Читать книгу Wenn mich jemand sucht - ich bin im Kühlschrank! - Christiane Hagn - Страница 9
KOHL MACHT HOHL.
ODER: DER VITAMINFRESSER Gewicht: 76 Kilo Gefühlslage: Beziehungsstatus: Vergeben Single Verliebt Ich mag Kekse
ОглавлениеSeit ich denken kann, abonniert meine Mutter Frauenzeitschriften. Und natürlich ist so ein Blatt ein Spielplatz für unglückliche und übergewichtige Frauen, die nach der rettenden Idee für ihr Problem suchen. In meinem Fall war das die Magic Soup – damals der absolute Megatrend aus den USA. Bei diesem Namen hätte ich eigentlich schon skeptisch werden müssen.
Auf Deutsch klingt das Ganze etwas weniger spektakulär: die Kohlsuppe! Und wie der Name schon vermuten lässt, isst man bei der Kohlsuppendiät nichts außer Kohlsuppe – auch wenn mir »alles außer Kohlsuppe« viel lieber gewesen wäre. Dafür darf man von dieser Gemüsesuppe so viel vertilgen, wie man nur irgendwie in sich hineinschlürfen kann. Und da Kohlsuppe kaum Kalorien oder Fett enthält, ist ein Gewichtsverlust mit dieser Diät praktisch vorprogrammiert.
Allerdings heißt es nicht umsonst: »Kohl macht hohl.« Denn diese Ernährung ist einseitig und die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen absolut nicht gewährleistet. Die angepriesene starke Gewichtsabnahme beruht darauf, dass der Körper, bedingt durch die kalorienarme Ernährung, seinen eigenen Kohlenhydratspeicher angreift, was wiederum stark entwässernd wirkt. Man nimmt quasi kein Eiweiß zu sich, sondern nur hohles Kraut. Am Ende kann man von Glück reden, wenn man noch geradeaus laufen kann, da ebenfalls extrem viele Muskeln abgebaut werden und der Körper nicht mit ausreichend Energie versorgt wird.
Doch so weit kam es bei mir erst gar nicht. Die ersten zwei Tage lang schmeckte es erstaunlich gut. Auch am dritten Tag war die Kohlsuppe noch erträglich. Aber nach über drei Wochen Kohlsuppendiät hatte ich erst fünf Kilo runter und dauerhaft Kopfschmerzen, zudem Heißhunger auf alles – außer Kohl.
Frauenzeitschriften erzählen halt immer nur die halbe Wahrheit. Die Magic-Diät ist eine Crash-Diät und damit nicht nur ungesund wegen der fehlenden Nährstoffe, sondern der Jo-Jo-Effekt ist auch schneller da, als man »Jo-Jo« überhaupt sagen kann. Zwei Wochen nach Diätabbruch hatte ich alles wieder drauf. Und, zugegeben, sogar noch ein bisschen mehr.
Trotz meines gescheiterten Versuchs war ich nun auf den Geschmack gekommen. Ich wollte weitere Diäten ausprobieren. Denn wenn ich erst mal schlank wäre, dann, ja, dann würde es auch bestimmt endlich mit den Männern klappen.
Meine letzte Errungenschaft in dieser Beziehung war ein One-Night-Stand, der mich Susanne nannte und am nächsten Morgen fragte, ob ich ihm Geld für den Bus leihen könnte. Es konnte nur besser werden, oder?
Zu dieser Zeit war ich, abgesehen von meinem Gewicht, für meine Verhältnisse eigentlich ganz zufrieden mit meinem Aussehen. Es hatte auch schon Zeiten gegeben, da war das Schönste im Spiegel die Zahnbürste gewesen. Vor allem mochte ich meine Haare. Bauch, Beine und Po waren zwar dick, aber die Brüste eben auch. Und das Ganze war endlich auch irgendwie proportional. Na gut, alle anderen Frauen waren natürlich hübscher und viel schlanker als ich, aber es hatte Zeiten gegeben, da hatte ich noch schlimmer ausgesehen.
