Читать книгу Dash - Christina M. Fischer - Страница 8

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Josienne wusste nicht wie lange sie schon gefangen war. Ganz sicher mussten bereits Tage vergangen sein, seit man sie von Maurice getrennt hatte. In der Dunkelheit dieses Raumes hatte sie seinen Schreien gelauscht und entgegen ihres Willens vor Furcht gezittert. Wann würden sie zu ihr kommen, hatte sie sich gefragt und war bei jedem Geräusch zusammengezuckt, doch die Monster hielten sich zurück und kamen nicht.

Dann, Stunden waren vergangen, wurde die Tür doch noch geöffnet und sie rechnete mit Schmerzen, doch es war nur eine junge Frau. Zuerst vermutete sie, dass es sich ebenfalls um eine Gefangene handelte, allerdings waren ihre Wärter nicht so nachlässig, wie sie es gerne glauben würde. Die verdammten Blutsauger bezweckten etwas mit der Kleinen, deswegen hatten sie sie in dem Glauben gelassen von hier fliehen zu können. Verächtlich lachte sie auf. Als ob man von hier entkommen könnte, die einzige Erlösung aus diesen Ketten war der Tod.

Die schwere Eisentür glitt auf und Josiennes Kopf fuhr hoch. Im Türrahmen lehnte die Gestalt des Verfluchten.

»Hast du es gemütlich bei uns?«

Hasserfüllt beobachtete sie ihn. Der Seher dieser Monster trug ein schwarzes Netzshirt, durch das sie problemlos seine makellose Haut erkennen konnte. Viele ihrer Freunde waren bereits durch seine Hände gestorben. »Hey, das reinste Fünf-Sterne-Hotel.«

Sein voller Mund verzog sich zu einem amüsierten Lächeln, dann griff er nach einer schweren Eisenkette und ließ sie durch die Finger gleiten. Josiennes Blick ruhte auf seinen Händen, dann glitt er zu seinem langen Haar, das ihm bis zu den Hüften reichte.

Scheiße, jeder dieser Bastarde ähnelte einem Topmodel. Dieser hier wirkte sanft und feminin, war aber nicht weniger tödlicher als die anderen.

Plötzlich stand er hinter ihr und streckte die Hände aus, wie um sie zu berühren. Josienne hielt den Atem an.

»Wir lassen dich gehen«, sagte er ruhig. Ungläubig riss sie die Augen auf. »Willst du mich verarschen?«

»Du bist die einzige Person, die weiß, wie man an euren geliebten Nathan rankommt«, antwortete der Seher und zerriss mit einem Handgriff die Ketten, die sie auf diesem Stuhl gehalten hatten. Ungläubig sah sie zu ihm auf, dann schüttelte sie den Kopf. »Niemals werde ich euch zu ihm führen!«

»Gut«, sagte der Vampir lässig. »Aber du wirst ihn zu uns führen.«

Verwirrt konnte sie ihn nur anstarren, dann runzelte sie die Stirn. »Wieso sollte er das wollen?«

»Weil wir haben wonach Nathan sucht, wir haben die Kleine«, gab er ruhig von sich.

Ihr Mund blieb offen, bis es ihr auffiel und sie ihn fassungslos schloss. Deswegen hatten sie die Kleine entkommen lassen! Damit sie Nat zu Gesicht bekam! Nein, das konnte er doch nicht glauben. Sie würde garantiert nicht zu Nathan gehen und ihn hierher locken. »Leck mich!«

Unerwartet schnell lag seine helle Hand an ihrem Hals und zog sie auf die Beine. Der Verfluchte war schlanker als die anderen, verfügte jedoch über genügend Körperkraft um sie zu fixieren.

»Lass mich los, du Monster«, krächzte sie, als er Druck auf ihre Kehle ausübte.

»Wieso sollte ich? Sag es mir.«

Josienne zappelte hilflos in seinem Griff. »Es ist nicht gesagt, dass … die Kleine … die ist … die er sucht.«

»Das sollte Nathan entscheiden«, flüsterte Miroko leise und entblößte weiße Zähne. »Aber vielleicht sehnst du dich danach, dass ich etwas anhänglicher werde. Wir foltern keine Frauen, aber wir haben keine Probleme damit uns von ihnen zu ernähren.«

Angst lähmte sie. Unfähig etwas dagegen zu tun, sah sie, wie er ihrem Hals immer näher kam. Alles würde sie ertragen können, Folter und Schmerzen, aber keinen Biss.

»Nein!«, schrie sie panisch.

Der Seher lächelte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Du bekommst deine zweite Chance, Josienne, und das nur, weil du dich damals geweigert hast dieses Vampirkind zu töten.«

Josienne erstarrte unter seiner Hand, dann rötete sich ihre Haut vor Zorn. »Du hast mich gelesen!«

»Natürlich habe ich das«, antwortete er lässig. »Genau aus diesem Grund weiß ich, dass du Nathan nichts verschweigen wirst. Obwohl du noch nie sein Gesicht gesehen hast, ist deine Hingabe für ihn beinahe fanatisch. Nathan, die letzte Hoffnung der Jäger, der Held, der euch triumphieren lässt. Der euch dazu bringt, Frauen und kleine Kinder zu töten.«

Josienne stieß ein zorniges Knurren aus. »Versuch mir kein schlechtes Gewissen einzureden, du Monster. Durch deine verfluchte Gabe hast du sicher mitbekommen was Mitglieder deiner Art mir angetan haben.«

Unerwartet sanft glitt er mit den Fingern zu der Narbe an ihrem Hals, an der sie als kleines Kind beinahe gestorben wäre. Sie hatte Glück gehabt und überlebt, ihre Eltern und ihre Brüder nicht.

