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Der Mann, nach dem Irina in der Sauna den Eimer geworfen hat, wird wütend, weil sie sich sträubt und nicht tut, was man ihr sagt. Sie weigert sich einfach. Woher sie die Kraft nimmt, weiß sie selbst nicht, wahrscheinlich entspringt sie gleichermaßen dem Schrecken wie der Verzweiflung.

Sie sollen mich lieber töten, als dass ich tue, was sie wollen, denkt sie und flieht aus der Sauna ins Haus hinauf. Alles Greifbare, das sie findet, schleudert sie dem Mann entgegen. Lampen, Schalen, Schuhe. Sein Lachen geht in ein immer wütenderes Fluchen über. Sergej hat es ihm schließlich erlaubt. Er wurde gewarnt, dass sie schwer zu bändigen sei, es sei beinahe unmöglich, aber erst jetzt begreift er, wie stur sie tatsächlich ist. Die kleine Hure. Warte nur, bis ich dich erwische ...

Sie verbarrikadiert sich in einem der Schlafzimmer im ersten Stock. Rechtzeitig gelingt es ihr, den Schreibtisch und das dürftige Bett vor die neue, starke Kieferntür zu schieben. Er steht davor und trommelt eine Weile dagegen, schreit und flucht fürchterlich. Verängstigt versucht sie ein Fenster aufzubekommen, aber sie sind verriegelt und lassen sich nicht öffnen, so dass sie nicht entkommen kann.

Gerade als sie bereit ist aufzugeben, sich ihrem Henker auszuliefern, hört das Wummern an der Tür auf.

»Ich hole Sergej«, ruft der Mann mit einer tiefen Stimme wie aus der Unterwelt.

Das einzige Wort, das Irina versteht, ist der verhasste Name: Sergej. Sergej kommt. Jetzt wird er mich umbringen.

Sie hört den Mann mit wütenden, trampelnden Schritten, die durch das ganze Haus hallen, die Treppe hinuntergehen. Die Flüche sind immer undeutlicher zu hören, dann schlägt die Haustür zu. Es knackt im elektronischen Schloss, das nur Sergej und seine Männer mit Hilfe eines Codes öffnen können. Durch die Haustür kommt sie niemals hinaus. Seit das Auto abgefahren ist, steht sie unbeweglich in der Stille.

Wieder sucht die Hand am Hals nach dem Kreuz, das nicht mehr dort hängt. Dann handelt sie. Mit zitternden Händen schiebt Irina das Bett und den Schreibtisch beiseite, bis ein Spalt entsteht, der groß genug ist, um hindurchzuschlüpfen. Wenn er es sich nun anders überlegt und sofort kehrtmacht? Die Beine tragen sie kaum, als sie auf bloßen Füßen die Treppe hinunter in die Küche eilt. Sie öffnet den Kühlschrank.

Das Steak, das gestern übrig war, wo ist es? Wo? Sie reißt, zerrt, eine Packung Milch kippt um, und der Inhalt fließt über ihre Hände auf den Boden. Sie muss es finden. Da! Sie nimmt das in Frischhaltefolie eingewickelte Paket und sieht sich um. Ein Wachhund bellt und starrt sie mit gesträubtem Fell durch das Küchenfenster an. Sie schluckt, aber ihr Mund bleibt trocken.

Heilige Mutter Gottes, steh mir bei. Führe mich von hier fort.

Irina wickelt die rechte Hand in ein Küchentuch und greift nach einem steinernen Kerzenhalter. Sie denkt, dass sie den Moment, da ihre Flucht entdeckt wird, so lange wie möglich hinausschieben muss, daher geht sie in das Schlafzimmer, das im Erdgeschoss auf der Rückseite des Hauses liegt. Gerade als sie den schweren Kerzenhalter gegen die Scheibe schlägt, durchzuckt sie der Gedanke, dass das Fenster vielleicht mit einem Alarm gesichert ist. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Umso größere Eile ist geboten.

Das Fensterglas gibt einen dumpfen Laut von sich, aber es lässt sich weniger leicht einschlagen, als sie vermutet hatte. Sie fühlt Panik in sich aufsteigen, legt ihre ganze Kraft in den nächsten Schlag, und das Fenster zersplittert. Falls sie sich verletzt, spürt sie es nicht. Schnell bricht sie alle Splitter heraus. Im Gras unter dem Fenster bellt der Hund wie verrückt. Sie greift nach einem Kissen und legt es auf den Fensterrahmen, um sich nicht zu schneiden.

Das Fleisch, wo ist das Fleisch? Ihre Hände zittern so sehr, dass sie es kaum schafft, das Paket zu öffnen. Sie nimmt das große Fleischstück und wirft es so weit, wie sie kann. Der Hund springt hinterher und stürzt sich darauf. Ein weiterer borstiger Hund kommt herbeigerannt, und sie beginnen, um das Fleisch zu kämpfen.

