Читать книгу Die Entführung der Dinharazade - Christina Wermescher - Страница 9

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Kapitel 5

Das Tor des Wüstenschiffes gab den Blick frei auf eine blühende und betriebsame Oase, die durch die tiefstehende Sonne in goldenes Licht getaucht wurde.

»Willkommen in Morwaride Kawir.« Khan Bassams Stimme klang warm wie die Abendsonne. Er schien diesen Ort zu lieben. Und Dinah konnte das auf den ersten Blick durchaus verstehen. Als das Ende der großen Metallrampe auf dem Wüstensand auftraf, gingen sie darauf hinunter, und Dinahs Blick wurde eingefangen von einer Allee aus zartblühenden Tamarisken, die den Weg zur Oase säumten.

Soweit Dinah sehen konnte, bestand der Ort überwiegend aus großen Gärten. Neben den verschiedensten Früchten, die dort angebaut wurden, entdeckte Dinah auch geheimnisvolle, runde Spiegel, die das Licht der Abendsonne reflektierten. Sie erkannte Dattelpalmen in der Ferne, allerlei Gemüsesorten und einen duftenden Garten mit Zitronen- und Orangenbäumen. In seiner Mitte befand sich ein Lager aus großen Kissen in leuchtenden Farben, die unter einem sonnengelben Stoffsegel zum Verweilen einluden.

Dinah hatte die Wüste immer für karg und unwirtlich gehalten. Eine solch lebendige Pracht inmitten endloser Sanddünen raubte ihr den Atem. Beeindruckt schaute sie sich weiter um. Hinter einem weitläufigen Garten, in dem Paprika und Auberginen leuchteten, zog das Klirren von Säbeln ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die fließenden Bewegungen der Krieger und Kriegerinnen, die dort gerade trainierten, glichen mehr einem Tanz als einem Kampf.

Schließlich erreichten sie eine Gruppe üppig tragender Mandelbäume. Den Mittelpunkt dieser Idylle bildete ebenfalls ein Kissenlager. Doch im Gegensatz zu dem im Garten der Zitrusfrüchte, war es in Rosé- und Erdtönen gehalten. Ein niedriger dunkler Holztisch stand reich gedeckt bereit. Aus dem Rohr eines silbernen Samowars stieg dichter Rauch auf, und Dinah musste sofort an ihren Freund Abdi und seinen wunderbaren Chai denken. Das Heimweh drohte nach ihrem Herz zu greifen, doch da stiegen ihr die Düfte der Speisen in die Nase. Sie erinnerten Dinah daran, wie hungrig sie war und verdrängten augenblicklich jeden anderen Gedanken.

Khan Bassam bat sie, sich zu setzen, und ein Diener eilte herbei, um den Tee zuzubereiten. Der Chai schmeckte dafür, dass nicht Abdi ihn gekocht hatte, ganz wunderbar. Eine weitere Bedienstete brachte frisch gebackenes, duftendes Fladenbrot, und Dinah musste sich beherrschen, es ihr nicht aus der Hand zu reißen. Verschiedene Mezze warteten in farbenfrohen Schälchen darauf, gekostet zu werden. Schon bald warf Dinah jegliche damenhafte Zurückhaltung über Bord und griff beherzt zu. Es tat gut, sich auf etwas so Natürliches wie Essen zu konzentrieren. Der reich gedeckte Tisch ließ Dinah sich eher fühlen wie einen Gast als eine Gefangene. Sie war sich sicher, dass das durchaus Khan Bassams Absicht war. Doch hieß das wirklich, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatte, oder war dieses Abendessen nur ein Täuschungsmanöver, um sie in Sicherheit zu wiegen?

Khan Bassam redete kaum. Beinahe wirkte er schüchtern, doch da das überhaupt nicht zu seinem bisherigen Auftreten passte, verwarf Dinah diesen Gedanken sofort wieder. Erst als der Chai durch einen kräftigen Rotwein abgelöst wurde, fand Khan seine Sprache wieder. Er prostete ihr über den Tisch hinweg zu.

»Ich trinke darauf, dass du in den nächsten Tagen erkennen wirst, was die Wüste dir alles zu bieten hat!«

Dinah zögerte, doch schließlich erhob auch sie ihr Glas.

»Ich bin gespannt!«, hörte sie sich sagen und fand, dass es ein bisschen zu keck klang. Der Rotwein war voll und schwer, und die letzten Sonnenstrahlen verfingen sich in ihm und ließen ihn leuchten, als würden flüssige Rubine durch das Glas schweben.

»Und was ist, wenn ihr mich nicht überzeugen könnt, deine Oase und du?« Dinah biss sich auf die Unterlippe. Hatte sie sich mit dieser Frage zu weit vorgewagt, und war sie überhaupt bereit für die Antwort?

