Читать книгу Kiez, Koks & Kaiserschnitt - Christian U. Märschel - Страница 4

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Kaiserschnitt-Kinder

Ich wurde 1964 geboren, ein einer Stadt, die damals schon eine Großstadt war. Haufenweise wurden alle umliegenden Orte eingemeindet, dieser –meiner-

Stadt angegliedert. Immer seltener sah man in dieser Zeit auch die Autokennzeichen KK, WES, GV, und MO. Alles wurde KR. Es war toll, in einer

Großstadt zu leben, fand ich damals. Es musste wohl die größte Stadt der Welt sein, denn alle Ortschaften, in die ich damals in meinem zarten Alter kam,

waren kleiner.

Das wusste mein Vater immer zu berichten. Er wusste alles, wie das bei Vätern nun eben mal so ist. Er musste es auch schliesslich wissen, denn er war ja

bei der Polizei! Leider kam er zum täglichen Mittagessen im Familienkreise nie mit einem Auto mit Blaulicht drauf, lange habe ich nicht verstanden, warum.

Wenn man bei der Polizei ist, gibts doch auch ein Blaulicht.

Mein Vater war bei der Kriminalpolizei.

Als er starb, war ich vierzehn.

Sein letzter Dienstgrad war Erster Polizeihauptkommissar, das war wohl nur ein paar Stufen unter dem Polizeipräsidenten. Ich weiß nicht viel über ihn.

Er hatte gefehlt in der entscheidenden Phase, die für die Erwachsenwerdung eines Menschen so wichtig ist, in der Pubertät. Da war er schon tot.

Ich wurde per Kaiserschnitt geboren.

Ich weiß nicht, ob der danach folgende Verlauf meines Lebens wirklich hiermit zu tun hat? Die Meinungen gehen auseinander, was die Vor- und Nachteile

des Kaiserschnitts anbetrifft. Einige Meinungen habe ich bei meiner Suche nach den Ursachen für mein Anderssein im Internet und in schlauen Büchern gefunden.

Die Gegner des Kaiserschnitts warnen vor einem verpassten Geburtserlebnis, sowohl für die Mutter als auch für das Kind, vor einer geschmälerten

Mutter-Kind-Bindung und vor Babys, die bereits durch die Geburt einen psychischen Knacks haben.

Und den habe ich bestimmt, ob es nun am Kaiserschnitt liegt oder nicht.

Ich analysiere gern alles und jeden, besonders mich. Und mindestens hundert Knackse habe ich schon bei mir feststellen können. Es heißt, Kaiserschnittkinder

würden sich im weiteren Leben häufiger vor Entscheidungen drücken und seien weniger durchsetzungsfähig.

Genau das trifft auf mich zu.

Ich schiebe Entscheidungen so lange vor mir her, bis sie auf der anderen Seite der Weltscheibe endlich herunterfallen. Aber ich kann mich durchsetzen! Das

klappt gut, wenn man sich eine Umgebung mit Menschen aussucht, die schwächer sind als man selbst, vielleicht auch nicht ganz so schlau, und gerne jünger.

Leider kann man seine Umgebung nicht immer selbst gestalten. Dann klappt das mit dem Durchsetzen auf einmal auch nicht mehr.

Manche Menschen, so habe ich herausgefunden, sind kategorisch gegen einen Kaiserschnitt. Er würde die Entwicklung eines Kindes behindern. Das Fehlen

der natürlichen Geburtserfahrung könne die Mutter-Kind-Bindung schwächen. Beim Kaiserschnitt werden der Mutter prägende Glückserlebnisse nach dem

schmerzhaften Geburtsvorgang vorenthalten.

Obwohl dies auf meine Mutter nicht zutraf. Sie war bis in mein fortgeschrittenes Alter, ja bis zu ihrem Tode eigentlich, eine Glucke, im liebsten Sinne des Wortes.

Kaiserschnittkinder stehen unter dem Verdacht, ängstlicher und unruhiger zu sein, weil sie nicht den "struggle for life" durchgemacht haben.

Ich habe Angst vor allem. Besonders vor dem Leben und dessen unkalkulierbaren Risiken.

Weiterhin sagt man, dass Kaiserschnittkinder auch oft Anpassungsstörungen haben, weil man sie einfach so ohne Vorwarnung (Wehen) aus ihrer sicheren

Gebärmutterhöhle reißt. Und ich bin der unangepassteste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich versuche es auch gar nicht. Das zeigt sich zum Beispiel

an der Tatsache, dass ich hier in Amsterdam seit beinahe sieben Jahren lebe, ohne auch nur einen Freund, guten Bekannten oder gar eine Freundin/Lebenspartnerin

gefunden zu haben. Ich suche auch nicht danach. Weil ich mich dann anpassen müsste. Kompromisse schließen müsste. Und das will ich nicht. Kann ich auch nicht.

Man sagt, Kaiserschnittgeborenen fehle die "Massage" durch den Geburtskanal, die zuständig ist für die Vermittlung von Gefühlen wie Anschmiegsamkeit,

Liebesbedürftigkeit und dem Verlangen nach Zärtlichkeit.

Stimmt. Fehlt mir alles.

Ich suche Entschuldigungen dafür, warum ich so bin, wie ich bin. Oder Erklärungen. Oder beides. Ich bin nie schuld. Immer andere. Jetzt eben der Kaiserschnitt.

Ich habe nie Ideale gehabt oder Idole.

Die Sache mit den Boy- oder Girlie-Groups, die heutzutage als solche dienen können, war damals noch nicht erfunden. Was man gerade erst erfunden hatte, war

der Kassettenrecorder. Völlig abgefahren, das Teil (ich glaube, so sprach man damals auch noch nicht…), aus schwarzem Kunststoff, abgesetzt mit braunem

Holzimitat. Den Tragegriff konnte man aus dem Gerät herausziehen und ihn, wenn man es nicht tragen wollte, auch wieder hineinschieben. Nein, er spielte nicht

automatisch beide Bandseiten ab, man musste die Kassette schon noch von Hand herumdrehen. Wenns eine Automatik hierfür schon gegeben haben sollte,

dann wäre meiner Mutter das zu teuer gewesen.

„Das braucht man doch nicht, die Cassette kannst du doch wohl eben noch selber rumdrehen, das ist doch ein schönes Gerät, da kannst du doch diese

neumodische Musik drauf abspielen. Und das ist eine gute Marke, der war teuer!“

Ich weiß nicht, ob sie es so gesagt hatte, aber das wäre zumindest ihre Art gewesen, so etwas zu sagen.

Meine Mutter war immer sehr sparsam. Nicht geizig. Sparsam. Aber wenn sie etwas kaufte, dann musste das auch gut sein, lang halten.

Ich wusste damals, als ich klein war, auch schon was ein Kilometer ist. Für Kinder gar nicht so einfach, eine solch weite Strecke einschätzen zu können.

Ein Kilometer, dass ist so abstrakt! Mein Vater, der alles wusste, sagte einmal, es sei so weit wie vom Hauptbahnhof unserer Stadt bis zum Polizeipräsidium.

Das war dort wo er arbeitete. Das konnte ich mir fortan merken und auf andere Längen anwenden, die es zu bemessen galt. Später einmal fand ich heraus, das

der Ostwall in Wirklichkeit viel länger ist als ein Kilometer. Aber es stimmte halt so ungefähr.

Eine auch ungefähr so lange Strasse ist die Reeperbahn.

