigen, dieses Artefakt der

Herrscher von Thetis. Die folgende lange Suche der Familie nach

dem Kind hatte keinen Erfolg. Dunkle Mächte verhinderten vermutlich,

dass das Mädchen aufgespürt werden konnte. Jedoch gab

es Hinweise, die darauf deuteten, dass sich dieses Kind, inzwischen

sicher eine junge Frau, hier auf Alurien aufhalten könnte. Sie ist

sich ihrer Herkunft nicht bewusst und hält sich unter Umständen

für die Tochter eines fremden Mannes, der nicht ihr leiblicher Vater

ist. Gleichwohl verdichtet sich ein Verdacht, der die Tochter des

Tavernenwirts Zum Würfelbecher mit diesem Kind in Verbindung

bringt. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich mit meinem Schiff

hier vor Anker liege. Die Teilnahme am JIXX-Spiel dient hauptsächlich

der Tarnung. Darum lasst Vorsicht walten, Moon’dan. Die

Rotröcke und deren angeheuerte Schergen sind hinter uns her, um

sich wieder zu holen, was ich ihnen damals raubte. Das wollte ich

euch mitteilen, damit ihr gewarnt seid.«

Mit großen Augen war die Fee der Geschichte des Piratenkapitäns

gefolgt, dabei schüttelte sie immer wieder ungläubig den Kopf.

»Einfach unglaublich, Stern. Ich danke euch für euer Vertrauen.

Dieses Wissen werde ich für mich behalten. Auch eure Warnungen

will ich beherzigen, jedoch hatte meine Freundin recht, als

sie sagte, dass ich beim Piraten mehr Informationen bekomme als

mir lieb ist. Sie hat mir eurer kleines Geheimnis verraten, Kapitän.

Nun ja, ein richtiges Geheimnis scheint es nicht zu sein, da ihr eine

Art Doppelleben führt. Dennoch, geschätzter Pirat, es ist nicht

allgemein bekannt, dass ihr hin und wieder von hier verschwindet,

um mit eurem verborgenen Schiff auf große Fahrt ins Sternenmeer

zu gehen«, lächelte Mondlicht wissend.

Sie unterbrachen ihr Gespräch erneut als Jolande sich näherte,

um die bestellten Getränke vor ihnen auf den Tisch zu stellen.

Mit einem ganz anderen Blick als zuvor musterte Moon’dan die

hübsche junge Frau, die sich bereits wieder umgedreht hatte, um

ihre Arbeit an den anderen Tischen fortzusetzen. Kurz nahm die

Pangäerin einen kleinen Schluck vom köstlich mundenden Saft.

Langsam setzte sie den Becher wieder ab, um einen Moment zu

überlegen.

»In der vorletzten Nacht sind einige seltsame Dinge passiert,

Kapitän. Doch jetzt vermute ich da Zusammenhänge, die mir vorher

nicht in den Sinn gekommen wären. Nun kann ich mir manches

zusammenreimen.«

Die Fee blickte sich unauffällig um, ehe sie im Flüsterton weitersprach.

»Ihr wisst, Stern, meine Hütte steht etwas außerhalb der Stadt.

