Читать книгу Dash - Christina M. Fischer - Страница 6

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Der Hauptsitz des Vampirordens befand sich eine halbe Stunde mit dem Auto von Oaks entfernt. Die Gegend war vor allem bei Ärzten und Richtern beliebt. Menschen, die ihre Privatsphäre schätzten und daher die Nachbarn in Ruhe ließen. Genauso, wie sie es auch haben wollten.

Das Gebäude auf dem riesigen Grundstück mit dem malerischen Wäldchen und dem See, umfasste an die dreißig Schlafzimmer, sowie etliche Bibliotheken und Trainingsräume. Die wertvollste Anlage jedoch, war der unterirdische Komplex, in dem jene ruhten, die das Sonnenlicht nicht vertrugen, oder wo jene hingebracht wurden, deren Schreie man nicht hören sollte.

»Also, Maurice, fangen wir noch einmal von vorne an.«

Inmitten eines kleinen, gefliesten Raumes, hing ein durchschnittlich aussehender Mann von der Decke. Seine verwahrloste Gestalt verströmte einen unangenehmen Geruch. Mühsam hob er die schweren Lider. »Ich … weiß … nichts.«

Dash warf einen knappen Blick zu dem gelangweilt wirkenden Miroko und schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge, als dieser, ohne aufzusehen, den Kopf schüttelte. »Maurice, das nächste Mal sind es die Eier. Ich nehm mir zuerst deine verbliebenen zwei Finger vor, danach schneide ich dir die Eier ab.«

Ein höhnisches Lächeln erschien im angeschwollenen Gesicht des Jägers. »Leck mich!«

Ungeduldig stand der Seher auf. »Dash, lass mich mal.«

»Ich … werde trotzdem … nichts sagen«, keuchte der blutende Mann.

»Oh, keine Sorge, das musst du auch nicht«, verriet Miroko geheimnisvoll lächelnd und spreizte die Finger, woraufhin der Jäger ihn verunsichert ansah. »Bei mir reicht es aus, wenn du es weißt.«

Mit wenigen Schritten durchquerte er den dämmrig beleuchteten Raum. Das leise Rascheln seiner engen Hose war neben dem gurgelnden Abfluss das einzige Geräusch in der Kammer. Seine kühlen Fingerkuppen legten sich auf die schweißfeuchten Schläfen des Gefolterten.

»Gleich sollte ich es haben«, murmelte er konzentriert.

Dash ging zu der einzigen Couch, die sich im hinteren Teil des kahlen Raumes befand und zündete sich mit blutigen Fingern eine Zigarette an. Er hatte gerade den dritten Zug genommen, als Maurice gequält aufschrie.

»Geh weg«, brüllte der Jäger, doch er war nicht in der Lage sich zu wehren. Der dunkelhaarige Seher war in seinem Kopf, kontrollierte seine Gedanken und untersuchte akribisch jedes Detail. Normalerweise ging Miroko behutsamer vor, doch in diesem Verstand sah er Dinge, die ihn wütend machten.

Als er nach getaner Arbeit einen Schritt zurücktrat, sackte der Mann bewusstlos in sich zusammen.

»Und?« Dash zerdrückte den Zigarettenstummel und ging zu ihm.

Angewidert wischte sich der Seher die Hände an einem Handtuch ab. »Falls du ihn töten willst, so tu das. Dieser Mistkerl hat so viele von uns umgebracht, sogar Zöglinge und Kinder waren darunter.«

»Weiß er etwas über Nathan?«, wollte Dash wissen.

»Genau wie die anderen hat auch er ihn nicht gesehen, doch ich habe etwas Wichtiges herausgefunden.«

»Nämlich?«

»Nathan sucht jemanden! Der Bastard hat alle angewiesen nach einer Frau Ausschau zu halten.« Miroko schnappte sich ein Notizheft und fing an das Foto, welches er im Geist des Mannes gesehen hatte, zu skizzieren.

Dash beugte sich neugierig über seine Schulter. »Das ist keine Frau, sondern ein Balg«, stellte er schließlich fest.

»Das Foto aus seiner Erinnerung war älter«, erklärte Miroko und sah dann zufrieden hoch. »Du wolltest doch wissen, was seine Schwachstelle ist. Bingo, es ist die Kleine.«

»Trotzdem weiß ich nicht wo das Gör steckt«, murrte Dash und runzelte die Stirn, als Mirokos Blick wegen einer empfangenen Vision leer wurde.

»Geh übermorgen zur Friedensbrücke, dort wird sie entlanggehen«, murmelte der Seher und blinzelte schließlich überrascht. »Bring sie lebend hierher. Wenn sie vor ihm flieht, dann muss sie etwas über ihn wissen. Womöglich seinen Aufenthaltsort?«

Maurice gab gurgelnde Laute von sich, als er wieder zu sich kam. »Ihr … werdet ihn … nie … finden.« Blut floss ihm aus Nase und Ohren. »Nathan wird … euch … alle…«

»Blablabla.« Dash legte seine Pranke um das verletzliche Genick des Jägers und brach es mühelos. Der Mann sackte nun vollends in sich zusammen. Dumpf schlug er auf, als der Vampir die Kette löste, die ihn aufrecht gehalten hatte.