»Dann werde ich dich zurückbringen, auch wenn es mir das Herz bricht.«

Sie sahen sich über den Tisch hinweg an. Sein Blick war intensiv und ernst. Dinah suchte in seinem Gesicht nach einem Hinweis, ob er tatsächlich die Wahrheit sagte, doch seine Miene verriet nichts.

Erneut eilten Diener herbei und brachten eine große silberne Platte mit gebratenen Rebhühnern, die auf einem Bett aus Couscous, Feigen und Granatapfelkernen lagen. Das gute Essen, der vollmundige Wein und der gemütliche Schein der Laternen, die um sie herum in den Mandelbäumen hingen, streichelten Dinahs Sinne. Auch ihr anfängliches Schweigen hatte sich schnell in ein angeregtes Gespräch verwandelt. Sie unterhielten sich erstaunlich gut, was sie angesichts der ungewöhnlichen Umstände nicht für möglich gehalten hätte.

Als die Kühle der Nacht langsam begann, durch Morwaride Kawir zu kriechen, kam eine Dienerin und reichte Dinah eine Decke. Wohlig kuschelte sie sich hinein. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war Khans Lachen und der endlose Sternenhimmel über ihr. Dann musste sie wohl eingeschlafen sein.

Doch als sie die Augen wieder aufschlug, war sie nicht mehr inmitten der Mandelbäume. Stattdessen lag sie in einem Himmelbett mit gedrechselten Säulen aus dunklem Holz. Die weißen Stoffbahnen, die über ihr zu sanften Bögen gerafft waren, erinnerten Dinah entfernt an die Wolken eines Herbsttages. Zu allen Seiten des Bettes hing derselbe luftige Stoff als Vorhang. Zwar war das Himmelbett wunderschön, doch steigerte es Dinahs Verwirrung noch, da sie nicht wusste, was sich dahinter verbarg. Verdutzt richtete sie sich auf und schob einen der Vorhangschals beiseite.

Das Zimmer war mit Möbeln aus dunklem Holz und gemusterten Teppichen gemütlich eingerichtet. Lediglich seine metallenen Wände irritierten Dinah. Statt Fenstern gab es große, farbenfrohe Gemälde von blühenden Landschaften, und eine kreisrunde, verglaste Öffnung an der Decke, durch die jedoch kein Himmel zu sehen war, spendete Licht.

Dinah schlug die Bettdecke zurück und bemerkte beruhigt, dass sie noch immer ihr Kleid vom Vortag trug.

Sie nahm sich einige Minuten, um das Zimmer zu erkunden, entdeckte ein kleines Regal mit einer interessanten Auswahl an Büchern und einen Schrank mit verschiedenen Kleidern in ihrer Größe. Nachdem sie sich an einer großen, silbernen Waschschüssel erfrischt hatte, schlüpfte sie in ein leichtes, zartgrünes Seidenkleid und ging zur Tür. Für einen kurzen Moment fürchtete sie, es sei abgeschlossen, doch als sie vorsichtig die Klinke nach unten drückte, öffnete die Tür sich lautlos. Neugierig spähte Dinah hinaus.

Sie gelangte in einen schmalen Korridor. Auch hier waren alle Wände aus blankem, grauem Stahl. Der Gang verlor sich in beide Richtungen in einer Kurve, so dass Dinah sich hinauswagen musste, um die Gegend weiter zu erkunden. Zögerlich lief sie den Korridor entlang. Er bildete einen Kreis und endete in beiden Richtungen schließlich an einer Rampe. Sie ähnelte stark der des Wüstenschiffs, das sie in die Oase gebracht hatte. Dinah lief die Rampe entlang und landete in einer riesigen Höhle. Fasziniert schaute sie sich um. Das Zentrum der Höhle bildete ein großer See, der in verschiedenen Blau- und Grüntönen schimmerte und von innen heraus leuchtete. Ein felsiger Pfad verlief am Ufer entlang, von dem in regelmäßigen Abständen solche Metallrampen abzweigten wie die, die sie eben hierhergeführt hatte.

»Guten Morgen! Ihr müsst Dinharazade sein. Willkommen in Morwaride Kawir.«

Sie fuhr erschrocken herum und blickte in Augen, die denen von Khan Bassam glichen. Trotz des spärlichen Lichts, das der See als einzige Lichtquelle in der riesigen Höhle verströmte, erkannte sie die Ähnlichkeit sofort. Doch die Züge des Mannes waren jungenhafter als die des Wüstenkönigs. Dinah schätzte ihn ein paar Jahre jünger als sie selbst. Außerdem waren seine Wangen glattrasiert, und sein Haar trug er ganz kurz.

»Und Ihr seid Khan Bassams Bruder?«

Er lachte. »Das kann ich wohl nicht leugnen. Ich weiß, man sieht die Ähnlichkeit sofort.«

Seine offene Art gefiel ihr.

