Читать книгу Kiez, Koks & Kaiserschnitt - Christian U. Märschel - Страница 5
ОглавлениеAnja - die erste grosse Liebe
Ich bin jetzt Ende 40.
Und wenn ich von diesem biblischen Alter zurück blicke auf mein Leben, so war ich nie wirklich im Mittel-Alter. Zumindest fühlte ich mich nie so.
Erst fühlte ich mich immer so „noch-nicht-erwachsen“. So mehr als Junge, nicht als Mann. Das ging so bis ich ungefähr 40 war.
Jetzt, Ende 40, beinahe 50 schon, -das muss man sich mal vorstellen!-, fühle ich mich plötzlich alt. Nicht furchtbar alt, mehr so „schön alt“. Es stört mich nicht, und wenn ich mir vorstelle, noch einmal 25 sein zu sollen – nein, dann möchte ich das glaube ich nicht.Wenn ich jetzt ältere oder alte Menschen im Fernsehen sehe, denke ich darüber nach, dass ich jetzt wohl eher zu dieser Gruppe gehöre, als wenn in den nächsten Bildern junge Menschen sehe.Trotzdem möchte ich all die Erfahrung, das Wissen, den Lebens-Überblick, den man mit fortgeschrittenem Alter hat, nicht mehr eintauschen gegen die Vorteile der Jugend.
Ich fühlte mich nie so ganz ausgereift, „ausgegoren“, hatte immer etwas scheu den „Erwachsenen“ gegenüber, zu denen ich damals auch schon längst gehörte, mich aber nie so fühlte.
Wann ist mann eigentlich erwachsen?
Früher, als ich noch ein Kind war, stellte ich mir vor, irgendwann, so in der Zeit wenn man achtzehn ist, gibt es einen Knall, einen Funkenregen, gepaart mit einem Feuerwerk, man bekommt einen harten Hieb mit einem Schwert auf die rechte Schulter – und dann ist man erwachsen.
Auf diesen Schlag habe ich bis vor kurzem gewartet. Als er nun immer noch nicht kam, habe ich beschlossen, mich selbst für erwachsen zu halten, gleichzeitig erschrocken darüber, dass ich doch schon so alt bin, und mich gleich im Anschluss daran für alt befunden.
Was ich vor allem nicht mehr zurück haben will, ist das Alter der „Balz“, die dir die dich umgebenden Gesellschaft vorschreibt. Du musst dich für Mädchen interessieren, du musst sie anmachen, erobern, du musst mit ihnen ins Bett und du musst deinen Freunden berichten, wie es war.
Ich muss mich heute ncht mehr stylen, schick machen, tunen, aufmotzen, um irgend einer mehr zu gefallen als mein Kumpel oder mein Widersacher, der auch um die „eine“ balzt. Das ist vorbei. Gemocht habe ich das nie. Ich hatte sowieso schon immer einen ganz anderen Frauengeschmack als alle anderen. Ich habe mir immer die hübschesten, zartesten rausgesucht und umgarnt. Aber nicht mit der Aussicht auf Belohnung in Form von wilden Knutschereien oder den Vollzug des Vermehrungsaktes. Ich wollte sie immer nur vergottern, bewundern, von ihnen als Freund – als Kumpel- anerkannt werden. Je mehr sich so eine einseitige Beziehung zuspitzte und zur zweiseitigen zu werden drohte, je mehr begann ich, Abstand zu suchen.
Am schlimmsten aber fand ich es, wenn ich ein erstes, zartes Ineresse zeigte, und mir das vom Objekt meines Interesses sofort mit Hingabe, noch mehr Interesse oder gar (körperlichem) Verlangen beanwortet urde.
Selstsam?
Das empfand ich eine Zeit lang auch so. Bis mir klar wurde, wie es eigentlich dazu kam.
Anja war –eigentlich wird das Wort ihr ganz und gar nicht gerecht- die „Dorfmatratze“. Nein, das war sie nicht, aber so würde man sie aus heutiger Sicht unter Jugendlichen beschreiben. Jeder in unserer überschaubaren Umgebung war schon einmal mit ihr zusammen. Ich war damals siebzehn, steil auf dem begehrten Wege, endlich achtzehn –volljährig- zu sein, sie war vierzehn.
Ein hübsches, hellblondes Mädchen mit glatten langen Haaren, bereits ausgestattet mit den richtigen Proportionen überall dort, wo sie hingehörten.
Wir waren eine grosse Clique zu der Anja ebenso gehörte wie ich. Anja war lange Zeit – mit den in diesem Alter üblichen Unterbrechungen- mit meinem Freund Winnie zusammen. Die beiden waren halt ein Paar, auch wenn es alle zwei Wochen einen Mega-Krach gab, und man nie wieder was mit einander zu tun haben wollte – bis dies dann nach endlos langen zwei Tagen wieder radikal umschlug in die schon immer da gewesene Liebe und in ewige Treueschwüre.