»Vielleicht sollte ich hingehen«, schlug Miroko vor, als er seinem Kampfesbruder dabei zusah, wie dieser den Toten über die Schulter warf.

»Warum? Ich muss sie doch nur hierherbringen.«

Schon, doch die Gestalt seines Hauptmannes war mehr als nur auffällig, allerdings würde Dash sich nichts sagen lassen. Acht Jahre lang jagten sie einen Mann, der mehr von ihnen tötete, als jeder andere Vampirjäger zuvor. Nathan war nicht mehr nur ein Name. Er hatte die Menschen zusammengeführt. Sie waren kein unkontrollierter Haufen mehr, dieser verdammte Mistkerl ließ sie ausbilden und trainieren und stellte Fallen auf, die so genial durchdacht waren, dass sie dadurch etliche Verluste hinnehmen mussten. Nathan war der Kopf und wenn man ihn beseitigte, dann fiel alles wieder in sich zusammen, davon waren sie überzeugt.

»In Ordnung«, sagte Miroko leise. »Pass auf dich auf.«

»Ich entsorge schnell unseren kurzweiligen Freund, dann können wir uns alle treffen«, brummte Dash und verließ die unterirdische Folterkammer.

Der Seher warf einen nachdenklichen Blick auf die gezeichnete Skizze und runzelte die Stirn. Das Foto in seiner Vision war schwarzweiß gewesen, aber kam es nur ihm so vor, oder war das linke Auge heller? Nach einem letzten Blick stand er auf und betrat schulterzuckend den langen Flur.

Auf seinem Weg zum Aufzug, begegnete er in den unteren Gängen Frost und Mikela, die den bewusstlosen Pain zwischen sich trugen. Die Gestalt des Vampirs war voller frischer Wunden, seine Hand blutbesudelt.

»Heute hat er es übertrieben«, zischte die große Kriegerin.

Mikela kam als das Kind eines Edelmannes und einer Sklavin zur Welt. Wie ihr Zwillingsbruder Kain, besaß sie hellbraune Haut, katzengrüne Augen und krause, braune Haare. Im Gegensatz zu ihrem Bruder, der seit einem Jahrhundert durch die Welt streifte, hatte sie nach ihrer Verwandlung beschlossen, bei ihrem neuen Volk zu bleiben und dem Orden als Kriegerin zu dienen.

Frost hingegen war das genaue Gegenteil von ihr. Alles an ihm war bleich. Der Albino hatte farblose, glatte Haare und blaue Augen, die hell und wässrig wirkten.

Der Mann zwischen ihnen würde als erlesene Schönheit gelten, wenn er sich nicht immerzu entstellen lassen würde, doch Pain empfand den Schmerz als Lust und wenn er ihn nicht bei der Jagd erlitt, dann suchte er Etablissements auf, die seinen Hunger danach befriedigten. Schon jetzt konnte man sagen, dass er spätestens dann den Weg zu einer dieser Einrichtungen antreten würde, wenn er keine Narben mehr trug.

»Bringt ihn in sein Zimmer«, wies Miroko sie an und betrat den Aufzug, der ihn nach oben ins Erdgeschoss brachte. Im großen Foyer traf er auf Zarakay, der soeben angekommen zu sein schien.

»Sei gegrüßt«, sprach dieser und schob sich die Kapuze zurück. Langes, flammend rotes Haar hob sich kontrastierend von dem schwarzen Stoff der Jacke ab, die er soeben auszog. »Wo ist Dash?«

»Entsorgt den Jäger«, antwortete Miroko knapp und hob eine Braue, weil sein Freund leise fluchte. »Was gibt es?«

»Ich komme gerade vom ehrenwerten Rat. Sie verlangen von Dash, sich seinem Platz gebührend zu verhalten und eine Reinblütige zu heiraten.«

Ungläubig blieb der Seher stehen. »Das kommt vom Rat? Und sie wissen auch genau von wem die Rede ist?«

Zarakay nickte kalt, die braunen Augen funkelten erbost. »Die hohen Herren glauben, dass Dash das an Stärke hat, was ihm an Hirnmasse mangelt. Sie wollen ihn durch eine reinblütige Ehefrau kontrollieren.«

»Ich bin versucht ihn das wissen zu lassen«, meinte Miroko trocken, worauf der Blick des anderen Vampires ungläubig auf ihn ruhte. »Dash wird jede Frau töten, die ihm der Rat als Gattin vorsetzt. Sollte er von dieser verdammten Anweisung erfahren, dann fürchte ich sogar, dass er den ganzen Rat dafür büßen lassen wird.«

»Durchaus möglich«, stimmte Miroko ihm zu. »Aber er ist nunmal Mordreds Nachfolger. Wir alle haben ihn gewählt, und du weißt genau wie dagegen Dash anfangs war zum Hauptmann ausgerufen zu werden. Selbst wenn ich es nicht für das Beste halte, wir müssen es ihm sagen.«

Zarakay übergab seine Jacke einem Diener, der sie in sein Zimmer legen würde. »Meldest du dich freiwillig für den Job?«

»Sehe ich aus als sei ich verrückt«, schnaubte der schlanke Vampir.«

»Also, ich tue es garantiert nicht. Dash ist verdammt jähzornig, ich halte meinen Kopf nicht hin.«