Ganz weit weg für mich damals und noch völlig unbekannt. Die Reeperbahn ist auch in einer Grossstadt. Aber in einer viel größeren und schöneren als Krefeld,

der Stadt in der ich aufwuchs, die aber leider nie mein Leben prägte.

Ich kannte mich toll aus in Krefeld. Es gab kaum keine Strasse, die ich nicht beim Namen kannte und wenige, von denen ich nicht wusste, über welche Strassen,

deren Namen ich natürlich auch wusste, man dorthin gelangt. Ich habe mir das immer genau gemerkt, bei meinen vielen Fahrradtouren durch meine Heimatstadt.

Ich bin meistens alleine rumgegurkt.

Die anderen Kinder aus der gepflegten, gutbürgerlichen Siedlung, aus der ich stamme, waren damals noch zu klein, um mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren zu

dürfen. Sie waren im schnitt 2 – 4 Jahre jünger als ich. Ich war früher immer mit Jüngeren zusammen. Vorteil: alles hört auf dein Kommando. Nachteil: lernen von

den Grossen tuste hierbei nichts.

Es war buchstäblich niemand da, an dem ich mich hätte orientieren können, selbst wenn ich damals schon erkannt hätte, das so was später vielleicht mal nützlich

sein könnte.

Mein Mutter war froh, dass sie nach dem Tod meines Vaters ihren Sohn nicht unkontrolliert verlor an Leute, von denen sie oft sagte: „Halt dich von denen mal

lieber fern, das ist kein guter Umgang für dich, der Vater ist nur ein einfacher Arbeiter“.

So oder ähnlich hörte ich es oft und lange, noch als ich schon größer war, gerade bei den Leuten, die ich grad neu kennengelernt hatte und interessant fand.

Familienleben und Jugend in den 70gern waren geprägt von Schubladen, Urteilen und Vorurteilen und von Äusserungen wie: „ Was sollen bloss die Nachbarn

denken?!“ Jedenfalls war das bei mir so.

Von der „Sündigen Meile“ hörte ich zum ersten mal, als ich mit meiner Mutter abends in trauter Zweisamkeit vor dem häuslichen Fernseher sass. Es kam irgendein Bericht, in dem in loser Reihenfolge Worte vorkamen wie Reeperbahn, St. Pauli, Hamburg. Ich wollte wissen was die Worte bedeuteten, die mir, in Kombination mit schummrig-roten Fernsehbildern von leicht bekleideten Frauen, die an Tischen mit Gläsern und Champangnerflaschen saßen, zum ersten Male begegneten. Die vorbeschriebenen Umstände jener Zeit liessen nicht zu, dass meine Mutter mir das genauer erklärte. Aber das Interesse war geweckt! Ich war damals so vierzehn oder fünfzehn.

Kurz nachdem mein Vater gestorben war, sprach meine Mutter mit mir auf einmal über viele Dinge, über die sie früher nie mit mir geredet hätte. Weil ich da ja

noch ein Kind war. Ich habe damals nie an häuslichen Problemdiskussionen teilgenommen, falls es die überhaupt gegeben hatte. Ich kann mich nicht daran

erinnern. Aber nun meinte sie, dass ich jetzt alt genug dazu sei und obendrein der einzig verbliebene Mann im Haus. Sie übertrug mir ein bislang nicht gekanntes Verantwortungsgefühl durch diese neuerliche Offenheit von ihr. Ich war erwachsen!

Es gab damals für Teenies (die so auch noch gar nicht hiessen!) noch keine nach Musikrichtungen sortierten Klamotten im Techno-, Hip-Hop- oder

Gabba-Look. „Junge Heranwachsende“, wie das damals hiess, trugen auch junge Mode. Das war das Oberhemd, wie es auch der Vater hatte, nur eine Nummer

kleiner und mit anderem Muster. Die „Jeanshosen“, wie ich die Jeans jetzt noch alt-gewohnter Weise nenne, kamen gerade richtig in Mode.

Ich jedoch, beladen mit einer neuen, schweren Verantwortung, der des „Mannes-im-Hause“, entschied mich damals: wenn erwachsen, dann richtig! Während

meine Schulkameraden in lässigem Outfit mit T-Shirt-Aufschriften wie AC/DC (laut meinem damaligen Langenscheidt-Englisch-Lexikon waren sie also scheint’s

Fans von Elektroinstallateuren), Uriah Heep oder einer Rolling-Stones-Zunge in den Klassenraum schlurften, kam ich eines Tages, neu eingekleidet, wesentlich

seriöser daher! Ich trug eine hellbraune Cordhose, ein gemustertes Oberhemd und einen langen schwarzen Trenchcoat, so einen, wie Derrick damals immer anhatte.

Ich war immer schon jähzornig.

Vielleicht lag das ursächlich unter anderem daran, dass ich, je älter ich wurde, merkte, dass meine Mutter ständig versuchte, mich zu kontrollieren. Ich „entglitt“ ihr,

wie sie oft sagte. Ich nannte es „entwickeln“ und so nenne ich es auch heute noch. Aus der liebevollen Glucke wurde eine Mutter, die alles und jedes an mir

kontrollieren wollte.

„Nein, mach das mal besser so und so, glaub mir, ich meine es nur gut mit dir...!“ Sie spielte dann die Beleidigte, wenn ich es nicht so tat, wie von ihr

geheissen. Sie spielte sie nur, denn in Wirklichkeit war sie sauer, weil sie ihr Ziel nicht erreicht hatte. In extremeren Fällen sprach sie dann nicht mehr mit mir, das

konnte zum Teil Tage dauern.

Irgendwann ersann sie dann eine „Belohnungs-Strategie“.

„Wenn du das und das von mir willst, musst du mir aber auch einen Gefallen tun – mach dies und das bitte nicht mehr, geh nicht mehr mit diesen oder jenen Leuten um, die sind nicht gut fur dich, warum triffst du dich denn nicht mehr mit deinen Freunden Dirk oder Holger, das sind doch nette Junges!“

Ja, nette Jungs, aber auch kleine Jungs. Jungs, die alle auf ihre Mütter hörten, jünger als ich. Ich hatte andere Freunde gefunden, die waren zum Teil älter, reifer,

oder einfach nie „liebe“ Jungs gewesen.

Meine Mutter versuchte immer Gründe zu finden, auf die sie meine „unerklärliche“ Entwicklung schieben konnte. „Ich kann dich in letzter Zeit gar nicht mehr

erreichen, du entfremdest dich so sehr von mir...“ sagte sie öfters, und mit „erreichen“ meinte sie nicht die telefonische Erreichbarkeit, denn Handys gab es damals noch nicht, „... du entgleitest mir ganz und gar!“

Unser Verhältnis wurde immer gespannter und ich erinnere mich gut daran, dass meine Mutter immer noch einen oben drauf setzen konnte, mich regelrecht fertig

machte, wenn sie merkte, dass sie mich endlich etwas in die Knie gezungen hatte. Ein verzweifelter Versuch, wieder Einfluss auf mich ausüben zu können.

„Du warst so ein lieber Junge, als du klein warst!“ Ja, alle kleinen Jungen sind lieb, aber sie werden auch mal älter, Mutter, sehen nicht nur das in der Welt, was ihre Mütter zulassen sondern fangen eigenständig an zu sehen, mit eigenen Augen und eigenem Urteilsvermögen, dass meine Mutter mir immer absprach. Nach der Belohnungs-Strategie kam die „Enttäuscht-Strategie“ und Schuldzuweisungen, die sie eigentlich nie offen aussprach.