Am Rande einer Lichtung, die von einem großen Drachenbaum

gehütet wird, der mitten in ihrem Zentrum steht. Als ich und mein

Gefährte die Lichtung verlassen hatten, sind unbekannte Gestalten

dort aufgetaucht. Sie taten geheimnisvoll und haben dort etwas

vergraben. Dies hat mir die Dyrade verraten, die als Hüterin des

Baumes in seinen Ästen wohnt. Ich habe über dieser Stelle eine

sehr starke und uralte Magie gespürt, jedoch wagte ich nicht, danach

zu graben. Clovis, mein Gefährte, gab mir heute den Rat,

euch aufzusuchen, damit ich euch dies persönlich mitteile.«

Nachdenklich trank Hieronymus Stern einen großen Schluck

vom Rotwein, der, wie er anerkennend bemerkte, wirklich ein hervorragender

Tropfen war. Mit Genuss ließ er den samtigen Geschmack

einige Sekunden im Gaumen wirksam werden, bevor er

sich äußerte. Eigenartig, wie sich die Dinge entwickelten. Gestern

erst hatte er bemerkt, dass das Sehende Auge, das Aurelia damals von

der Heiligen Kuh mitgenommen hatte, verschwunden war. Es war

Stern einfach unerklärlich, wie sich ein Dieb, an allen Sicherungen

vorbei, dieses Artefakts bemächtigen konnte. Nun bestand eine

vage Hoffnung, dass das Auge unter einem Drachenbaum ganz

in der Nähe vergraben lag. Er brauchte dieses Auge, denn damit

wollte er Licht in das Geheimnis um die Entführung von Aurelias

Tochter Mylinda bringen. Endlich Gewissheit erlangen, ob Jolande

tatsächlich ihr leibliches Kind war. Vor ihrem ersten Treffen am

Lagerfeuer hatte ihn die Fee auf dem Marktplatz bei einer Unterredung

mit einem Alchemisten überrascht. Möglicherweise hatte

sie dabei einiges von seinem Gespräch mit dem Mann gehört.

Was hatte die listige Fee von ihrer Unterredung mitbekommen?

Er war umsichtig und unauffällig an den Stand herangetreten und

hatte sich vergewissert, dass sich niemand Verdächtiges in der Nähe

aufhielt. Dennoch war ihm die Anwesenheit der Pangäerin entgangen.

Hieronymus Stern ärgerte sich, dass er nicht vorsichtiger gewesen

war. Nun gut, er hatte nichts Verbotenes getan, geschweige

denn im Sinn gehabt. Doch war sein Vorhaben nicht ungefährlich

und konnte durchaus dunkle Mächte auf den Plan rufen, die nicht

nur ihm, sondern allen, die mit ihm in Kontakt waren, gefährlich

werden mochten. Er suchte die Zutaten für einen Findezauber, den

er unbedingt ausüben musste, um das gestohlene Auge ausfindig

zu machen. Der Schlüssel zu dem ganzen Geheimnis war diese magische

Kristallkugel, die ihm hier auf unbekannte Weise abhanden

gekommen war. Um einen solch außergewöhnlichen Gegenstand

zu orten, benötigte er einen Findezauber der allerhöchsten Klasse.

Unter Umständen reichten seine eigenen magischen Fähigkeiten

nicht aus, um einen geeigneten Spruch auszuüben. Daher war er

auf eine speziell geschaffene Zauberrolle angewiesen, um den Findezauber

zu bewirken. Leider beherrschten nur wenige Adepten

diese spezielle Art von Magie. Er wurde selten verlangt, denn er

war nicht nur außergewöhnlich aufwändig sondern auch unwahrscheinlich

teuer. Der Alchemist Chemicus, ein alter Bekannter, besaß

vermutlich diese Fähigkeit, jedoch weigerte er sich beharrlich, diesen

Zauber anzuwenden. Er besaß sogar die Frechheit, zu behaupten,

dieses Können überhaupt nicht zu beherrschen.

Ärgerlicherweise verliefen alle Bemühungen im Augenblick relativ

fruchtlos, um so mehr schöpfte Stern neue Hoffnung als die

Pangäerin ihm von dieser Beobachtung berichtete. Ja, es stimmte.

Uralte Kräfte ruhten in dem Auge. Es wartete darauf, von Suchenden und

Wissenden eingesetzt zu werden, denn dieses Artefakt existierte

bereits als das jetzige Universum gerade erst geboren wurde.

Hieronymus Sterns wenigen Informationen zufolge, gelangte es

durch eine Raum-Zeit-Verschiebung aus einer anders gearteten Existenz

in die Realität des Magischen Universums. Alle Geschehnisse,

die sich im hiesigen Kosmos zugetragen hatten, wurden vom

Auge seit Anbeginn der Zeit festgehalten. Sie waren auf immer

und ewig in seinem Inneren gespeichert.

