Читать книгу Die Entführung der Dinharazade - Christina Wermescher - Страница 11

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Kapitel 7

Abdi hatte die ominöse Kiste eingehend untersucht und Scheherazade versichert, dass keine Gefahr von der Holzkassette ausginge, und sie dem König übergeben werden könne. Trotzdem war Scheherazade außer sich vor Sorge. Nicht nur, dass ihre geliebte kleine Schwester in die Hände eines der berüchtigtsten Männer gefallen war, von denen sie je gehört hatte. Auch sie selbst fühlte sich nicht mehr sicher. Trotz der Gefahr, die unterschwellig von ihrem Gemahl und seinem unberechenbaren Wesen ausging, hatte sie sich im Palast und der Pairidaeza immer geborgen gefühlt. Vor allem wusste sie, dass es eine Festung war, die ihren Zayriddin vor der Welt beschützte. Doch nun war der Wüstenkönig Khan Bassam völlig mühelos eingedrungen und hatte jegliches Gefühl von Sicherheit in der Luft zerrissen wie dünne Seide. Und gerade inmitten dieser Krise war Schah Rayâr nicht da. Er war zusammen mit einer Delegation, der auch ihr Vater, der Großwesir, angehörte, zu einer Verhandlung nach Buchara gereist. Natürlich hatte Scheherazade sofort nach ihm geschickt. Doch bislang war weder er selbst noch eine Nachricht von ihm aufgetaucht. Ein Glück nur, dass er heute endlich zurückerwartet wurde. Eine weitere bange Nacht ohne seine Macht und Autorität im Palast hätte Scheherazade wohl nicht überstanden. Unruhig tigerte sie vor dem großen Fenster auf und ab, von dem aus sie ihn sogleich sehen würde, wenn er heimkehrte.

Statt ihres Gemahls entdeckte sie den ersten Hauptmann der Palastwache. Scheherazade eilte die breite Treppe hinunter.

»Hauptmann, auf ein Wort!«, rief sie ihm schon von weitem entgegen. Er seufzte demonstrativ, als er sie erblickte.

»Habt Ihr meinen Gemahl über Khan Bassams Eindringen und die Entführung meiner Schwester unterrichtet, wie ich Euch aufgetragen habe?«

»Noch nicht, Majestät.«

Scheherazade hatte die Frage eher rhetorisch gemeint, um zu erfahren, wann der König zurückkommen würde. Fassungslos starrte sie den Hauptmann an.

»Wieso nicht?«, fragte sie unwirsch.

»Naja, die Nachricht wird Schah Rayâr nicht gerade erfreuen, und ich wollte ihm das große Kamelrennen heute nicht verderben.« Der Hauptmann reckte selbstsicher, fast kühn das Kinn.

Scheherazade hätte ihm wie eine Raubkatze ins Gesicht springen mögen. »Ein Feigling seid Ihr, sonst nichts!«, schrie sie ihn an. »Er wird so oder so von Eurem Versagen erfahren. Und nun erfährt er darüber hinaus noch von Eurem Versäumnis, ihn zu unterrichten! Feigheit steht dem ersten Hauptmann der Palastwache nicht gut zu Gesicht. Da wird mein königlicher Gemahl meiner Meinung sein!«

Seine Miene hatte sich förmlich versteinert, als er in überraschend ruhigem Tonfall antwortete: »In Samarqand haben seit Neustem auch Frauen das Recht, ihre eigene Meinung kundzutun. Obwohl ich es befürworte, wenn sie traditionsgemäß schweigen.«

Scheherazade schnappte empört nach Luft. Doch bevor sie den Hauptmann zurechtweisen konnte, hatte der sich bereits umgedreht und ging ohne ein weiteres Wort davon. Zorn und Verzweiflung füllten jede Faser ihres Körpers aus. Am liebsten hätte Scheherazade geschrien und gegen die Palastwände geschlagen, um ihren Gefühlen Luft zu machen. Doch diesen Triumph würde sie dem Hauptmann nicht gönnen. Sie musste Schah Rayâr sprechen und ihm die Kiste übergeben. Er würde wissen, was zu tun sei. Doch niemand aus diesem feigen und heuchlerischen Haufen von Dienern und Beratern würde ihr beistehen. Das war offensichtlicher denn je. Also borgte Scheherazade sich ein einfaches Kleid von Zayriddins Amme, verhüllte ihr Gesicht und eilte zum ersten Mal seit Monaten allein hinaus auf Samarqands Straßen.

Die ganze Stadt war auf den Beinen. Scheherazade wagte es nicht, durch die verwinkelten Seitengässchen zu streifen, wie sie es in unbeschwerteren Tagen gerne getan hatte. Und Samarqands Hauptstraßen waren vollgestopft mit Menschen. Das alljährliche Kamelrennen lockte nicht nur die Bewohner der Stadt aus ihren Häusern. Es waren auch zahlreiche Besucher gekommen, um das Spektakel zu bestaunen. Ihr Vater hatte ihr einmal erzählt, dass viele Reisende gar ihre Streckenplanung nach diesem Fest auslegten, nicht jedoch, um den Trubel zu meiden, sondern viel mehr, um sich hineinzustürzen. Es erfüllte Scheherazade mit Stolz, wie prächtig ihre Heimatstadt sich entwickelt hatte. Sie blühte und gedieh, was nicht zuletzt ihrem Gemahl zu verdanken war. Heute jedoch wäre es ihr ganz recht gewesen, Samarqand etwas weniger vollgestopft vorzufinden.