»Ja, ich weiß«, sagte er leise, fast sanft. »Deine Schmerzen habe ich gefühlt.«

Was wollte er damit andeuten?

»Diese Tat kann niemand von uns rückgängig machen. Allerdings hast du die Bastarde gefunden, die dir das angetan haben und du hast deine Rache bekommen.«

Nathan hatte ihr versprochen diese Vampire zu töten und er hatte Wort gehalten. Kurz nachdem sie den Jägern beigetreten war, hatte er sie zu den Mördern ihrer Familie geführt.

»Nun denn, meine kleine Jägerin, lass uns deinen Weg in die Freiheit antreten«, verkündete der Blutsauger munter, dann spürte sie einen Schlag und wurde bewusstlos.

Sie erwachte in einem Park inmitten von Gestrüpp und eisigem Gras. Josienne blinzelte und fuhr sich über die Augen. Die hoch am Himmel stehende Sonne blendete sie. Es konnte nicht später als zwei Uhr sein.

Die Blutsauger! Erschrocken sah sie sich um. Waren sie noch hier?

Vorsichtig kam sie auf die Beine. Man hatte sie in einem Gebüsch abgelegt und das offenbar erst vor Kurzem, denn sie war nicht unterkühlt.

Was sollte sie nun tun? Sie musste so schnell es ging zu Nathan, doch was, wenn diese Mistkerle nur darauf warteten, dass sie Kontakt aufnahm?

Suchend kramte sie in ihren Hosentaschen. In ihren Jeans fand sie einen Dollar und einige Cents, das musste für ein Gespräch reichen. Probehalber streckte sie die Glieder und als nichts schmerzte oder empfindlich pochte, fing sie an zu laufen.

Nach einer Weile stieß sie auf Menschen, die sie missbilligend ansahen. Sie roch nicht nur furchtbar, wahrscheinlich sah sie auch so aus, doch das war ihr egal, solange sie nur die Möglichkeit bekam mit Nathan zu sprechen.

Da! Josienne jubelte innerlich beim Anblick der Telefonzelle und legte einen Gang zu. Drinnen erfuhr sie auch, wo sie sich befand. Green-Oaks-Park, eine der größten Grünanlagen der Stadt.

Sich nervös umsehend, warf sie das Geld hinein und verdeckte beim Wählen so gut es ging die Tasten. Zuerst klingelte es so lange, dass sie schon befürchtete umsonst angerufen zu haben, dann wurde das Gespräch angenommen und eine männliche Stimme meldete sich. »Antik-Ankauf Ritscher.«

»Manny, ich bin es!«

Stille am anderen Ende der Leitung, dann: »Wo bist du?«

»Green-Oaks-Park«, rief sie aus und fluchte. »Wahrscheinlich ist es eine Falle, die Bastarde haben mich gehen lassen.«

»Warum?«

Josienne rang nach Luft, dann stieß sie diese hinaus. »Ich glaube, sie haben Natalie.«

Erneut Stille am anderen Ende, schließlich wurde der Hörer weitergereicht.

»Josienne?«

Beim Klang der charismatischen Stimme hielt sie den Atem an, dann entließ sie ihn seufzend aus ihren Lungen. »Ja.«

»Wir kommen dich holen. Halte dich in der Menschenmenge auf.«

Nathan! Nathan wollte sie retten! »Ja, mache ich«, versprach sie flüsternd, dann legte er auf.

Aufgeregt verließ sie die kleine Zelle und ging zum Zentrum des Parks, wo sich einige Artisten und Bands eingefunden hatten, die von Menschenmassen umringt wurden. Zielstrebig steuerte sie eine erhöht liegende Bank an, von der aus sie alles überblicken konnte und wartete.

Eine Stunde verging, dann entdeckte sie den ersten Jäger und je mehr Zeit verrann, umso mehr wurden es. Man erkannte sie an ihren wachsamen Blicken und der angespannten Haltung, mit der sie sich durch die Massen bewegten.

Josiennes Augen weiteten sich immer mehr. Als Manny mit großen Schritten auf sie zukam, befanden sich sicher an die fünfzig Jäger in diesem Park.

Der finster aussehende, große Mann setzte sich neben sie und zündete sich eine Zigarette an. »Hast du einen von ihnen gesehen?«

»Nein, aber das hat nichts zu sagen«, antwortete sie. »Diese Bastarde sind gewitzt.«

»Trotzdem wollen sie kein Aufsehen erregen«, brummte der Jäger und stand auf. »Komm mit.«

Das tat Josienne nur zu gerne. Gemeinsam steuerten sie auf einen unauffällig rostbraunen Van zu. Sie fühlte die Blicke der anderen Jäger im Rücken, die wachsam auf jede auffällige Aktivität achteten.

Wenige Meter vor ihrem Ziel wurde die Schiebetür des Vans geöffnet und Josienne kletterte hinein. Nathan war hier, er war gekommen um sie zu retten! Aufgeregt sah sie sich um, doch der hintere Teil des Vans war leer. »Wo ist er?«

»In Sicherheit«, brummte Manny und setzte sich neben dem Fahrer auf den Beifahrersitz. Auch wenn sie etwas enttäuscht war, so musste sie zugeben, dass Mannys Auftauchen etwas Besonderes darstellte, denn er kannte Nathan persönlich, hatte ihn gesehen und mit ihm gesprochen.