»Dann lass doch den Rat ein Schreiben anfertigen«, schlug Miroko vor. »Darin sollen sie all ihre Forderungen eintragen. Ich schätze mal, unser Hauptmann wird sich davon abhalten lassen den unschuldigen Postboten zu lynchen.«

»Wer lyncht den Postboten?« Dash trat aus dem Aufzug und steckte sich eine neue Zigarette zwischen die Lippen. Rauch haftete seiner großen Gestalt an, wahrscheinlich vom hauseigenen Krematorium, das sie dazu benutzten, um die verstorbenen Jäger zu entsorgen. Als die Stille zunahm, hob er fragend den Blick. »Was gibt es?«

»Mikela meinte, heute Abend würde es Kuchen geben.« Miroko grinste breit und streckte sich, wodurch das enge Shirt nach oben rutschte und den Nabel entblößte. Durch sein ruhiges, manchmal fast sanftes Verhalten, merkte man ihm den Krieger nicht immer an, doch jeder wusste, wie stark der Seher war. Dashs Meinung nach, wäre der Seher geeigneter gewesen sie anzuführen, doch leider hatte er da kein Mitspracherecht gehabt. Alle Mitglieder seines Ordens hatten entschieden und die Wahl war auf ihn gefallen. »Ich habe keinen Hunger. Worüber habt ihr gesprochen?«

»Frost!«, rief Zarakay aus. »Der Knabe wartet schon seit drei Wochen auf die Lieferung seines Mantels. Wir hoffen natürlich, dass er seine eiskalte Ungeduld nicht an den Überbringer auslässt.«

»Aha!« Dash rieb sich die blutigen Finger an der Hose ab und zuckte schließlich mit den breiten Schultern. »Ich nehme ein Bad.«

Die Vampire schienen erleichtert, doch Dash drehte sich nach einigen Metern wieder zu ihnen um. »Und Zarakay? Du hast gute Verbindungen zum Rat der Reinblütigen. Wir Blutkrieger dienen unserem König und sonst niemandem. Falls sie es wagen über meinen Kopf hinweg zu entscheiden, töte ich sie.«

Der rothaarige Mann erstarrte, schließlich nickte er respektvoll. »Ja, Hauptmann.«

Dash nickte zufrieden und nahm zwei Stufen auf einmal nach oben. Miroko stieß die angehaltene Luft aus und tätschelte seinem Kampfesbruder grinsend die Schulter. »Lief doch alles wunderbar.«

Ungläubig sah Zarakay dem Seher hinterher.

Für anständige Verhältnisse war es viel zu früh am Morgen, als das jemand an ihrer Wohnungstür klingeln durfte. Nat drehte sich auf den Rücken und blinzelte verwirrt zur Decke. Womöglich der Postbote? Nein, überlegte sie. Heute war Sonntag. Doch wer war es dann? Noch etwas unkoordiniert hob sie die Hand um die Bettdecke beiseite zu schieben und hielt inne, als sie Debbie, ihre Mitbewohnerin und beste Freundin, aus ihrem Zimmer kommen hörte.

»Ich gehe schon«, nuschelte diese verschlafen. Kurz darauf fluchte sie ausgiebig, weil sie sich schon wieder den Zeh am Schuhschrank angestoßen hatte.

Nat lächelte still in sich hinein und genoss es einfach mal zu faulenzen. Für einen Moment herrschte Stille, dann hörte sie ihre Freundin rennen und richtete sich beunruhigt auf. »Debbie?«

Die junge Frau stürmte in ihr Zimmer und verkroch sich unter ihrer Bettdecke.

»Es ist Amber«, erklang es dumpf durch den Stoff, weshalb Nat seufzend den Kopf schüttelte. »Du bist zwar lesbisch, aber du bist echt der Casanova in dieser Kategorie.«

Debbies dunkler Haarschopf lugte als Erstes wieder unter dem hellblauen Baumwollstoff des Bettbezuges hervor, gefolgt von dem hellen Gesicht mit den blauen Augen.

»Wir waren nur schick essen«, verteidigte sich die junge Frau ernst. »Dort habe ich erfahren auf welche Schundfilme die Kleine steht und es war aus, noch bevor es begonnen hat.«

Fragend beugte Nat sich über ihre beste Freundin. »Soll ich dir helfen?«

»Oh ja, bitte«, bat Debbie artig, worauf Nat leise lachte.

Gutgelaunt kletterte sie aus dem Bett und torkelte zur Tür, schaffte es zu ihrer Zufriedenheit sogar, sich nicht den Zeh anzuhauen. Mittlerweile klingelte es fast ununterbrochen Sturm, was ihre gute Laune allmählich vertrieb.

»Hey, lass den Unsinn«, beschwerte sie sich ungehalten und riss die Tür zum Treppenhaus auf.

Debbies Eroberung sah ganz passabel aus. Sie besaß Kurven und einen richtigen Schmollmund. Optisch gesehen, die Sorte Frau, die Debbie bevorzugte. Als Amber sie allerdings zu Gesicht bekam, blieb jener volle Mund weit offen stehen.

»Was soll der Krawall?«, beschwerte sich Nat verschlafen und rieb sich die Augen. »Es ist …« Mist, wie spät war es überhaupt? »Es ist viel zu früh für Terrorklingeln!«

»Ist Debbie da?«, fragte die Brünette verunsichert.