Ich glaube, Anjas plötzliches Interesse an mir hatte nicht unwesentlich damit zu tun, dass ich damals gerade achtzehn wurde, der älteste in der Clique war und somit der erste, der ein Auto hatte. Das war eine nicht zu unterschätzende Wertsteigerung in diesem Alter. Ich erinnere mich noch dunkel, wie ich damals mit meinem grünmetallic-farbenen Alfasud vor dem Pfarrheim in unserer Siedlung auftauchte, wo alle schon auf die Öffnung der mittwöchlichen Teestube warteten. Ich bin evangelisch gatauft, doch unsere evangelische Kirchengemeinde hatte damals für die Jugend nicht so recht etwas zu bieten, und so strömten die Jungs und Mädchen scharenweise, gleich, ob evangelisch der katholisch, eher zur katholischen St. Bonifatiusgemeinde, um etwas zu erleben, was jeder heutige Jugendliche wahrscheinlich eher spiessig finden würde. Teestube! Aber Discos waren damals noch nicht so sehr verbreitet bei uns, ausserdem hätte man Jugendliche unter achtzehn eh nicht rein gelasen. Zu teuer waren sie ausserdem und – man kannte da in der grossen Disco in der grossen Stadt doch überhaupt niemanden! Ich glaube, bei keinem von uns wäre damals auch nur die Überlegung aufgekommen, dort einmal hin zu gehen.
Ich erinnere mich daran, dass ich mit dem Auto auf dem Parkplatz des Jugendheimes stand, der über ganze zwei Parklücken verfügte. Eigentlich war es nicht wirklich ein Parkplatz, sondern man hatte eher ein Stück Grund übrig, das zum Bebauen zu klein war, für einen anderen Nutzen zu ungünstig lag, und den man daher kurzerhand zum Parkplatz erklärte. Mein neues Auto, dass ich mir nach bestandener Führerscheinprüfung vom Geld meines verstorbenen Vaters aussuchen durfte, füllte nun also fünfzig Prozent des vorhandenen Parkraumes der St. Bonifatiusgemeinde aus.
Anja kam zu mir, der ich noch im Auto sass. Sie hatte ein weiss-blau gestreiftes, enges Top an, aus Wolle glaube ich, unter dem sich zwei faustgrosse, kugelrunde kleine Dingerchen stramm abhoben. Sie trug eine kurze hellblaue Hot-Pants, falls noch jemand weiss, was das ist. Eine kurze Hose halt, die einen süssen kleinen, knackigen Po umspielte. Eine recht kurze Hose! Anja war hübsch, wusste das auch und geizte nicht mit ihren Reizen.
Sie fuhr mit ihrem Fingern verspielt über die Formen des Autos, grinste mich an und sagte sowas wie: ‚Schönes Auto! Machen wir eine Probefahrt?’ Mit Anja? Alleine in meinem neuen Auto? Ganz alleine? Irgendwo hin? JA!, sofort Anja. Die Audiocassette dudelte „Bright Eyes“ von Simon & Garfunkel, Anjas derzeitiges, absolutes Lieblingsstück, bei dem wir später noch die wildesten Sachen ausprobieren sollten.
Anja hate schon eine Reihe von Beziehungen gehabt, was man in diesem Ater halt so „Beziehung“ nennt. Und jetzt war eben ich mal dran.
Anja war ein heisses Eisen, obwohl der Geschlechtstrieb bei Jugendlichen in den achtziger Jahren wohl noch weitaus weniger entwickelt war als heutzutage. Es wurde geknutscht und gefummelt, der neudeutsche Ausdruck hierfür war Petting.
Auch meine Mutter kannte Anja natürlich, aus der Clique und aus der Nachbarschaft. Nun präsentierte ich sie stolz als meine neue Freundin, - ja, was ist den aus der soundso geworden, oder die andere, wie hiess sie noch gleich – nein, nein! Alles Schnee von gestern, die fand ich auch nie wirklich toll, nur Anja! Ja, immer schon. Und nun waren wir zuammen. Ein Herzchen und eine Seele.
Meine Mtter mochte Anja, auch unsere Eern waren, wenn nicht befreundet, dann immerhin doch mit einander bekannt.
Mutters grösste Sorge aber galt wohl Anjas unstillbarer Neugierde, zumindest was den Trieb, sich gegenseitig zu erforschen, anbelangte. Und damit war meine Mutter regelrecht überfordert, meine bisherigen Besucher in meinem Jugendzimmer waren bis dahin doch immer nur Jungs, Kumpels, Freunde gewesen. Keine Gefahr für ihren lieben, umsorgten Sohn. Nun – ein Mädchen. Nicht irgend eines, NEIN - Anja!
