Читать книгу Die Entführung der Dinharazade - Christina Wermescher - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Die Luft zwischen Scheherazade und Khan Bassam war während seiner Worte zum Schneiden dick geworden. Dinah war sich sicher, dass ihre Schwester ihm für seine Dreistigkeit am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte.
»Ich gehe nirgendwohin!«, rief sie in das bedrohliche Schweigen hinein. Khan Bassam wandte sich ihr zu und sah sie lange an. Dinah meinte, eine Spur von Bedauern oder gar Mitleid in seinen Zügen zu lesen.
»Doch, meine Teuerste, das werdet Ihr.« Damit stand er auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Dann beugte er sich zu Dinah herunter und hielt ihr erwartungsvoll die Hand entgegen, als wolle er auch ihr aufhelfen. Verständnislos schaute sie ihn an.
»Was soll das?«, rief sie und war froh zu hören, dass ihre Stimme nicht zitterte, obwohl ihr immer mulmiger wurde.
Khan Bassam seufzte, als müsse er sich einem Schicksal ergeben, das er hatte vermeiden wollen. »Ich entschuldige mich für alle Unannehmlichkeiten, liebe Dinharazade. Aber ich werde Euch nun entführen.«
Ihre Schwester japste nach Luft und rief nach den Wachen, was dem Wüstenkönig jedoch keinerlei Reaktion entlockte. Er stand nur da, hielt Dinah die Hand entgegen und schaute sie fast bittend an.
Überfordert knetete Dinah ihren kleinen Finger, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte. »Das ist völlig absurd!« Sie versuchte, Bestimmtheit und Ablehnung in ihre Stimme zu legen.
Scheherazades Rufe nach der Garde blieben vergeblich. Nun wiegte sie hilflos ihr Kind hin und her, das in der Aufregung drohte aufzuwachen. Wo blieben die Wachen bloß? Gab es hier womöglich eine Verschwörung?
Khan Bassam löste ein Fläschchen von seinem Gürtel. Einen Augenblick zögerte er, doch schließlich zog er den Korken heraus und machte eine Handbewegung, als wolle er den Inhalt herausschleudern. Dunkelblauer Rauch stieg aus dem Fläschchen auf, der ebenso aussah wie jener, in den sich die Skorpione vorhin aufgelöst hatten. Doch Dinah hatte gesehen, dass er diesmal ein anderes Fläschchen gewählt hatte. Gespannt hielt sie den Atem an und beobachtete die dunkelblaue Wolke, die sich verdichtete und anwuchs, bis sie sich schließlich zu einem Körper materialisierte. Entsetzt erkannte Dinah, dass sie die Form einer großen, sich aufbäumenden Schlange annahm. Scheherazade schrie auf und drückte ihr Baby angsterfüllt an sich. Auch Dinaharazade zuckte geschockt vor dem großen, schwarzen Tier zurück. Es züngelte ihnen entgegen und schien sich dann tatsächlich vor dem Wüstenkönig zu verbeugen.
»Lauf!«, flüsterte Dinah ihrer Schwester zu. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Keuchen, doch Scheherazade verstand. Einen Moment, der Dinah unerträglich lang erschien, zögerte sie, dann schaute sie auf ihr Baby, das hilflos in ihren Armen lag. Endlich riss Scheherazade sich aus ihrer Schockstarre und rappelte sich auf. Prompt drehte die Schlange sich zu ihr um. Dinah sprang in die Hocke und schleuderte Sand auf die Geisterkobra und ihren Herrn, um sie von Scheherazade abzulenken. Die stolperte in ihrer Hast mehr davon, als dass sie rannte. Die Schlange bäumte sich erbost auf und zischte Dinah an. Dann züngelte das Tier ihrer Schwester hinterher und wiegte den Kopf, ganz so, als sei es unschlüssig, ob es ihr folgen oder sich auf Dinah konzentrieren sollte.
»Ihr beeindruckt mich, Dinharazade«, hörte sie Khan Bassam sagen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Dinah konnte weder an seinem Tonfall noch an seiner Miene ablesen, ob sie ihn verärgert hatte. Selbst wenn. Wenigstens würden Scheherazade und Zayriddin gleich in Sicherheit sein.
Da schnipste Khan Bassam mit den Fingern, und die Schlange wandte sich von Dinah ab. Gerade, als sie erleichtert ausatmen wollte, bemerkte sie entsetzt, dass das geisterhafte Tier mit schnellen kräftigen Schwüngen die Verfolgung ihrer Schwester aufnahm. Sekunden später hatte es sie eingeholt und baute sich bedrohlich vor ihr auf. Dinah schlug sich erschrocken die Hand vor dem Mund.
»Genug jetzt!«, rief Khan Bassam. Die Schlange verharrte vor Scheherazade, die sich ängstlich duckte und keinen Schritt mehr wagte. Zayriddin beschwerte sich lautstark, dass seine Mutter ihn mit ihrer Flucht so unsanft geweckt hatte. Sein Schreien schallte durch den Palastgarten und zerrte an Dinahs strapazierten Nerven.