„Ach, ich habe schlecht geschlafen heute nacht!“

„Warum?“

„Hach ja, ich muss so viel nachdenken.“

„Worüber denn?“

„Ach so allgemein. Es ist ja alles nicht so einfach im Moment. Du machst es mir ja auch nicht gerade leicht! Du solltest schon mehr auf deine Mutter hören, ich

meine es ja nur gut mit dir. Du machst mir viele Sorgen!“

Meine Mutter musste zuletzt oft ins Krankenhaus, Krebs war früher nicht rechtzeitig zu erkennen, und so hatte meine Mutter Lymphdrüsenkrebs und Brustkrebs.

„Die Ärzte sagen, das kommt auch oft durch viel Ärger und Aufregung.“

Ich weiss nicht ob es richtig ist, in einem Kind solche Schuldgefühle zu erwecken.

In einem Fernsehbericht hörte ich einmal von einem Buch von Joseph Kirschner „Manipulieren – aber richtig“. Ich glaube nicht, dass ich damals, im Alter von

vierzehn oder fünfzehn Jahren schon wusste, dass meine Mutter mich fortwährend manipulierte oder zumndest wusste ich nicht, dass dieses Wort das richtige war

um das, was sie mit mir tat, zu beschreiben. Jedenfalls kaufte ich mir dieses Buch schon Tage später.

Meine Mutter fand das Buch in meinem Zimmer, als ich in der Schule war, las es auszugsweise und sie bezog es natürlich auf sich – ich wolle sie manipulieren und mir aus diesem Buch die Anleitung hierfür holen.

Kauf dir das Buch einmal, es ist sehr interessant, aber es geht in keinem Falle darum, wie man seine manipulierende Mutter manipuliert.

Ich konnte mir danach endlose Monologe anhören, was denn aus mir geworden sei, und warum ich so zu meiner eigenen Mutter wäre. Bis zu ihrem Tode konnte

ich mir in –nach ihrer Ansicht hierzu geeigneten Situationen- anhören, wie schlecht dieses Buch für mich gewesen wäre und wie es mein – und damit auch ihr- Leben verändert hätte – zum Nachteil natürlich.

Nun hatte sie die Quelle allen Übels gefunden – das Buch hatte einen immer bleibenden Keil zwischen uns getrieben. Dies hielt sie mir sogar auf dem Totenbett noch einmal vor.

Ich erinnere mich an einen Tag, an dem sie mir mal wieder richtig zugesetzt hatte.

Was ich mit dieser Aktion bezweckte, weiss ich heute nicht mehr so genau, auch nicht, was der Anlass für den Streit eigentlich gewesen war. Ich konnte nicht mehr.

Immer gegen meine Mtter ankämpfen zu müssen, nichts, was ich tat war gut oder richtig, ständig diese unterschwelligen Bemerkungen, dieses „vom eigenen Sohn

enttäuscht zu sein“, diese gespielte (oder auch tatsächliche) Niedergeschlagenheit „...ach sich hab es ja so schwer mit dir, ich komme gar nicht mehr gegen sich an,

du liebst deine Mutter nicht...“ schürte den Hass und Jähzorn in mir.

Als Paradebeispiel eines Traumsohnes wurde mir immer Hans-Jürjens (rheinischer Dialekt) , der Sohn einer befreundeten Nachbarin, vorgehalten. Nicht offiziell, nein, ganz subliem, ganz unterschwellig! Der war drei Jahre älter als ich, in meinen Augen und auch rückblickend auf die Zeit damals ein grosssprecherisches Mama-Söhnchen, das immer tat, was die Eltern sagten und vor allem was die Oma sagte. Was meiner Mutter nie auffiel war wohl, das hier Hans-Jürjens die ganze Familie manipulierte, besonders zuvor erwähnte Oma, die mit reichlich Geld ausgestattet war, dass sie dem lieben Hans-Jürjens in rauhen Mengen zukommen liess, so dass der sich alles kaufen konnte, was er wollte.

„Siehst du“, sagte meine Mutter oft, „der Hans-Jürjens hat so viele neue Sachen, der versteht sich gut mit seiner Familie und bekommt viele schöne Sachen.“

Ja, der ach so liebe Hans-Jürjens war auch drei Jahre älter als ich kleiner Rotzbengel und hatte schon begriffen, wie das mit dem manipulieren ging!

An einem Tage, von dem ich nicht mehr weiss als die Erinnerung an diese Situaton, rannte ich wutschnaubend in den Keller, dorthin, wo das Werkzeug meines

verstorbenen Vaters aufbewahrt war und holte eine Axt, wie meine Mutter später sagte, es war vielmehr ein Beil glaube ich, hervor, rannte mit diesem in der Hand die Treppe wieder herauf und stellte es demonstrativ in mein Zimmer vor mein Bett. Ich weiss nicht mehr ob es meine Mutter dort gesehen hatte oder bereits, als ich damit die Kellertrepe wieder herauf gekommen war. Sie musste sich wohl sehr daruber erschrocken haben.

Nach dem Tod meiner Mutter habe ich noch oft an diese Situation gedacht und darüber nachgedacht, was ich damals mit dem Beil wollte. Heute wie früher schon

weiss ich, dass ich sie damit nicht angreifen, geschweige denn töten wollte, auch wenn es sich für meine Mutter so dargestelt haben könnte. Heute erst weiss ich,

dass ich damals nur diesen Menschen in ihr töten wollte, den ich so verabscheute, den Menschen, der mich zu seinem Ebenbild, einer Kopie seiner selbst machen

wollte, und alles daran setzte, dies durchzusetzen, mit aller Macht und mit aller Kraft, die sie dafür nur aufbringen konnte. Mir kam es oft vor, als wenn es ihr Lebensinhalt war, mich so zu machen, wie sie mich wollte.

Heute verstehe ich auch ein wenig, dass sie dies wahrscheinlich tat, weil sie einsam war. Weil ihr Mann gestorben war, der einzige Vertraute, Nahestehende, Freund, Kamerad, den sie hatte – ausser ihrem Sohn, dem sie diesen Platz nun zuweisen wollte.

Aber ein Kind ist ein eigenständiger Mensch, oder zumindest entwickelt es sich zu so einem. Je mehr Macht man über ein Kind ausübt, desto mehr beschleunigt man den Vorgang, dass es sich von einem abwendet und in die völlig konträre Richtung entwickelt.

Aber das hat meine Mutter damals wohl nicht gewusst.

Ich schreibe ihr auch heute noch die Schuld daran zu, dass ich misstrauisch jedem gegenüber bin, den ich kennenlerne und der nett zu mir ist.

Das ich bindungsunfähig bin.

Dass ich Frauen, die sich um mich und meine Problemen kümmern wollen, wie damals zum Beispiel Silvie und später noch einige andere – Frauen, die also gut für

mich gewesen wären- verstosse und mit Füssen trete.

Die Sache mit dem Beil hatte damals kein besonders erwähnenswertes Ende.

Irgendwann habe ich es wieder in den Keller an seinen Platz gebracht, wohl hat es ein paar Tage lang in meinem Zimmer gestanden, bis meine Wut verraucht war und ich wohl auch ein schlechtes Gewissen bekommen hatte.

