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Nora Bergmann beobachtete lächelnd ihre Familie beim Abendessen. Die Kinder genossen Max’ Anwesenheit offensichtlich und redeten noch mehr als sonst. Marie erzählte vom Reiten, und Niklas liebte es, seinen Vater mit den Namen der Judogriffe, die er neu erlernt hatte, zu beeindrucken. Max tat ihm auch stets den Gefallen und wiederholte die japanischen Wörter völlig fehlerhaft, was bei den Kindern immer begeistertes Gelächter auslöste.

Niklas schluckte schnell noch ein Stück Käse hinunter, bevor er grinsend verbesserte: »Papa! Sasae-tsuri-komi-ashi. Und der andere war Hon-kesa-gatame. Versuch doch mal Ko-uchi-gari oder Seoi-otoshi!«

Max hob lächelnd beide Hände. »Nicky, ich ergebe mich. Für heute mag ich nicht mehr. Wie wär’s, wenn wir noch ein Rennen an der Playstation gegeneinander fahren?« Bevor sein Sohn begeistert zustimmen konnte, wandte er sich seiner Tochter zu. »Aber vorher lesen wir beide noch etwas zusammen, denn du musst ja gleich ins Bett, nicht, Marie?« Marie nickte freudig, bevor sie mit großen blauen Augen von ihrem Vater zu ihrer Mutter sah. »Kriegen wir noch eine Süßigkeit?«

Nora, die gerade anfangen wollte das Geschirr zusammenzuräumen, schaute auf.

»Ach Marie, du weißt doch, dass ich das nach dem Abendessen nicht gut finde.«

»Bitte, Mama.«

»Na ausnahmsweise. Du hast doch gestern von Oma und Opa etwas bekommen. Dann nehmt euch davon einen Riegel.«

Marie schüttelte bekümmert den Kopf und schob die Unterlippe vor. »Das geht nicht! Niklas und ich hatten die Tüte mit in unserem Kletterbaum. Und da haben wir sie ganz oben an einem Zweig festgebunden, damit alles frisch bleibt, aber dann hat er den Ast darunter abgebrochen, und jetzt kommen wir nicht mehr dran.«

Max konnte ein Schmunzeln nicht mehr unterdrücken, während Nora die Teller aufeinander stapelte und trocken bemerkte: »Gut, dann könnt ihr jetzt eure Süßigkeitentüte im Wandel der Jahreszeiten beobachten.«

Nun mussten sogar die Kinder lachen. Auch Max war aufgestanden, um beim Abräumen zu helfen. Er lächelte den beiden zu.

»Wisst ihr was? Am besten geht ihr schon nach oben und wascht euch, und Mama und ich räumen hier heute einmal allein das Geschirr ab. Ist das ein Vorschlag?«

Als die beiden die Treppe hinaufpolterten, beugte sich Max über Nora und gab ihr einen Kuss.

»Na, Liebling? Du bist heute Abend ziemlich ruhig. Ist etwas?« Lächelnd griff sie nach zwei Gläsern und sah zu ihm auf. »Nein. Doch bei euch kommt ja auch kaum einer zu Wort, mein Schatz. Aber jetzt im Ernst. Hast du bemerkt, wie Niklas und Marie sich freuen, dass du einmal da bist?«

Er stand vor ihr und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich weiß doch, Nora, aber wenn ich jetzt im Verlag nicht so weitermache, übergeht man mich bei der nächsten Beförderung.« Er beugte den Kopf nach hinten, um ihr besser in die Augen sehen zu können. »Was ist denn? Du freust dich doch auch, wenn ich vorankomme, oder nicht?«

»Ja, natürlich. Ich frage mich nur manchmal, um welchen Preis. Du verpasst so viel im Leben deiner Kinder, Max. Und wir haben so wenig Zeit füreinander wie noch nie zuvor.«

Als von oben die Kinder riefen, wandte er sich um. An der Tür sah er noch einmal zurück. »Wir reden gleich in Ruhe, Nora. Ich habe noch eine Überraschung für dich.« Nachdenklich blickte sie ihm nach. Irgendwie erfüllte sie diese Ankündigung mit Unbehagen, sie hatte aber keine Erklärung dafür, und so machte sie sich daran, die Schmutzwäsche der Kinder wegzuräumen.