Sie fällt eher, als dass sie aus dem Fenster springt. Sieht sich nicht nach den Hunden um. Rennt, rennt, rennt auf den enormen Zaun zu. Nicht daran denken, dass es nicht klappen könnte, ich muss darüber, bevor die Hunde etwas merken, muss es schaffen. Ihre Geschwindigkeit hilft ihr, ein gutes Stück den grobmaschigen Draht hinaufzugelangen. Erst jetzt fällt ihr auf, dass sie barfuß ist, aber vielleicht ist es gut so, die Füße finden ohne Schuhsohlen zwischen sich und dem Metallnetz einen besseren Halt. Sie klettert, zieht sich empor, sieht den Stacheldraht ganz oben, nicht zurückschrecken jetzt, Jesus, hilf mir! Die Hunde haben ihren Fluchtversuch bemerkt, sie springen und schnappen nach ihr, und es scheint, als hebe sie der Schreck das letzte Stück über den Zaun hinüber. Einmal auf der Außenseite, stürzt sie beinahe senkrecht hinunter. Die Füße gehorchen nicht, die Beine wollen sie nicht tragen. Ganz in der Nähe die rasenden Hunde. Nur ein dünnes Gitter trennt sie von ihnen. Verwundert blickt sie in die rosaroten, geifernden Mäuler.

Irina steht auf, wankt. Und jetzt? Wohin, und wie weiter? Sie können jeden Augenblick kommen, der wütende Mann wird bald zurück sein, und dann hat er Sergej bei sich. Sie werden die Hunde loslassen. Diese Erkenntnis bringt sie in Bewegung. Sie hinkt eilig den Sumpf entlang. Mit einem Bein scheint etwas nicht in Ordnung zu sein, aber sie hat jetzt keine Zeit, sich darum zu kümmern. Die Jeans ist zerrissen, und ihre Hand wird blutig, als sie sich an den Schenkel fasst.

Halb in dem sumpfigen Boden versinkend rennt sie am Rande des Moors entlang, wo es unter den Bäumen rotgolden leuchtet. Noch nie zuvor hat sie so viele Preiselbeeren gesehen. Sie geht so weit ins Wasser hinein, wie sie es sich traut, damit die Hunde verwirrt werden und ihre Spur verlieren. Zum Schluss wankt sie zurück in den Wald, geht weiter und weiter, im halben Laufschritt, geduckt. Ein schmerzhaftes Pochen macht sich langsam bemerkbar, sowohl im Gesicht als auch im Bein. Sie beißt die Zähne zusammen, zwingt sich weiterzugehen. Sie gelangt an einen Schotterweg, biegt aber wieder in den Wald ab, entdeckt einen weichen, mit Baumnadeln bedeckten Pfad, folgt ihm und hofft, dass er sie zugleich fort und nach Hause führt. Sie bleibt stehen und lauscht keuchend. Alles ist still. Dann hört sie aus der Ferne Hundegebell. Holt tief Luft. Fällt auf die Knie.

Sie zwingt sich, wieder aufzustehen. Es ist zu früh, um zu danken. Sie ist noch nicht in Sicherheit. Wenn sie ihr nun folgen und sie zurückbringen.

Viola Uusitalo hat sich nie als Privatdetektivin verstanden. Sie ist nicht der Typ, der herumspioniert, findet sie zumindest selbst. Dennoch ist es eine Art Beschattung, die sie vornimmt, als sie so nahe, wie sie sich heranwagt, unweit des neuen Hauses im Moor, hinter einem großen, bemoosten Stein hockt. Stig Rönnlund traut sie keine Sekunde. Schon als Kind war er ein hoffnungsloser Fall. Heulte bei der geringsten Kleinigkeit und hing seiner Mutter am Rockzipfel.

Das Haus ist auf einer kleinen Anhöhe unmittelbar neben dem Moor errichtet. Es müssten doch noch andere außer ihr bemerkt haben, dass Holz hierher transportiert wurde, oder geschah es nachts? Die vielen Mücken und Bremsen müssen eine wahre Plage sein, wenn die Zeit kommt. Und warum brauchen sie einen so hohen Zaun? Mit Stacheldraht obendrauf? Das hier ist kein gewöhnliches Wohnhaus. Es ist nicht normal.

Sie hält die Luft an, als die Haustür auffliegt und ein großer Kerl, den sie noch nie gesehen hat, herausstürzt. Er schreit und flucht, wirft sich in den Wagen, lässt den Motor aufheulen, fährt durch das Tor, muss aber noch einmal aussteigen, um hinter sich abzuschließen. Dann lässt er zwei große Hunde frei. Sind es Wachhunde? Viola steht ganz still da, als der rote Wagen wie ein Pfeil den Schotterweg entlangschießt.

Nun ja, sie sollte jetzt wohl doch lieber verschwinden. Es könnten gefährliche Dinge sein, die hier vor sich gehen. Vielleicht sollte sie zurück zur Polizei fahren und darum bitten, mit Stigs Chef sprechen zu dürfen.