Vier Vans des gleichen Autotyps und der gleichen Farbe lösten sich aus dem Verkehr und umzingelten sie, um mögliche Verfolger zu verwirren. Minuten später, an einer Kreuzung, die sich in einer Unterführung befand, öffnete Manny die Schiebetür. Josienne sah in den anderen offenen Van.

»Los, rüber«, knurrte Manny und sie sprang in den anderen Wagen. Die Tür wurde geschlossen und beide Vans fuhren weiter.

Hier saßen wesentlich mehr Leute. Jäger, deren Gesichter sie nicht kannte, doch alle trugen sie Narben. Bei einem entdeckte sie sogar Nathans Zeichen auf dem Oberarm. Das hier war die Elite, jene Jäger, die Nathan persönlich unterstanden. Als Zeichen dafür, ritzten sie sich die Initialen seines Namens ein. Josienne erzitterte vor Sehnsucht. Wie sehr sie sich danach sehnte auch dazuzugehören.

Der Fahrer unterhielt sich mit dem Beifahrer in einer fremden Sprache. Vermutlich italienisch.

»Wo ist Maurice?« Die Sprecherin, eine dunkelhaarige Frau mittleren Alters, drehte sich zu ihr um. An ihrer Wange zog sich eine dicke Narbe nach unten.

»Tot«, flüsterte Josienne niedergeschlagen. Die andere Frau zeigte keine Regung. »Warst du bei ihm?«

Kopfschüttelnd begegnete sie ihrem kalten Blick. »Wir wurden gleich nach unserer Gefangennahme getrennt.«

»Rosita«, zischte der Fahrer, als diese erneut etwas fragen wollte. »Halt dein Maul, er will sie persönlich sprechen.«

Josiennes Herz raste. Sie würde Nathan sehen, dann kroch die Sorge erneut in ihr hoch. »Nein! Was, wenn es eine Falle ist? Ihr verfluchter Seher hat mich berührt, ich darf nicht zu ihm gebracht werden.«

»Glaubst du nicht, dass er das längst weiß?«, fragte Rosita herablassend und wandte sich ab.

Später konnte sie nicht sagen wie lange die Fahrt gedauert hatte, doch als der Wagen anhielt und sie ausstieg, war es Abend. Sie standen vor einem großen, ländlichen Bauernhof. Weiter hinten hörte sie das Wiehern von Pferden.

»Folge mir«, befahl Rosita und ging ins Haus.

Da die Nacht ziemlich kalt war, biss Josienne fest die Zähne aufeinander um ein Zittern zu unterdrücken.

»Du stinkst«, sagte die Frau und Josienne wäre ihr am liebsten an die Kehle gesprungen, doch dann besann sie sich wer das war und unterdrückte ihre Wut. »Ja, ich weiß.«

In einem kleinen Zimmer im ersten Stock, ging Rosita zu einem Schrank und warf ihr einige Klamotten zu. »Wasch dich, zieh dich an, dann komm runter zu uns.« Mit dieser knappen Anweisung verließ sie den Raum und ließ Josienne alleine.

Diese atmete tief durch. Sie war in Sicherheit, endlich und … Gott, wie sehr sie sich nach einer Dusche sehnte, doch zuallererst wollte sie die moderne Toilette in Anspruch nehmen.

Kurz darauf stand sie unter dem heißen Wasserstrahl und genoss einfach das säubernde Gefühl des Stroms auf sich, doch sie wagte nicht zu lange darunter zu bleiben. Früher als gewollt, kletterte sie aus der Dusche und trocknete sich ab.

Die Südländerin hatte ihr schwarze Jeans und ein dunkelblaues Hemd gegeben. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr wieder die alte Josienne. Ihre Haut hatte eine rosige Farbe angenommen und die blauen Augen strahlten mit den goldenen Locken um die Wette. Sie lächelte sich im Spiegel an und verzog dann gequält das Gesicht. Sie hatte hier nichts zu lachen. Maurice war tot und es konnte immer noch eine Falle sein.

Sie verließ das Bad und blieb einen Moment im Zimmer stehen. Es war wirklich geschehen. Sie war nicht tot, sondern frei und dabei hatte sie mit dem Schlimmsten gerechnet. Leise trat sie auf den Flur und ging auf die vielen Stimmen zu.

Mehrere Stufen führten nach unten ins Wohnzimmer, das auch als Küche und Speisezimmer fungierte. Inmitten des Raumes, um einen langen Tisch herum, saßen mehrere Jäger. Unter ihnen entdeckte sie Rosita. Diese hatte die Jacke abgelegt und trug darunter ein tief ausgeschnittenes Top. Neidisch starrte Josienne auf das Zeichen zwischen ihren Brüsten, das eindeutig aussagte, dass sie zu Nathans Elite gehörte.

»Komm her, Blondie.« Auffordernd klopfte Rosita neben sich und Josienne setzte sich auf die Bank.

In ihrem Inneren schrie alles danach Nathan zu sehen, doch sie zwang sich zur Ruhe und nahm das Essensangebot eines jungen Jägers an, den man zum Küchendienst verdonnert hatte. Gierig verschlang sie zwei Steaks und fünf Kartoffeln.

»Das Essen bei den Blutsaugern ist wohl nicht das Wahre gewesen«, lachte ein Mann spöttisch. Josienne wäre ihm am liebsten an die Kehle gesprungen. Tatsächlich hatten die Vampire ihr einige lecker riechende Mahlzeiten vorgesetzt, doch sie hatte irgendwelche Mittel darin vermutet und die Nahrung verweigert. Hatte dieser Witzbold überhaupt eine Ahnung wie es sich anfühlte in der Dunkelheit zu warten und den Schreien eines Kameraden zu lauschen, nicht wissend, ob der nächste Besuch in ihrer Zelle vielleicht den eigenen Tod brachte?

»Renee, halt die Klappe«, fuhr Rosita ihn an.

»Mensch, die Kleine soll sich nicht so anstellen«, grunzte der Jäger genervt, woraufhin Josienne das Besteck auf den Tisch knallte. »Die Kleine musste zufällig zuhören wie ihr Kamerad gefoltert wurde und starb«, sagte sie und die Gespräche verstummten. Sie fühlte die Blicke aller auf sich und funkelte sie streitsüchtig an.

»Josienne!« Manny, der im Eingang stand, winkte sie zu sich. Erleichtert verließ sie die auf einmal stille Runde und ging zu ihm.

Wortlos warf er ihr eine Jacke entgegen und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Dankbar schlüpfte sie in den warmen Stoff. In der kurzen Zeit, wo sie geduscht und gegessen hatte, schienen die Temperaturen noch tiefer gesunken zu sein. Ihr warmer Atem bildete helle Wölkchen im Licht der Außenlampen.

»Wir werden noch eine Weile bis zu ihm brauchen«, brummte der Jäger und führte sie zu einem Jeep.

Josienne war dankbar für die Nacht, die ihre Aufregung verbarg. Im Inneren des Wagens stank es nach Zigaretten. Sie hasste den Geruch, doch da die meisten Jäger rauchten, hatte sie gelernt ihn zu ertragen.

Manny fuhr los und strebte einen Wald an, der sich in der Nähe des Bauernhofs befand. Im Wagen blieb es still.

Josienne war aufgeregt und bedrückt. Sie befürchtete immer noch, dieser verfluchte Seher hätte sie auf eine Art manipuliert, die sie dazu bringen konnte Nathan zu schaden, doch sie wagte nicht noch einmal zu widersprechen. Ganz sicher hatte die Elite recht! Nathan rechnete mit einem Angriff und war gefeit dagegen, immerhin war er nicht umsonst ihr Anführer.

Die schweigsame Fahrt zog sich in die Länge. Am liebsten hätte sie das Radio eingeschaltet, doch Manny sah so schon grimmig genug aus und sie wollte ihn nicht noch mehr reizen. Irgendwann würde diese Fahrt zu Ende sein.

Überraschenderweise brach Manny nach einer halben Stunde das Schweigen. »Die Elite bietet dir einen Platz in ihrer Mitte an.«

Josienne erstarrte, dann sah sie ihn ungläubig an. »Wie bitte?«

»Normalerweise beinhaltet die Aufnahme bei uns sehr harte Anforderungen an den Bewerber. Du hast dich nicht bewiesen!«

Sie schluckte und öffnete den Mund. »Aber …«

»Du bist unserem Feind nicht entkommen, sondern er hat dich gehen lassen«, schnaubte Manny. »Noch nicht einmal deinen Partner konntest du retten!«

Das tat verdammt nochmal weh, doch alles was sie zu ihrer Verteidigung hervorbringen konnte, würde sich in seinen Ohren wie eine Entschuldigung anhören.

»Nichtsdestotrotz will Nathan dich haben.«

Schon wieder setzte ihr Herz vor Freude aus. Nathan wollte sie in seiner Nähe, er wollte, dass sie eine Elite-Jägerin wurde und sein Zeichen trug.

Hitze schoss ihr in die Wangen. Seit sie seine Stimme das erste Mal während einer Übertragung gehört hatte, wünschte sie sich zur Elite zu gehören. »Ich werde mir Mühe geben, Manny«, sagte sie leise, aber ernst. »Ich werde die Elite nicht enttäuschen.«

Erneut stieß er ein Schnauben aus, dann bog er auf einen schmalen Pfad ab und entfernte sich immer mehr von der Straße. »Tu das. Nathan mag dich zwar akzeptieren, doch mir gegenüber musst du dich beweisen.«

Nathan war der schlaue Kopf hinter der Organisation der Jäger, doch Manny wahrte den persönlichen Kontakt zur Elitetruppe und den anderen; er war der Verbindungsmann.

Josienne nickte um ihm zu zeigen, dass sie verstanden hatte.

Im Dunkeln der Nacht tauchten auf einmal die Umrisse einer zweistöckigen Hütte auf, vor der ein schwarzer BMW parkte.

Bei ihrer Ankunft riss die Wolkendecke auf und enthüllte die malerische Schönheit der Blocksteinhütte.

Manny hielt neben dem schwarzen Auto an und wartete. Als Josienne aussteigen wollte, packte er ihre Hand und zwar so fest, dass sie einen Schmerzenslaut ausstieß. »Manny, was …?«

»Du wirst Nathan sehen, Josienne, du wirst ihn sehen«, knurrte er. »Wenn du den Fehler begehst ihn zu verraten, werde ich dich jagen!«

»Manny ich verehre ihn«, stieß sie hervor. »Niemals würde ich sein Leben in Gefahr bringen.«

»Selbst wenn er dich abweist?«, fragte der Jäger unwirsch. »Das verletzte Herz einer Frau hat sie schon zu manch einer Dummheit verleitet.«

»Mir ist es genug ihm zu dienen«, wisperte sie, obwohl sie genau wusste, dass ihr Herz sich stets nach mehr sehnen würde.

