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Kapitel Sieben

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Noah

Das einzige Wort, das Noah auf der Fahrt nach Fire Island durch den Kopf ging, war: peinlich. Worauf zum Teufel hatte er sich eingelassen? Hatte er vollkommen den Verstand verloren, dass er nicht nur einen Escort angeheuerte hatte, sondern auch noch dachte, dass er so eine Nummer vor seinen engsten Freunden durchziehen konnte?

Auf einmal war ihm so übel, dass er glaubte, sich übergeben zu müssen. Daher sprang er von der Bank auf und stürzte zur Reling der Fähre. Sie sollten in rund zwanzig Minuten auf Fire Island anlegen. Es wäre ein typischer Streich des Schicksals, wenn er sich vor Will die Seele aus dem Leib kotzen müsste.

Nein, Max. Als Escort hieß er Max. Während einer getippten Unterhaltung vor zwei Abenden hatten sie entschieden, über das Wochenende Wills Pseudonym zu verwenden. Es könnte besser sein. Leichter. Er konnte in die Rolle von Max schlüpfen, während er vorgab, Noahs Date zu sein, und sobald sie wieder in der Stadt und im Home and Hearth waren, würde er wieder zu Will werden. Diese Unterscheidung, hatte Will erklärt, könnte ihnen helfen, diese Veranstaltung in ihren Köpfen innerlich abzuspalten. Noah hatte zugestimmt, denn er wollte sicher nicht, dass sie sich nach diesem Wochenende bei der Arbeit unwohl miteinander fühlten.

Er sah aufs Wasser und schluckte die aufsteigende Magensäure herunter.

»Hey«, sagte Will hinter ihm und Noah zog die Schultern hoch. Gott, was hatte er nur getan?

Will strich mit den Fingern sacht über seinen Unterarm und Noah widerstand dem Drang, ihm nervös auszuweichen. »Nur ein Wort und ich nehme die nächste Fähre zurück. Unsere Kunden ändern öfter ihre Meinung. Ich weiß, es fühlt sich merkwürdig an, weil wir Kollegen sind.«

Und doch gefiel Noah die Vorstellung, allein aufzutauchen – schon wieder – auch nicht. Seine widersprüchlichen Gedanken machten ihn noch irre.

Er wandte Will das Gesicht zu. »Wirklich?«

»Nun, ja.« Will kratzte sich im Nacken. »Warte, welchen Teil meinst du?«

Ein Grinsen zupfte an Noahs Mundwinkel, aber er bremste sich. »Den, dass die Kunden ihre Meinung ändern.«

»Definitiv«, antwortete Will, stützte die Unterarme auf die Reling und sah hinaus aufs Wasser. »Anfangs kommt es ihnen wie eine gute Idee vor, aber dann werden sie nervös, flatterhaft… benehmen sich wie Freaks.«

»Ich bin weder flatterhaft noch ein Freak«, sagte Noah scharf. Solche Bemerkungen waren für ihn seit seiner Kindheit ein Grund gewesen, um einen Streit anzufangen. Er konnte nicht anders. »Ich bin nur…«

»Entschuldige, hab mich dumm ausgedrückt.« Will schüttelte den Kopf. »Es ist nur so, dass du mich für das ganze Wochenende gebucht hast. Daher könnte ich es verstehen, wenn es gerade ein bisschen zu viel für dich ist.«

Noah leckte sich die Lippen und überdachte seine nächsten Worte genau. »Ich dachte ehrlich gesagt eher, dass es für dich zu viel sein könnte.«

Will zog die Brauen zusammen. »Wie meinst du das?«

»Zu viel verlangt… du weißt schon… so zu tun, als ob… du dich zu mir hingezogen fühlst.« Noah wand sich und stellte fest, dass er Will nicht in die Augen sehen konnte.

Er schrak zusammen, als Will in sich hineinlachte, sah hastig zu ihm hinüber und verengte die Augen. Ausgerechnet das fand er lustig? Scheiß auf ihn.

»Du hältst dich offensichtlich für eine Art Troll«, sagte Will ungläubig. »Verdammt, wer hat es dir so verdorben? Dem würde ich ernsthaft gern den Arsch versohlen.«

Noah sah weg. Er würde auf keinen Fall erzählen, wie einer der ersten Männer, für den er geschwärmt hatte, mit seinem Ekel vor seinen Narben praktisch etwas in ihm zerbrochen hatte.