Das erste, was Anja immer machte, wenn wir in mein Zimer gingen, war – die Tür zu! Als Nächstes, nach dem Betreten des Zimmers, zog sie mich aufs Bett, dass geräuschtechnisch gesehen ziemlich blöd aufgestellt war – nämlich direkt hinter der besagten Tür.
„Komm, wir machen da weiter, wo wir gestern aufgehört haben,“ grinste Anja und hatte recht schnell ihre Zunge in meinem Mund und meine Hand unter ihr T-Shirt geschoben.
War jetzt nicht gerade unangenehm, was Anja da tat. Unangenehm war nur, dass meine Mutter das alles nicht so toll fand und ständig in nur gut gemeinter Absicht an die Tür klopfte: „Wollt ihr was trinken? Was essen? Das Wetter ist doch so schön, geht doch lieber nach draussen in die Sonne!“ Bemerkungen wie diese zu hauf. Was soll ich mit der Sonne draussen, wenn sie hier schon neben mir liegt?
Wenn wir nicht gleich öffneten, oder sagten, dass wir in der Tat ganz dringend was zu trinken oder zu essen brauchten, kam meine Mutter –nach weiterem verzweifelten Klopfen und einer recht kurzen Anwartzeit - gerne auch schon mal rein ins Zmmer. Das war so lange kein Problem, wie Anja beim Knutschen schnell noch ihre vorwitzige kleine Zunge aus meinem Mund ziehen konnte oder ich meine Hand unter ihrem T-Shirt wieder raus. Schwieriger wurde es, wenn da grad kein T-Shirt mehr war, unter dem ich meine Hand heraus ziehen konnte, ja nicht einmal mehr ein BH...
Ich weiss nicht, warum ich meine Tür eigentlich nie abgeschlossen habe, ich glaube es gab keinen Schlüssel, ich weiss es nicht mehr genau. Eigentlich werden Türen immer mit Schlüssel verkauft, hatte meine Mutter ihn vorsorglich verschwinden lassen? War das unmittelbar vor Anja oder schon immer so? Erinnerungslücke.
Meine Mutter erklärte mir mal, dass das nicht gut sei, was wir da machten, eigentlich wollte sie auch immer ganz genau wissen, was wir denn da gemacht hätten, Anja sei doch noch minderjährig und sie wollte nicht der Kuppelei angeklat werden, ein Paragraph, der damals glaube ich schon längst abgeschafft war. Trotzdem fühlte eigentlich ich mich in der Beziehung mit Anja immer als der Minderjährige.
Mutter konnte einfach nicht damit umgehen, ich höre sie vor meinem inneren Ohr immer noch in der Wohnung herumlaufen, ganz oft vom Wohnzimmer in die Küche und zurück, wobei sie unweigerlich vor meiner Zimmertür vorbeikam. Ich fragte mich oft, was die denn da nur mache, dass sie immer so viel herumliefe - es machte einfach keinen Spass bei mir.
So wie bei Anja verlief es später noch bei allen Mädels, die ich mit nach Hause brachte und die dann die Tür, die sonst immer offen stand, schlossen. All dies trug nicht wirklich dazu bei, dass ich meinen ohnehin erst recht spät entwicklten Sexualtrieb ausbauen oder verstärken konnte.
Darauf führe ich meine heutige Impotenz, Sexual-Unlust oder wie immer man das auch nennen will, zurück. „Anerzogene Impotenz“ sage ich immer.
Aber Anja war ausser hübsch und neugierig auch sehr einfallsreich. An irgend einem Abend telefonierten wir. Sie war zuhause, es war im Sommer und es musste schon spät gewesen sein, denn die nachfolgende Aktion fand bei Dunkelheit statt.
Anja hatte immer, wenn sie was in „dieser’ Richtung plante, einen lieb-provozierenden, herausfordernden, eigentlich einen sexy-Unterton in ihrer lieblichen Stimme.
„Komm doch noch zu mir, meine Eltern sind nicht da, die kommen erst morgen früh wieder, ich bin ganz allleeeiiinnn...!“ säuselte sie. Aber ich solle aufpassen, die Nachbarn dürften nichts mitkriegen, ich solle also nicht klingeln. „Lass Dir was einfallen, ich bin jedenfalls im Wohnzimmer und habe nicht viel an...!“
Uffff...! Tja, denn mal schnell hin! Anja war immer ein rotes Tuch gewesen für mich, ich habe lange Zeit an ihr gehangen, sie hat mit ihren vierzehn Lenzen mir, dem achtzehn-jährigen, die Augen geöffnet, allerdings auch meinen späteren Geschmack geprägt. Seit Anja war ich immer nur auf der Suche nach Anja-Typen.