Erst als sie ihren Blick von Scheherazade löste, bemerkte sie, dass Khan Bassam sich wieder zu ihr gebeugt hatte und ihr seine Hand auffordernd entgegenhielt. Zögerlich legte sie ihre hinein und ließ sich von ihm auf die wackligen Beine ziehen. Sie konnte ihre Schwester und ihren Neffen unmöglich solcher Gefahr aussetzen. Galant bot Khan Bassam ihr seinen Arm, was Dinah angesichts der gegenwärtigen Situation äußerst höhnisch fand. Doch sie hatte keine andere Wahl, als sich bei ihm einzuhängen.
Als sie an ihrer Schwester vorbeikamen, hatte Zayriddin sich wieder etwas beruhigt. Doch Scheherazade stand der Schock nach wie vor ins Gesicht geschrieben. Sie zwinkerte unkontrolliert, als die Schlange sich von ihr und ihrem Kind abwandte, und Tränen quollen aus ihren Augen.
»Entschuldigt, meine Damen. So dramatisch war dieses Zusammentreffen eigentlich nicht geplant gewesen«, sagte Khan Bassam. Dinah schüttelte ungläubig den Kopf. Bei allen guten Mächten, sie wurde gerade tatsächlich entführt!
Wie ein Paar, das die Pracht der Pairidaeza bei einem Spaziergang genoss, schritten sie am Wassergraben entlang in Richtung des hinteren Ausgangs, wo sich die königlichen Plantagen am Rande der Stadt erstreckten. Nur die große, schwarze Schlange, die als geisterhafter Herold vor ihnen her kroch, trübte das friedliche Bild.
Als sie sich der Mauer näherten, die den Palastgarten begrenzte, keimte eine leise Hoffnung in Dinah auf. Sie hatte noch nie erlebt, dass die Wachen dort ihre Posten verlassen hätten. Und mit ihren blanken Säbeln würden sie dieser seltsamen Entführung sicherlich gleich ein längst fälliges Ende bereiten.
Doch als sie durch eines der großen Holztore in den Zwischengang schritten, in dem die königliche Garde sonst stand und den Palastgarten mit Adleraugen bewachte, da erstarb das zarte Pflänzchen von Dinahs Hoffnung, ehe es Gelegenheit bekommen hatte, Knospen zu tragen. Denn dort standen keine kampfbereiten Soldaten, um sie aus Khan Bassams Fängen zu befreien. Stattdessen lagen sie im Schatten der Mauer und hatten die Augen geschlossen. Fast hätte man meinen können, sie hätten ihre Pflicht vergessen und wären eingeschlafen. Doch einer von ihnen lag verrenkt, was nicht nach einem gemütlichen Nickerchen aussah. Und Dinah wusste ohnehin, dass sie niemals freiwillig ihre Posten verlassen hätten.
»Seid unbesorgt, meine Liebe, sie sind lediglich betäubt«, versicherte Khan Bassam, der wohl ihren entsetzten Blick bemerkt hatte. Dinah dachte an die Skorpione in der kleinen Flasche an seinem Gürtel. Sie hoffte inständig, er würde die Wahrheit sagen, sodass die Soldaten sich bald verdutzt aufrappeln konnten. Vor dem Palastgarten wurden sie von zwei prächtigen Pferden erwartet.
»Könnt Ihr reiten?«, wollte der Wüstenkönig wissen.
»Selbstverständlich!«, rief Dinah und gab sich kämpferisch. Sie war keine exzellente Reiterin, doch hatte sie durchaus einige Übung, da ihre Schwester geradezu verrückt nach Pferden war. Außerdem weckten die Tiere neue Hoffnung in Dinah. Vielleicht würde sich doch noch eine Gelegenheit zur Flucht ergeben. Dinah war fest entschlossen, sie zu nutzen. Khan Bassam lächelte sein unergründliches Lächeln, und ehe er ihr aufs Pferd helfen konnte, saß sie bereits im Sattel. Der Wüstenkönig schnalzte anerkennend mit der Zunge und wandte sich seinem eigenen Pferd zu. Schnell griff Dinah nach den Zügeln und trieb den Araberhengst an. Sie musste es nur in die verwinkelten Gassen von Samarqand schaffen. Dann würde sie ihren Heimvorteil nutzen und Khan Bassam leicht abhängen können.
Doch so sehr sie sich auch abmühte, das Pferd blieb stoisch stehen und tat keinen einzigen Schritt. Khan Bassam tat ganz so, als würde er ihre Anstrengungen nicht bemerken. Stattdessen pflückte er das Fläschchen von seinem Gürtel und lockte die große, schwarze Schlange dahin zurück, wo sie hergekommen war.
Als er selbst im Sattel saß, gab er Dinahs Pferd einen Klaps auf die Flanke, und schon setzte es sich, ohne zu zögern, in Bewegung. Die beiden Araber jagten durch die Plantagen. Dinahs Pferd blieb Khan Bassams nah auf den Fersen, egal in welche Richtung sie versuchte, es zu lenken.