»Noch im Bett, wir hatten eine lange Nacht«, sagte Nat und unterdrückte ein Gähnen. Diese Frau musste nicht wissen, dass die lange Nacht aus einem Serienmarathon der Gilmore Girls bestanden hatte.

Nat trug ein kurzes Chiffon-Nachthemd, welches vorzüglich ihre wohlgeformten Brüste betonte. Debbie hatte ihr versichert recht ansehnlich darin auszusehen, selbst diese Amber verschlang sie mit Blicken. »Wer bist du?«

Die Frage war unhöflich gestellt worden, sodass Nat missbilligend die Stirn runzelte. »Debbies Freundin. Wer will das wissen?«

Ambers Augen weiteten sich, weil sie aus dieser Antwort die falsche Schlussfolgerung gezogen hatte. Wütend verzog sie den Mund. »Oh, dieses Luder!«

»Hey, sprich nicht so von ihr«, fuhr sie die junge Frau an, woraufhin ein hinterhältiges Lächeln auf dem Schmollmund erschien. »Es dürfte dich interessieren, dass dein Goldschatz sich anderweitig umsieht. Mit mir ging es auch heiß zur Sache.«

Ach, wirklich? Nat wusste das selbst, trotzt Debbies Beteuerungen, doch sie spielte die Rolle der betrogenen Freundin ziemlich gut. »Ich habe genug gehört, geh jetzt«, stieß sie bestürzt hervor und knallte der anderen Frau die Tür vor der Nase zu.

Lauschend wartete sie noch eine Weile und als sie an den Geräuschen der hohen Pumps hörte, wie sich die Brünette immer weiter von ihrer Haustür entfernte, seufzte sie erleichtert auf. Wieder in ihrem Zimmer, krabbelte sie zu Debbie unter die Decke. Diese hatte es sich bereits bequem gemacht und kuschelte sich an sie.

Ihre dunkelhaarige Freundin war hager und doch maß sie eins achtzig. Sie wirkte niemals elegant und fraulich, was ihr einen exotischen Touch verlieh. Etliche Bewunderinnen hatten ihr Herz an sie verschenkt und sich eine blutige Nase geholt, denn Debbie stand nicht der Sinn nach einer festen Beziehung. Sie liebte es sich zu amüsieren, doch wenn es ernst wurde kniff sie, das hatte Nat des Öfteren beobachten können. Seit sie zusammen waren, versuchte Debbie ernste Beziehungen zu vermeiden. In dieser Hinsicht hatten sie vieles gemeinsam. Sie vertrauten einander und hielten zusammen, doch Außenstehende hatten es schwer in diesen innigen Kreis einzudringen. Die Einzige, die das Unmögliche geschafft hatte, war Wirbelwind Emily, ihre dritte Mitbewohnerin, die vor drei Jahren nicht nur sprichwörtlich in ihr Leben gepurzelt war. Mit ihren einundzwanzig Jahren war sie das Nesthäkchen der Wohngemeinschaft und doch sah sie mehr von der Welt als sie beide.

»Sie amüsiert sich sicher in Tokyo«, murmelte Nat leise, worauf Debbie brummte, dann schloss sie die Augen und döste ein.

»Ich finde dich!«

Diese Stimme! Schaudernd versuchte Nat zu entkommen. Sie wusste, dass sie schlief und träumte, doch ihr Körper wollte einfach nicht erwachen. Was sie fürchtete, war nicht nur den Sprecher alleine, sondern auch die Erinnerung, die er mit seiner Stimme hervorrief. Gefühle, die sie tief in ihrem Inneren vergraben hatte.

Eine Hand legte sich auf ihre Wange, woraufhin sie zusammenzuckte und die Augen aufriss. Debbie blickte mitfühlend auf sie hinab. »Vielleicht solltest du Dr. Martinez anrufen«, schlug sie sanft vor.

Kopfschüttelnd barg Nat ihr Gesicht an Debbies Halsbeuge und presste die Augenlider fest aufeinander, um das helle Tageslicht zu vertreiben. »Sie kann mir nicht mehr weiterhelfen, das kann nur ich alleine.«

»Dir geht es immer noch nicht gut«, meinte ihre Freundin besorgt. »Du solltest deine Jugend genießen, mit mir ausgehen und feiern.«

»Ich bin kein Partymensch«, versuchte Nat sich herauszuwinden.

»In einem Punkt hatte er recht«, flüsterte Debbie an ihrem Ohrläppchen. »Er ist dein Erster und dein Letzter.«

Diese Worte trafen genau ins Herz. Verletzt riss Nat die Augen auf und begegnete Debbies ernstem Blick. »Warum sagst du das?«

»So leid es mir tut, aber es ist die Wahrheit.« Debbie zwang sie dazu, den Blickkontakt aufrecht zu halten. »Deswegen kann nicht einmal eine Psychiaterin dir helfen, du selbst musst den Schlussstrich ziehen.«

»Und wie? Soll ich mir einen Kerl suchen, der mir nichts bedeutet und …« Erschrocken verstummte sie, als ihre Freundin sie küsste. Ihr Mund war sanft und erfahren, doch Nat fühlte sich starr wie eine Statue. »Debbie?«

»Du weißt, dass ich dich liebe«, sagte diese leise.