Ich ging zu Fuss die etwa dreihundert Meter zu der kleinen Siedlung, in der sie wohnte. ‚Little-Austria’ wurde die Siedlung genannt, weil ihre Häuser im österreichischen Stil erbaut waren, Häuser mit zwei Etagen und einer weiteren in der Dachschräge, mit Fenstern die bis fast auf den Boden reichten. Die Häuser waren weiss gestrichen und hatten graue fensterläden. Es waren Mietshäuser für jeweils vier Parteien, umgeben von einem grossen Garten.
Anjas Haus lag in einer Sackgasse und war nur von der linken Sete zu erreichen, das Wohnzimmer von Anjas Eltern lag aber auf der rechten Seite. In den Fenstern der linken, mir zugewandten Wohnung brannte Licht. „... aber sei vorsichtig, die Nachbarn dürfen nichts merken!“ hatte Anja gesagt. Mir fiel ein, dass ich robben könnte, denn nicht einmal eine gebückte Haltung hätte mich vor neugierigen Blicken aus den fast bodentiefen Fenstern bewahrt. Aber robben bis hin zu Anjas Wohnzimmer, also über die gesamte Breite des Hauses, und das auf dem beleuchteten Gehweg? Der Garten hingegen lag im Dunklen, ebenso der Eingang zu diesem. Wohl müsste ich bei dieser Aktion drei viertel des Hauses auf dem Bauch liegend umrunden. Was tut man nicht alles für einen heissen Abend mit Anja...
Ich weiss noch dass das Gras feucht war und ich ein weisses Tshirt anhatte. Ich weiss jedoch nicht mehr, wie ich meiner fürsorglichen Mutter damals die Flecken auf dem T-Shirt erklärte, als sie es in der Wäsche fand.
Robbend wie ein Soldat in Feindannäherung umrundete ich das Haus. In der Mitte meines Vorhabens angekommen und auf der Rückseite des Hauses, wo die Schlafzimmer lagen, stellte ich fest, dass hier alles dunkel war. Horchen, lauschen. Den Mund geöffnet, damit ich bei der Anstrengung nicht laut durch die Nase atmen musste, versuchte ich zu hören, ob die Luft rein war und ich mich aufrichten konnte. War sie, die Luft. Gerade als ich mich halb aufgerichtet hatte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie in einem der Schlafzimmer das Licht eingeschaltet wurde. Innehalten. Den Bruchteil einer Sekunde später schon riss jemand die Gardine zurück und das Fenster auf. Stellung! Hinlegen, in den Dreck! Nachbar-Angriff! Ich robbte ganz an das Haus heran, lag mit meinem Oberkörper auf oder in dem Blumenbeet unter dem geöffneten Fenster. Nicht herauslehnen, bitte nicht! , flehte ich innerlich, immer noch durch den Mund atmend, es hörte sich für mich wie ein Keuchen an. Hoffentlich bin ich bald bei Anja. Ich weiss nicht, wie lange ich regungslos unter dem geöffneten Schlafzimmerfenster lag, nach unendlich erscheindener Zeit robbte ich ein Stück zurück und sah auf. Das Fenster war offen, das Licht aber aus. Zu meinem Schrecken stellte ich hierbei fest, dass nun in allen mir noch bevorstehenden Schlafzimmern auch Licht brannte! Schlafenszeit, anscheinend.
Gefühlte Stunden später war ich zu drei vierteln um das Haus herum, ohne Feindkontakt, und vor Anjas Wohnzimmerfenster. Ich klopfte aus meiner liegenden Haltung vorsichtig gegen die Scheibe, in der Stille der Nacht hörte es sich an wie ein Trommelwirbel. Anja machte das Fenster auf und kicherte leise, als sie mich dreckverschmiert durch das Fenster ins Wohnzimmer krabbeln sah. Sogleich riss sie mir das T-Shirt vom Leibe, schliesslich lag im Wohnzimmer weisser Teppichboden, wie sie entschuldigend sagte, auf dem sie sich danach sogleich lüstlich und genüsslich und erwartungsvoll räkelte. Sie hatte wirklich kaum was an am Anfang.
Kurz danach gar nichts mehr.
Es war das schönste und aufregenste Abenteuer, dass ich je mit Anja hatte. Wir haben alles ausprobiert, was wir je in meinem Jugendzimmer bei Mutter zuhaus geplant hatten, aber nie durchführen konnten. Geschlafen haben wir nie mit einander. Das war damals noch nicht soweit. Ich war noch nicht so weit. Bin es heute irgendwie noch nicht.
Für die Augen und Finger gab’s eine zuckersüsse Anja, für die Ohren Simon & Garfunkles „Bright Eyes“.