Читать книгу Der Herzensdieb 2 - Christina Schwarzfischer - Страница 4
ОглавлениеKapitel 2
Es war eine schwüle Sommernacht und während wir am Fluss entlang die Stadt hinaus wanderten, schilderte ich Raven meinen Alptraum. „Wie romantisch!“, fing sie an, als ich fertig war. Inzwischen waren wir so weit gegangen, dass die Stadt fast außer Sichtweite war.
„Romantisch?! Was ist daran denn bitteschön romantisch?“, wollte ich mit einem sehr fraglichen Blick von ihr wissen.
„Naja,“, begann sie, „dass du es ohne mich nicht aushalten würdest und verrückt wirst.“
„Ich muss dich enttäuschen. Ich bin bereits verrückt – verrückt nach dir!“, gestand ich ihr, zog sie näher an mich heran und wir küssten uns lange im Mondschein.
Danach zog Raven ihren Schuh aus und tauchte ihre große Zehe ins Wasser des Flusses. „Das Wasser ist herrlich! Lass uns doch im Fluss baden!“, schlug sie begeistert vor.
Noch bevor ich etwas darauf sagen konnte, begann sie auch schon, sich auszuziehen. Ich machte darum dasselbe. Es war ein eigenartiges Gefühl, sich zum ersten Mal nackt gegenüber zu stehen, auch für sie, das kannte ich ihr an. Dann nahmen wir uns an der Hand und wateten langsam in das angenehm kühle Wasser hinein. Als uns das Wasser bis zum Bauch ging, ließen wir unsere die Hände wieder los und Raven startete darauf sofort eine Wasserschlacht. Wir tobten im Fluss herum, spritzen mit Wasser und lachten sehr viel, denn es machte richtig Spaß! Und als wir keine Lust mehr hatten, schwammen wir zusammen etwas herum. Dann tauchten wir zufällig genau voreinander auf. Wir umarmten uns, küssten uns, eines führte zum anderen... und wir erfuhren zum ersten Mal eine ganz neue Art, sich zu lieben...
Danach setzten wir uns bis zu den Schultern ins seichte Wasser, betrachteten den Sternenhimmel und redeten über Gott und die Welt, über unsere Träume, Wünsche und Hoffnungen und über Erkenntnisse, die wir in unserem Leben bereits hatten. Ravens Gesicht war in Mondlicht getaucht. Wassertropfen glitzerten in ihrem rabenschwarzen Haar wie tausend funkelnde Diamanten und das Flusswasser schlang sich geschmeidig um ihren zierlichen Körper, wie ein schwarzblaues wellenschlagendes Laken aus feinster Seide. Kurz gesagt, sie war so schön wie nie zuvor.
„Ich wünschte, diese Nacht würde niemals enden“, sprach ich leise aus.
„Sieh mal! Eine Sternschnuppe! Wir dürfen uns was wünschen!“, unterbrach mich Raven und ich wünschte mir, dass es zwischen Raven und mir immer so sein sollte, wie heute Nacht.
„Was hast du dir gewünscht?“, fragte ich sie. „Also ich habe mir gewünscht, dass...“
Sie hielt mich davon ab, weiter zu sprechen: „Nicht! Das darfst du doch nicht verraten, sonst gehts nicht in Erfüllung!“
„Oh, achso, das wusste ich nicht. Glaubst du wirklich, dass eine Sternschnuppe Wünsche erfüllen kann?“, fragte ich sie.
Sie lächelte. „Einen Versuch ist’s auf jeden Fall wert!“
„Da fällt mir gerade ein“, begann ich zu erzählen, „Wibke hat mal gesagt, die Sterne sind die Seelen der Verstorbenen, die nachts über die Menschen wachen, die sie gern haben, weil die ja nicht selbst auf sich aufpassen können, wenn sie schlafen.“
„Heißt das, Alessandro kann uns jetzt gerade im Moment sehen? ...Und Odo auch?!“, fragte Raven etwas entsetzt.
Ich überlegte kurz. „...Ja, laut dieser Theorie schon.“
„Dann hätten sie uns vorhin ja auch gesehen! ...Gut, dass das nur ne Theorie ist!“, atmete Raven auf.
Ich stimmte ihr zu. „Auch wenn ich weiß, dass der Herr der Diebe sich darüber gefreut hätte, wie gut wir uns verstehen, ein bisschen Privatsphäre muss einfach sein!“
Unser Gespräch setzte sich noch eine ganze Weile so fort. Doch als es dann erste Anzeichen gab, dass es langsam hell wurde, stiegen wir wieder aus dem Wasser, zogen uns an und eilten schnurstracks nach Hause. Dort angekommen, trockneten wir uns erst mal richtig ab und schlichen uns anschließend in den finsteren Schlafsaal, um niemanden zu wecken, was mir aber kläglich misslang, weil ich wegen der Dunkelheit über eine Kiste stolperte, was ziemlich laut polterte.
„Leander, bist du das?“, hörte ich Heiko verschlafen fragen. Ich bejahte leise.
