Читать книгу Die Entführung der Dinharazade - Christina Wermescher - Страница 8

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Kapitel 4

Angst und Faszination lieferten sich einen erbitterten Wettstreit in Dinahs Innerem. In der gewaltigen Maschine wurden sie von Dienern empfangen, die ihnen die Zügel aus den Händen nahmen, um die Pferde zu versorgen. Vier kräftige Männer und Frauen zogen die Rampe an klirrenden Ketten wieder hoch. Sie verschloss sich hinter Dinah mit einem dumpfen Geräusch, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Energisch reckte sie das Kinn vor, um sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen.

Sie verließen den kleinen Vorraum, und Khan Bassam führte sie in ein gemütlich eingerichtetes Zimmer. Seine blanken, fensterlosen Stahlwände bildeten einen irritierenden Kontrast zu den grünen und dunkelroten Samtkissen, die kreisförmig um einen niedrigen Tisch angeordnet waren. Der war mit dem Boden verschraubt, und darauf standen eine große Schale Obst und ein Wasserkrug für sie bereit. Mehrere Öllampen verströmten warmes Licht.

Der Wüstenkönig machte eine einladende Geste in Richtung des Lagers, und Dinah trat zögerlich näher. Plötzlich erzitterte der Boden unter Dinahs Füßen, als sich die Maschine in Bewegung setzte. Wenig damenhaft plumpste sie auf eines der großen Kissen. Leider hatte der Raum keine Fenster, sodass sie den Weg des Wüstenschiffes nicht nachvollziehen konnte. Die Fahrt ins Ungewisse begann.

»Ihr braucht keine Angst zu haben, Dinharazade. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, so ist es doch eine sehr angenehme Art des Reisens«, sagte Khan Bassam, während er sich neben ihr niederließ.

Dinah ließ den Blick über die metallenen Wände gleiten. Diese Maschine war wirklich ein Meisterwerk an Ingenieurskunst. »Ist das Euer geheimnisvoller Palast? Der Palast, der nicht gefunden werden kann?«

»Ihr habt also schon ein paar Geschichten über mein Volk und mich gehört«, stellte er schmunzelnd fest. »Ihr werdet sehen, das meiste davon ist Klatsch und stammt aus Samarqander Basaren und Teestuben statt aus der Wirklichkeit.« Dann schaute er sich um, als würde auch er zum ersten Mal in solch einem Wüstenschiff sitzen. »Das hier ist nur eine Kutsche, die uns in meine Oase bringen wird«, sagte er dann.

Er schenkte ihr Wasser ein und schob ihr die Obstschale hinüber. Dinahs Blick fiel auf einen leuchtend roten Granatapfel, und sofort kamen ihr die Worte ihrer Schwester wieder in den Sinn. Schnell wandte sie den Blick ab, doch in ihrem Kopf stiegen unweigerlich Bilder auf, wie Khan Bassam die Frucht mit einem Hieb seines Säbels zerteilte und sein Gesicht darin versenkte. Ihre Wangen wurden heiß.

»Aber wie so oft liegt auch ein Funken Wahrheit in der Geschichte«, nahm er das Gespräch wieder auf. Dinah versuchte sich voll und ganz auf seine Worte zu konzentrieren, um wieder Herrin ihrer Gedanken zu werden.

»Wir leben im Verborgenen, deshalb reisen wir auch gerne unter dem Wüstensand. Ein Volk, das nicht gefunden wird, hat auch keine Angreifer zu fürchten.«

»Aber die Maschine wird doch mit Dampf betrieben, wenn ich nicht irre«, warf Dinah ein. »Verrät dieser nicht ganz genau, wo das Wüstenschiff gerade durch den Sand taucht?«

Khan Bassam lächelte sie an. »Gut beobachtet! Der Dampf ist natürlich ein Risiko. Doch oft verweht ihn der Wind zu einem weitläufigen Nebel, und selbst wenn er gesehen wird, wissen die meisten sich keinen Reim darauf zu machen. Sie fürchten rachsüchtige Wüstengeister oder flüchten, weil sie denken, der Erdboden könnte sich auftun und sie verschlucken. Niemand geht der Sache auf den Grund.«

Er beugte sich vor und streckte seine Hand zur Obstschale. Dinahs Herz setzte einen Schlag aus. Doch er griff am Granatapfel vorbei und wählte eine Dattel. Sie versuchte, sich zu entspannen. Was hatte Scheherazade ihr da nur für einen dummen Floh ins Ohr gesetzt!

Sie trank einen Schluck Wasser. Erschöpft fuhr sie sich über die geschlossenen Augen.

»Es tut mir leid, Dinharazade.« Seine Stimme klang unerwartet sanft. Überrascht sah sie ihn an. Er schaute auf die Dattel in seiner Hand und presste die Lippen zusammen, als wollten die Worte nicht herauskommen. Bisher hatte er so selbstsicher gewirkt. Hatte der Wüstenkönig etwa auch eine zarte Seite, oder war das lediglich ein Versuch, sie zu manipulieren? Womöglich wollte er sie nur in Sicherheit wiegen?

