Читать книгу Alles aus den Fugen - Christina Hupfer - Страница 11

Kapitel 10

Оглавление

Jeph

Der Traum war heftig. Wieder sprudelte das Blut. Szenen wie aus einem Horrorfilm schnürten ihm die Luft ab. Aber diesmal rüttelte ihn kein Bettnachbar wach. Diesmal war es ein Spatenstiel, den er mit seinen heftigen Bewegungen umgeworfen hatte. Knapp am Kopf vorbei traf er auf seine Schulter, was ihn vor Schmerz laut aufschreien ließ. Und was außerdem dazu führte, dass er beim Hochfahren noch ein paar Blumentöpfe mitriss. Er erwartete, dass von dem Getöse gleich jemand aufgeschreckt an die Tür klopfen würde, und er Rede und Antwort stehen müsste. Doch nur die hohen Töne der Vögel, die den Morgen begrüßten, schrillten in seinen Kopf. Stöhnend setzte er sich auf, zog die Decke um sich und fragte sich, was zum Teufel er hier eigentlich machte. Und jetzt war sein Kopf wieder durcheinander geschüttelt. Sehr hilfreich, wenn man über so wichtige Dinge nachdenken sollte, wie zum Beispiel, wie man von hier aus zu Geld kommen könnte. Wie eine Arbeit finden? Wie herausfinden, was geschehen war? Aber erst mal, wie sich waschen? Wie die Kleidung reinigen, die er immer noch verdreckt in seiner Tasche herum trug? Und was sollte er mit der Kleinen anfangen? Sie war so bemüht, ihm zu helfen, aber er fühlte sich dadurch eher eingeengt. Wenn Isabell... Nicht dran denken!

Im schnell heller werdenden Tageslicht konnte er seine Herberge nun erst richtig in Augenschein nehmen. Diese Hütte war ganz und gar nicht das, was er gewohnt war. Sa-tinbettwäsche und Zentralheizung, ade. Stattdessen Gerümpel, Staub und erdrückende Enge. Na ja, im Krankenhaus hatte er Zeit genug gehabt, sich an wenig Platz zu gewöhnen.

Da er schon mal wach war machte er sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Ein paar Kekse von gestern waren noch übrig, und nachdem er das ganze restliche Gartenzubehör vor die Tür geschafft hatte, fand er im Schrank unter der Arbeitsplatte diverse Schraubgläser. Gefüllt mit Salz, Zucker, Mehl, Honig und Nescafé! Sogar einen Wasserkocher, Dosenmilch und Gewürze entdeckte er. Das Knäckebrot in der Büchse war weich, aber noch genießbar. Verhungern würde er also nicht.

Mit dem dampfenden Getränk in der Hand inspizierte er den Garten. Die langen Schatten der Sträucher fielen auf Beete und Rabatten, die darauf warteten, dass endlich jemand die Harke in die Hand nahm. Wiesenkräuter hatten sich breit gemacht, über die schon unzählige Insekten schwirrten. Tante Marta hätte ihre Freude daran gehabt. An dem Beet mit den Erdbeeren, an den Himbeer- und Johannisbeersträuchern, und an dem kleinen Kirschbaum. Und den vielen Rosen. Sie hatte sich so etwas auch so sehr gewünscht. Wann hatte er sich eigentlich das letzte Mal von ihr in den Arm nehmen lassen? Wenn er sich wenigstens daran erinnern könnte! Hatte er ihr überhaupt ein einziges Mal gesagt, wie dankbar er ihr und Onkel Gustav für seine unbeschwerte Kindheit und Jugendzeit war? Seine Kehle zog sich zusammen. Er schaffte es nicht, die Bilder von Baumhütten, Schraubenziehern und seinem ersten selbst zusammengebastelten Moped zu verscheuchen. Auch nicht die Gedanken an Tante Martas unerschöpflichen Vorrat an Pflastern, Butterkeksen und Apfelkompott. Sie war tief verärgert gewesen, als sie für den neuen Transporter den Carport gebaut und dafür einen großen Teil ihrer geliebten Blumenbeete vernichtet hatten. Das wusste er leider noch genau. Aber das Geschäft brummte, und die Garage wurde für den immer größeren Berg an Waren benötigt, der im Laufe der Zeit zusammen gekommen war.

„Ich habe mich schon auf die Warteliste von dieser Elite-Gartenanlage setzen lassen, die nur ein paar Kilometer von hier entfernt ist“, hatte sie gedroht. „Und wenn ich dort mal drin bin, dann könnt ihr meinetwegen die Rosen vor dem Haus auch noch überdachen! Dann braucht ihr aber nicht zu glauben, dass ich dauernd da bin, um euch den Hintern abzuwischen!“

Und das würde sie nun ganz sicher nicht mehr tun. Nie mehr. Die roten Rosen vor dem Haus waren vertrocknet, und die gelben, die sie so geliebt, und die er gerettet und für sie in einen Kübel gepflanzt hatte, waren verschwunden.

Abrupt wandte er sich ab, schob seine Hand in die Hosentasche, berührte den Geldbeutel. Sechsundzwanzig Euro und einundvierzig Cent. Das war alles. Er brauchte nicht noch einmal nachzuzählen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hätte er diesen Betrag und noch viel mehr ohne groß nachzudenken, ausgegeben. Jetzt wollte er versuchen, die nächsten Tage damit über die Runden zu kommen und dazu noch Detektiv spielen. Es war einfach lachhaft.

Bisher hatte er gedankenlos in einer Welt gelebt, in der alles um einen herum Geld kostete. Nichts gab es umsonst. Ob es eine Salatpflanze war oder ein Spaten, ein Eimer oder ein Putzlappen, und erst recht nicht die eleganten Gartenstühle im schmiedeeisernen Pavillon nebenan. Auch so ein Mähroboter, wie ihn der Besitzer dieser Parzelle besaß, war teuer. Diese Sachen gehörten gewiss keinem Armen. Allein der Kugelgrill war ein Vermögen wert...


Alles aus den Fugen

Подняться наверх