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Ela - die ich am "gernsten" habe

Es ist kühl geworden, draußen. Aber die Sonne scheint.

Es ist Samstag, ich habe frei und habe den ganzen Tag am Computer gesessen und geschrieben. Seit heute morgen um acht. Jetzt ist es viertel nach sechs.

Ich habe nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Gerade hat Ela angerufen. Sie ist die einzige, die manchmal anruft. Nach knapp zwei Monaten haben mich alle vergessen, so scheint es.

Bis auf Ela.

Ich muss einfach jeden Menschen beschreiben, der mir wichtig ist.

Damit sich auch andere Leute ungefähr vorstellen können, wie die Person ist, wie sie aussieht, denkt, empfindet, handelt. Man kann mit einer Beschreibung eine Person nicht treffend schildern. Nie. Schon gar nicht Ela. Trotzdem muss ich es versuchen. Ich kann es nicht beim Namen allein belassen. Dafür war sie zu wichtig in meinem damaligen Leben.

Draußen, hier bei mir vor der Tür in Amsterdam-Noord, wo ich jetzt wohne spielen Kinder. Farbige Jungen. Sie spielen Fußball. Die Strasse, auf der ich wohne, ist eine ruhige Anliegerstrasse. Selten fahren hier Autos und wenn, dann nur ganz langsam. So können die Kinder hier den ganzen Tag draußen spielen. Schön für Kinder. Es wohnen wahnsinnig viele Farbige hier. Überhaupt, überall in Amsterdam sieht man fast mehr Farbige als Weiße. Alles Menschen aus Surinaam, wie die Frau, bei der ich hier wohne. Surinam war eine Kronkolonie von Holland. Die Hauptstadt von Surinaam ist Paramaribo, und Surinaam wurde damals z Zeiten der VOC, der Vereinigten-Ostindien-Companie, durch die holländischen Seelete erobert, um den heimischen Sklavenmarkt zu bereichern. Heute bemerkt man bei den Farbigen aus der ehemaligen Kolonie nichts mehr vom einstigen Sklaventum – alle snd sehr selbstbewusst, man könnte es sogar frech – oder wenn man respektlos ist, auch respektlos- nennen.

Surinaam liegt im Norden von Südamerika, zwischen Guyana und Französich-Guyana, oberhalb von Brasilien, wie mir meine Vermieterin erklärte. Ich habe keinen Atlas, ich würde gern mal nachschauen.

So was interessiert mich immer sehr, wenn ich mit einer Sache konfrontiert werde und nicht genau Bescheid weiß, will ich es nachlesen.

Ich hatte einen Atlas, aus der Schule noch, bestimmt fünfundzwanzig Jahre alt. Aber Surinaam wird in dieser Zeit nicht wesentlich weiter gewandert sein.

Ich habe den Atlas nicht mehr.

Er ist - wie alle Bücher, die ich hatte - in der Danziger Strasse geblieben.

Ela ist so einssiebzig groß schätze ich.

Das ist bei Frauen immer schwer zu sagen, die haben immer Hackenschuhe an. Aber klein ist sie nicht. Und sie ist eigentlich sehr hübsch. Aber sie war nie recht mein Typ. Für Liebe und so. Ich glaube, zweiunddreissig ist sie jetzt. Wie die Zeit vergeht.

Wir haben uns im Table-Dance das erste Mal gesehen, dort, wo ich auch Jana kennen gelernt habe. Jana und Ela waren mal eine zeitlang recht gut befreundet, damals, als ich noch im meinem Turm im Niebuhr-Hochhaus auf der Reeperbahn wohnte, haben wir zusammen unsere ersten "Drogen-Tests" durchgeführt, sind zusammen in die Discos gegangen und um die Häuser gezogen.

Ela ist wie meine Mutter.

Ein bisschen zumindest. Niemand ist wie jemand anders.

Aber Ela hat viele der Eigenschaften, die meine Mutter hatte.

Ela ist gütig und warmherzig, selbstlos in ihrem Denken und Handeln anderen gegenüber. Sie kann stundenlang zuhören und dann aber auch ihre Meinung sagen, die nicht immer meine war. Und gerade das mag ich an ihr. Ihre vorsichtige, aber immer sehr überlegte und begründete Kritik.

Sie hat nie viel über sich selbst gesprochen, jedenfalls nicht über ihre Probleme. Und sie hatte wohl viele davon, die für sie selbst sehr schwer sein mussten. Es hatte wohl mit ihrem Freund zu tun, den sie hatte, und der ums Leben gekommen war.

Ich weiß nicht ganz sicher, ob es ein Unfall war, ich wollte sie nicht zu eingehend danach fragen weil ich merkte, dass es sie belastete. Ela hat es gemacht wie ich. Sie hat sich, statt über ihre eigenen Sorgen zu reden, lieber für die Probleme von anderen Menschen - besonders, so kommt es mir vor, für meine- eingesetzt und damit ihre eigenen Sorgen zurückgedrängt.

So ist Ela auch heute noch.

Eigentlich heißt sie Nadine. Aber im Table Dance, in dem ich sie kennen lernte, nannte sie sich Ela, wie ihre Schwester heißt. Alle Tänzerinnen haben einen anderen Namen auf der Arbeit, die meisten jedenfalls.

Und Nadine hieß Ela. Ich habe sie immer so genannt, Ursel tut das auch.

Ich finde, das der Name zu ihr passt. Viel besser als Nadine.

Die Nadine, die ich später noch beschreibe, ist also nicht Ela!

Ela ist Friseurin und trug damals, in dem Laden, beim Tanzen, immer eine langhaarige Perücke. Damit sah sie aus, wie eine ehemalige Freundin von mir, die lustigerweise Eli hieß.

Ich mochte Ela sofort.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wie es sich ergeben hatte, dass wir uns so gut angefreundet haben, ich glaube, es hatte viel mit Jana zu tun.

Denn auch Ela hatte Jana sofort ins Herz geschlossen, sie ist da in den Grundzügen so wie ich. Sie sieht sofort Schwächen, Hilflosigkeit und kann prima auf eine sehr dezente, unaufdringliche Weise ihre Hilfe anbieten, ohne dass man danach fragen muss.

Solche Menschen sind Gold wert, denn wer seine Hilfe anbietet, ohne danach gefragt zu werden, hat ein Interesse an der Person, der er seine Hilfe zu Teil lassen werden will.

So jemand ist Ela.

Ich will eigentlich gar nicht so sehr auf ihr Äußeres eingehen.

Es widerstrebt mir sogar ein bisschen, darüber zu schreiben.

Denn das ist überhaupt nicht wichtig, um Ela zu beschreiben. Ich finde, es würde die Gewichtungen falsch betonen.

Ela ist sehr hübsch. Das finde ich immer noch, wenn ich sie sehe.

Und sie ist einer der wenigen Menschen, mit Ursel, die ganz viel Ausstrahlung haben.

Ela hat immer wieder andere Frisuren, insgesamt sind ihre Haare nackenlang und dunkelbraun, würde ich mal sagen.

Aber das ist alles wie gesagt unwichtig. Für mich jedenfalls. Für mich zählt der Mensch.

Und für einen Menschen wie Ela kann man wirklich nur dankbar sein.

Ich habe mich oft Ela anvertraut, zumeist mit den Sachen, die ich anderen Freunden oder Bekannten nie erzählt hätte.

Ela habe ich auch vor ein paar Tagen einige Auszüge dieser Texte geschickt.

Sie ist die einzige. Niemand anderem würde ich das zu lesen geben.

Ich weiß nicht warum. Später liest es ja auch jeder, der es lesen will.

Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht will ich es gar nicht veröffentlichen, dieses Buch, das mich so bloßstellt, vor allen, und besonders vor allen, die mich kennen.

Manchmal glaube ich, dieses Buch nur für mich zu schreiben. Und ein bisschen für Ela vielleicht. Als Entschuldigung und als Erklärung ihr gegenüber.

Ich weiß nicht warum, aber ich empfinde in letzter Zeit, dass man sich irgendwann, wenn man nicht mehr weiter weiss, jemandem offenbaren muss. Und ich bin zu tief drin, in meiner selbst gestrickten Lebenslüge, alles ist zu Ende, kein Licht mehr in Sicht, Gedankensortierung und Ablage in diesem Buch.

Und dann? Ich erhoffe mir davon, selbst eine Lösung meiner Probleme zu finden. Vielleicht hoffe ich auch, das Ela eine findet.

Am liebsten möchte ich wieder zurück nach Hamburg, wo ich alle kenne, auch alle Probleme wieder antreffe, denen ich mich durch meine Flucht entzogen habe.

Aber es kann doch nicht alles Schluss und vorbei sein, alle nicht wieder sehen oder nur alle Jubeljahre einmal?

Ich bin immer noch nicht ganz sicher, dass dies hier - Amsterdam - meine neue Heimat und mein neues Leben sein wird.

Und solche Gedanken kann ich nur Ela anvertrauen.

Freun­de

Es ist schön, Dich zu ken­nen, mit Dir zu re­den,

oder auch Mu­sik zu hö­ren.

So­gar Schwei­gen ist nie pein­lich zwi­schen uns;

und das ist gut so.

Heu­cheln und Lü­gen ist sinn­los,

weil wir uns ge­gen­sei­tig fast wie Glas durch­schau­en.(eher Du mich)

Wir ma­chen uns schon lan­ge nichts mehr vor,

und das ist gut so.

Du hast in mei­nem Arm ge­weint, (eher ich in Dei­nem)

so man­che Nacht mit mir durch­ge­träumt,

die letz­ten Zwei­fel aus­ge­räumt.

Ich kenn’ dich (kaum!) und Du mich.

Du bist nicht hart im Neh­men.

Du bist be­ru­hi­gend weich

Dich nicht zu mögen ist nicht leicht.

Du bist kein Ein­zel­kämp­fer, Du bist so herr­lich schwach. (ich auch!)

Ver­trau mir und benutz’ mich, wo­zu sind denn schließlich Freun­de da? (wohl eher ich Dich!?)

Ich les«in Dei­nen Ge­sten und freu’ mich, wenn Dein ech­tes La­chen klingt.

Die Brücken zwi­schen uns sind gna­den­los be­last­bar,

und das ist gut so.

Wir ko­sten uns Ner­ven,(ich Dich) tau­schen Id­een und manch­mal auch das letz­te Hemd,

(Du hast im­mer noch mei­nen blau­en Ka­pu­zen-Pul­li!!)

phi­lo­so­phie­ren und sau­fen und wer­den uns nie mehr fremd,

und das ist gut so.

Wir ha­ben uns ver­söhnt, ver­kracht,(ei­gent­lich noch nie!)

so man­chen der­ben Witz be­lacht,

uns ge­gen­sei­tig Mut ge­macht.

Ich brauch’ Dich und Du mich

Danke, Ela!

(ein Lied­text der Grup­pe "Pur")

Kiez, Koks & Kaiserschnitt

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