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Fakt 9: Norden, Süden, Osten, Westen
ОглавлениеKnapp 15 000 Kilometer vom Weißen Haus entfernt, ganz oben, im Norden von Down Under, liegt die Kap-York-Halbinsel – sie ist der nördlichste Zipfel Australiens. Hier lebt ein Stamm der Aborigines, der eine Sprache gleichen Namens spricht: Guugu Yimidhirr – eine Sprache, die vom Aussterben bedroht ist, weil sie nur noch die Alten sprechen, während die Kinder in der Schule Englisch lernen. Dem Känguru – von dem wir schon wissen, dass es sich mit links prügelt – haben die australischen Ureinwohner seinen Namen gegeben: In ihrer Sprache heißt das Beuteltier »gangurru«, die Bezeichnung haben Menschen auf der ganzen Welt übernommen. Im Englischen lautet der Hüpfer »cangaroo«, auf Türkisch »kanguru«, die Italiener nennen es »canguro« und die Franzosen »kangourou«.
Was hat das alles mit links und rechts zu tun? Ganz einfach. Die Guugu Yimidhirr sind nicht nur für ihre besondere Sprache bekannt, sondern auch für ihr in jeder Hinsicht außergewöhnliches Raumverständnis. In ihrem Wortschatz gibt es keine Begriffe für links, rechts, oben oder unten.13 Das sind sogenannte egozentrische Begriffe, die immer nur dann Sinn machen, wenn sie einen Bezug zur Position des Betrachters im Raum haben. Ein Beispiel: Schaut man von der einen Seite auf das Känguru neben dem Eukalyptusbaum, sitzt es rechts davon. Steht man aber auf der gegenüberliegenden Seite, hockt das Känguru auf einmal links vom Baum und nicht mehr rechts. Für die australischen Ureinwohner macht es dagegen keinen Unterschied, wo sie sich im Raum befinden – beziehungsweise fast keinen, darüber streiten sich die Wissenschaftler noch. Die Guugu Yimidhirr orientieren sich anhand der Himmelsrichtungen, mithilfe der Sonne, der Sterne, des Mondes. Das könnte dann zum Beispiel so klingen: Da drüben, nördlich deines Kopfes und westlich des Eukalyptusbaumes, hockt ein Känguru im Schatten. Oder für uns Europäer: Westlich der Kaffeekanne und südlich des Brotkorbs steht die Marmelade, gibst du sie mir bitte? Damit das funktionieren kann, brauchen die Guugu Yimidhirr ein inneres Navigationsgerät, das ständig automatisch ein Update hochlädt: Ganz gleich ob an unbekannten Orten, auf vertrautem Terrain, bei völliger Dunkelheit oder im blendenden Sonnenlicht – die Ureinwohner wissen stets, wo Norden, Süden, Osten und Westen ist. Ihr innerer Kompass ist wie ein Extra-Sinn, der dem Rest der Menschheit fehlt. Wir haben ihn nicht. Darum können wir auch nicht auf diese Stimme aus dem Lautsprecher verzichten, die uns sagt: »Sie haben Ihr Ziel erreicht.«