Meine Mutter hat lange Zeit nicht mit mir gesprochen, aber wir haben auch nie wieder über diese Situation gesprochen. Ich hätte auch nicht darüber sprechen wollen.Nicht aus Verlegenheit oder Scham oder Reue, sondern weil ich einfach nicht über Gefühlsausbrüche reden kann und will, schon gar nicht mit einer Mutter, die jede Aussage auch gegen mich verwenden könnte. Trotzdem kam die Sache mit dem Beil später noch ein einziges Mal auf den Tisch.

Kleine Triumphe

Irgendwann hatte ich mir zum Derrick-Outfit statt der doch recht liederlich aussehenden Bundeswehr-Kampftasche in natoolivgrün, die total angesagt war (ebenfalls mit markigen Sprüchen aus dem Edding-Stift verziert), einen geschäftleitungstauglichen Kunststoff-Aktenkoffer als Schultasche zugelegt.

Nach der nächsten Pause lag derselbe –ausgekippt- unter meiner Schulbank!

Schweine!

Lasst mich in Ruhe.

Ich bin so wie ich bin.

Ich will auch gar nicht wie ihr sein.

Als ich an dem selben Tag nach Hause kam, habe ich brav zu Mittag gegessen mit Mama, und danach wie ein geölter Blitz in den Bastelkeller, den mein Vater

schon von meinem Opa und ich dann von meinem Vater übernommen hatte. Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Schule hatte der Koffer ein Schloss und –

eine Alarmanlage!! Selbst gebaut!

Die erste Stunde an diesem Morgen war Physik bei Frau Lohmann, einer kleinen, drahtigen und energischen Frau mt kurzen, rötlichen Haaren und

Sommersprossen um die Nase. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, ich war in der kleinen Pause noch mit irgendeinem Schuldienst beschäftigt und

kam dadurch etwas später in den Physikraum. Schon von weitem und durch die geschlossenen Türen hörte ich – die Alarmanlage des Koffers! Da hatte doch

tatsächlich jemand versucht, ihn trotz meinem Schloss und der wichtigen Aufschrift „ALARMANLAGE!“ zu öffnen! Das Gejaule dröhnte durch die stillen

Schulflure. Mein Gang beschleunigte sich, ich rannte fast. Dann riß ich die Tür des Physiksaals auf, besorgt, ob der Koffer trotz alledem schon wieder

ausgekippt worden sei, zugleich aber auch stolz über das Funktionieren der Alarmanlage! Gelächter der unbeteiligten Schulkameraden, rote Köpfe bei den

Tätern, die mich in der Pause danach mal wieder in die Mangel nahmen, – aber: physikalische Anerkennung von Frau Lohmann, der Physiklehrerin! Ich musste

den Koffer –und insbesondere die ausgetüftelte Alarminstallation- der Klasse und der erstaunten Lehrerin vorführen, von der ich den Eintrag „Zwei Plus“ in den

zeugnisrelevanten, roten Lehrerkalender bekam für diese technische Höchstleistung.

Wie gesagt, die grosse Pause stand mir noch bevor….

Ich wollte einfach schon immer von anderen in Ruhe gelassen werden! Ich liess andere ja auch in Ruhe! Auch wenn sie anders waren als ich!

Und meistens stärker…

Ich war als braver Junge aufgewachsen und immer vor allem Unheil behütet worden. Ich wollte auch jetzt als braver Junge meine Realschule machen, aber es

war niemand da, der mich behütete. Ich beschloss, als Märtyrer zu sterben.

Meine Außenseiter-Linie zog ich durch bis zum Ende der Schulzeit.

Falsch - eigentlich bis heute!

Ich bin damals gehänselt, verspottet und gedemütigt worden. Im Vergleich zu dem, was wohl heutzutage an Schulen vorgeht, war das damals –rückblickend

gesehen- allerdings gar nichts.

Ich – über mich

Ich war schon im­mer der miss­ra­te­ne Sohn. Für Onkel und Tante, für die Nachbarn, und still und leise –ohne dass sie es je so ausdrückte- auch für meine Mutter.

Sie hätte sich einen anderen Sohn gewünscht. Einen der so ist wie zum Beispiel Hans-Jürjens, wie man das in Krefeld am Niederrhein ausspricht, der Sohn einer

befreundeten Nachbarin. Leider war gerade der für mich immer genau das, was aus mir nicht werden sollte. Ich war immer schon ein Opportunist, einer der immer das Gegenteil wollte, egal, worum es ging.

Ich grü­ble viel und über­le­ge, wa­rum ich so ge­wor­den bin, wie ich bin. Von mei­nen El­tern ha­be ich das nicht. Mei­ne Mut­ter war ei­ne lie­be, ar­ti­ge Haus­frau und

gu­te Mut­ter. Mein Va­ter ein hoher Po­li­zei­be­am­ter, ge­nau wie mein On­kel, mein Opa war in der Hei­mat, in Rü­gen­wal­de in­ Pom­mern, damals vor dem Krieg,

ir­gend­wie im Stad­trat.

Da muss aus dem Jun­gen doch was or­dent­li­ches wer­den!

Ich war so im Mit­tel-Al­ter, da­mals in un­se­rer Sied­lung. Mit den äl­te­ren Kin­dern woll­te ich nicht spie­len, weil ich mir nichts sa­gen las­sen woll­te. Die Gleich­al­tri­gen

woll­ten nicht mit mir spie­len. Viel­leicht, weil ich Fußballspielen nicht lei­den konn­te. Es wa­ren auch nicht so sehr vie­le Gleich­al­tri­ge. Al­so spiel­te ich mit Jün­ge­ren.

Da war ich der Äl­te­ste, konn­te den Ton an­ge­ben, wur­de im­mer um Hil­fe und Rat ge­fragt. Da­her rührt wahr­schein­lich mei­ne Men­ta­li­tät, al­lem auf den Grund

ge­hen zu wol­len.

Viel­leicht hät­te ich lie­ber De­tek­tiv, Schnüff­ler, wer­den sol­len.

Denn wenn ich nicht blöd da ste­hen woll­te, vor den Jün­ge­ren, dann muss­te ich Ant­wor­ten ha­ben auf ih­re Fra­gen. Und so ha­be ich mich ei­gent­lich im­mer schon

für al­les und je­des in­ter­es­siert. Was ich nicht wuss­te, ha­be ich mei­ne El­tern ge­fragt. Die wuss­ten al­les.

El­tern wis­sen im­mer al­les. Sie sind ja auch schon groß.

In der Pu­ber­tät ent­deck­te ich mei­ne tech­ni­schen Fer­tig­kei­ten und ei­ne große Lie­be zu Mo­tor­rä­dern. Mit reich­lich Fan­ta­sie von der Na­tur aus­ge­stat­tet, aber lei­der

nicht mit ei­nem Mo­tor­rad, mach­te ich kurz­er­hand mei­ne Fahr­rä­der zu heißen Feu­er­stüh­len.

Ei­ne Wind­schutz-Schei­be von ei­nem Po­li­zei­mo­tor­rad, die mein Va­ter selig ir­gend­wann ein­mal mit­brach­te, muss­te dar­an, ein Ha­lo­gen-Fern­schein­wer­fer von

un­se­rem al­ten Au­di 80, den ich im Kel­ler fand, Kunst­stoff-Pack­ta­schen, die ei­gent­lich Mo­fa-Zu­be­hör wa­ren und ähn­li­ches mehr, Haupt­sa­che auf­fäl­lig.