Die Händler nutzten natürlich die Gelegenheit, den Gästen und Bewohnern der Stadt allerlei Waren feilzubieten. Sie säumten die Straßen und machten mit ausladenden Gesten und lauten Rufen auf sich aufmerksam. Die Abgaben ihrer Stände würden dem Palast ein hübsches Sümmchen einbringen.

Scheherazade wurde durch die Straßen gedrückt und geschoben. Sie presste die Kiste, die Khan Bassam ihr übergeben hatte, an sich wie einen wertvollen Schatz. Womöglich hing Dinahs Leben von ihrem Inhalt ab! Bald merkte Scheherazade, dass sie am besten vorankam, wenn sie im Strom der Menschen einfach mitschwamm. So ließ sie sich schließlich durch die Stadt treiben wie ein Fisch in seinem Schwarm. Und hätte sich die Angst nicht als schwerer Klotz in ihrer Brust festgesetzt, so hätte sie das pulsierende Leben, das das Fest Samarqand eingehaucht hatte, sicherlich genossen.

Plötzlich schlug die Stimmung um. Scheherazade war, als wäre eine dunkle Wolke aufgetaucht, die auf die Gemüter drückte. Die Luft schien vor Spannung zu knistern, als würde ein heftiges Gewitter nur darauf warten, sich zu entladen. Doch am Himmel herrschte nach wie vor strahlender Sonnenschein.

Zwar war sie schon die ganze Zeit immer wieder angerempelt worden, doch die vielen Menschen waren bisher wie ein träger Strom gewesen, der sich nur in eine Richtung durch sein Flussbett wälzte. Nun wurde plötzlich in alle Richtungen geschubst. Auf Höhe einer Schenke prügelten sich ein paar junge Samarqander Burschen mit einer Reisegruppe. Aus ihrem Geschrei wurde Scheherazade nicht schlau, und womöglich wussten die Streithähne selbst nicht so genau, warum sie kämpften. Doch ihre Handgreiflichkeiten unterbrachen den friedlichen Menschenstrom. Plötzlich riefen die Leute neben ihr wild durcheinander. Scheherazade bekam einen schmerzhaften Rempler in die Rippen. Sie stolperte zurück und trat einer Frau hinter sich auf die Füße. Die jaulte auf, und schubste sie fluchend wieder nach vorn.

Ein Mann zu ihrer Linken wurde durch einen schwungvollen Kinnhaken niedergestreckt. Panisch blickte Scheherazade sich nach einem Ausweg um.

»Die Königin!«, schrie da ein Mann, dem sie direkt in die Arme lief. Er war jung, blass und schlaksig. Hätte er sie nicht enttarnt, Scheherazade hätte ihn vermutlich völlig übersehen. Zum Glück reagierte im allgemeinen Lärm niemand auf seine Rufe. Doch er ließ sich nicht beirren. Scheherazades flehende Blicke lösten bei ihm eher Belustigung statt Verständnis oder gar Mitleid aus.

»Seid doch bitte ruhig!«, zischte sie, während sie versuchte, sich trotz des Gedränges wieder von ihm zu lösen und Abstand von seiner feuchtgeschwitzten Haut zu gewinnen.

»Warum sollte ich?«, fragte er mit einem provokanten Grinsen im farblosen Gesicht. Schweiß sammelte sich in Scheherazades Nacken unter dem groben Leinentuch. Da tat sich eine kleine Lücke im Gedränge auf. Doch ehe sie sie nutzen konnte, um zu fliehen, packte der Mann sie.

»Nicht so schnell, Königin!« Er hielt sie unbarmherzig am Arm fest, dass es schmerzte.

»Lasst mich los«, knurrte Scheherazade. Sie versuchte, allen Zorn in ihre Worte zu legen, doch ihr Gegner schüttelte unbeeindruckt den Kopf.

»Es sei denn…«, fuhr er fort.

»Was wollt Ihr?«, fragte Scheherazade unwirsch.

»Gebt mir die Kiste! So wie Ihr sie an Euch drückt, muss etwas Wertvolles drin sein«, sagte er ohne Umschweife.

Scheherazade umklammerte sie fester.

»Niemals!«, stieß sie aufgebracht hervor. »Das könnt Ihr nicht verlangen, sie ist Besitz des Königs!«

»Na, umso besser!«, rief der Fremde und versuchte, ihr die Holzkiste zu entreißen.

Scheherazade hätte schreien mögen vor Anstrengung und ob der Unverfrorenheit dieses Wegelagerers. Doch sie wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So hielten sie beide die Kiste fest und zerrten daran in einem verbissenen Tanz. Ihre Finger und Arme schmerzten, doch sie würde nicht loslassen. Wollte der Kerl ihr den Kasten stehlen, so würde er sie niederschlagen oder mit hinter sich her schleifen müssen. Zum Glück war das Bürschchen nicht stärker als sie. Wäre sie an einen kräftigen Mann geraten, hätte sie wohl kapitulieren müssen. Trotzdem wurde ihr nach kürzester Zeit unangenehm warm unter dem groben Stoff ihres Kleides.

Bestimmt hatten die Leute um sie herum ihr Gerangel längst bemerkt. Doch Scheherazade wagte nicht, die Holzkiste aus den Augen zu lassen. Der Kerl wartete sicherlich nur auf einen Moment der Unachtsamkeit.

Plötzlich schob sich ein starker Arm zwischen Scheherazade und ihren Widersacher und packte ihn grob vorne am Kragen. Eine zweite Hand hielt ihm die glänzende Klinge eines Dolches an den Hals. Es war eine Waffe der Palastwache.

Die Entführung der Dinharazade

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