Da erblickte sie in der Ferne eine Gruppe Männer, die mit groben Hacken ein Feld bearbeiteten. Dinah fing an, zu schreien. Obwohl sie weit weg waren, wurde einer der Arbeiter auf sie aufmerksam. Dinah dankte den guten Mächten im Stillen und fuchtelte wild mit einem Arm. Doch der Mann schien ihr Gestikulieren völlig falsch zu verstehen und winkte ihr zögerlich zurück. Dinahs Hilferufe verhallten irgendwo auf halbem Weg zwischen Obstbäumen und Gemüsestauden.
Enttäuscht gab sie ihre Bemühungen auf und sich dem Galopp hin. Ihre Gedanken rasten mit den Pferden um die Wette. Was hatte das nur alles zu bedeuten? Nahm der Wüstenkönig sie womöglich als Geisel, um ihren Vater oder Schah Rayâr zu erpressen? Und was würde er wohl für ihre Freilassung fordern? Dinah war sich sicher, dass ihre Familie alles tun würde, um sie zu retten. Der Gedanke beruhigte sie. So grotesk die ganze Situation auch war, schon bald würde dieser Spuk ein Ende haben.
Wenig später hatten sie Schah Rayârs Plantagen und auch die letzten Häuser Samarqands hinter sich gelassen und ritten immer weiter am Goldfluss entlang in Richtung der roten Wüste.
Als die Stadt außer Sichtweite geraten war, und nur noch die wilde, zerklüftete Natur mit schroffen Felsen und dem Rauschen des Flusses sie umgab, wurde Dinah mit jedem Augenblick mulmiger zumute. Im Grunde hatte sie nicht angenommen, dass Khan Bassam es mit dieser Entführung soweit schaffen würde, ohne aufgehalten zu werden. Nun allein mit ihm durch die Wildnis zu reiten, war beängstigender, als ihr lieb war.
Dass der Wüstenkönig den Pfad, der am Goldfluss entlang führte, plötzlich verließ und die Pferde durch die Felsen gen Norden klettern ließ, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Bisher waren sie leicht zu verfolgen gewesen, doch Steppe und Wüste waren seine Gefilde. Hier war er im Vorteil, und ihre Spur würde sich verlieren. Dinah schaute panisch zurück zur Stadt, doch weit und breit war niemand zu sehen. Keiner kam, um sie zu retten.
Als die Pferde den kurzen, beschwerlichen Aufstieg geschafft hatten, konnte Dinah die Dünen der Wüste sehen. Wellen aus rotem Sand küssten den blauen Himmel am Horizont. Unter anderen Umständen wäre sie wohl von der Schönheit des Augenblicks geblendet gewesen. Doch nun raubte ihr Angst statt Bewunderung den Atem.
»Die Soldaten des Palastes haben sicherlich längst die Verfolgung aufgenommen! Irgendwann müssen wir rasten, und spätestens dann werden sie uns finden!«, rief sie verzweifelt.
Prompt bremsten die Pferde ab, und Khan Bassam sah sich suchend um. Nebel waberte über den Sand. Plötzlich erbebte die Erde. Dunkler Rauch stieg auf, der aus den Poren der Wüste gekrochen kam. Ängstlich krallte Dinah sich in die Mähne ihres Pferdes. Doch die Tiere und Khan Bassam blieben vollkommen ruhig, obwohl sich der Boden vor ihnen bewegte, und etwas Großes sich aus dem Sand nach oben wühlte. Dinah traute ihren Augen kaum, als sie erkannte, dass es eine riesige Maschine war. Sie ächzte und schnaubte, knirschte und qualmte. Das war kein Nebel gewesen, es war Dampf! Monströse Metallschnecken drehten sich unaufhaltsam und schraubten den großen Stahlkörper, zu dessen beiden Seiten sie angebracht waren, aus dem Sand heraus. Schließlich war die Maschine fast vollständig aufgetaucht. Da bewegte sich die Spitze an ihrer Vorderseite. War sie eben noch nach oben gerichtet gewesen, wie die Schnauze eines Delfins, der durch die Wasseroberfläche stößt, so senkte sie sich nun ganz nach unten. Dinah schluckte schwer. Das bedeutete wohl, dass die Maschine vorhatte, irgendwann wieder abzutauchen. Inzwischen öffnete sich ein Tor. Es war gleich einer Hängebrücke von oben nach unten aufgeklappt und diente nun als Rampe, um in das Innere des Stahlkörpers zu gelangen. Die Pferde setzten sich in Bewegung und trotteten den breiten metallenen Zugang hinauf. Mit großen Augen musterte Dinah den Schneckenantrieb unter sich, als sie auf der Rampe über ihn hinwegritt.
Auf halber Höhe drehte Khan Bassam sich unvermittelt zu ihr um.
»Seht Ihr, Dinharazade, niemand wird uns finden«, sagte er. Und ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen.