Читать книгу Im Spiegel meiner Seele - Christina Enders - Страница 9

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Bevor Sjena sich von ihrem Haus und ihre Freundin verabschieden würde, wollte sie noch einmal nach Margrit schauen. Wenn sie vielleicht auch nur die Möglichkeit hatte, den Brief einzuwerfen, wollte sie schauen, ob es ihr gut geht.

Sie betrat den Eingang des Hauses und es herrschte eine Menge Leben.

Margrit, die sich augenscheinlich schon ganz gut in der Gemeinschaft eingebracht hatte, blickte auf, als sie Sjena sah. Drückte der kleine Marie, die sich das Knie leicht aufgeschlagen hatte, ein Pflaster auf der Wunde, trocknete ihre Tränen und ging zu Sjena.

«Du bist sicherlich gekommen, um dich zu verabschieden.»

«Ja, es ist so weit, meine Freundin weiß Bescheid und hat das Haus schon bezogen. Morgen gehts los.»

«Lass dich drücken. Ich muss mich bei dir wirklich bedanken, wenn ich nicht den Mut aufgebracht hätte, dich damals am Friedhof anzusprechen, säße ich heute noch einsam und nutzlos in meinen vier Wänden.»

«Also hast du dich im Grunde selbst gerettet, oder?»

«Stimmt, aber du hast mir den Mut und die Lust gegeben, etwas Neues zu wagen.»

«Ich habe schon gesehen, dass du hier alle Hände voll zu tun hast.»

«Ja, Maries Eltern sind dankbar für meine Hilfe, da beide in Schicht arbeiten, bin ich sowas wie die Ersatzoma geworden, aber Marie ist nicht das einzige Kind. Am Nachmittag kommen viele aus der Nachbarschaft hier her, wir spielen, basteln, kochen und halten den Garten in Schuss. So kann es funktionieren, wenn Jung und Alt sich kombinieren. Sie blickte zu einem Mann in ihrem Alter, der gerade mit einem Jungen beschäftigt war.»

«Wie ich sehe, verstehst du dich nicht nur mit den Eltern der Kinder gut.»

«Nein, das stimmt, das ist Theo, er hat auch vor ungefähr 4 Jahren seine Frau verloren, wir sind fast zur gleichen Zeit in dem Haus eingezogen, wohnen am gleichen Eingang und verstehen uns sehr gut.»

«Das freut mich für dich, ich bin froh, dass es dir gefällt, ich hatte schon leichte Gewissensbisse, dich aus deinem Haus vertrieben zu haben, es ging doch auch alles recht flink von der Hand. Was haben denn deine Kinder zu deinem Umzug gesagt?»

Sie gingen ein Stück durch den Garten, weil Margrit ihre Worte erst etwas fassen musste.

Sie atmete leicht in sich und sagte schließlich: «Meine Kinder waren fassungslos, als sie von dem Hausverkauf erfahren haben. Sie empfinden mich als rücksichtslos, weil ich es gewagt habe, mein Leben noch einmal mit Leben zu füllen. Weißt du, sie haben kaum Zeit für mich und meine Enkelkinder kenne ich auch kaum, aber plötzlich finden sie es schade, dass ich so wenig für sie übrighabe. Jetzt plötzlich, wollte meine Große das Haus einmal übernehmen, weil sie ihre Kindheit dort verbracht hat. Ihren Vater habe ich wohl auch verraten.»

«Steht es einer Frau wie dir, wirklich nur noch zu einsam zu sein, und auf die Enkelkinder zu warten, die nie kommen werden.»

«Vermutlich, dass mir alles langsam auch zu beschwerlich wurde, das haben sie nicht gesehen. Wenn ich sie gebeten habe, dass die Hecke verschnitten werden musste, oder allein die vielen Fenster, die geputzt werden mussten, fanden sie tausend Ausreden oder schickten mir eine überteuerte Firma, die ich dann allein bezahlen durfte.»

«Sie haben wohl damit gerechnet, das Haus eines Tages zu erben, um es zu einem guten Preis zu verkaufen.»

«Ja, das wohl auch. Mein Sohn war ganz schlau, er ist zu mir gekommen und hat gleich so versucht, mir das Geld aus den Rippen zu leiern. Er hat was von einer Investition fürs Leben geredet, da ich ja jetzt das Haus verkauft habe, könnte ich doch gleich zu Lebzeiten in seine Zukunft investieren. Als ob wir das nicht schon getan hätten, indem wir ihn sein Studium finanziert haben.»

«Wow, das nenne ich mal …»

«Ja, so sind sie, als ich gesagt habe, dass ich das nicht machen kann, weil ich dann seine Schwester übervorteilen würde, hat er mir vorgeschlagen, dass ich sie doch ebenfalls auszahlen könnte. Es ist doch besser, zu sehen, was mit dem Geld geschieht, als wenn ich es ihnen vererbe.»

«Das hat er so gesagt?»

«So in etwas. Dass ich das Geld selbst brauchen könnte, auf die Idee sind beide nicht gekommen. Aber ich denke nicht im Traum daran, ihnen alles zu überlassen, sie auszahlen wofür, dass ich sie auf die Welt gebracht habe, sie keine Zeit mehr für mich haben und ihren eigenen Weg gehen. Ich meine wir haben immer alles für unsere Kinder getan, beide konnten studieren, dass sie dann weg sind und die Großstadt bevorzugten, haben wir verstanden, aber ich weiß schon, das kommt alles von meiner lieben Schwiegertochter. Sie war schon immer ein geldgeiles Stück, wenn ich das mal so sagen darf.»

Sjena lächelte.

«Ich kann es mir vorstellen, wie sie auf meinen Sohn eingeredet hat, bis er endlich vor meiner Tür gekratzt hat. War sicherlich nicht einfach für ihn, mit einem Nein nach Hause zu kommen.»

«Das ist traurig, wenn die eigenen Kinder einen nur noch als Geldmaschine sehen.»

«Ja, ist nicht, sodass ich ihnen nichts gegeben hätte, schon allein der Enkel wegen, aber so … da halte ich das Geld lieber bei mir und gebe es den Menschen, die mir geholfen haben und wichtig sind und den Rest bringe ich noch selbst unter die Leute. Als meine Tochter hier war, hat sie ganz schön die Nase gerümpft und alles irgendwie niedergemacht, aber lass uns kurz in meine Wohnung gehen, du hast sie doch noch nicht fertig gesehen oder.

«Nein, natürlich.»

Als Sjena in das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer stand, nickte sie, «es ist schön geworden.»

Margrit zeigte ihr kleines Schlafzimmer und die Küche.

«Viel von deinen alten Möbeln hast du aber nicht mitgenommen.»

«Nein, die hätten hier auch gar nicht reingepasst. Außerdem passen zu einem neuen Leben keine alten, vertaubten Möbel.»

«Find ich gut.»

«Ja mehr brauch ich nicht, tagsüber bin ich fast immer unten in den großen Gesellschaftsräumen.

Abends ziehe ich mich dann zurück, wie alle anderen auch. Manchmal spielen wir noch eine Partie Bridge oder Theo führt mich in die Stadt aus. Er ist sehr gebildet, war mal Professor auf Yale, liebt die Kunst und die Musik.» Sie ging in ein Schränkchen und holte einen Umschlag aus dem Schubfach und reichte diese Sjena.

«Was ist das?» Sie machte es auf und sah, mehre Dollarnoten. «Das …»

«Sag jetzt nicht, du kannst es nicht annehmen, das würde mich enttäuschen. Ich weiß, du hast dein eigenes Geld, aber vielleicht kannst du dir damit einen ganz besonderen Wunsch erfüllen, Geld was man nicht braucht und dennoch hat, kann eine ziemliche Beruhigung sein. Du kannst damit machen, was du möchtest, nur lebe …»

Sjena lief eine Träne von den Augen und drückte Margrit an sich. «Ich werde dich nicht vergessen, ganz bestimmt nicht. Du hast mir mehr geben, als ich es von einer Mutter erfahren konnte.»

«Nun so ist es, die einen sind von Ihren Kindern enttäuscht, die anderen von ihren Eltern. Ich hoffe, ich werde irgendwann mal wieder, was von dir hören oder du schreibst mir mal eine Karte. Meine Adresse kennst du ja. Ich weiß, heut zutage schreibt man kaum noch Karten, aber zu meiner Zeit, war das noch die gängigste Methode der Mitteilung.»

Sjena lächelte. «Ich denk an dich», steckte sie den Umschlag ein.

«Lass uns wieder nach unten gehen, hast du noch etwas Zeit, dann können wir noch gemeinsam zu Abend essen. Unsere Jugend hat sich heute ans Brotbacken versucht.»