Gerade hat sie die Thermoskanne mit dem schwarzen Kaffee in den zerschlissenen, ausgebleichten grünen Baumwollrucksack gepackt, als sie ein dumpfes, klopfendes Geräusch hört, das in ein Klirren übergeht. Etwas fliegt durch das zerbrochene Fenster. Die Hunde schlagen sich wie wild darum, was auch immer es sein mag. Dann sieht Viola etwas aus dem Fenster springen und in Richtung Zaun rennen. Es muss ein Mensch sein. Er macht sich daran, den Zaun hinaufzuklettern. Violas Puls fängt an zu rasen, sie wusste doch, dass hier seltsame Dinge geschehen. Es scheint sich um ein junges Mädchen zu handeln. Nein, jetzt bemerken die Hunde es! Viola weiß nicht, wohin sie sich wenden soll, es kommt ihr wie eine Ewigkeit vor, bis das arme Mädchen an der Außenseite des Zauns hinunterfällt und liegen bleibt. Viola ist nahe daran, sich auf den Weg zu ihm zu machen, als das Mädchen aufsteht und davonhinkt, geradewegs auf das Moor zu.

»Das kann nicht gut gehen«, denkt Viola, aber folgt dem Mädchen in einiger Entfernung.

Sie muss sich beeilen, um zu sehen, welchen Weg das hinkende Mädchen ohne Schuhe einschlägt. Eine ganze Weile laufen sie tiefer in den Wald hinein, und als Viola gerade denkt, dass es nicht viel länger durchhalten wird, bricht das Mädchen zusammen. Es zittert am ganzen Körper, und Viola eilt zu ihm.

»Fürchte dich nicht«, sagt sie und streicht ihm vorsichtig über das Haar.

Das Mädchen fährt zusammen und schaut sie panisch an. Es ist schmutzig und blutet im Gesicht, eine hässliche Wunde klafft neben dem Mund.

»Kleines«, sagt Viola so sanft sie kann. »Fürchte dich nicht, Kleines.«

Tränen steigen in den Augen des Mädchens auf, das süß aussieht, aber sehr schmutzig und mager. Es ist noch ein Kind. Ein Strom russischer Wörter fließt aus seinem Mund, es ist sehr aufgeregt. Von all den Worten versteht Viola nur ein einziges. Es fällt wieder und wieder.

Sergej. Sergej. Sergej.

Viola nimmt das Kind in den Arm und wiegt es hin und her.

»Beruhige dich, beruhige dich.«

Aber das Mädchen steht auf, es ist unruhig, zeigt mit den Händen, dass jemand – Sergej – hinter ihnen her ist und jeden Moment kommen kann.

»Wir nehmen mein Fahrrad«, sagt Viola und führt das Mädchen bei der Hand.

Sie leitet es durch den Preiselbeerwald, an ihren besten Pilz- und Beerenstellen vorbei. Sie versteht, dass Eile geboten ist, auf eine Art und Weise, wie sie sie nie zuvor erlebt hat. Während sie gehen, denkt Viola darüber nach, welchen Weg sie einschlagen könnten, um zu ihrer Wohnung zu gelangen, ohne die Hauptstraße zu passieren.

Das Fahrrad steht ein Stück weit entfernt an eine Fichte gelehnt, an der Kreuzung zwischen dem breiteren Schotterweg und einem kleineren Waldweg. Einen Moment lang bleiben sie unschlüssig stehen. Sie sind zu zweit, aber es gibt nur ein Fahrrad. Das Mädchen ist es, das eine Lösung findet. Es fährt, während die alte Frau auf dem Gepäckträger sitzt.

So rollt ein ungewöhnliches Gespann durch den dichten Wald, weg von dem Haus am Moor in Richtung Stadt. Eine magere Jugendliche mit Verletzungen im Gesicht und zerrissenen Jeans tritt mühsam die Pedale des schweren alten Damenrads. Hintendrauf, auf dem Gepäckträger, sitzt eine ältere Dame, die aussieht wie ein kleiner Spatz. Der Hut auf ihren selbst gelegten graublauen Dauerwellen hüpft auf und nieder. Indem sie dem Mädchen vorsichtig einen Klaps auf die eine oder andere Seite gibt, zeigt Viola ihm, wie es fahren soll, als sie sich der Stadt nähern.

Sie ist wie Großmutter, denkt Irina. Die Heilige Mutter Gottes hat meine Not erkannt und mir einen Engel zur Hilfe geschickt. Eine kleine alte Frau. Sergej wäre ziemlich erstaunt, wenn er das wüsste.

Sie hat die gleichen Hände wie Großmutter. Hände, die Marmelade einkochen können und Pilze sammeln und den Boden schrubben und Brot backen.

Wie im Nebel fährt Irina weiter, versucht, keinen Schmerz zu empfinden. Sie bekommt Angst, als sie am Waldrand Häuser auftauchen sieht, aber die kleine Oma auf dem Gepäckträger tätschelt ihr freundlich das unverletzte Bein. Als würde sie verstehen, dass Irina sich fürchtet.

Verschleppt

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