Читать книгу Mein wildes Leben zwischen Laufsteg und Swingerclub - Christiane Hagn - Страница 10

Nachtgestalten. Oder: billig & willig

Оглавление

Heute ist ein ganz normaler Dienstagabend. Motto: »billig & willig«. Das Telefon klingelt schon wieder. Ich hebe ab, kann aber kaum ein Wort verstehen, weil nicht nur aus den Nebenzimmern schon heftiges Stöhnen dringt, sondern auch der »Heimatfilm« mal wieder auf voller Lautstärke läuft. Am Apparat ist ein Mann, der schon etwas älter klingt. Da ich ihn so schlecht verstehe, frage ich zweimal nach. Tatsächlich hatte ich ihn schon beim ersten Mal richtig verstanden und nur gehofft, mich vielleicht verhört zu haben, denn er fragte: »Muss ich mich untenrum rasieren, also am Sack?«

»Mach das so, wie du dich wohlfühlst!«, antworte ich diplomatisch ausweichend und weiß zugleich, dass mein Chef mit dieser Antwort überhaupt nicht zufrieden wäre. Denn seine Devise lautet: »Je glatter die Schwänze und Muschis, umso besser.« Je weniger Haar, desto weniger muss gereinigt und gesaugt werden. Der Boss hat aber auch wirklich alles bedacht.

Eine halbe Stunde später klingelt es schon wieder, diesmal an der Tür. Ich schiebe den Sichtspalt auf und erblicke einen älteren Herrn, vielleicht um die siebzig Jahre. Als ich die Tür öffne, deutet er eine formvollendete Verbeugung an, ganz nach alter Schule.

»Entschuldigen Sie, Fräulein. Ich wollte mich nur erkundigen, ob schon Damen vor Ort sind?«

Fräulein? Das finde ich herrlich. So schön hat sich noch nie jemand bei mir nach irgendwas erkundigt. Und schon gleich gar nicht nach Damen.

»Aber selbstverständlich«, sage ich. »Da haben Sie Glück, denn heute ist ›billig & willig‹ Wollen Sie eintreten?«

Er nickt zögerlich und antwortet verlegen: »Gern. Aber dann hole ich schnell noch mein Gebiss!«

Ich schließe die Tür und kann ein lautes Lachen nicht mehr unterdrücken. Der eine muss sich rasieren, der andere seine Zähne holen. Ich hoffe nur, es handelt sich nicht um ein und denselben Mann. Ob über Siebzigjährige überhaupt noch Schamhaare haben? Und falls ja, ob die nass rasieren? Mit zittriger Hand? Schnell versuche ich, das Bild wieder aus meinem Kopf zu verbannen. Feststeht: Menschen sind nun mal eitel. Manche mehr, manche weniger. Das Alter spielt dabei wohl keine große Rolle. Alle wollen irgendwie schön sein. Doch wenn es hier, in unserem freizügigen Etablissement, um eine Sache nicht geht, dann ums Schönsein. Geil sein, ja. Schön sein? Nicht wirklich. Das ist eher Ansichtssache und sehen kann man hier wiederum nicht wirklich viel. Denn hier ist es schrecklich dunkel und das soll es auch sein. Dunkelheit verbindet. Und so passiert es auch, dass hier im Swingerclub Menschen aufeinandertreffen, die sich im echten Leben nie begegnen würden. Der Oberarzt trifft auf die Kassiererin. Die Maklerin auf den Busfahrer. Der Handwerker auf die Anwältin. Der Versicherungsmakler auf die Obdachlose. Genau davon gibt es hier übrigens jede Menge: gewiefte, obdachlose Frauen, die sich mit Clubs wie unserem durch das Leben schnorren. Vermutlich ist nur den wenigsten bewusst, dass Swingerclubs für viele obdachlose Frauen ein luxuriöses Auffangbecken sind, denn mit unserem Angebot an Essen, Trinken und Service kann die Berliner Tafel mit Lebensmittelspenden kaum mithalten. Noch dazu haben wir sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag geöffnet und für Frauen ist der Eintritt frei! Damit stecken wir jede offizielle Anlaufstelle für Obdachlose mit links in die Tasche. Da man einer nackten Frau, noch dazu im Halbdunkeln, nur selten ansieht, dass sie auf der Straße lebt, spricht auch nichts dagegen, diese Frauen reinzulassen. Manchmal riecht man es, aber dafür kann man bei uns ja duschen. Der Chef freut sich über jede »Muschi«, die er nicht bezahlen muss, und die Muschis freuen sich über ein warmes Plätzchen.