Die Fragen, die sie seit dem Verlassen des Palastgartens in ihrem Hirn hin und her gewälzt hatte, sprudelten nun aus ihr heraus. »Was soll das alles? Wollt Ihr meine Familie mit dieser Geiselnahme erpressen? Sollen sie mich freikaufen?«

Khan Bassam zog die Augenbrauen zusammen. »Geld habe ich genug«, antwortete er.

Sein gekränkter Tonfall verwirrte Dinah nur noch mehr.

»Was mir fehlt, ist eine Königin«, fuhr er fort und suchte ihren Blick.

Verständnislos starrte sie ihn an.

»Immer, wenn ich Euch sehe, muss ich daran denken, wie es wäre, Euch an meiner Seite zu haben«, sagte er leise.

Dinah schnappte ungläubig nach Luft.

»Ihr seid ja vollkommen verrückt! Denkt Ihr tatsächlich, Ihr könntet meine Liebe erzwingen, indem Ihr mich gegen meinen Willen entführt?« Mit jedem Wort schraubte sich ihre Stimme in höhere Tonlagen hinauf. Khan Bassam hob abwehrend die Hände.

»Natürlich will ich Eure Liebe nicht erzwingen! Aber hättet Ihr mein Werben denn gehört? Hättet Ihr Euch aller Vorurteile zum Trotz die Mühe gemacht, mich kennenzulernen, mich, den Barbaren aus der Wüste?« Er sah sie herausfordernd an. Seine Selbstsicherheit war zurückgekehrt.

Dinah setzte zu einer trotzigen Antwort an. Doch dann klappte sie den Mund wieder zu. Wenn sie ehrlich war, so hatte er durchaus recht. Von Anfang an hatte er ihr gefallen, doch wenn sie an die Standpauke ihrer Mutter dachte, fühlte sie sich noch immer unwohl. Vermutlich hätte sie sich wirklich durch ihre Eltern und die Stimmen, die in Samarqands Straßen allerlei Geschichten über diesen Mann flüsterten, beeinflussen lassen. Der Name Khan Bassam wurde in ihrer Heimat durchaus in Ehrfurcht ausgesprochen. Doch diese Ehrfurcht war nicht aus Respekt geboren, sondern aus Angst. Ihre Eltern hätten es niemals akzeptiert, dass ihr ein Mann den Hof machte, von dem man sich erzählte, dass er seinen Feinden die Köpfe abschlug und sie den Wüstengeistern als Opfergabe darbrachte. Sie mochte es sich kaum eingestehen, doch was er sagte, war nicht so absurd, wie es im ersten Moment klang.

Khan Bassam lehnte sich seufzend zurück. Mit ihrem Schweigen hatte sie seine Befürchtungen bestätigt und ihm indirekt recht gegeben. Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Dinah lauschte dem Stöhnen der gigantischen Maschine, in deren Inneren sie sich befanden, und dachte angestrengt über diese wahnwitzige Situation nach. Durch sein Geständnis hatte Khan Bassam etwas von seiner Bedrohlichkeit verloren, wenngleich er nach wie vor einen respekteinflößenden Eindruck auf Dinah machte.

Auch ein Funken Wut war aufgeflammt in dem Sammelsurium aus Emotionen, das in ihrer Brust rotierte. Mochten seine Absichten auch nicht die Schlechtesten sein, so war er doch gewaltsam in den Palastgarten eingedrungen, hatte ihre Schwester und den kleinen Zayriddin bedroht und sie entführt.

Ihre Gefühle und Gedanken beschäftigten sie so sehr, dass sie nicht bemerkte, wie schnell die Zeit verging. Erst als das Zittern und Ächzen um sie herum abebbte, wurde ihr klar, dass sie eine ganze Weile unterwegs gewesen waren.

»Wo sind wir?«, fragte sie.

»Am Palast, der nicht gefunden werden kann.« Er erhob sich und reichte ihr die Hand. Dinah ignorierte sein Angebot, ihr aufzuhelfen, mit trotzigem Blick. Wenn er dachte, sie würde ihm nach einem kleinen emotionalen Plausch gleich alles andere nachsehen, so hatte er sich gründlich getäuscht. Im Augenwinkel meinte sie, ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehen. Dinah fühlte sich provoziert, doch sie versuchte, das zu ignorieren. Dieser Mann war wirklich anders als die Männer ihrer Heimatstadt. Zumindest in diesem Punkt hatten die Samarqander Flüsterstimmen nicht übertrieben.

Sie gingen in den Vorraum zurück, in dem ihnen beim Beginn ihrer Reise die Pferde abgenommen worden waren. Von den Tieren sah sie keine Spur, doch die Männer und Frauen, die für das mächtige Stahltor zuständig waren, hatten bereits Stellung bezogen. Die Ketten klirrten, und die Rampe setzte sich knirschend in Bewegung. Der Spalt, der bislang nur einen Streifen des Himmels zeigte, wurde mit quälender Langsamkeit breiter. Dinah stellte sich gespannt auf die Zehenspitzen, um so bald wie möglich einen Blick auf ihren Zielort zu erhaschen. Was würde sie jetzt wohl erwarten?

Die Entführung der Dinharazade

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