Ja, aber doch nicht auf diese Weise, oder? »Ich dachte, nicht so.«

Seufzend rückte die große Frau von ihr weg und legte einen Arm über ihre Augen. »Habe ich jetzt alles kaputt gemacht, Nat? Ich möchte nicht, dass du dich deswegen von mir zurückziehst, aber ich kann mir gut vorstellen mit dir zusammen zu sein. Wir vertrauen einander und haben uns immer beschützt.«

Ja, das hatten sie. Nachdem Nat vor ihrem Bruder davongelaufen war, hatte sie Debbie auf der Straße kennengelernt, die ein ähnliches Schicksal durchlitten hatte.

Ernst setzte Nat sich auf und beugte sich über ihre Freundin, zog deren Arm beiseite, damit sie ihr in die blauen Augen sehen konnte. »Debbie, wir sind schon so lange zusammen. Wir kennen einander und du bevorzugst Frauen, insofern ist es nur normal, wenn du glaubst …«

»Jedes Mal, wenn ich neben einer Frau liege, habe ich dein Gesicht vor Augen«, gestand sie, ihr schimmernder Blick wandte sich nicht ein einziges Mal von ihr ab. »Nat, ich will dich, aber ich bin auch damit zufrieden, dich als beste Freundin zu behalten. Alles, was du mir zu geben bereit bist, nehme ich an.«

Und was war das? Hatte sie vielleicht die ganze Zeit gespürt, was ihre Freundin für sie empfand und es ignoriert?

Verwirrt schüttelte Nat den Kopf. »Debbie, ich …« Seufzend rückte sie beiseite. »Der Kuss war schön aber …«

»Du willst nichts von mir, zumindest nicht auf diese Weise«, schlussfolgerte die junge Frau enttäuscht. Nat legte sich wieder neben sie und starrte zur Decke hinauf. »Nein. Ich weiß noch nicht einmal, ob es mir möglich sein wird, jemals etwas in der Art zu empfinden. Nach ihm habe ich nie jemanden begehrt.«

Stille breitete sich zwischen ihnen aus, schließlich fing Debbie an zu lachen. »Die ganze Zeit machen wir uns etwas vor. Wir wollen ein ganz normales Leben führen, so als gäbe es unsere Vergangenheit nicht und doch ist keine von uns fähig, sich einem Mann hinzugeben. Du, wegen deines Bruders und ich, wegen meines Vaters.«

»Das findest du zum Lachen? Es ist eher zum Heulen«, entgegnete Nat trübe, stand jedoch entschlossen auf. »Los, Schlafmütze, lass uns frühstücken gehen.«

»Du bist so grausam«, beklagte sich Debbie gespielt jammernd, woraufhin Nat wieder lächeln musste, froh darüber, dass sich zwischen ihnen nichts geändert zu haben schien.

Plaudernd setzten sie sich an den kleinen, runden Tisch mit den drei Stühlen. Nat nippte nachdenklich an ihrem Cappuccino, während sie den dritten, leeren Stuhl betrachtete. »Emily hat letzte Woche nicht einmal angerufen. Die Kleine verdient eine ordentliche Standpauke, wenn sie zurückkommt.«

»Dann fällt sie uns um den Hals, gibt uns einen Kuss und alles ist vergessen«, prophezeite Debbie, die in einem Katalog blätterte.

Gegen Mittag riefen einige Arbeitskollegen an und luden Debbie ins Café ein, weshalb Nat den Rest des Tages für sich hatte.

Sie legte sich in die Badewanne und dachte noch einmal über alles nach. Sicher wäre es besser für sie, könnte sie Debbies Gefühle erwidern, doch sie fühlte nicht dasselbe. Gequält nahm sie tief Luft und tauchte unter Wasser. Sie hatte so viel Zeit bei Dr. Martinez verbracht, dass sie sicher eine Teilschuld an der Sitzhöhlung der dunkelgrünen Couch trug. Die freundliche Frau hatte versucht ihr zu vermitteln, dass sie keine Schuld an den Geschehnissen trug. Als Nathan sie zum ersten Mal verführt hatte, war das kurz nach dem Autounfall ihrer Eltern geschehen, damals war sie erst vierzehn gewesen. Sie hatte ihn geliebt und ihm vertraut. Heute wusste sie, dass Nathan ein Narzisst war, der nur die Berührung seines eigenen Fleisches ertragen konnte. Sie war die Einzige, die für ihn in Frage kam und er hatte ihre unschuldige Liebe gegen sie verwendet. Wenn sie an ihn dachte, war ihr, als könne sie ihn wieder in sich spüren und sie scheute den Gedanken an ihn, um in ihrer Entschlossenheit nicht zu wanken.