»Denk an meine Worte«, warnte er sie drohend und ließ endlich los. »Geh hinters Haus, ich warte hier auf dich.«

Sie brauchte sich das nicht zweimal sagen zu lassen. Heftig nach Luft ringend verließ sie den Wagen und musste sich beinahe zwingen nicht zu rennen.

Die friedlichen Geräusche des Waldes lullten sie ein und nach dem Zigarettengestank, schmeckte die frische Luft süßer als jeder Wein.

Schon von weitem hörte sie ein seltsames Geräusch. Beim näherkommen definierte sie es als eine Axt, die Holz spaltete.

Jetzt nur die Ruhe, ermahnte sie sich und umrundete das Haus. Am hinteren Teil des Gebäudes befand sich ein kleiner Schuppen, vor dem sie einen schweren Holzklotz sehen konnte, doch von einem Mann war keine Spur zu finden.

Hatte er es sich vielleicht anders überlegt? Wollte er sie doch nicht treffen? Gerade als sie das dachte, trat er aus dem Schuppen und Josienne erstarrte. War das Nathan?

Ihre Augen suchten die nähere Umgebung ab, doch er war der einzige Mann hier.

Offenbar musste sie ein Geräusch verursacht haben, denn er wandte sich ihr zu. »Guten Abend, Josienne.«

Diese Stimme! Das Herz schlug ihr bis zum Hals, er kannte ihren Namen. »Hallo, Nathan.«

In diesem Moment durchbrach der Mond die Wolkendecke ganz und erhellte seine Gestalt. Der Mann vor ihr maß mindestens einsneunzig und besaß eine Haut, die im Mondlicht wie Samt schimmerte, darunter wölbten sich antrainierte Muskeln. Da er Holz gehackt hatte, hielt er das Shirt in seiner Hand und entblößte einen vollkommenen Waschbrettbauch.

Er sieht aus wie ein junger Gott, durchfuhr es sie, dann glitten ihre Augen zu seinem Gesicht. Beinahe wäre ihr ein Stöhnen entwichen. Es war makellos, die Nase genauso frech geschwungen wie die der seltsamen Frau, die sich als Nat vorgestellt hatte. Deshalb gab es keine Zweifel mehr an ihrer Identität. Die Augen konnte sie nicht erkennen, doch sein Mund war sinnlich geschwungen, die Oberlippe sogar leicht nach oben gewölbt. Als würde ihre Musterung ihn amüsieren, verzog er ihn, dann fuhr er sich durch das kurze Haar und strich es sich verschmitzt aus dem Gesicht.

Grundgütiger, er war so attraktiv, das hatte sie nicht erwartet. Sie hatte damit gerechnet, dass bei einer so fantastischen Stimme der Sprecher nur halb so anziehend aussehen könnte, doch er war einfach nur heiß. Josienne schluckte trocken und fand ihre Sprache kaum wieder. »Ist es wahr? Werde ich eine Elitejägerin?«

Nickend ging der junge Mann zu einem Fass voller Regenwasser und tauchte das Shirt hinein, fuhr sich damit über die unbehaarte Brust. Sie konnte nicht anders, als dem Verlauf der Tropfen zu folgen, die vom Bund seiner Jeans aufgesogen wurden. »Warum?«

»Lass uns hineingehen«, lud er sie ein und stieg die wenigen Stufen zu dem Hintereingang hoch. Josienne schloss für einen Moment die Augen um sich zu beruhigen, dann folgte sie ihm.

Im warmen Schein der Innenlampen, schimmerte die Haut seines Rückens wirklich wie Samt und sie bedauerte es zutiefst, als er sich ein weißes Hemd überzog.

»Möchtest du einen Kaffee?«

»Nein, danke.«

»Du kannst ruhig einen haben, ich will mir auch einen machen«, widerholte er sein Angebot freundlich.

»Dann ja, bitte.«

Erneut verzog sich dieser herrliche Mund zu einem Lächeln, bevor er in der Küche verschwand.

Sie ging tiefer in den Raum, der wohl das Wohnzimmer darstellen sollte. Die Einrichtung wirkte altmodisch, aber das wärmende Feuer im Kamin erzeugte gerade wegen dieser rustikalen Mischung eine heimische Atmosphäre.

»Setz dich doch«, erklang es aus der Küche und Josienne eilte zu dem braunroten Sofa, wo sie sich niederließ.

Nur wenige Minuten später kehrte er zurück und sie hätte sich beinahe an ihrer eigenen Spucke verschluckt, denn sie sah genau in seine Augen.

Gerüchte machten bei den Jägern schnell die Runde, doch sie hatte nicht erwartet, dass diese stimmten, dass er tatsächlich ein grünes und ein braunes Auge besaß.

»Welches gefällt dir am besten?«, fragte er sie schelmisch und stellte die Tasse vor sie hin. Unfähig etwas zu sagen, griff sie danach und verbrühte sich fast die Finger.

»Vorsicht«, warnte er sie und nahm ihr gegenüber in einem der Sessel Platz.

Josienne nippte behutsam an dem heißen Getränk, dann stellte sie die Tasse auf den Tisch. »Danke.«

Erneut ein Lächeln, dann wurde er ernst. »Erzähl mir von ihr.«

Der sehnsüchtige Klang seiner Stimme irritierte sie, sodass sie verwundert aufblickte. »Viel kann ich nicht berichten. Ich war gefesselt in dieser elenden Zelle, als sie hineinstürmte und versuchte mich zu befreien.«

»Beschreibe sie.« Eine unerklärliche Anspannung lag in seinen Worten.

»Braune Haare, braune Augen, einsfünfundsechzig groß, schlank.«

Enttäuschung tauchte in seinen Zügen auf, weswegen sie anfing sich schlecht zu fühlen. »Was ist?«

»Wenn es Natalie gewesen wäre, hättest du mir gesagt, dass sie meine Augen hat«, antwortete er leise, woraufhin sie die Stirn runzelte, dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Nein! Sie ist es!«

Überrascht erwiderte er ihren Blick. »Wieso glaubst du das?«

»Die Form deiner Nase, Dinge in deinem Gesicht, all das habe ich auch in ihrem gesehen«, antwortete sie überzeugt. »Sie nannte sich Nat und hatte unter dem Kinn ein kleines Muttermal.«

Seine Augen blitzten auf, Erregung erfasste ihn. »Ja, das Mal hat Natalie. Berichte mir von ihr. Ihre Haare, sind sie immer noch so lang?«

Kopfschüttelnd umfasste Josienne die Tasse, um ihre Finger daran zu wärmen. »Sie waren schulterlang, stufig geschnitten.«

Nathan schwieg, schließlich seufzte er. »Diese Vampire haben alles sehr genau geplant. Sie wissen, dass ich nichts unversucht lasse um sie zu retten.«

»Sie halten sie als Köder«, stieß Josienne aus. Sorge erfasste sie. »Was werden wir tun?«

Der junge Mann überlegte kurz. »Sie werden nicht wagen Natalie etwas anzutun, insofern habe ich etwas Zeit um mir einen Plan auszudenken.« Dann ruhte sein Blick auf ihr und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Josienne, ich habe meine Schwester so lange nicht gesehen.«

Langsam kam er auf die Beine und trat hinter sie, glitt mit den Fingern durch ihr Haar. »Hat sie dich berührt?«

Sie nickte mit bebenden Lippen, als er mit den Fingern über ihre Wange glitt. »Nathan …«

»Du wirst mir doch helfen sie zu retten?«, fragte er leise. Josienne sah zu ihm aufsah, dann nickte sie ergeben. »Ja, ich tue alles was du verlangst.«

Sein Lächeln vertiefte sich. »Das ist sehr liebenswürdig, ich danke dir.«

Abrupt richtete er sich auf, löste den Haut- und Blickkontakt. »Geh zu Manny, er wird dich zurückfahren.«

Als sie sah, dass er sich entfernen wollte, sprang sie auf die Füße. »Nathan?«

Überrascht wandte er sich zu ihr um. »Ja?«

Bevor sie sprach, leckte sie sich über die trockenen Lippen. »Da ich nun zur Elite gehöre …«, bittend streckte sie ihm ihre Jagdklinge entgegen, »… zeichne mich.«

Die dunklen Brauen wölbten sich überrascht, dann kam er auf sie zu und nahm ihr den Dolch aus der Hand. »Und wo willst du es haben?«, fragte er sie leise, fast schnurrend.

Sie dachte an die flache Stelle zwischen ihren Brüsten, doch sie wollte Rosita nicht nacheifern. »Hier.« Entschieden öffnete sie die ersten Knöpfe des Hemdes und legte sich eine Hand über ihr Herz.

Stumm trat Nathan hinter sie und schlang einen Arm um ihre Mitte, ehe er die kalte Schneide ansetzte. »Bist du dir sicher?«

»Bitte«, flehte sie und keuchte auf, als sie den scharfen Schnitt spürte. Quälend langsam zog sich die Klinge durch ihr Fleisch, doch sie fühlte nur die Nähe des Mannes hinter sich, seinen warmen Körper, der sich gegen ihren Rücken presste.

Viel zu schnell verging die Zeit. Als er ihr den Anfangsbuchstaben seines Namens in die Haut geritzt hatte, berührte er kurz ihren Hals mit seinen Lippen. »Danke für dein Vertrauen«, murmelte er und gab ihr die Klinge zurück. »Erweise dich würdig.«

»Ja, Nathan«, versprach sie und erschauerte, als er sich von ihr löste und die Stufen in den ersten Stock hinaufstieg.

Josienne knöpfte sich das Hemd zu. Die Wunde brannte als der Stoff dagegen rieb, aber sie ignorierte den Schmerz und ging zur Vordertür.

Manny schwieg bei ihrer Rückkehr, doch er hatte den Blutfleck auf ihrem Hemd gesehen. Stumm trat er die Rückfahrt an.

Waren denn hier alle bekloppt?

Debbie rutschte ungeduldig auf dem Besucherstuhl hin und her. Schon eine Stunde lang wartete sie darauf, dass jemand endlich etwas unternahm.

Als eine weitere halbe Stunde verging, sprang sie auf die Beine und ging zum Empfang. »Hallo?«

Der Cop dahinter sah sie irritiert an. Offensichtlich hatte er erwartet, dass sie ihn genauso ignorieren würde, wie er es die ganze Zeit über bei ihr getan hatte. »Miss?«

»Debbie«, fauchte sie. »Debbie Rowan.«

»Nun, Miss Rowan …«

»Wie lange soll ich denn hier noch warten?«, brach es wütend aus ihr hervor.