„Wart ihr bis jetzt weg?!“, wunderte er sich. Darauf gaben wir keine Antwort, sondern krochen einfach wortlos zurück unter unsere Bettdecken. Besser gesagt versuchte ich es nur, doch in vollkommener Dunkelheit misslang es mir sogar, in mein Hochbett zu gelangen, darum gab ich es gerne auf und legte mich zu Raven ins Bett neben sie, wo wir uns aneinander kuschelten.
Am nächsten Morgen waren wir seltsamerweise trotz unseres nächtlichen Ausfluges hellwach. Es war Markttag, so wie in meinem Traum. Doch schon bald stellte ich zu meiner Erleichterung fest, dass es nicht so ablief, wie ich es geträumt hatte. Wie immer war ich mit Raven unterwegs. Vor einem Schild an einem kleinen Zelt am Markt blieb sie stehen. Darauf Stand: Wahrsagerin Olga - Gegen ein kleines Entgelt sage ich Euch Eure Zukunft voraus
„Komm, gehen wir mal rein!“, rief sie aufgeregt.
„Ach Raven... Das ist doch alles nur Betrügerei. Du wirst doch wohl nicht ernsthaft glauben, dass ein wildfremder Mensch etwas über uns wissen könnte. Die erzählt uns wahrscheinlich nur irgendeinen Quatsch, der auf jeden zutreffen könnte“, versuchte ich es ihr auszureden, doch Raven gab nicht nach und weil ich sie nicht verärgern wollte, standen wir bald schon im Zelt. Auf einem Stuhl saß eine nicht sehr große, dicke, alte, hässliche Frau mit Warzen im Gesicht.
„Ich habe euch bereits erwartet“, begrüßte sie uns.
„Das kann jeder sagen“, murmelte ich, worauf mir Raven einen bösen Blick zuwarf.
„Entschuldigt ihn bitte“, bat Raven. „Wir sind...“
„Sag nichts, Schatz“, unterbrach sie die Wahrsagerin liebevoll mit ihrer verrauchten Stimme, „ihr seid ein Liebespaar.“
„Gut geraten“, lobte ich sie, worauf ich erneut einen allessagenden Blick von Raven erntete.
„Und ihr seid beide eine Art von Verbrechern“, ergänzte die Wahrsagerin.
„Ist das heutzutage nicht irgendwie jeder?“, meinte ich und ignorierte Ravens giftigen Blick.
„Aber ich weiß, dass ich vor euch nichts zu befürchten habe, obwohl ich blind bin“, fuhr sie, von mir ungestört, fort. „Ich sehe alles durch mein geistiges Auge und benötige darum mein Augenlicht nicht.“
Wollte sie jetzt geheimnisvoll tun, oder was? „Und wie reist Ihr dann von Ort zu Ort, wenn Ihr blind seid? – Lasst mich raten: Durch Euer geistiges Auge?“, interessierte es mich.
„Aber nicht doch. Meine Nichte Gwendolyn sucht sich die Orte aus, führt mich dort hin und baut das Zelt für mich auf. Ich weiß am Ende aber immer, wo wir sind, noch bevor sie es mir sagen kann. Aber wenn du nicht an Wahrsagerei glaubst, dann kann ich euch auch etwas sagen, was man nicht so leicht erraten kann, nämlich eure Namen und euren Stand in der Gesellschaft.“
Da war ich ja mal neugierig, immerhin hatten wir je zwei Namen und zwei Stände.
„Ihr scheint normales Volk zu sein, jedoch stammt ihr aus hohem Adel, besonders du, Leander, oder sollte ich dich besser Prinz Amandus nennen?“ Mir stockte der Atem. „Ja, ich wusste es die ganze Zeit über, dass du überlebt hast, nachdem ich die Nachricht von deinem tragischen Tod gehört hatte. Aber das ist nichts Besonderes. Ich weiß von vielen Totgeglaubten, die noch leben. Kommen wir zu Raven, oder... komisch... ich bin mir nicht sicher... nun, einer dieser beiden Namen müsste dir ebenfalls gehören: Reinhilde oder Felizitas... Jemand scheint dir noch einen Namen gegeben zu haben... Nun, Leander, ich muss sagen es war weise von dir, zu mir zu kommen, auch wenn du erst nicht an Wahrsagerei geglaubt hast. Ich möchte euch beide nämlich warnen. Euch werden einige Prüfungen des Lebens in Sachen Durchhaltevermögen und Treue bevorstehen und dabei ist es äußerst wichtig, dass ihr zueinander ehrlich seid und einander vertraut. Nur dann wird eure Liebe diese schwierige Zeit überstehen. Eine Prüfung ist bereits angebrochen. Mehr darf ich euch darüber nicht sagen. Ach und Leander, du wirst einige Überraschungen erleben... Ich sehe, ihr habt ansonsten keine Fragen mehr“, erkannte Olga richtig.
„Stimmt“, bekam ich heraus. „Wie viel macht das?“
„So viel du willst, nicht mehr“, sagte sie. Also machte ich ihr einen guten Preis.
„Ein gütiger Verbrecher...“, redete sie vor sich hin. Doch bevor wir gingen sprach sie Raven nochmal an: „Raven, achte gut auf dich. Du solltest dich nicht überanstrengen.“