Acht Jahre waren wie im Flug vergangen. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sondern eine Frau. Aus Natalie war Nat geworden. Nathans sonst gegenwärtige Anziehungskraft befand sich nicht mehr in ihrer Nähe. Sie tat alles, damit er sie nicht fand. Zusammen mit Debbie, war sie anfangs von Stadt zu Stadt gefahren, dann, als sie Emily kennenlernten, hatten sie beschlossen sich hier, in Oaks, niederzulassen. Sie trug die braunen Haare kurz und hatte sich, so bald wie möglich, eine Kontaktlinse besorgt, um das besondere grüne Auge zu verdecken, damit sie noch unauffälliger wurde. Drei Jahre lang lebten sie schon hier, ohne von Nathan gefunden worden zu sein und es war nicht gesagt, dass es in der kommenden Zeit anders sein würde. Für ihren Bruder war sie derzeit unsichtbar und das wollte sie auch weiterhin bleiben.

Nach einer Stunde, trieb das immer kälter werdende Wasser sie aus der Wanne. Nat wickelte sich in ein Handtuch und trat vor den beschlagenen Spiegel. Mit der Handfläche wischte sie die darauf liegende Feuchtigkeit weg und erstarrte, denn der Spiegel zeigte ihr nur die Partie ihrer Augen … seiner Augen!

Wie gelähmt blickte sie hinein. Minuten vergingen und langsam zeigten sich auch die Konturen ihres Gesichtes, die hellen Wangen, die Stupsnase, ihre sinnlich geschwungenen Lippen.

»Wir sind nicht eins«, flüsterte sie schroff und wandte sich abrupt ab, um sich die braune Kontaktlinse einzusetzen, damit das verräterische grüne Auge verborgen wurde.

Da der Tag besonders schön zu werden versprach, entschloss sie sich zu einem Spaziergang. Sie hatten Ende Oktober, doch immer noch schlug das Wetter so schnell um, dass sie sich zu ihrer Jeans und einem Shirt, eine dicke Jacke anziehen musste.

Gutgelaunt verließ sie das fünfstöckige Haus, in das sie zur Miete wohnte, und betrat die Straße.

Die helle Sonne stimmte sie fröhlich. Sie sog die Luft in ihre Lungen und unterdrückte nur mühsam ein Summen. Zu dieser Jahreszeit lag ein besonderer Geruch in der Luft, ein Hauch des nahenden Winters. Das hatte sie immer gut gekonnt, zu riechen, wenn der erste Schnee nahte.

Sie liebte den Winter. Früher hatte sie als Kind mit ihrer Mutter Plätzchen gebacken und den Weihnachtsbaum geschmückt. Nathan hatte sich vehement geweigert, sie den Stern auf die Baumspitze platzieren zu lassen. Was hatten sie damals gelacht, sie waren eine normale, glückliche Familie gewesen. Natürlich hatte sie seine Blicke auf sich gespürt, die sich änderten, je älter sie wurde, doch sie hätte nie erwartet, dass er sie auf diese Weise wollte.

Als er sie genommen hatte, hätte sie sich wehren sollen und ihn abweisen müssen, aber er war der Einzige, der ihr noch geblieben war. Sie wollte ihn nicht auch noch verlieren, also hatte sie die Augen fest aufeinander gepresst und gehofft, er möge bald wieder der alte Nathan sein.

Die Schmerzen bei ihrem ersten Mal hatte sie ertragen, weil sie ihren großen Bruder liebte. Stets hatte sie sich eingeredet, dass er ebenso verwirrt sei wie sie und dass er diesen Trost bräuchte. Wie konnte sie sich ihm da verweigern?

Er hatte sich nicht geändert, nach dieser einen Nacht folgten weitere und wahrscheinlich wäre das bis heute noch so weitergegangen, denn Nathan war damals volljährig gewesen und durfte vom Gesetz her für sie sorgen.

Eines Tages waren dann unerwartet diese Männer mit den grausamen Gesichtern zu ihrem Haus gekommen und ihr Bruder hatte stundenlang mit ihnen gesprochen.

Anfangs war er nur kurz fortgeblieben, dann wurden es ganze Nächte. Sie hatte sich sonderbar gefühlt, wenn er zu ihr gekommen und sich zu ihr gelegt hatte. Ein komischer Geruch hatte ihn begleitet.

Dann, sie war die Nacht wieder alleine gewesen, hatte sie aus dem Fenster gesehen und eine bedrohliche Gestalt davor entdeckt. Noch während sie sich wundern konnte, wer das sei, wurde der Mann von etwas getroffen und war in die Knie gesunken. Sie hatte einen erschrockenen Aufschrei unterdrückt und sich die Hand auf den Mund gepresst, denn die Silhouette ihres Bruders war aus dem Schatten aufgetaucht, eine Armbrust in den Händen haltend. Damals hatte sie erfahren, wie gefährlich er war und was er des Nachts tat und begann sich zu fürchten.

Das Auftauchen dieses seltsamen Mannes schien Nathan jedoch selbst beunruhigt zu haben, denn er hatte sie zu dieser fremden Familie gebracht, wo sie sicher sein sollte, und ihr somit die Flucht ermöglicht.

In diesen acht Jahren wollte sie ihn und die Erinnerung an seine Berührungen vergessen, doch er tauchte immer wieder in ihren Gedanken auf. Vielleicht waren sie doch miteinander verbunden, auf eine ihr unverständliche kranke Art und Weise.

Unwillkürlich glitt ihre Hand zu dem grünen Auge. Hätte es nicht auch braun sein können? Vielleicht wäre Nathan dann niemals auf den Gedanken gekommen, sie so zu begehren. Unsinn! Dr. Martinez hatte so oft mit ihr gesprochen und ihr zu vermitteln versucht, dass es nicht ihre Schuld gewesen war. Langsam müsste sie es doch begriffen haben!

