Читать книгу Gerichtsdolmetschen - Christiane Driesen - Страница 47
2.3.3.3 Reaktion auf berechtigte und unberechtigte Kritik
ОглавлениеSo bedauerlich es auch sein mag, Dolmetscher müssen als Dienstleister ihre Reaktion auf berechtigte und unberechtigte Kritik sorgfältig abwägen.
Eine Kritik ist berechtigt, wenn sie inhaltlich richtig ist, wenn sie sachlich formuliert wird und von demjenigen ausgesprochen wird, der dazu berechtigt ist. Eine berechtigte Kritik ist mit einer angemessenen, nach Umfang des angerichteten Schadens dosierten Entschuldigung zu beantworten. Der Kritiker wird dem Dolmetscher eher verzeihen, wenn seine berechtigte Kritik ernst genommen wurde. Ausreden und die Schuld auf andere zu schieben sind unbedingt zu vermeiden. Sie verursachen nur Ärger.
Ein einfaches Beispiel: Der Dolmetscher kommt mit einer halben Stunde Verspätung zum Termin. Der vorsitzende Richter weist ihn sachlich darauf hin: „Ihre Verspätung wird leider diese Verhandlung und alle Morgentermine verzögern“. Der Dolmetscher bittet mit einer sachlichen Erklärung (keine Ausrede) um Entschuldigung: „Es tut mir sehr leid, ich musste aber wegen eines plötzlich erkrankten Familienmitglieds auf den Arzt warten. Es war ein Notfall.“
Eine Kritik ist dagegen unberechtigt, wenn sie unfair und inhaltlich unbegründet und/oder beleidigend formuliert ist:
„Ich hatte es nicht so verstanden“, sagte ein Politiker, „es lag wohl an der Verdolmetschung“. 1
Leider haben Dolmetscher – als Dienstleister – kaum eine Möglichkeit, solch unfaire Kritik abzuwehren. Sie müssen das Gesicht wahren und können sich lediglich damit trösten, dass intelligente Gesprächsteilnehmer den unfairen Angriff auch als solchen wahrnehmen.
Eine Kritik ist auch unberechtigt, wenn sie inhaltlich falsch ist und/oder von einem Unbefugten ausgesprochen wird. Zum Beispiel erlaubte sich ein Verteidiger mit nur geringen Französischkenntnissen, einen Dolmetscher abrupt zu unterbrechen und die korrekte Übersetzung des Begriffs „voler“ mit dem deutschen „stehlen“ in Frage zu stellen. Er bestand auf der Verwendung des Begriffs „entwenden“, was im Französischen aber „dérober“ entsprechen würde. Vielleicht wollte dieser Verteidiger den Dolmetscher destabilisieren, um sich selbst aufzuwerten oder um seine Frustration über das Gericht abzureagieren. Vielleicht hoffte er aber auch, dadurch einen strategischen Vorteil für seine Verteidigung zu erkämpfen. Der Dolmetscher sollte in diesem Fall also zu sachfremden Zwecken instrumentalisiert werden, was er auf keinen Fall zulassen darf. Der Dolmetscher muss die unberechtigte Kritik abwehren, um vom Gericht weiterhin vollständig als Fachmann in Sachen Sprache und Kultur akzeptiert zu werden. Er darf dem Gericht gegenüber nicht an Glaubwürdigkeit verlieren.