»Ihr hättet es schlimmer treffen können«, sagte sie schmunzelnd.

»Mein Name ist Hakim.« Er streckte ihr beide Hände entgegen. Verdutzt runzelte Dinah die Stirn und legte etwas unbeholfen ihre Hände auf seine. Hakim lachte auf, und Dinah kam sich dumm vor.

»Ihr kennt unseren Gruß noch nicht, wie ich sehe. Schaut her, ich zeige ihn Euch.« Er streckte ihr erneut die Hände mit den Handrücken nach oben entgegen. Dann drehte er sie um, so dass die Innenflächen sichtbar wurden.

»Wenn wir jemanden kennenlernen oder nach längerer Zeit wiedertreffen, lassen wir einander unsere Hände sehen. Dann weiß der andere, dass wir keine Waffe, kein Gift oder sonst irgendetwas halten, was ihm schaden könnte. So zeigen wir, dass wir einander friedlich gesinnt sind.«

Dinah wiederholte die Bewegung, und Hakim lächelte zufrieden.

»Was ist das hier?«, fragte sie und deutete auf den geheimnisvollen See. Dabei drehte sie sich mit ausgebreiteten Armen einmal um die eigene Achse, als wolle sie die gesamte Höhle umarmen.

»Das ist das Herz von Morawide Kawir«, sagte Hakim mit ernster Miene. »Dieser See wird von zwei unterirdischen Flüssen gespeist und versorgt unsere ganze Oase mit Leben.« Das war also das Geheimnis, das hinter dieser fruchtbaren Fülle inmitten der roten Sanddünen steckte.

Neugierig tasten Dinahs Augen die Höhlenwände ab, doch das Wasser mit seinem grünen und bläulichen Schimmern schien wirklich die einzige Lichtquelle zu sein.

»Wie habt ihr das gemacht, dass der See so leuchtet?«

Hakims Stimme wurde zu einem geheimnisvollen Flüstern: »Diese Höhle ist nicht nur das Herz unserer Oase, sie ist auch ihr größtes Mysterium.«

Er führte Dinah zu einer Stelle, an der ein Felsvorsprung über die Wasseroberfläche hinausragte. Dort legte er sich flach auf den Bauch und spähte in den See. Dinah sah skeptisch an ihrem feinen Seidenkleid hinunter. Doch schon nach kurzem Zögern siegte ihre Neugierde, und sie krabbelte auf allen vieren neben Hakim. Der Stein war klamm und kühl, trotzdem tat sie es ihm gleich und legte sich auf den Bauch, um besser ins Wasser sehen zu können. Sie streckten ihre Köpfe über den Vorsprung, sodass ihre Gesichter direkt über der Oberfläche des Sees waren. Nun erkannte Dinah, dass der ominöse Leuchtstoff nicht gleichmäßig im Wasser verteilt war. Vielmehr schwammen dort zahlreiche Lichtpunkte, die mal ruhig dahintrieben, mal flatterhaft herumwirbelten. Angestrengt kniff Dinah die Augen zusammen. Zuerst meinte sie, kleine Fische zu erkennen, doch plötzlich blickte sie in ein menschlich anmutendes Gesichtchen.

»Das ist doch nicht möglich!«, raunte sie ungläubig.

Durch das Wasser schwammen tatsächlich kleine Wesen, deren obere Körperhälfte der eines Menschenkindes ähnelte, während das Unterteil aus einer schillernd geschuppten Flosse bestand. Und jedes einzelne dieser Wesen strahlte ein sternengleiches Leuchten aus.

»Die Wassergeister leben schon immer in dieser Höhle. Sie waren schon vor uns hier, und wir sind sehr froh, dass sie uns als ihre Nachbarn dulden. Also, seid freundlich zu ihnen«, sagte Hakim. Er lag direkt neben ihr, und doch drangen seine Worte wie aus der Ferne an ihr Ohr. Zu sehr waren all ihre Sinne auf diese faszinierenden, kleinen Geschöpfe konzentriert, von deren Existenz Dinah vor wenigen Minuten noch nichts geahnt hatte.

»Unglaublich«, flüsterte sie. Eine ganze Weile noch blieben sie auf dem nackten Fels liegen und beobachteten das Wasser und die kleinen Wesen, die sich geheimnisvollerweise darin tummelten. Dann wurde Hakim allmählich unruhig. Sein Zappeln riss Dinah aus ihren Gedanken.

»Wie wäre es mit Frühstück?«, fragte er sie unvermittelt. Dinah hätte diese wunderbaren Geschöpfe gerne noch weiter beobachtet. Außerdem war sie noch satt von dem opulenten Mahl am Vorabend. Doch da nirgends eine Spur von Khan Bassam zu entdecken war, nahm sie das Angebot dankend an. Schließlich hatte sie keine Lust, hier allein und verloren herumzuirren.

Die Entführung der Dinharazade

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