Ihre Füße trugen sie zu der alten Steinbrücke, deren Übergang von einem riesigen Löwen bewacht wurde.

Dafür, dass heute Sonntag war, befanden sich erstaunlich wenig Menschen auf den Straßen, überlegte sie.

Wie üblich, strich sie kurz mit den Fingern über die steinerne Flanke des Löwen, dann erst marschierte sie zu ihrem Lieblingsplatz, wo sie die Arme auf die brusthohe, steinerne Balustrade legte und ihr Kinn darauf stützte. Sie liebte den Ausblick auf das Wasser. Ständig war es in Bewegung, blieb nie an einer Stelle stehen, genau wie sie. Früher glich ihr Leben auch einem reißenden Fluss, denn sie hatte nicht gewagt irgendwo lange zu verweilen. Emily war diejenige gewesen, die Debbie und sie in einen See verwandelt hatte. Dieser Gedanke zauberte ein Lächeln auf ihren Lippen.

Die Kleine war frech, ungestüm und plapperte genau das aus, was ihr in den Sinn kam. Wie konnte man da anders, als sie zu lieben? Zwei Monate waren vergangen, blieben noch sechs, die sie in Japan verbringen wollte. Sie vermisste den kleinen Fratz, doch sie gönnte ihr auch diese Zeit. Ihre junge Freundin war ein absoluter Fan Japans und hatte über beide Backen gestrahlt, als sie die Stelle als Au-pair Mädchen bekommen hatte.

Dieses halbe Jahr würde auch vorübergehen und dann wäre ihre kleine Familie wieder komplett.

Nat wandte sich halb um und erstarrte. Zwischen den vorbeigehenden Menschen entdeckte sie am anderen Ende der Brücke eine hochgewachsene Gestalt. Da sie zu weit weg war, konnte sie das Gesicht nicht richtig erkennen, aber es handelte sich eindeutig um einen Mann und es schien, als würde er sie anstarren.

Was für ein Unsinn! Sie schalt sich eine Närrin. Dr. Martinez hatte ihr doch diese Paranoia ausgeredet. Sie hatte Nathan an jeder Straßenecke vermutet und dieser Hüne war garantiert nicht Nathan. Der Kerl maß sicher an die eins neunzig. Seine Hand war fast so groß wie ihr Kopf, noch dazu sah er aus, als wäre er in der Lage den Löwen von seinem Podest zu heben.

Auf einmal stand er nur noch zehn Meter von ihr entfernt. Sie blinzelte erschrocken, weil sie seine Bewegungen nicht gesehen hatte. Beim näheren Betrachten, stellte sie fest wie gut er aussah. Markanter Kiefer, hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und volle Lippen, die so zart geschwungen waren, dass sie am liebsten die Hand ausgestreckt hätte um sie zu berühren, weshalb sie diese schnell hinter ihrem Rücken versteckte. Einzig alleine seine Augen wurden von einer dunklen Sonnenbrille bedeckt, doch auch ohne diese wusste sie, dass er sie ansah und ihr wurde heiß.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie zögernd, worauf etwas mit ihm geschah. Sein sinnlicher Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln, das ihr Herz zum rasen brachte.

»Oh ja und wie du das kannst und wirst«, raunte er immer noch gutgelaunt.

Im nächsten Moment wurde sie gepackt und verspürte einen Ruck. Die Luft wurde ihr aus den Lungen getrieben. Sie setzte zu einem Schrei an, dann verspürte sie einen erneuten Ruck und sie befanden sich im Schatten.

Erschrocken sah sie sich um. Ihre Augen weiteten sich ungläubig. Zwanzig Meter weiter ragte ein Schornstein in den Himmel. Sie waren nicht mehr auf der Brücke und das war schier unmöglich, denn es waren nur wenige Sekunden vergangen.

Der Riese nutzte den Moment der Überraschung und warf sie mühelos über die Schulter. Zwischen den grauen, verwahrlosten Gebäuden ging er seelenruhig weiter. Dem Aussehen nach zu urteilen, musste es sich hierbei um ein Fabrikgelände handeln.

Verwirrt blickte sie sich um und versuchte zu verstehen was geschehen war. Wie konnten sie von einem Ort verschwinden und an einem anderen wieder auftauchen? Als sie einen schwarzen BMW entdeckte, arbeitete ihr Verstand endlich wieder.

»Lass mich sofort runter!« Ängstlich trommelte sie mit ihren kleinen Fäusten gegen seinen breiten Rücken. »Nein, ich will nicht! Lass mich los!«

Ihre Schläge steckte er locker weg und seine Hand um ihre Oberschenkel verhinderte, dass sie ihn trat. Plötzlich sah sie gebräunte Haut unter den hellblonden Haaren aufblitzen und beugte sich vor, um ihn zu beißen, da warf er sie so schnell zu Boden, dass sie im ersten Moment keine Luft bekam.

»Eine Wildkatze, wie?«, knurrte der Fremde und beugte sich über sie. Unerwartet legte sich etwas Kaltes auf ihr Gesicht und sie stellte empört fest, dass es eine Art Maulkorb war.