»Nun, die Bearbeitung dauert immer etwas, Miss …«

»Rowan«, fauchte sie erneut, während ihr Gesicht vor Zorn rot anlief.

»Was geht hier vor?«

Ein wesentlich erfahren aussehender Polizist kam auf sie zu.

»Vor über einer Stunde versuchte ich schon eine Vermisstenanzeige aufzugeben«, wandte Debbie sich, mühsam unter Kontrolle haltend, ihm zu.

Der ältere Cop runzelte die Stirn. »Stuart?«

»Miss Rowans Lebensgefährtin kam vor zwei Tagen nicht mehr nach Hause«, teilte er dem anderen Cop mit. Debbie wäre beinahe explodiert. Seit er gehört hatte, dass sie die Nacht vor Nats Verschwinden bei ihrer Geliebten verbracht hatte, spekulierte er sich die wildesten Dinge zusammen.

»Meine Mitbewohnerin«, korrigierte sie ihn kalt. Seine Meinung stand jetzt schon fest: Ah, schau doch. Die kleine Lesbe hat ihre Freundin verloren. Die ist sicher mit einem echten Kerl durchgebrannt und lässt es sich so richtig von ihm besorgen.

Um diese Gedanken zu hören, musste sie keine Superkräfte besitzen, dafür reichte ein einzelner Blick in sein verflucht aufgeblasenes Gesicht. Dieser Penner nahm sie noch nicht einmal ernst.

»Und weiter?«, hakte der ältere Mann nach, worauf Stuart die Sprache wegblieb.

Vielleicht gab es noch Hoffnung für diese Welt, dachte Debbie zufrieden, als der junge Cop immer verlegener wurde.

»In Ordnung. Stuart, bearbeite deine Fälle weiter, ich kümmere mich darum. Miss Rowan, begleiten Sie mich?«

Solange es ihr Nat zurückbrachte, würde sie alles tun. Ohne Stuart eines Blickes zu würdigen, folgte sie dem Cop zu einem chaotischen Schreibtisch, auf dem Manolo Perez stand.

»Nehmen Sie bitte Platz«, forderte er sie auf und Debbie setzte sich auf den harten Stuhl. Während der Cop die halbherzig angelegte Akte aufschlug und sich Stuarts Kritzeleien durchlas, konnte sie ihre Unruhe kaum noch verbergen. Wie von selbst wippte ihr Fuß auf und ab. Je mehr Minuten vergingen, umso verärgerter wurde sie. Was trödelte der Typ hier rum? Nat war in Gefahr!

In den letzten acht Jahren war ihre Freundin niemals verschwunden ohne sich abzumelden. Das hatten sie damals ausgemacht, als die Frage aufkam: Was tun, wenn plötzlich Daddy vor ihr stand?

Das gleiche Prinzip wie bei Nat: Was tun, wenn Nathan vor der Türschwelle stand?

Selbst die unwichtige Information, dass sie einen Spaziergang zur Brücke unternehmen wollte, hatte Nat ihr geschrieben und sie hatte sich nichts dabei gedacht, denn ihre Freundin ging so gerne spazieren, wie sie selbst feierte. An jenem Tag hatte sie Biancas Angebot angenommen und war mit zu ihr gegangen, um sich von ihr trösten zu lassen. Bei ihrem Erwachen war es schon Morgen gewesen und automatisch hatte sie nach ihrem Handy gegriffen. Auf ihre SMS vom Vortag hatte Nat nicht reagiert, was einen Eisball in ihrer Brust explodieren ließ. Sofort hatte sie versucht ihre Freundin anzurufen, doch niemand war rangegangen. Ab diesem Zeitpunkt war sie nicht mehr zu halten gewesen. Ohne auf Biancas bestürztes Gesicht zu achten, war sie in ihre Klamotten gesprungen und schnurrstracks nach Hause gefahren, wo sie die Wohnung leer vorgefunden hatte.

Es dauerte seine Zeit, bis sie den Mut gefunden hatte die Polizei einzuschalten.

Dank eines Hackers hatten sie vor einigen Jahren neue Identitäten angenommen. Die Summe, die sie ihm gezahlt hatten, verhalf ihm zu einem schuldenfreien Leben und ihnen zu ihrer Freiheit. Der Typ war so gut gewesen, dass die Behörden bis heute nichts gerochen hatten.

Im Normalfall hätte Debbie ihr Glück nicht überstrapaziert und die Polizei gemieden, doch dass Nat nicht zurückschrieb war nicht normal. Irgendwas war faul.

»Gut.« Der Polizist legte die Papiere weg. »Nun erklären Sie mir, warum Sie glauben, dass Ihrer Mitbewohnerin Nat Bruglia etwas zugestoßen ist.«

Eine vollkommene Lüge würde einen erfahrenen Cop misstrauisch stimmen, allerdings nicht dann, wenn sie diese mit einer Prise Wahrheit würzte. »Nats ehemaliger Freund war ein Psychopath. Er hat sie monatelang terrorisiert. Wir waren gezwungen ständig umzuziehen.«

»Sein Name?«

Hoffentlich baute sie das Lügenschloss dicht genug, damit es nicht in sich zusammenfiel. Sie hatte keine Wahl. Wenn sie diesen Bastard fanden, dann konnten sie vielleicht auch Nat finden, insofern er sie wirklich entführt hatte. »Nathan Welsch.«

Sollte Nat trotz allem doch zurückkehren, was sie jedoch nicht glaubte, dann würden sie wieder auf der Flucht sein, aber das Risiko mussten sie eingehen. Um Emily tat es ihr leid, denn entweder würde sie sich entschließen mitzugehen, oder ihre Wege würden sich trennen müssen.