Nachdem sie später beide den Kindern gute Nacht gesagt hatten, ließen sie sich mit einer Flasche Wein im Wohnzimmer nieder. Max beobachtete amüsiert ihr Gesicht. »Wie guckst du denn? Ich habe gute Neuigkeiten für dich.«

Sie nahm einen Schluck Wein. »Na dann los!«

Er stellte die Flasche auf den Tisch und griff nach seinem Glas, bevor er sich auf dem Sofa zurücklehnte. »Also, Liebling. Auch wenn du wahrscheinlich glaubst, ich sei ein unsensibler Klotz, ist es mir durchaus nicht entgangen, dass du dich seit einiger Zeit nicht sehr glücklich fühlst.« Als sie den Mund öffnen wollte, fuhr er schnell fort: »Nein, bitte lass mich einfach mal weiterreden. Du bist seit zehn Jahren immer für mich und die Kinder und unser Zuhause da gewesen. Vielleicht solltest du auch einmal an dich denken. Im Grunde hätte ich gar nicht gewusst, was ich für dich tun könnte, aber nun hat mir der Zufall dabei geholfen. Unser Verlag will eine neue Dokumentation über Australien herausbringen, die verschiedene Reportagen beinhalten wird, darunter auch eine über die Natur des Outback und die Menschen, die dort leben und arbeiten, auf Farmen, Opalfeldern, aber auch über die Mitarbeiter des Flying Doctor Service und die Aborigines.« Er sah sie gespannt an, doch sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte, und so runzelte sie nur die Stirn. Er beugte sich vor. »Schatz, ich habe dich für diese Reportage vorgeschlagen.«

Abrupt stellte sie ihr Glas auf den Tisch und sah ihn aus funkelnden Augen an.

»Bist du wahnsinnig geworden? Ich bin seit zehn Jahren aus meinem Beruf raus, habe praktisch keine Auslandserfahrung. Keiner würde mich als Journalistin einstellen.« Sie machte eine kleine Pause und fügte dann salbungsvoll hinzu: »Aber der Frau des Marketingleiters darf man ja keinen Korb geben. Machen wir ihr doch die Freude und hoffen, dass sie nicht allzu viel verdirbt.«

Max unterdrückte ein Schmunzeln. Er bewunderte sie für die Fähigkeit, immer sofort alles auf den Punkt zu bringen. In vielen Dingen war sie nicht so diplomatisch wie er, aber sie traf den Nagel stets in allerkürzester Zeit auf den Kopf. Insgeheim liebte er diesen aufgebrachten Ausdruck in ihrem Gesicht. Wenn sie wütend war, wirkten ihre grünbraunen Augen noch größer und lebendiger, und er meinte dann immer kleine goldene Funken darin erblicken zu können. Er nahm ihre Hände in seine und sah sie an. »Schatz, ich habe dich vorgeschlagen, weil ich weiß, dass du gut bist. Ich glaube auch, dass kaum jemand so viel über Australien, ich möchte fast schon sagen, ›absorbiert‹ hat wie du.« Als er ihren überraschten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hinzu: »Natürlich habe ich mitgekriegt, wie sehr du dich dafür interessierst, und ich finde, du solltest hier mal rauskommen. Seit Sophies Tod bist du immer so nachdenklich, fast schon niedergeschlagen. Meinst du nicht, dass dir so ein richtiger Tapetenwechsel einmal gut täte?«

»Max, ich finde es ja geradezu unheimlich aufmerksam von dir, dass du dir Gedanken gemacht hast, aber ich fühle mich als dein Protegé nicht wohl. Und ich wäre ich doch auch sicher eine ganze Weile nicht da. Wer kümmert sich denn dann um die Kinder?« Sie machte wieder eine kleine Pause, bevor sie ihn trotzig anschaute. »Und ... außerdem hätte ich Angst davor.«