Ihre Lippen drückten beim Sprechen gegen das feste Leder. »Du Mistkerl, was willst du von mir?«, fauchte sie. Beißen konnte sie ihn zwar nicht mehr, doch wenigsten war sie noch in der Lage etwas zu sagen.

Stumm hob er sie wieder hoch und verstaute sie zu ihrer Entrüstung im Kofferraum.

»Hey!«

»Mach weiter so einen Krach und ich fessle dich«, drohte er dumpf, bevor er die Kofferraumtür zuknallte.

Nat hielt den Atem an. Im Kofferraum war genug Platz, doch vielmehr fürchtete sie was geschehen könnte, wenn sie am Ziel ihrer Reise ankamen.

Während sie ergebnislos versuchte das Ding von ihrem Gesicht zu bekommen, setzte der Wagen sich in Bewegung. Sie zwang sich dazu ruhig zu atmen und die Nerven zu behalten. Die Angst durfte nicht die Oberhand gewinnen, sonst war sie verloren.

Was, wenn dieser Kerl zu Nathan gehörte? Nun raste ihr Herz erneut.

Nein! Nicht zu ihm! Panik befiel sie. Sie trommelte und trat gegen alles, was ihr in die Quere kam. Ihr Haar verfing sich irgendwo. Es schmerzte heftig, als sie sich losriss, doch sie konnte sich nicht beruhigen.

Der Wagen stoppte, nur Sekunden danach, wurde der Kofferraum geöffnet. Ihr Entführer stand davor, ein grimmiger Zug um seinen Mund. »Offensichtlich willst du mich reizen«, warf er ihr vor. Er zog den langen Gürtel aus den Schlaufen seiner schwarzen Jeans und griff nach einem Paar Handschellen, die er aus der Hosentasche zog.

Nat atmete hektisch. Sie würde sich mit Händen und Füßen wehren, doch ehe sie richtig begriff, lag sie auf dem Bauch und fühlte, wie er den Gürtel um ihre Beine band und die Schlaufe durch ihre, schon am Rücken gefesselten Hände zog, bis ihr Oberkörper unsanft zurückgebogen wurde. Alles war so verdammt schnell vonstattengegangen, dass sie noch nicht einmal blinzeln hatte können. Fassungslos und mit großen Augen drehte sie ihm das Gesicht zu.

»Ich kann das den ganzen Tag lang machen«, versprach er, dann knallte er die Kofferraumtür zu und fuhr weiter.

Ihre Arme schmerzten, weil ihre Sehnen, der ungewohnten Haltung wegen, gedehnt wurden. Ruhig zu atmen vermochte sie in dieser Stellung auch nicht, doch das konnte sie ertragen, nur eines nicht: Die Vorstellung, dass Nathan sie wieder in den Armen hielt.

Eine gefühlte Ewigkeit später, hielt der Wagen an. Sie hörte Stimmen, dann das Rattern eines Eisentores. Erneut fuhr das Auto los, schließlich wurde der Motor ausgeschaltet und Schritte näherten sich ihr.

Nat spannte sich an, stieß die Luft aus den Lungen ohne nach neuer zu schöpfen und lauschte auf weitere Stimmen, doch es wurde nicht gesprochen.

Der Kofferraum wurde geöffnet, woraufhin sie vom hellen Sonnenlicht geblendet wurde. Der blonde Mistkerl trat davor und stützte sich mit den Händen gegen das Auto ab. »Willkommen daheim, Wildkatze«, meinte er süffisant und löste die Gürtelschlaufe von den Handschellen, damit sie sich ausstrecken konnte. Nur an einer Hand nahm er ihr die Handschellen ab und das für die kurze Zeit, die er benötigte, um sie mit den Händen nach vorne zu fesseln. Den Maulkorb ließ er dran.

Nat überlegte fieberhaft ihren nächsten Fluchtversuch. Sie wollte ihm den Kopf gegen das Gesicht rammen, doch er drehte sie grob herum. »Versuch noch einen einzigen Trick und ich schwöre dir, dass ich dich gefesselt und nackt hineintragen werde«, drohte er und sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er seine Drohung wahrmachen würde.

Mit geweiteten Augen ließ sie sich widerstandslos aus dem Wagen heben und erneut wie einen Müllsack über die Schulter werfen. Da sie sonst nichts tun konnte, beschloss sie, sich die Umgebung genau einzuprägen.

Ein großflächiger Garten erstreckte sich vor ihr. Um ihn herum erhob sich eine hohe Steinmauer, die jeden Gedanken an Flucht unmöglich machte. Dahinter sah sie die Baumwipfel eines großen Waldes.

Wasser plätscherte in ihrer Nähe, darum drehte sie den Kopf in diese Richtung. Ein Brunnen zierte den Bereich vor der großen Eingangstür. In seiner Mitte goss eine Frau aus weißem Alabaster Wasser aus einem Krug in ihn hinein.

Nat hob den Kopf und erblickte das Haus. Von der Bauart her, glich es vielmehr einem Herrenhaus, doch die Verzierungen an den Fensterrahmen, sowie die Vorhänge, gehörten eindeutig in diese Zeit.

»Tja, schätze der Spaß kann gleich losgehen«, brummte der Entführer und betrat das Haus.

Dash

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