Perez tippte etwas in seinem Computer. »Sein Geburtsdatum?«

Das kannte sie nicht, allerdings wusste sie, dass er vier Jahre älter war als ihre Freundin. »Er müsste sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig sein, mehr weiß ich nicht.«

Erneut gab er etwas im PC ein. »Schwer zu finden«, murmelte er.

Debbie nahm tief Luft. »Er hat zwei verschiedene Augenfarben. Das linke ist grün und das rechte braun.«

Der Mann vor ihr erstarrte, dann wandte er ihr das Gesicht zu. Sie keuchte auf, denn erst jetzt nahm sie die tiefe Narbe wahr, die sich auf seiner Wange nach unten zog. Seine Augen ruhten so intensiv auf ihr, dass ihr mulmig zumute wurde. Was? Hatte er etwas entdeckt? War sie aufgeflogen?

»Was ist los?«, fragte sie mit einem flauen Gefühl im Magen. Ihr fiel auf, dass er ziemlich stark war, seine Muskeln wölbten sich unter dem Hemd. Er sah vielmehr wie ein Straßenpolizist aus und nicht wie ein Bürohengst.

Der grimmige Zug um seinen Mund verschwand. »Beschreiben Sie ihre Freundin.«

Debbie kam der Aufforderung nach, allerdings verschwieg sie ihm den Umstand, dass Nat die gleichen Augen hatte wie ihr Bruder. In allen Personalien standen braune Augen, damit Nathan die Spur zu ihr nicht aufnehmen konnte.

Manolo Perez tippte weiter auf die Tasten, dann hörte er auf und wandte sich ihr zu. »Die Vermisstenanzeige geht sofort raus. Bei einer Meldung wie dieser ist es nötig, so schnell wie möglich Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten. Zwei Tage ist Ihre Freundin jetzt schon verschwunden, daher ist es gut, dass Sie so schnell reagiert haben. Gehen Sie nach Hause und warten Sie auf unseren Anruf. Wenn die junge Frau sich bei Ihnen meldet, benachrichtigen Sie uns bitte sofort.«

Das klang so professionell, dass Debbie erleichtert in sich zusammensackte. »In Ordnung, vielen Dank.«

»Wir tun unser Bestes um sie zu finden, Miss«, versicherte er ihr.

»Nochmals, vielen Dank.«

Er wartete ab, bis Debbie Rowan das Innere des Polizeipräsidiums verlassen hatte, erst dann griff er nach seinem Handy und wählte eine vertraute Nummer.

»Ja?«

»Manny hier«, brummte er hinein. »Wir haben ihre Spur, Nathan.«

Stille, dann vernahm er Schritte auf den Bodendielen. »Wo?«

»In Oaks.«

Ein leiser Fluch. »Die Blutsauger haben sie wirklich.«

Manny zog die Brauen zusammen. Sein Anführer zeigte selten Gefühle, vor allem keine Aufregung und Unruhe. Was diese Emotionen hervorrief, war die Sorge um seine verschwundene Schwester.

»Ihre Freundin und Mitbewohnerin, Debbie Rowan, hat sie soeben als vermisst gemeldet. Natalie hat einen anderen Namen angenommen, sie heißt jetzt Nat Bruglia.«

Ein Seufzen erklang. »Sie hat damals die Sängerin Natalie Imbruglia beinahe abgöttisch geliebt, insofern bin ich mir nun noch sicherer.«

»Hast du schon einen Plan?«, fragte der Cop.

»Ja, aber der muss noch etwas ausgefeilt werden. Ich darf mir keine Fehler erlauben«, stieß der junge Mann hervor und fluchte dann erneut. »Wenn sie ihr etwas getan haben, werde ich ihre ganze Sippe ausrotten. Jedes Weib, jedes Kind …«

Manny schwieg, bis der zornige Redeschwall endete. »Natalie hat dich nicht als Bruder angegeben und sie trägt Kontaktlinsen. Es ist durchaus möglich, dass die Blutsauger noch nicht einmal wissen, dass sie deine Schwester haben. Sie wissen nur, dass du nach ihr suchst.«

»Und das ist genauso schlimm.«

Beinahe konnte Manny ihn vor sich sehen, wie er sich die Haare raufte. Eine Geste, die äußerst selten vorkam.

»Bleib auf dem Präsidium, halte Augen und Ohren offen. Ich schicke jemanden zum Haus dieser Debbie, nur für alle Fälle. Die anderen sollen sich bemühen so viele Blutsauger zu fangen wie es geht.«

Was sich nicht so einfach gestaltete. Sie zu töten war verdammt schwer, sie lebend einzufangen grenzte an ein Wunder, doch Nathan vollbrachte diese Wunder immer und immer wieder. Er kannte ihre Schwachstellen und wusste, wie er sie verletzten konnte. Nur er ersann solch geniale Fallen, die den Jägern ihre Arbeit mehr und mehr erleichterten. »In Ordnung, Boss.«

»Bis heute Nacht«, verabschiedete sich der junge Jäger und legte auf.

Dash

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