Eine solche Stammkundin ist unsere Sabine. Sie ist 33 Jahre alt, arbeitslos, lebt auf der Straße und hat, sie wird nie leid, damit zu prahlen, noch nie in ihrem Leben gearbeitet. Sie wüsste auch nicht, wieso. Schließlich gibt es Clubs wie den unseren, in dem man sich alles Lebensnotwendige besorgen kann: Essen, Trinken, Toilette, Dusche, Matratze zum Schlafen oder, wenn man möchte, auch zum Ficken. Noch dazu kann sie sich hier nicht nur waschen, sondern nach Lust und Laune auch im Whirlpool liegen oder in der Sauna schwitzen. Der Swingerclub ist für Sabine das reinste Spa.

»Wozu arbeiten?«, fragt sie mich immer, wenn sie vor mir an der Bar sitzt, so wie heute, und sich einen Cuba Libre nach dem anderen reinkippt. Nur einmal, da ist sie etwas knapp bei Kasse gewesen, vor ungefähr fünf Jahren. Doch dann hat sie kurzerhand einen Ausländer geheiratet und sich für ein wenig Taschengeld auf diese Scheinehe eingelassen, bis er sie krankenhausreif geprügelt und Sabine doch wieder das Weite beziehungsweise die Straße gesucht hat. Heute geht es ihr gut, auch ohne Wohnung. »Lieber ohne Dach über dem Kopf und frei, als auf Amt betteln müssen!«, findet Sabine. »Ich komm auch so über die Runden. Machst du mir noch einen Cuba?«

Dass Sabine irgendwie über die Runden kommt, mag ja stimmen, aber man sieht es ihr leider auch an. Sogar im Dunkeln. Sabine ist ungepflegt, hat kaffeegelbe Zähne, unreine Haut und riecht sehr streng, auch nach der Dusche. Ihr Haar ist schlecht gefärbt, dafür immer schön fettig. Noch dazu ist sie seltsamerweise viel zu dick. Doch ihr äußeres Erscheinungsbild scheint hier niemanden zu stören. Denn Sabine legt reihenweise Männer flach, zum Teil auch richtig gut aussehende, die in unserem Etablissement eher die Ausnahme darstellen, aber die Regel bestätigen. Denn es gibt sie, die gut aussehenden Männer im Swingerclub. Und auch die geben sich nach genug Alkoholkonsum und bei ausreichender Dunkelheit Sabine gern hin. Oder vögeln sie im Stehen neben dem Damenklo. Denn da macht es Sabine am liebsten. Warum weiß ich nicht genau. Sie sagt, es macht sie an, »gegen eine gekachelte Wand gefickt zu werden « und dabei die Blicke anderer Frauen zu ernten, die sie »um den Schwanz zwischen ihren Beinen« beneiden würden. Ach so.

»Bin erst einmal schwanger geworden!«, prahlt Sabine heute. Doch ihr inzwischen zwölfjähriger Sohn wohnt bei seinen Großeltern. Wo auch sonst, wenn der Vater unbekannt ist und die Mutter ein Dach über dem Kopf für unnötigen Luxus hält?

Als an diesem Abend die Tür erneut klingelt, steht der ältere Herr wieder vor der Tür. Er grinst mich mit einem breiten Lächeln an und strahlend weiße Zähne kommen zum Vorschein.

»Ich wäre dann so weit!«

»Hereinspaziert«, sage ich und hoffe inständig, dass er nicht an Sabine gerät. Denn dieser Mann sieht nach einer rentablen Erbschaft aus.

Mein wildes Leben zwischen Laufsteg und Swingerclub

Подняться наверх