Wer die magische Zauberformel kannte, vermochte Bilder aus

jeder Zeit oder von jedem zu Ort betrachten, um sie für sich zu

nutzen. Stern beabsichtigte mit Hilfe der Kugel, die Geschehnisse

der damaligen Entführung zu überprüfen. Er wollte herauszufinden,

wer die Übeltäter waren und wo sich das kleine Mädchen von

damals jetzt aufhielt. Das war die wichtigste Aufgabe, für die er

das Auge brauchte, alle anderen Fragen waren von nachrangiger

Bedeutung. Er hatte Aurelia sein Wort gegeben und würde alles

tun, um es einzuhalten. Die notwendige Zauberformel hatte er

auf einer weiten Reise von den Hütern der Weisheit erlangt. Diese

Welt lag weit entfernt, daher würde es eine große Menge an Sternenstaub

kosten, sollte er diese Welt erneut aufsuchen müssen.

Sein eigener Ehrenkodex verpflichtete ihn jedoch, sein gegebenes

Versprechen einzuhalten. Daher würde er unter allen Umständen

und mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, versuchen,

das Verschwinden von Aurelias geliebter Tochter aufzuklären. Warum

sie soviel Wert darauf legte, war Hieronymus Stern nach ihrer

ersten gemeinsamen Nacht klar geworden. Im leichten Schlaf, nach

einer leidenschaftlichen und erfüllten Liebesnacht hatte sie unruhig

geträumt. Dabei murmelte sie unentwegt immer wieder einen

Namen: »Mylinda, Mylinda – wo bist du? Ich suche dich, mein

Kind. Ich suche dich schon so lange. Wo, wo bist du nur …«

Es war herzergreifend für ihn gewesen. Da war eine Mutter, die

sich aufmachte und keinerlei abenteuerliche Wege scheute, um ihre

einzige Tochter zu suchen und zu finden, koste es, was es wolle.

Auf eine unbekannte, ja geradezu magische Art hatte sie Gewissheit,

dass ihr Kind noch lebte. Um den unbekannten Mächten,

die hinter der Entführung standen, nicht aufzufallen, wählte sie

klugerweise den Weg als Schiffsführerin der Heiligen Kuh. Unglücklicherweise

oder sollte Stern besser von einer glücklichen Fügung

des Schicksals sprechen, kreuzte die Heilige Kuh den Weg

des Sternenteufel. Unbekannte Informanten verrieten ihm den

Kurs und die Ladung des Schiffes. Damit war Aurelia schlussendlich

schneller in Alurien gelandet als sie es sich vorstellen konnte.

Hieronymus Stern schüttelte den Kopf, es schien ihm alles

etwas sehr merkwürdig. Zu einfach wollten sich Puzzleteile ineinander

fügen, zu leicht schien das Ziel erkennbar. Wie von den

Gedanken eines unsichtbaren Spielers gelenkt, fühlte sich Stern

fast wie eine Schachfigur, die auf einem imaginären Spielbrett hin

und her geschoben wurde ohne dass die Hand zu sehen war, die

sie führte. Es mussten noch einige Fragen geklärt werden, bevor

Licht in dieses Dunkel fallen würde, dessen war sich der Kapitän

des Sternenteufel bewusst.

Welche Mächte steckten dahinter und was bezweckten sie?

Was war so wichtig an der Wirtstochter Jolande, die in Wahrheit

die Tochter von Aurelia sein mochte?

Die Fee Mondlicht sowie ihr Begleiter, der Barde Bentus Clovis,

gaben dem Kapitän weitere Rätsel auf. Nicht, dass er glaubte, sie

würden ein unredliches Spiel treiben, nein, das keineswegs. Dennoch

fragte er sich, was die Angehörigen dieses uralten Volkes mit

ihren unbekannten magischen Fähigkeiten in Fuxina wollten?

Hatten sie einen Auftrag für ihr Volk zu erfüllen oder kamen sie

aus eigennützigen Gründen hierher? Nur um das Spiel zu spielen

oder der Welt ihre Existenz vor Augen zu führen?

