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Kompakte Dunkelheit umgibt sie. Wie sehr sie auch die Augen aufreißt und starrt, sie sieht nichts. Es riecht nach frischem Holz. Sogar der Boden der Sauna, in die man sie gesperrt hat, besteht aus neuen Holzdielen. Sie fühlt ein Astloch an ihrer Wange. Einige Tropfen Harz sind aus der Planke gequollen, als die Temperatur vorhin bis zur Hundert-Grad-Marke anstieg. Die dumpfe Finsternis, die sie umschließt, ist ganz still.

Unwillkürlich greift sie sich an den Hals, um das Kreuz zu berühren, um Kraft zu schöpfen. Da fällt ihr ein, dass sie es ihr schon vor langer Zeit weggerissen haben. Die Bewegung schmerzt, der ganze Körper tut weh.

Sie hat Todesangst, aber kämpft dagegen an. Nicht, weil ihr Leben besonders viel wert wäre, sondern weil es das ihre ist.

Eben deswegen muss sie, Irina Volkova, besonders viel Prügel einstecken. Und noch anderes, wofür ihr die Worte fehlen. Aber sie kann ihnen nicht nachgeben, nicht jetzt. Wenn sie es tut, ist es vorbei mit ihr.

Irina weiß nicht, was schlimmer ist, das Haus oder die Männer. Das Haus ist ganz neu gebaut, es duftet gut nach frisch geschlagenem Holz, das dachte sie jedenfalls, als sie zum ersten Mal hierher kam. Oder was sie glaubt, gedacht zu haben. Sie erinnert sich nicht mehr so gut daran. Das hier geht schon zu lange.

Es könnte also eigentlich ein gutes Haus sein. Aber der mannshohe Zaun um das große Grundstück deutet darauf hin, dass hier keine Güte wohnt. Die beiden Kampfhunde, die dort draußen hechelnd umherschleichen, wenn die Männer aus verschiedenen Gründen weggefahren sind, bestärken diesen Eindruck. Das Haus steht abgeschieden, geradezu einsam, umgeben von einem dichten Wald auf der einen Seite und einem braunroten Moor auf der anderen. Einmal hat sie in der Dämmerung einen Elch am Rande des Moors gesehen. Irina glaubte trotz der verschlossenen Fenster das Geräusch der enormen, auf das Wasser klatschenden Hufe zu hören, als das Tier langsam durch den Nebel schritt. Sie weiß nicht, wie es dort draußen riecht, aber sie stellt sich vor, dass es frisch und herb nach Gagel und Sumpfporst duftet.

Die Männer. Einer von ihnen ist immer dabei. Sie hat begriffen, dass er es ist, der befiehlt. Sergej. Ein Mann aus Stahl und Eiseskälte, ganz in Leder und Gold gekleidet. Wo sein Gesicht sein sollte, befindet sich nur ein schwarzes Loch. Er hat Dinge mit ihr gemacht, für die sie keine Worte kennt, für die sie keine Worte haben will. Er droht und schlägt, bis selbst eine wie sie genau das tut, was Sergej sagt und will. Bis sie gehorcht.

Oft hat er ein paar Freunde um sich. Besonders häufig einen Schatten, der Sergejs kleinstem Wink folgt, ein Mann, der ihn sich so mächtig fühlen lässt, wie er es gerne hätte. Das denkt Irina, wenn sie ab und zu im Keller, auf dem Boden der Sauna, hinwegdämmert. Sie versucht nicht daran zu denken, dass Sergej auf die Idee kommen könnte, die Sauna einzuheizen. Sie muss versuchen, von hier wegzukommen, bevor das geschieht. Sergej würde das sicher für einen glänzenden Einfall halten.

Heute ist sie allein, jedenfalls in der Sauna. Manchmal hat Sergej neue Mädchen mitgebracht, eines oder zwei auf einmal. Sie sind dann einige Tage geblieben, vielleicht eine Woche, aber immer nur genauso lange, wie es dauerte, sie zu bezwingen. Ist ihr Widerstand gebrochen, müssen sie weiter, damit Sergej keine finanziellen Verluste macht. Aber bevor die Ware weiterbefördert wird, muss sie untersucht werden, um festzustellen, ob sie gut oder schlecht ist. Sergej handelt nur mit den besten Mädchen, nichts anderem. Und um zu wissen, ob sie wirklich die besten auf dem Markt sind, muss er sie zunächst selbst testen. Das versteht sich. Sergej probiert sie immer aus, ein oder mehrere Male. Manchmal sind seine Freunde dabei. Nicht selten werden mehrere Mädchen gleichzeitig von verschiedenen Männern im selben Raum getestet.

Sie wusste, dass die Arbeit, die er ihr bot, die einer Stripteasetänzerin war. Allein das Wort ist für ein jugendliches Mädchen mit einem Kreuz um den Hals schwer in den Mund zu nehmen. Aber es gibt Gründe dafür, warum sie damals dachte, es sei gar kein so schlechter Gedanke, eher ein ganz interessanter. Sie könne es doch zumindest versuchen. Wenn es nicht gut liefe oder sie ihr dumm kämen, könne sie schließlich wieder nach Hause fahren. Wo auch immer sich ihr Zuhause befand.