Das ich geltungssüchtig bin, war mir damals noch nicht bewusst.

Jedenfalls habe ich dadurch Schrauben gelernt und mir früh schon einen gewissen Sachverstand, was Technik anbetrifft, zugelegt. Bei meinen Autos später setzte

sich das ähnlich fort. Von meinem Vater, der starb, als ich vierzehn war, hatte ich Geld geerbt, das meine Mutter bis zu meinem achtzehnten Geburtstag mit

Beschlag belegte. Besser so, wie ich heute einsehe.

Zur bestandenen Führerscheinprüfung bekam ich dafür einen grün-metallic-farbenen Alfasud, aus erster Hand, sechseinhalbtausend Mark. Ich war der König

der Siedlung, und König zu sein war geil, auch wenn ich das damals, mit gerade mal 18 noch nicht so ausgedrückt hätte. Weil cool war ich damals nicht.

Das war man in der Zeit, Anfang der Achtziger, auch noch nicht.

Bis ich so ungefähr sechsundzwanzig war, hatte ich dreißig Autos durch, darunter mehrere Ami-Schlitten aus den Siebzigern, gekauft während meiner Lehrzeit,

wo man immer viel Geld zur Verfügung hat für solche kostenintensiven Hobbies. Die hatte ich meistens für zwei oder drei Wochen, jedes Mal für dreißig Mark

tanken und hoffen, dass die Kiste nie kaputt geht.

Die meisten Autos habe ich dank übertrieben entwickeltem Geschäftssinn für viel zu teures Geld gekauft und mit Verlust wieder verkauft.

Auch diese sichere Hand in Gelddingen setzt sich bis heute fort. Zusammenfassend denke ich, wenn ich Eltern mit pubertierenden Kindern in Markenklamotten

an der Hand sehe - wehret bloß rechtzeitig den Anfängen!

Ich schaffte die Realschule phasenweise sogar recht gut, am Ende nur noch mit Mühen. Meine erste Bewerbung und die Fürsprache eines einflussreichen

Nachbarn hatten bereits Erfolg bei meinen darauf folgenden Bewerbungen um eine Lehrstelle.

Ich machte meine Lehre als Speditionskaufmann.

"Lern was, dann haste was!" sagte Mama immer.

Und: "Geh ins Büro, da sitzt Du warm und trocken, hast pünktlich Feierabend und keine schmutzigen Hände."

Solche Weisheiten begleiteten meine Jugend, das kennt wohl manch anderer auch. "Wenn Du eine Lehre hast, hast Du immer was sicheres im Leben.

Danach kannst Du tun und lassen, was Du willst, wenn es nicht klappt, hast Du immer noch Deinen Ausbildungsberuf, in den Du zurückkannst."

Pustekuchen!

Biste heutzutage drei Monate aus dem Job, nimmt dich keiner mehr. Und nach drei Jahren kannste den Lehrbrief wegschmeißen! Aber das wusste meine

Mutter damals noch nicht. Sonst hätte sie es nicht so gesagt. Denn sie wollte immer nur mein Bestes.

Leider habe ich mein Bestes bis heute nicht gefunden. Im Moment, mit gerade mal sechsunddreißig, versuche ich zum x-ten Male, es zu finden. Und heute

weiß ich am wenigsten, wo ich es noch suchen soll. Weil ich mittlerweile fast schon alles abgegrast habe. Auf der Suche nach dem Besten.

Meine Geltungssucht, die ich lange erhalten habe, hat mir dabei allerdings auch geholfen. Denn ich bin auf nette, unaufdringliche Weise geltungsbedürftig.

Nicht mehr, wie früher, mit übertriebenem Firlefanz sondern mit schlichter Eleganz, die erst auf den zweiten Blick auffällt.

Das anthrazitfarbene fünfsechsziger Nutten - Coupe, die Zuhälter-Breitling achtzehnvierundachtzig, die ich von Chico kaufte. Irgendwann mal im Laden

kam er mit dem Ding rein und bot sie zum Verkauf an, weiß der Teufel, wie der arme vormalige Besitzer aussah, nachdem Chico ihm die Uhr abgenommen hatte.

Jede Menge Silberschmuck an Armen, Hals und Fingern, der sieht gut aus, fällt auf gebräunter Haut schön auf, ist echt und dabei nicht einmal teuer!

Was willste mehr? Immer etwas extravagante Kleidung, auch nicht einmal teuer, muss nur auffällig sein, sich von der Masse abheben. Darauf kommt es an.

Seit einiger Zeit nun auch noch eine Glatze. Der beste Ausweg aus der schon früh begonnen Haarlosigkeit. Statt fleischfarbener Bademütze dann lieber gleich

oben ohne, das zeugt von Mut, von Selbstbewusstsein.

So hat mir meine Lebensauffassung, mein Verhalten und mein Selbstbewusstsein, das ich nicht so von Natur aus einfach hatte oder anerzogen bekam, sondern

im Alter von dreißig erst hart erlernen musste, auch schon einige Damen zugetragen, derer ich zumindest äußerlich eigentlich nicht gerecht wurde. Toll aussehend

fand ich mich noch nie, ich bin da keinesfalls von mir überzeugt.

Aber auffallen reicht oft schon aus, für den ersten Kontakt. Und dann nett sein, volles Rohr nett sein. Sich für die Dame interessieren, nicht die Dame für mich

interessieren. So toll bin ich nicht. Ich habe eigentlich auch nichts, für das ich die Damen interessieren könnte. Also interessiere ich mich für sie. Ich bin immer

nett, höflich und wiege sie vom ersten Gespräch an in Sicherheit.

„Zu mir kannste auch abends in Auto steigen, ich tu Dir bestimmt nichts! Ich fahre Dich nur nach Hause, keine Angst, ich will auch nicht mit hoch kommen auf

einen Kaffee.“

Das entsprach sogar der Wahrheit.

Dass hinter meinem freundlichen aber festen und bestimmten Blick, mit dem ich so gut Kontakt suchen und finden kann und meinen Komplimenten ohne Umweg

„…darf ich Dir mal sagen, das Du ein ganz tolles Gesicht hast! Ich will Dich nicht angraben, ich will das nur sagen, das meine ich ernst!“- (lächeln, umdrehen und

weggehen!, sonst wirkt es nicht !) - wahrscheinlich eine sexuelle Verklemmtheit steckt, bemerkte ich erst vor ein paar Jahren, seit ich angefangen habe, darüber

nachzudenken, wieso ich an all die tollen, halbwüchsigen Mädchen komme, um die mich manch einer, dem sie optisch besser zu Gesicht gestanden hätten,

beneidet hatte.

Ich kann ohne Probleme mit Frauen über ihre Lieblingsstellungen reden ohne dabei auch nur ein Tröpfchen Erregung in der Hose zu verspüren; auch der Kiez,

auf dem ich jahrelang im Nacht- und Nackt-Gewerbe gearbeitet habe, hat mir in dieser Beziehung total nichts ausgemacht.

Durch mein bemerkenswertes Auftreten habe ich wahrscheinlich auch diesen Job hier in Amsterdam bekommen. Auf den Chef und auf Linda, seine Assistentin,

habe ich wohl einen auffallend guten Eindruck gemacht, und letztere hat, wie mein Chef einmal sagte, nicht wenig zu meiner Adaption beigetragen.