Wenn er doch nur dieses verdammte Sehende Auge in seinen Händen

hätte, dann würde er auf viele dieser Fragen eine Antwort

erhalten. Nun, wenn er mit dem Alchemisten nicht weiter kam,

musste er es mit jemand anderen versuchen. Irgendein Magier in

Alurien musste doch die Kunst des Findezaubers beherrschen und

auch bereit sein, ihn gegen angemessene Bezahlung auszuüben.

Hieronymus Stern brach seine Überlegungen ab und kehrte mit

seinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.

»Das ist höchst interessant, Moon’dan. Ich vermisse seit ein paar

Tagen ein magisches Artefakt, es ist mir auf unbekannte Weise

gestohlen worden. Gut möglich, dass der oder die Diebe es vergraben

haben, um es vorübergehend zu verstecken. Wir sollten daher

so schnell wie möglich überprüfen, was dort in der Erde liegt.

Ich muss noch einen Besuch bei MayLi machen, danach kehre ich

zum Schiff zurück, um noch einige Stunden Schlaf zu bekommen.

Wäre es euch recht, wenn wir uns morgen, ach nein – das ist ja

bereits heute, also zur Mittagsstunde in eurer Hütte treffen? Dann

versuchen wir mit Hilfe unserer Freunde Licht ins Dunkel zu bringen«, fragte Stern

die aufmerksam lauschende Fee.

»Ja, das ist in Ordnung, Stern. Es wäre unglaublich, wenn es

sich tatsächlich um euer gestohlenes Artefakt handeln sollte, doch

dies scheint mir gut möglich. Es hatte wirklich eine starke magische

Aura, von einer Art, wie ich sie noch nie gespürt habe. Ich

werde euch noch ein kleines Stück des Weges begleiten, Kapitän,

um Ausschau nach Bentus zu halten. Sicherlich hockt er noch in

irgendeiner Taverne und spielt dort dem Publikum auf der Laute vor.«

Mit wenigen Zügen leerte Hieronymus Stern den Rest der Flasche.

Anschließend legte er einige Silbermünzen auf den Tisch,

um sich dann zu erheben.

»Dann lasst uns aufbrechen, Mondlicht, damit ich MayLi nicht

noch aus dem Bett schmeißen muss«, bemerkte er trocken.

»Genau das wollte ich auch vorschlagen«, lächelte die Fee geheimnisvoll.

»Es wäre doch jammerschade, wenn ein gestandener

Pirat wie ihr, eine Frau aus dem Bett und nicht hinein holen müsste,

nicht wahr.«

Ruhig verließen sie die Taverne, dabei hakte sich die Pangäerin

wie selbstverständlich vertraut bei Hieronymus Stern unter.

Leichtfüßig schritt sie an seiner Seite in Richtung Viertel der Freuden.

Vielleicht konnte sie diesem seltsam undurchschaubaren und

gleichzeitig alterslos wirkenden Piraten noch einige Geheimnisse

seiner Herkunft oder seiner Vergangenheit entlocken. Neugierig

genug geworden war sie allemal …







































* Seelenreise *


Sterne leuchten meines Weges Saum –

Finsternis am Rande lockt.

Mein Herz vor Furcht der Atem stockt

und doch – Dunkelheit umfasst den Raum …


Hinaus mit Macht will ich – im Traum

und keine Fessel soll mich halten.

Ich will mein Schicksal selbst gestalten

und doch – Dunkelheit umfängt den Raum …


Angst wächst wie ein großer Baum –

schlägt Wurzeln in meinem Ich.

Zweisamkeit sucht und findet sich

und doch – Dunkelheit umfängt den Raum …


Gedanken quirlen wie blasig Schaum,

all umfassend scheint das Licht.

Helligkeit nimmt mir die Sicht

und doch – Dunkelheit umfasst den Raum …


Wo ist das Ziel – man ahnt es kaum.

Die Seele sucht und windet sich –

wohin es geht – sie weiß es nicht

und doch – Dunkelheit umfängt den Raum …


Herz, sage mir – was soll ich tun?

Der wahre Weg ist eine zarte Spur,

wo der Seele Ruf ganz leise nur –

und doch – Dunkelheit sie weichet nun.


















Das Magische Universum

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