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Der Morgen ist kühl, die Luft klar. Es dampft zwischen den Bäumen, als Åke zu seinem Hochsitz geht. Seiner Meinung nach ist die Elchjagdsaison die beste Zeit im Jahr. Da nimmt er seinen restlichen Urlaub und seine Überstunden und positioniert sich zusammen mit Lola und den Jungs vom Jagdverein im Wald. Beinahe vierundzwanzig Stunden am Tag sind sie draußen, umgeben von Mannsbildern, wilden Tieren, Waffen und Flachmännern. Mit orangefarbenen Bändern um Schirmmützen und Hüte. Besser kann man es auf dieser Welt nicht haben.

Er ist im selben Jagdverein wie Sergej Björkman, der Elchhundzüchter. Und sie jagen in Sergejs Revier. Åke hat bereits am ersten Tag ein Elchtier geschossen, aber danach blieb es beunruhigend still. Jetzt muss es bald wieder so weit sein. Sie haben aus der Ferne zwei einjährige Jungtiere gesehen. Vielleicht erwischen sie wenigstens das eine.

Åke behält Lola angeleint, aber die Hündin bleibt vor einer mächtigen Fichte stehen und markiert. Wie sehr Åke auch an der Leine zieht, der Hund will ihm nicht folgen. Er signalisiert, dass eben dort, unter der Fichte, eine erlegte Beute liegt.

Åke ärgert sich über die Hündin, bis er erkennt, dass wohl tatsächlich etwas dort liegt. Er geht in dem nassen Gras näher heran, ein paar rote Blätter bleiben an seinen grünen Stiefeln hängen. Der Hund zieht an der Leine.

Zunächst begreift er nicht, was er sieht. Er schiebt einen der untersten Zweige beiseite. Der ist steif, und die Nadeln streifen sein Gesicht. Zunächst sieht es nur nach einem Haufen alter Lumpen aus. Irgendein braun geblümter Stoff, feucht und schmutzig. Er will gerade den Zweig loslassen, als er sich aus einem Impuls heraus tiefer beugt. Die Hündin springt um seine Beine herum und ist völlig außer sich.

Auf einem Kissen wird ein Hinterkopf sichtbar, mit grauem, verworrenem Haar, und darüber liegt eine Decke; sie ist es, die geblümt ist. Er hebt die Decke am oberen Ende ein wenig an, nur um bestätigt zu bekommen, was ihm gerade klar geworden ist: Hier liegt ein toter Mensch gebettet.

Wenig später wimmelt der Wald von Menschen. Kriminaltechniker Rolf Blom ist mit dem Wagen der Spurensicherung eingetroffen, eigensinnig trägt er seine Taschen, Plastikplanen und Tüten vom Schotterweg den halben Kilometer in den Wald, wo die Leiche liegt.

»Was ist passiert?«, fragt Sergej, der mit seinen Hunden herbeikommt und eine Portion Kautabak anbietet, doch Åke lehnt ab.

»Ein Toter. Unter der Fichte liegt ein Toter.«

»Oh, verdammt«, sagt Sergej. »Wer kann das sein?«

Åke ist zu sauer, um zu antworten. Er sitzt auf einem Stein und kaut wütend auf einem Nikotinkaugummi. Das war’s dann mit der Elchjagd. Jetzt gibt es anderes zu tun, so viel ist klar, obwohl das eigentlich Mats’ Baustelle ist. Aber wie sähe das aus, wenn man einen Todesfall an den Hals bekommt, und der Polizeichef macht weiter Urlaub?

»Was ist das für ein verdammter Penner, der sich mitten im Wald unter eine Fichte legt? Hier gibt es doch keine Feuerstelle oder sonst irgendetwas«, sagt er zu Mats, der auch in den dichten Nadelwald gekommen ist. Mats hat Rolf Blom eine Zeit lang während der Arbeit über die Schulter geschaut.

»Das hier ist kein Obdachloser. Es scheint jemand zu sein, der erschlagen wurde«, erwidert Mats trocken.

»Was zum Teufel sagst du?«

Åke bindet Lola an eine junge Kiefer. Die beiden Männer nähern sich Rolf Blom, der mit seinen Planen und Plastiktüten unter der Fichte hockt.

»Gewalteinwirkung mit einem stumpfen Gegenstand am Kopf. Mehr kann ich jetzt noch nicht sagen«, sagt Rolf.

»Wer ist es denn?«

»Das ist im Moment noch schwer festzustellen. Wir müssen den Betreffenden ein wenig säubern und dann genauer anschauen.«

Sergej nimmt seine Hunde und geht zurück zum Auto.