Ich mache immer einen guten Eindruck. Auf Nachbarn, auf Eltern von Mädchen, auf Chefs... Nur lange halten kann ich diese Eindrücke meist nicht. Spätestens

wenn es darum geht, Qualifikation zu beweisen, muss ich anfangen, zu kneifen. Für jeden Fehler, den ich mache, kann ich mir fantastische Storys ausdenken, die

zumeist sogar funktionieren und ihren Sinn nicht verfehlen.

Bei den meisten Leuten habe ich Steine für fünf im Brett, fast alle davon sind erlogen und erschlichen.

Aber ich bin recht schlau, das muss ich sagen, zumindest wenn ich mal einen Augenblick lang selbstverliebt bin, was in letzter Zeit immer weniger vorkommt. Die

einzige wirklich Einbildung, die ich habe, und die ich mir auch nicht gern nehmen lasse. Was ich nicht weiß, erfrage ich oder lese es nach. Mich interessiert eigentlich alles, deshalb weiß ich auch von dem meisten zumindest etwas. Ich freue mich zum Beispiel immer, wenn ich Frauen ihren Eisprung erklären kann oder weiß, wann eine Eileiterschwangerschaft stattgefunden hat und warum das nicht gut ist. Wofür man das braucht? Das wirst Du später feststellen…

Man muss nur immer wissen und abwägen, wem man was erzählt, wenn man sich seiner Sache nicht ganz sicher ist. Immer erst testen, was die Gesprächspartner

von dem Thema wissen, ehe man Unsinn erzählt.

Bis jetzt hat noch keiner an meiner intellektuellen Grundlage gezweifelt.

Mein letztes „ordentliches“ Anstellungsverhältnis war bei der Firma C., im Verzollungsbüro an der deutsch - niederländischen Grenze, drei Jahre lang.

Ich erinnere mich gern an Lothar M. und Susi v.B., meine Kollegen.

Lothar, ein Vater aus Halberstadt im Osten gebürtig, dessen Sohn auch in der Firma arbeite. Ein gütiger, ruhiger Mann Mitte fünfzig, gutaussehend, wie ich finde,

ohne auf Männer zu stehen. Aber er hatte was. Und man konnte ihn alles fragen ohne je eine dumme Antwort zu bekommen. Er hatte Humor, war ein kumpliger

Typ.

Susi war eine nette Maus, keine tolle Figur aber ein hübsches Gesicht und auch sehr kumpelig. Stundenweise war ich sogar in sie verliebt. Sie arbeitet jetzt bei

einer Versicherung. Lothar ist wahrscheinlich im wohlverdienten Ruhestand.

Das Büro war in einer langen Reihe von gleichen Büros, die auf dem Zollplatz direkt an der Grenze standen. Jedes ungefähr so groß wie eine Doppelgarage, nur

ein einziger Raum mit drei oder vier Schreibtischen drin und einem Klo.

Im Sommer hatten wir immer die Tür offen, es roch nach Diesel, Abgasen von den Fernlastern, dazwischen der Geruch von Heu von den Feldern hinter dem

Haus, staubiger Luft und dem Summen von Insekten.

Romantisch, nicht? Wenn die Hütte dann voller wurde kam auch noch der Schweißgeruch der Fernfahrer aus Bulgarien und Rumänien dazu. Das alles kotzte

mich irgendwann an. Ich wollte weg. Weit weg. Was erleben. Aber was erleben?

Bald nach meinem Job bei C. kamen Elli und Hamburg.

Nachdem sie weg war, fiel mir ein halbes Jahr lang die Decke auf den Kopf.

Warum all dies? Damit Du Dir ungefähr ein Bild von mir machen und mit meinen Augen versuchen kannst nachzuvollziehen, was und warum danach alles so

geschah, wie es geschah…

Die Sonne geht niemals aus

Ich: Einssechsundachtzig groß, immer irgendwo zwischen siebzig und fünfundsiebzig Kilo. Wird nicht mehr, war nie mehr. Auch wenn Ela manchmal sagt: „Du hast ganz schön abgenommen.“ Oder: „…früher hattest Du mal mehr drauf.“ Stimmt nicht. Ich war immer schon so. Ein selbst eingestandenes, nie an die Öffentlichkeit getragenes Problem habe ich immer mit meinem Bauch. Schon als ich klein war, war er immer etwas rund, hervortretend. Nicht richtig ein kleiner Bierbauch. Eher bedingt durch mein Hohlkreuz und durch untrainierte Muskulatur hervorgerufen. Sport habe ich immer schon gehasst. Ich bemühe mich um einen aufrechten Gang, immer den Bauch ein bisschen einziehen, wenigstens dann, wenn es drauf ankommt. Ich versuche, meine Figur durch Kleidung zu kaschieren. Klappt meistens auch. In letzter Zeit habe ich nicht mehr so viel Lust dazu. Wofür auch? Ich kenne niemanden hier in Holland, von dem ich wollte, das er einen anderen Eindruck von mir hat, als ich ihn wirklich vermittle.

Immer schon habe ich auf den Fingern rumgekaut. Wenn Du das als kleines Kind nicht sofort wieder lässt oder am besten gar nicht damit anfängst, hörst Du nie wieder damit auf. Ralf, der Nachbarsjunge, hat das früher immer gemacht. Da waren wir so sechs Jahre alt. Da hab ich mir das abgeguckt. Und es nie wieder gelassen. Nicht richtig heftig. Nur ständig ein bisschen. Hilft bei der Konzentration. Ist wohl eigentlich auch der Versuch, etwas an sich selbst zu verändern. Die abschwächte Variante von dem, was manche Leute mit Rasierklingen und ihren Unterarmen tun.

In der Grundschule: "Mama, die Lehrerin schreibt so undeutlich, ich kann nicht lesen, was an der Tafel steht!"

Ich saß in der ersten Reihe.

Erste Brille mit sechs Jahren, dann, mit siebzehn oder achtzehn Kontaktlinsen. Sieht kosmetisch besser aus. Bei einer Gläserstärke im Colaflaschenboden-Bereich von minus zehn links und elfkommafünf Dioptrien rechts. Je größer die Brillengläser werden, desto kleiner sind dann die Augen dahinter. Muss ja nicht sein. Obwohl ich lieber eine Brille trage. Aber nur zu Hause - Eitelkeit.

Teil des Versuch, aus einem Durchschnittsmenschen, der sich eigentlich nicht von selbst von der Masse abhebt, das Beste zu machen.

Verantwortung: wollte ich immer haben, möglichst viel aber möglichst nur so lange, bis es anfängt, schwierig zu werden. Kaiserschnitt-Kind, eben. Von den jüngeren Kindern, mit denen ich früher immer zusammen war und um Rat gefragt wurde bis hin zur Ersatzrolle "Mann-im-Haus" bei meiner Mutter, nachdem mein Vater gestorben war. Schon mit fuffzehn, damals nach dem Tod meines Vaters, kaufte ich mir einen wichtigen schwarzen Trenchcoat, Stoffhosen mit Bügelfalte habe sogar mal kurz Pfeife geraucht, in der Lehre, da war ich ungefähr siebzehn. Was müssen bloß die anderen gedacht haben? Ich war wichtig-erwachsen, leider nicht cool-erwachsen. Die einzige Zeit meines Lebens, in der ich zumindest in irgend einer Form erwachsen war, vielleicht zwei Jahre lang. Danach - bis heute - wollte ich nie mehr erwachsen sein.

Wenn die Verantwortung dann zuviel wird, unlösbare Probleme mit sich bringt oder doch mehr Einsatz fordert, als mir die Sache wert ist, will ich sie schnell wieder loswerden, die Verantwortung. Dann erwacht das Flucht-Tier in mir. Der Wassermann. Weg, nichts wie weg. Ich melde mich nicht mehr bei den Leuten, für die ich noch bis vor kurzem mit unglaublichem Selbsteinsatz verantwortlich war, finde Ausreden, übertrage die Verantwortung an andere: „Urselchen, kannst Du Dich nicht mal eben kümmern? Ich kann grad nicht!“

Urselchen sucht auch immer jemanden, für den sie verantwortlich sein kann. Sie ist da in vielen Punkten wie ich. Sie kommt auch nicht mit sich selbst zurecht, dafür supergut mit den Problemen anderer. Eigentlich schön, dass es solche Menschen gibt. Schön für andere, die ihren Nutzen daraus ziehen können. Schlecht für die Betroffenen selber. Weil sie ihre eigenen Probleme nie richtig lösen können, immer die der anderen vorziehen, sie als wichtiger bewerten als ihre eigenen Probleme. Und sich so nicht mit sich selbst beschäftigen müssen.

Oder Flucht durch Umziehen: Wenn ich es selbst war, der für sich verantwortlich sein musste. Ich mache Mist ohne Ende, immer wieder, und immer in dem treuen Glauben, es wird schon gut gehen. Geht es meistens nicht. Statt dann meine Probleme zu lösen, löse ich mich auf. In Luft - und ziehe um. Ohne Anmeldung in der neuen Stadt, ohne Telefonbucheintrag, ohne postalischen Nachsendeantrag. Und wenn doch, dann nur an ein Postlager.

Ich bin unstetig. Wassermann. Entschuldigung.

Ich fange ganz viele neue Sachen zugleich an, mute mir viel zu, jedes mal, ohne irgendwas je richtig zu beenden. Irgendwann, wenn die ersten Schwierigkeiten auftauchen, ich mich nicht mehr rausreden kann, es langweilig wird oder nicht den gewünschten Erfolg bringt, höre ich jäh auf; lasse alles stehen und liegen, will wieder was Neues, was ganz anders machen, was diesmal bestimmt ganz toll klappen wird. Tut’s dann aber auch nicht. Hat’s noch nie. In dem Moment, wo ich mit einer Sache durch bin, will ich aber auch von den noch folgenden Ausläufern dieser nichts mehr wissen. Alle Rechnungen, die im Nachhinein kommen für ein gerade in Unehren beendetes Geschäft, sind gegenstandslos. Dafür bin ich ab sofort nicht mehr verantwortlich. Ich habe das Geschäft aufgegeben, oder die Wohnung, oder Gott weiß ich was. Da müssen nun auch alle Gläubiger ihre Forderungen aufgegeben.

Das ist Vergangenheit.

Damit habe ich nichts mehr zu tun.

Ich bin für mich selbst nicht mehr verantwortlich. Das war ja ein anderes Leben, ein vorheriges, ein schlechteres.

Ja. Ich habe Fehler gemacht, letztes mal, weiß ich, mach ich auch nie wieder.

Aber jetzt will ich nichts mehr wissen davon. Lasst mich in Ruhe.

So ein Verhalten bringt Schwierigkeiten. Weil Telefonrechnungen von zweitausend Mark für den letzten Monat und noch mal anderthalb für die davor liegenden zwei Monate einfach bezahlt werden wollen. Auch wenn man sich selbst für nicht mehr zuständig erklärt. Vogel-Strauss-System. Kopf in den Sand stecken. Wenn ich keinen sehe, sieht mich auch keiner.

Man bekommt Routine darin. Es übt sich. Meistens klappt es auch. Na gut, ab und zu muss ich mal einfahren. Ein bis zwei Tage Knast, das ist schon öfters mal vorgekommen. Aber bis jetzt bin ich ja immer flott wieder draußen gewesen. Und die meisten Gläubiger haben mich nicht gekriegt.

Ein Telefon in Deutschland werde ich wohl nicht mehr anmelden können. Ein Bankkonto werde ich wohl auch nicht mehr kriegen. Auch ein Leasing-Auto würde ich wohl nicht bekommen. Gar kein Auto mehr, in Deutschland.

Fahren ohne Versicherung und Zulassung - noch habe ich keinen Richterspruch dafür zugestellt bekommen. Werde ich wohl auch nicht.

Ich bin mal wieder umgezogen. Deutschland wurde zu eng. Nun bin ich Holland.

Weite, grüne Felder, kleine Städte, neue Menschen, die alten Probleme habe ich hinter der Landesgrenze gelassen, einfach nicht mitgenommen, nicht angemeldet, beim Zoll, nicht verzollt, die Probleme. Einfach da gelassen. Ein neues Leben in einem neuen Land, mit neuen Leuten. Ohne die alten Probleme. Hier habe ich ein Bankkonto, kann ich ein Auto zulassen, hetzen mich keine Gläubiger. Noch nicht.

Wenn ich die alten Fehler nicht erneut begehe, bleibt das auch so. Wenn. Mit den Problemen habe ich auch die Freuden zurückgelassen. Freunde, gute Bekannte, Menschen, die man einfach ab und zu gerne um sich hat. Die Muttersprache, in der ich so gerne rede und schreibe, meine Bekanntheit bei einer gewissen Menschengruppe, meine Beliebtheit bei denen, weil ich immer ein Spaßmacher war, immer Lösungen wusste für Probleme, immer geholfen habe, wo und wann ich nur konnte.

All das habe ich auch an der Grenze abgegeben. Nicht verzollt. Dagelassen. Preis der Freiheit. Preis der Freiheit? Ist sie das wert, das alles, die Freiheit?

Frauen & Verhältnisse: Frauen. Ein Thema für sich. Leute, die mich ein bisschen besser kennen, meinen etwas absonderlichen Geschmack und meine etwas ausgefallenen Vorlieben für bestimmte Mädchen hatten oft gefragt: „Was willst Du denn mit der?“ Ich suche nicht ein Mädchen, um es möglichst bald in den sicheren Hafen der Ehe zu führen.

Ich suche ein Kunstwerk.

Ein menschliches und wichtiger: - ästethisches - Kunstwerk an meiner Seite. Mit dem ich nicht über meine letzte Steuererklärung reden können muss. Oder über unseren nächsten Wochenendausflug.

Ein Mädchen, bei dem es auf innere Werte ankommt, eine treue Frau, die zu Dir steht, in guten wie in schlechten Zeiten. Bei der ein paar Pfunde zu viel oder eine nicht so schöne Nase egal sind. Die aber mit Dir durch Dick und Dünn geht.

Nein, so ein habe ich noch nie gesucht. Sondern ein Kunstwerk. Das eigentlich nur da sein braucht, um angesehen zu werden. Um schön gefunden zu werden. Einen van Gogh kauft man ja auch nicht, weil man ihn braucht...

Ich bin ein Voyeur. Will eigentlich nur gucken. Nicht mehr - wenn Sie perfekt ist. Dann steht Sie auf einem Sockel. Ich stelle Sie dahin. Ich will sie anschauen, bewundern, von unten (meiner Position) nach oben (ihrer Position). Damit unterwerfe ich mich ihr. Wenn sie dann auch noch die Rolle der Domina drauf hat, dann passiert so was wie bei Nadine. Und dann bin ich ihr verfallen. Dabei muss sie ein ganz eigener, kaum beschreibbarer und für andere Menschen schon gar nicht nachvollziehbarer Typ sein. Ein Typ, mit dem die meisten anderen Menschen nichts anfangen können. Solche Typen gibt es!