Es spannt um den Mund herum, als sie in der Dunkelheit leise lacht.

Vielleicht ist sie dabei, verrückt zu werden. Wenn sie es nicht schon ist.

Nicht grübeln.

Sie schließt die Augen, zwingt sich, an einen Sonnenuntergang am Meer zu denken oder an eine paradiesische Insel mit kreideweißem Sand. Dorthin wollte sie anschließend fahren. Wenn sie überlebt hatte. Denn überleben würde sie.

Vorsichtig fährt sie mit der Zunge über die Zähne am Oberkiefer. Hoffentlich hat er ihr wenigstens keinen Zahn ausgeschlagen, als er ihr mit der Schöpfkelle, die im Eimer in der Sauna liegt, einen Schlag versetzte. Die Kelle ist dabei mittendurch gebrochen, und es fühlt sich an, als sei mit ihrem Gesicht dasselbe passiert.

»You must do as I say!«, brüllte er. Zum wievielten Mal weiß sie nicht.

In der Dunkelheit der Sauna kann niemand erkennen, dass sie rot wird. Und niemand kann ihre Tränen sehen. Natürlich wusste Irina, dass man nur mit Hilfe des Mundes Liebe machen konnte. Sie konnte sich nicht richtig vorstellen, wie es sich wohl anfühlte, aber sie glaubte, dass es sanft und weich und feucht sein müsste. Ruhig und behutsam. Sie hatte nicht gedacht, dass sie einen nach Urin stinkenden Penis, dick wie ein Telefonmast, in den Rachen geschoben bekommen würde. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass ein Mann sie festhalten könnte, während ein anderer sie erniedrigte und ein dritter dabei zuschaute. Sie hätte nie geglaubt, dass zwei andere Mädchen zur gleichen Zeit, im selben Raum, Opfer solcher Übergriffe sein würden. Nicht in ihren kühnsten Phantasien hätte sie sich ausmalen können, dass sie gezwungen werden sollte, sich nackt auf zwei anderen verschreckten Schulmädchen aus demselben Wohnviertel herumzuschlängeln, während zwei Männer mit glasigem Blick ihren Samen über sie spritzten.

Niemals hätte sie gedacht, dass sie zuerst anal vergewaltigt werden würde, um direkt im Anschluss zu Oralsex mit einem erigierten Penis gezwungen zu werden, der nicht nur nach Pisse stank, sondern auch von ihren eigenen Exkrementen verunreinigt war. Und all das wurde ihr tief in den Hals gesteckt. Wieder und wieder.

Irina Volkova erbrach sich heftig.

Sergej Björkman, kreativer Unternehmer, in verschiedenen Erwerbszweigen tätig, lachte. Der Mann ohne Gesicht.

Und hier liegt sie nun. Die Hände tasten vorsichtig nach dem Hals. Das Kruzifix ist unwiederbringlich verschwunden.

Sie hört eine Tür zuschlagen, setzt sich abrupt auf, legt sich aber wieder hin, als das Pochen im Gesicht zu stark wird. Sie spitzt die Ohren, fühlt die Angst in der Magengrube. Kommt Sergej? Ist er allein? Hat er einen Mann oder ein neues Mädchen bei sich? Fängt es wieder von vorne an? Ihr Puls rast, ihr Atem geht keuchend.

»Ich, Irina Volkova, werde aus diesem Haus herauskommen. Lebend«, zischt sie leise.

Sie muss mit sich selbst laut reden, sonst wird sie wirklich verrückt. Sie hat trotz allem einen Namen. Irina versucht, eine schöne Erinnerung wachzurufen, aber es gibt so wenige davon: Großmutters Hände, das blanke, unbenutzte Zeichenpapier und die beinahe neue Kreide, die die Großmutter auf dem Markt erstanden hatte.

Es ist ein Glück, dass Großmutter tot ist, denkt sie und erschrickt über sich selbst. Nach all dem könnte sie nie wieder ihrem Blick begegnen, ohne vor Scham und Schuldgefühl in der Erde zu versinken. Vor sich sieht sie den gesenkten Kopf der Großmutter in dem blumigen Schal, eine gelbe Wachskerze in den Händen, in ein stilles Gebet vor der Ikone vertieft.

Herr, erbarme dich meiner.

Irina wird von grellem Licht geblendet, als die Tür zur Sauna aufgerissen wird. Dort draußen steht ein Mann, den sie noch nie gesehen hat. Er lächelt aufreizend. Sie schleudert ihm den Holzeimer entgegen, und einen Moment lang sieht er erstaunt aus. Es knallt ordentlich, und er greift sich an die Stirn. Dann sieht er sie an und lacht laut.

Verschleppt

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