Den Sommer 1995 verbrachte ich ausschließlich in unserem wunderschönen Freibad in der Sonne. Das heißt: Ich röstete mich – und zwar mit allen Hilfsmitteln, die der Einzelhandel zu bieten hatte. Das lag daran, dass ich (neben Pippi Langstrumpf) ein neues Idol hatte: Pamela Anderson. Ich wollte sein wie sie! Den roten Badeanzug hatte ich mir schon besorgt. Nun störte mich nur noch die Kugel an meinem Bauch. Und die sollte durch Pektin weichen. Das war meine neueste Diätidee, die mir in der Apotheke empfohlen worden war.
Apfelpektin hilft, Cholesterin abzubauen, wirkt heilend bei entzündetem Darm, beschleunigt den Aufbau neuer Darmzellen und kann durch seine Quellfähigkeit unterstützend bei einer Diät eingesetzt werden. Denn das gequollene Apfelpektin löst ein Sättigungsgefühl aus. Oder auch nicht ...
Ich verrührte also der Anleitung entsprechend eine halbe Stunde vor meinen Mahlzeiten zwei bis drei Esslöffel Apfelpektin in Wasser oder Saft und trank das Ganze tapfer aus. Danach fühlte ich mich leider immer wie ein aufgequollener Walfisch. Allerdings ein aufgequollener Walfisch im roten Badeanzug.
Auch nach zwei Wochen mit diesem Weltraumgelee tat sich rein gar nichts bei mir. Die einzige Veränderung an meinem Körper betraf meine Haut, die mal so rot wie mein Badeanzug war, dann einen Zartbitterschokolade-Ton (so wie Toblerone) annahm und schließlich abpellte. Ich verlor keine Fett-, aber dafür Hautschichten, was besonders zur Erheiterung des damaligen Freundes meiner Mutter beitrug, der bei einem gemeinsamen Badeausflug ein Foto von mir schoss, bevor ich »Cheese« sagen konnte.
Dieses Foto bekam ich allerdings erst einige Wochen später zu Gesicht, als morgens um halb sechs das Telefon klingelte und eine Stimme in mein Ohr brüllte: »Du bist in der BILD! Eine halbe Seite groß! Im Badeanzug!«
Schlagartig alterte ich um zehn Jahre und verließ für den Bruchteil einer Sekunde meinen Körper. Nach diesem Schreckmoment zog ich mich an, »stürmte« los und besorgte mir mit einem Kopf, der vermutlich die Farbe meines Badeanzugs hatte, eine BILD. In einer Ecke im Kurpark, an dessen Kiosk ich mein »Todesurteil« erstanden hatte, schlug ich die Zeitung auf und war auf das Schlimmste gefasst.
Doch oh Wunder: Ich hätte mich fast selbst nicht wiedererkannt. In dem Artikel ging es um einen Pamela-Anderson-Wettbewerb und ich war mittendrin – quer über die ganze Seite! Quer macht schlank, stellte ich erleichtert fest und fand zum ersten Mal die Bildbearbeitungsprogramme der Printmedien völlig in Ordnung. Ich sah richtig sexy aus und machte Pam alle Ehre. Mein Bauch war gut versteckt, denn auf dem lag ich. So kam auch mein Dekolleté sehr gut zur Geltung, und das konnte sich wirklich sehen lassen. Vielleicht nahm es deshalb auch drei Viertel des Bildes ein.
Leider konnte ich meinen kleinen »Ruhm« nicht lange genießen. Denn mein Bauch wuchs beständig weiter und hängte Schenkel, Brüste und Po bald ab. Wie sich nach vielen weiteren Schokobroten herausstellte, war ich nicht nur dick, sondern schwanger!
Den Schwangerschaftstest machte ich heimlich auf der Toilette des Solariums, bei dem ich einen Ferienjob hatte, mit dem ich mir meine Ausbildung samt Bus- und Zugfahrkarten finanzierte. Als langsam, aber sicher der zweite Strich erschien, traf mich fast der Schlag. Mein erster Gedanke war: Scheiße! Mein zweiter Gedanke: Wenn man schwanger ist, darf man für zwei essen. Mein dritter Gedanke: Nach neun Monaten kommt dann ein Kind raus. Hilfe!
Ich war gerade erst Anfang zwanzig, mitten in der Ausbildung und Single! Und vom Vater dieses Kindes wusste ich nur, dass er mich Susanne nannte und keine zwei Mark für den Linienbus hatte. Meine Mutter würde mich umbringen. Und das konnte ich verstehen. Was sollte ich nur machen? Erst mal schnell ’n Gyros-Pita auf den Schock.
Während ich die Speisekarte des griechischen Lokals rauf und runter aß (sie boten übrigens auch Chinesisch an), wurde mir plötzlich so einiges klar. Immer dieser wahnsinnige Hunger, gepaart mit bleierner Müdigkeit. Ich Idiotin! Mein Bauch war wirklich schon mächtig gewachsen und an meine letzte Periode konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. Die kam so regelmäßig wie der Linienbus im ecuadoria-nischen Hochland – wofür ich allerdings meine ständigen »Ernährungsumstellungen« verantwortlich gemacht hatte. Das heißt, ich hatte keine Ahnung, in welchem Monat oder gar in welcher Woche ich war.
Ich brauchte dringend Hilfe. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und vertraute mich meiner Mutter an. Sie brachte mich nur beinahe um. Dann begleitete sie mich sogar zur Frauenärztin, allerdings in der Hoffnung, dass ich mich dazu entscheiden würde, das Kind nicht zu bekommen. In Muttis Augen war ich eben selbst noch ein Kind – und ich fürchte, damit hatte sie ausnahmsweise mal nicht ganz unrecht. Trotzdem: Ich war mit der Situation zwar auch völlig überfordert, aber mir sicher, eine bessere Mutter sein zu können, als meine eigene es war. Was zugegebenermaßen auch nicht schwer wäre.
Also ging es erst einmal zur Frauenärztin. Anschließend wollte ich meine Optionen in aller Ruhe abwägen. Ich dachte sogar schon heimlich über Kindernamen nach. Und keine Sorge, Justus und Bob zog ich diesmal nicht in Erwägung. Vielleicht Pamela?
Als die Ärztin mich untersuchte, sah sie zuerst zwei riesige Zysten (neun und zwölf Zentimeter Durchmesser) und dann einen Embryo – ohne Herzschlag. Ich war geschockt, dann benebelt und als ich endlich begriff, was sie mir da gerade gesagt hatte, todunglücklich.
Es folgten drei qualvolle Wochen voller Selbstvorwürfe und Angst, dann wurde eine Ausschabung vorgenommen. Meine Mutter war erleichtert und lud mich nach dem Eingriff, ihrem Taktgefühl entsprechend, erst mal zu einem riesigen Eisbecher ein. Es war der erste und einzige meines Lebens, der mir nicht schmeckte.
Nach der Ausschabung pausierte ich das restliche Schuljahr, weil mich dieses Erlebnis total aus der Bahn geworfen hatte. Natürlich spiegelte sich das auch in meinem Essverhalten wider. Ich war zwar nicht mehr schwanger, aber ich fraß wie eine Frau, die Drillinge erwartete, und nahm innerhalb kürzester Zeit 15 Kilo zu. Alles schön um die Hüften herum. Ich war verzweifelt wie schon lange nicht mehr, ehrlich gesagt, wie noch nie. Und in Situationen, in denen man verzweifelt ist, greift man schon mal zu der ein oder anderen – nennen wir es mal: fragwürdigen – Methode, die Hilfe verspricht. In meinem Fall waren das Diätpillen.