Und weil die meisten anderen Menschen nichts mit ihnen anfangen können, finde ich sie und kann sie oft auch (be-)halten.

Wenn ich sehnsüchtig hinter irgend einem kleinen Ding hinterher schaue, kommt oft von meiner jeweiligen Begleitung die - wohlwollende - Bemerkung: „…na, na, die war aber wirklich noch ein bisschen jung!“

Weiß ich. Darum geht’s aber nicht. Ich hab sie nicht angeschaut mit dem Gedanken, die flachlegen zu wollen. Sondern mit dem Gedanken, sie Schönfinden zu wollen. Habe sie ästhetisch gefunden. Perfekt. Oder nahezu perfekt.

Einfach für meine Begriffe schön, hübsch, niedlich, süß. Adjektive, die mir sofort durch den Kopf schießen, wenn ich ein Mädchen sehe, das meinem Typ entspricht.

Krank nicht?

Wenn ein Mädchen älter ist, reifer, kann sie durchaus noch hübsch sein. Oder attraktiv. Aber sie weiß dann zuviel.

Sie stellt Forderungen. An mich. Will mehr, als nur angesehen werden. Womöglich will sie heiraten. Oder gar Kinder haben. Womit wir dann wieder bei den Verantwortungs-Faktoren sind.

Also - nichts für mich.

Und erstaunlicherweise gibt es sie - die Kiddy’s, die sich erobern lassen wollen und die die ihnen zu Teil werdende Bewunderung genießen, gefahrlos für sich genießen können, weil ich ihnen von Anfang an die Sicherheit gebe, das ihnen durch mich keine Gefahr droht, nichts geschehen wird, was sie nicht wollen. Das testen sie ein, zwei mal. Und wenn es dann wirklich stimmt, mit der Sicherheit, dann hab ich sie für mich gewonnen. Da hab ich nichts davon? Wo bleibt der Spaß, fragst Du? Voyeure mit dem einzigen Anspruch an ästethische Perfektion des zu bewundernden Kunstwerkes, abhängig vom Geschmack des Jeweiligen, denken da anders, haben andere Maßstäbe, andere Parameter.

Wassermänner - sind ständig auf der Suche, kommen nie an, sind immer nur auf dem Weg von der Vergangenheit Richtung Zukunft, planlos unterwegs, ohne Straßenkarte, nur mit einer wagen Vorstellung von der Richtung. Sie haben kein festes Ziel vor Augen, sie nehmen das nächstliegende Angebot eines Ziels dankbar an und versuchen, sich damit anzufreunden. Der Vorteil, den dieses Verhalten mit sich bringt, ist die Flexibilität. Wenn Du so veranlagt bist, musst Du Dich den rasch wechselnden Gegebenheiten schnell anpassen können. Du musst Ideen verwerfen können, Pläne vernichten, bereit sein, von Grund auf neu zu beginnen, mit dem Vorlieb nehmen, was gerade da ist. Genügsamkeit, Anspruchslosigkeit sind die Tugenden, die Du mitbringen musst für das Leben eines Wassermannes. Ebbe und Flut, ein Leben zwischen den Gezeiten und mitten darin. Ab und zu ein Fisch, manchmal ein reicher Fang. Eher selten. Die Meere sind leer gefischt.

Mein Ziel ist es, das Ziel zu finden. Das Ziel des Lebens. Den Inhalt davon. Wofür das alles? Das weißt Du vielleicht, wenn Du schon nach dem Wechsel von der Grundschule zum Gymnasium einen Lebenstraum vor Augen hast. Du willst mal ein eigenes Unternehmen, ein Imperium vielleicht. Und arbeitest darauf hin. Machst Deinen Weg, Deine Ausbildung, tausende von Weiterbildungen, Kursen, Dein erstes Diplom, den Doktor, dann vielleicht noch den Professor. Dein privates Umfeld wächst, erst die eigene Bude, dann eine Wohnung, dann eine größere, zwischendurch einige kurze Afföhren, zum Kennenlernen der Materie, dann aber heiraten, Kinder, Beruf geht vor, Karriere fest im Auge, trotzdem: glückliche Familie. Dann das eigene Haus, ein Traum, lange geträumt, nun erfüllt, irgendwann hat die Hypothekenzahlung ein Ende, Zweitwagen, bar bezahlt.

Freunde und Geschäftspartner kommen zu Dir nach Hause, zum Dinner, Du bist stolz, kannst es mit Recht sein.

Tennis mit den Kollegen, später Golf mit den Geschäftsfreunden. Ein Alter in finanzieller Unabhängigkeit, immer noch zwischendurch da und bereit für die Firma, bis ins hohe Alter. Die Kinder und Enkelkinder kommen zu Besuch.

Schön bis zum Ende, bis irgendwann das Licht ausgeht. Ein erfülltes Leben.

Ich schreibe es auf, also kenne ich es. Oder ich kann es mir vorstellen. Man sieht ja viel davon im Fernsehen.

Für mich wollte ich so was nie. Eigene Firma oder Golf spielen, ja. Aber nicht ein Leben lang. Nur einen kurzen Abschnitt lang. Mal machen. Aber darauf hin ein ganzes Leben ausrichten müssen? Nein, danke. Nichts für mich. Mir sind die Leute sympathischer, die im zehn Meter langen Wohnwagen wohnen, mit dem dicken Merser davor und heute hier sind und morgen da. Nicht die Menschen selbst, sondern deren Lebenseinstellung.

Zigeuner. Fliegende Händler. Nomaden der Jetzt-Zeit.

Nur mit dieser puritanischen Lebenseinstellung kannst Du, mit meiner Art zu leben, zurecht kommen. Erste kleine Bude, dann Luxuswohnung, jetzt wieder sechzehn Quadratmeter, armselig möbliert. Heute unten, morgen vielleicht wieder oben, die Hoffnung nicht aufgeben. Gestern: zehn Mill, ein Lacher. Heute: hundert Gulden, ein Vermögen! Es geht. Anpassen. Nie fordern. Immer zufrieden sein. Ebbe und Flut.

Die Sonne geht abends unter und morgens wieder auf.

Hoffentlich.

Hier im niederländischen Fernsehen gibt es einen schönen, einen süßen Werbespot für natürliche Energiequellen und deren Nutzung. Ein kleines Mädchen sitzt hinten auf dem Fahrrad und fährt mit dem Papa durch die heile Natur, von der es in Holland jede Menge gibt.

Text, in (in deutsch): "Pappiii! - Wird der Wind niemals müde?" (Papi: lächelt und strampelt munter weiter, gegen den Wind). Pause, die kleine Hand reckt sich gegen die Sonne: "Geht die Sonne - niemals aus?" Im Fernsehen kommt an dieser Stelle das Werbe-Logo eines Energieanbieters.

Nein, ausgehen tut die Sonne nicht. Hoffentlich nicht. Denn dann wird’s kalt. Bitter kalt.

Aber Wassermänner sind optimistisch.

Das müssen sie auch sein. Bei den Lebensverhältnissen.

Kiez, Koks & Kaiserschnitt

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