»Wir hören voneinander«, sagt er.

»Ja«, sagt Åke.

Es blitzt zwischen den Bäumen auf. Die idiotische Fotografin von Norrbottens Allehanda hat natürlich mit ihrem verdammten Radio, das sie wahrscheinlich sogar mit ins Bett nimmt, den Polizeifunk abgehört.

»He, Sie. Verschwinden Sie jetzt.«

»Was ist passiert?«

»Wir können noch nichts sagen. Bei den Vorermittlungen herrscht Geheimhaltungspflicht, wovon Sie sicher schon gehört haben. Oder gehört haben sollten.«

Es ist eine Neue, ein mit Teleobjektiven behängtes Frauenzimmer. Wie will sie mit diesen digitalen Ungetümen fertig werden?, fragt sich Åke. Aber sie blitzt munter drauflos, und er hat den Eindruck, als würde auch er auf einen Teil der Bilder geraten.

»Wen haben Sie gefunden?«

»Kein Kommentar«, sagt Åke und treibt die Frau vor sich in Richtung Straße.

Dann fällt ihm Lola ein, und er muss noch einmal kehrtmachen. Die Fotografin nutzt sofort die Gelegenheit, näher an den Fundort heranzukommen, aber dann wird ihr Lola auf die Fersen geschickt, und schnell nimmt sie Kurs auf ihr Auto.

Åke setzt sich in seinem Dienstwagen seufzend hinter das Steuer. Es ist doch typisch, dass man nie seine verdammten Überstunden abfeiern kann, ohne dass aus dem Nichts erschlagene Leute auftauchen.

Auch im SKL, dem Staatlichen Kriminaltechnischen Laboratorium in Linköping, bricht ein Herbstmorgen an. Die Laborantin Fanny Olsson steht mit einer großen Kiste in den Händen in der Biologie, der Biologischen Abteilung. Die Kiste enthält die Kleider einer toten Person aus Nordschweden. Von dort kam ein Anruf, natürlich mit der Bitte um vorrangige Behandlung. Jeder einzelne Techniker und Untersuchungsleiter verlangt, dass gerade sein Fall schnell erledigt wird. Wenn sie wüssten, wie viel Arbeit das SKL hat. DNA-Analysen machen einen immer größeren Teil innerhalb der technischen Voruntersuchungen und der Beweisführungen der Ankläger aus. Das Volumen erhöht sich lawinenartig. In diesem speziellen Fall gibt es bisher noch keinen mutmaßlichen Täter, und dann ist es schlichtweg unmöglich, eine privilegierte Behandlung zu bekommen, das versteht sich von selbst.

Aber manchmal muss man einfach Glück haben. Fanny Olsson ist nicht nur Laborantin, sondern auch Doktorandin und Expertin für Zerfallszeiten in feuchten Milieus. Als sie daher erfährt, dass dieses Opfer in einem Wald, wenige Kilometer von einem großen Moor entfernt, gefunden wurde, bittet sie darum, die Kleider gesondert untersuchen zu dürfen. Und damit wird der Fall doch vorrangig behandelt.

Sie geht in einen der großen, hellen Räume, die ihr zur Verfügung stehen. Auf den hohen Tischen hat sie bereits meterweise gewöhnliches braunes Packpapier ausgebreitet. Vorsichtig legt sie den Inhalt der Kiste auf das Papier. Dabei entsteht ein lebendiges Bild. Ein unmoderner, zerbeulter Hut aus irgendeinem Wollstoff, ein Baumwollhemd und eine dunkelblaue Hose aus synthetischem Material, eine hellbraune, dicke Strumpfhose, die an mehreren Stellen mit braunem Garn gestopft ist, was wie lange Narben aussieht, sowie ein Paar ordentliche braune Wanderschuhe. Ein Bettlaken mit Decke und ein Kopfkissen samt Bezug befinden sich in einem anderen Karton. Die Tische sind bald voll. Fanny schaltet die tief hängenden Lampen ein und betrachtet konzentriert, was vor ihr liegt. Es sind alles praktische und funktionelle Gegenstände. Sie zieht die Latexhandschuhe höher und rückt den weißen Kittel zurecht, den sie trägt, um nicht selbst die Proben zu kontaminieren. Überall hinterlassen wir Spuren und Abdrücke, denkt sie, bevor sie sich daranmacht, die Schuhe zu untersuchen.

Verschleppt

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