Sjena nickte und lächelte zufrieden.

Als sie ging, war sie froh, dass sie den Brief, den sie an Margrit geschrieben hatte, nicht schon vorher in den Briefschlitz geschoben hatte. Schon den zweiten Brief, den sie vernichtete, weil er das offenbarte, was er sein sollte, ein Abschied von allem. Jetzt kam es nur noch darauf an, ob sie den Brief an ihrer Mutter aufgab oder nicht, sie würde sie wohl kaum vermissen, in den acht Wochen, die jetzt nach der Beerdigung vergangen waren, ging es immer nur um ihren blöden, blauen Schal. Kein wie geht es dir … also war sie doch im Grunde auch nicht verpflichtet, ihr zu schreiben. Vielleicht eine kurze Nachricht über das Smartphone, dass sie verreist, das würde sicherlich schon reichen.

Zu Hause angekommen, war es im Haus noch dunkel, da sie wusste, dass Sam erst später kam, da sie noch bei Leon war.

Sie hatte gerade die Nachricht an ihre Mutter versendet, da ging die Tür auf und Sam kam rein, in der Hand eine gute Flasche Rotwein.

«Den habe ich uns mitgebracht oder hast du gedacht, ich lass dich einfach so gehen.

Da summte ihr Handy. «Habe viel Spaß, deine Mom.»

«Eine wichtige Nachricht», schaute sie in das etwas ernste Gesicht von Sjena.

«Nein, nur meine Mom. Ich schreibe ihr, dass ich verreise, und sie hat nicht mehr zu schreiben, wie habe viel Spaß. Wie immer finde ich in ihr Leben nicht statt. Einzig und allein ihr blöder Schal war ihr wirklich wichtig. Wohl ein Geschenk von Ralfi, ihren jetzigen Mann.»

«Was hast du mit dem Schal gemacht?»

«Was wohl …»

«Die alte Sjena hätte ihn gewaschen und gebügelt, fein zusammengelegt und abgeschickt. Hast du aber nicht, wie ich deinen Blick lesen kann.»

«Nein, ich habe ihn in die Tonne geworfen und meine Mutter deutlich gemacht, dass ich ihn nicht habe. Aber es war ein Schal aus Kaschmir. Ihn schön bei 90 Grad waschen und dann verschicken, wäre sicherlich eine Botschaft, die sie besser verstanden hätte.»

«Zu Mindesten hätte er dann in einem Umschlag gepasst.» Presste es Sam lachend aus sich heraus. «Ich kann dich verstehen, das Thema Eltern ist schwierig. Ich hatte auch nicht wirklich mehr Glück mit meinen Eltern. Seit sie geschieden sind, tingelt meine Mom durch die Lande und mein Dad feiert seinen zweiten Frühling mit einer, die so alt ist, wie ich.»

«Findest du es schlimm, dass deine Mom die Welt auf ihre Weise erkundet?»

«Nein, es ist schließlich ihr Leben, ab und zu bekomme ich ein Video von ihr, mein Geburtstag hat sie auch noch nie vergessen, aber real habe ich sie seit fast 7 Jahre nicht mehr gesehen. Ich hoffe, du verschwindest nicht gar so lange.»

Sjena schüttelte leicht mit dem Kopf und holte die Weingläser.

«Und deine Nachbarin, hast du sie noch einmal angetroffen?»

«Ja, für sie war das mit dem Hausverkauf die beste Entscheidung. Sie ist richtig aufgeblüht. Sie fühlt sich in dem Haus richtig wohl, vor allem ist sie nicht mehr allein, ich glaube, das ist das Wichtigste. Für mich wäre das momentan zu viel Trouble, aber ich finde, es ist eine super Idee, ein großes Haus zu ein Mehrgenerationenhaus umzubauen. Vor allem die unteren Gemeinschaftsräume sind ein Gewinn. Willst du allein sein, verziehst du dich in deine Wohnung und du weißt, dass deine Kinder nie allein sind, auch wenn du arbeiten musst. Solche Häuser sollte es wirklich mehr geben.»

«Hm, ich glaube auch, dass da automatisch viele Konflikte aufkommen. Ein friedliches Miteinander unter verschiedene Altersstrukturen kann ich mir ehrlich nicht vorstellen. »

«Sicher scheint auch da nicht nur die Sonne, aber man lernt, glaube ich, auch eine ganz andere Gemeinschaft kennen, Toleranz ist etwas, was wir fast verlernt haben. Wenn man sich dort nicht wohl oder unverstanden fühlt, ist man nicht genötigt zu bleiben. Nur, die Kinder von Margrit waren wohl etwas überfordert mit der neuen Situation. Um es mal etwas schlicht auszudrücken.»

«Die fanden es sicherlich nicht so super, dass sie das Haus schon zu Lebzeiten verkauft hat, um das Geld selbst durchzubringen.»

«Ja, so in etwa», nahm sie einen Schluck von dem Wein und eine leichte, studierende Stille drängte sich ihnen auf.

Sam atmete tief, «wo wirst du morgen sein, wirst du mir eine Nachricht schicken, ob es dir gut geht?»

«Wenn es dir so wichtig ist natürlich, ich lasse den Kontakt nicht abbrechen, das verspreche ich. Lass uns rauf gehen, die letzte Nacht in diesem Haus.»

Am Morgen saßen die Freundinnen noch einmal am Küchentisch. «Du wirst mir fehlen, es wird sehr still hier werden.»

«Vielleicht bin ich ja schneller zurück, als dass es dir lieb ist.»

«Nein, das glaube ich nicht, aber wir hätten es uns auch hier gemeinsam gemütlich machen können.»

«Meinst du nicht, dass wir uns schnell in die Haare bekommen hätten, wenn wir so nah wie ein Ehepaar wohnen.»

«Ach Krach gibt es in jeder Beziehung. Sorry ich …»

«Schon gut, ich habe noch etwas für dich. Schob sie ihr einen größeren Umschlag zu. Ich dachte, das hilft dir vielleicht.»

Sam machte es auf und sah Musterbeispiele einer Werbekampagne für einen Müsliriegel.

«Vielleicht kannst du damit ja was anfangen.»

«Wann hast du das denn gemacht.»

«Ach, als du nicht da warst, habe ich versucht zu schauen, ob ich es noch kann. Ich schenke dir die Entwürfe, wenn du sie verwenden möchtest, dann kannst du sie auch als deine ausgeben. Du musst sie dann nur noch dem Produkt anpassen. Dafür hatte ich zu wenig Informationen.»

«Die sind echt genial … Leon würde mir nie glauben, dass das meine Ideen sind, dafür tragen sie zu sehr deine Handschrift. Aber danke, das hilft, glaube ich schon sehr. Du hast halt immer die besten Ideen und kannst sie eins zu eins umsetzen. Für diesen Instinkt habe ich dich immer beneidet. Ich verstehe, dass Leon dich nicht ganz verlieren möchte. Vielleicht hätte er es mal mit einem höheren Gehalt versuchen sollen.»

«Das hätte nichts genutzt, ich sollte mich jetzt auch fertigmachen.»

«Ach, wenn du noch nicht weißt, in welchen Zug du steigst, kannst du auch nicht zu spät sein oder.»

«Stimmt, das ist der Vorteil.» Schnürte sie ihren Reiserucksack zu.

«Du meinst, da hast du alles unterbekommen, was du brauchst?»

«Keine Sorge, wenn ich was vergessen habe, wird es zu kaufen sein.»

«Warum eigentlich fährst du nicht mit deinem eigenen Auto, ich meine da könntest du mehr mitnehmen und wärst flexibler.»

«Nein, ich will mich einfach treiben lassen und nicht ständig auf die Fahrbahn schauen und konzentrieren.»

«Soll ich dich zum Bahnhof fahren.»

«Das darfst du, wenn du nichts dagegen hast, wenn du vor dem Gebäude stehen bleiben musst. Von da aus muss ich mein Weg allein gehen.»

«Du ziehst das wirklich voll durch, oder?»

«Hattest du noch Zweifel daran.»

«Nein, wenn du mal eine Entscheidung getroffen hast, dann lass uns starten.»

Sie standen vor dem Bahnhof, «dann wünsche ich dir alles Glück dieser Welt und hoffe, du lässt mich nicht allzu lange ohne Information, wohin es dich getragen hat. Aber du sollst wissen, du bist nicht allein. Menschen, lieben und brauchen dich.»

«Danke, ich vergesse euch nicht», drückte sie Sam, nahm ihre Tasche und den Rucksack und ging zum Eingang, blieb stehen, wollte sich noch einmal umdrehen, was sie aber nicht tat. Umdrehen hieß zurückschauen, zurückschauen hinderte sie an ihr neues Leben.

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