Er nahm sie in die Arme. »Komm schon, Schatz. Ich wusste, was du sagen würdest, also habe ich bereits mit deiner Mutter telefoniert. Deine Eltern werden in der Zeit hier wohnen und sich um alles kümmern. Deine Mutter hat natürlich gezögert!« Sie blickte ihn irritiert an. »Ich meine, sie hat gezögert, weil es ihr nicht gefällt, ihre Tochter bis ans andere Ende der Welt reisen zu lassen.« Er lachte leise. »Und auch mir wird das nicht ganz leicht fallen, aber du fliegst ja nicht allein. Martin Sanders wird mitkommen. Er ist einer unserer erfahrensten und besten Fotografen, und ich schätze ihn auch menschlich sehr.« Er legte seine Hand unter ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. »Und nun zum letzten Punkt auf deiner Bedenkenskala. Du bist die wunderbarste Frau, die ich mir vorstellen kann. Du bist die beste Mutter für unsere Kinder. Du bist gebildet, sensibel, klug und schön. Ich frage dich jetzt: Wovor hast du Angst?«

Nora musste schlucken. Verlegen sah sie ihren Mann an. »Was soll ich denn jetzt nur sagen?« Sie lächelte schelmisch. »Dass ich mir heute ernsthaft die Frage gestellt habe, warum ich dich geheiratet habe?« Lachend wich sie vor ihm zurück, als er drohend auf sie zukam und sie aufs Sofa drückte, bevor sie in einem zärtlichen Kuss zueinander fanden.

Die darauf folgende Zeit verging wie im Flug und war für Nora neben ihrem normalen Alltagsleben ausgefüllt mit Reisevorbereitungen und -planungen. Sie bekam ihre Gefühle manchmal kaum in den Griff; sie umfassten alles von Nervosität bis zur gespannten Vorfreude, dann wieder Sorge um die Kinder, und Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Sie konnte vor den ersten Gesprächen im Verlag kaum noch schlafen. Zu viele Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Schließlich hatte Max sie auch Martin Sanders bei einem gemeinsamen Abendessen vorgestellt, vor dem Nora so nervös gewesen war, dass sie sich einen Beruhigungstee aufgebrüht hatte. Als Max vor dem Essen nach Hause gekommen war, um sie abzuholen, fand er sie in der Küche. Nachdem er ihr einen Kuss gegeben hatte, beugte er sich über die Tasse.

»Igitt, was trinkst du denn da? Das riecht ja scheußlich!«

Als er das Etikett am Teebeutel gelesen hatte, sah er sie an und lachte. »Ach Nora! Martin wird dir gefallen, er ist einfach nett! Sonst würde ich dich doch nicht mit ihm reisen lassen.«

Der Abend verlief dann auch wirklich angenehm. Bereits nach kurzer Zeit waren sich Nora und Martin sympathisch. Der Fotograf war schon einige Male in Australien gewesen, und Nora drängte ihn, davon zu erzählen.

»Nun, ich habe noch nie im Outback fotografiert. Ich sollte Aufnahmen für einen Bildband mit Städte-Porträt machen und war in Sydney, Canberra, Melbourne und Adelaide. Eine weitere Reportage hat mich zum Great Barrier Reef geführt.«

Er nahm einen Schluck Wein und sah wieder von Max zu Nora. »Es hat mir sehr gut gefallen, obwohl ich es schon damals bedauert habe, nicht ins Landesinnere oder einmal ganz in den Westen nach Perth gekommen zu sein. Auch der tropische Norden hätte mich gereizt.« Er lächelte Nora zu. »Aber nun werden wir beide ja einiges, was mir damals entgangen ist, kennen lernen, nicht wahr?«

Sie erwiderte sein Lächeln. »Ich wünschte, ich hätte nur halb so viel von der Welt gesehen wie Sie, Martin. Hoffentlich werde ich nicht die langweiligste Kollegin, mit der Sie jemals eine Reportage gemacht haben.«

Die Männer lachten, und während Max ihre Hand nahm, strahlte Martin sie an und hob sein Glas. »Ganz bestimmt nicht, Nora.« Er zwinkerte ihr zu. »Sie haben ja keine Ahnung, mit wem ich schon in der Welt unterwegs war.«

Noras großer Traum

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