»Ich bin nur realistisch. Du wirst bald sehen, was ich meine«, murmelte Noah, während er Wills Erscheinung musterte, wie er es auch schon am Morgen in der Penn Station getan hatte. Sein T–Shirt betonte seinen Körperbau und Noah konnte sich genau vorstellen, wie seine Freunde darauf reagieren würde, ihn mit so einem attraktiven Mann zu sehen. »Du wirst perfekt zu ihnen passen.«

Plötzlich strich Will mit den Fingern direkt unter seinen Narben an seiner Schulter entlang. »Ist das der Grund? Sorgst du dich, was die Leute denken, wenn sie dich sehen?«

Noah zuckte vor der Berührung zurück und bemerkte sofort das Bedauern in Wills Blick. »Das hat nichts mit Sorgen zu tun. Es ist eine Tatsache. Männer ignorieren mich entweder oder machen einen großen Bogen um mich. So war das schon immer.«

Will seufzte. »Tja, ihr Verlust.«

Noah wandte sich schluckend ab. Er richtete den Blick auf die Fähre, die aufrecht durch die Wellen schnitt.

Er spürte den Blick von Wills warmen, braunen Augen auf sich, wollte sich ihm jedoch nicht stellen. Das Schlimmste war, dass Will bezahlt wurde, um den fürsorglichen Begleiter zu spielen, und war es nicht genau das, was an dieser ganzen Angelegenheit falsch war?

Noah holte tief Luft. Es war zu spät. Er musste akzeptieren, was er getan hatte. Vielleicht würde es nicht so schlimm werden. Will hatte sich letztendlich doch nicht als Arschloch erwiesen. Genau genommen war es bisher nicht gerade eine Strafe gewesen, Zeit mit ihm zu verbringen.

»Wir haben noch ein paar Minuten Zeit, bis wir anlegen. Also erzähl mir, wie Tonys Haus aussieht.«

»Okay, klar.« Sie setzten sich wieder auf die harte Bank in der Nähe eines älteren Pärchens, das sich an den Händen hielt. »Es ist ein ziemlich großes Strandhaus, das in den letzten Jahren runderneuert worden ist.«

»Teurer Geschmack?«, fragte Will.

»Eindeutig.« Noah nickte. »Ich werde dir nichts vormachen: Meine Familie hat auch Geld, aber ich… ich habe in den letzten Jahren mein eigenes Ding durchgezogen.«

»Gibt es einen besonderen Grund dafür?«, fragte Will zögernd. »Nicht, dass es mich etwas angeht.«

Noah wand sich. »Das ist eine längere Geschichte. Aber kurz gesagt: Meine Eltern können ziemlich… übergriffig sein.«

»Verstehe.« Will sah nachdenklich in die Ferne. »Werden sie auch auf der Party sein?«

»Das letzte Mal, als wir telefoniert haben, waren sie gerade für die Firma meines Vaters in Großbritannien unterwegs und wollten sich mit meiner Halbschwester Amanda treffen. Sie lebt in London.« Noah hatte Amanda zuletzt vor ein paar Jahren zu Weihnachten gesehen. Sie war dreiunddreißig – fünf Jahre älter als er – und mit einem Museumskurator verheiratet. Sein Dad liebte es, mit seiner Tochter aus erster und kurzer Ehe anzugeben. Obwohl er sich von Amandas Mutter hatte scheiden lassen, waren ihre Familien dennoch stets eng verbunden geblieben. »Außerdem vermieten meine Eltern ihr Haus in Cherry Grove praktisch den ganzen Sommer lang.« Die Gäste zahlten ein Vermögen, um die Sommermonate dort zu verbringen.

»Vielleicht sollte ich dankbar sein, dass ich sie nicht kennenlernen muss?«, fragte Will mit hochgezogener Augenbraue.

»Ha! Das ist mal sicher.«

Will zwinkerte. Das sorgte dafür, dass Noahs Stimmung sich kurzzeitig hob. Ganz so, als ob dieses Wochenende wirklich so verlaufen könnte, wie er es sich vorgestellt hatte. Wenigstens steckten sie zusammen in dieser Geschichte und war das nicht genau das, was er sich gewünscht hatte? Jemanden, mit dem er Zeit verbringen konnte, wenn auch nur für kurze Dauer?

»Übrigens, du siehst gut aus«, sagte Will ernst. »Und für deine Haare würde ich definitiv töten.«

Noah strich sich abwesend eine Strähne hinters Ohr, die immer wieder vom Wind zerzaust wurde. Sein Haar war von Natur aus lockig und wenn sie ein bisschen länger waren, fühlten sie sich immer wie ein Schild an, der ihn vor der Außenwelt schützte. »Danke. Ähm, bist du schon im Escort–Modus?«

»Weil ich gesagt habe, dass ich deine Haare mag?« Will schnaubte. »Schätze, du musst lernen, wie man Komplimente annimmt. Ich meine, du ziehst dich besser an als jeder, mit dem ich sonst Zeit verbringe, und irgendwie haben deine Augen eine Farbe, die ich noch nie gesehen habe. Und hier auf dem Wasser fällt das besonders auf.«

An diesem Punkt hätte Noah normalerweise das Gefühl gehabt, dass der Typ ziemlich dick aufträgt. Aber Will klang so aufrichtig, dass er es sich erlaubte, sich zu entspannen und seine Verteidigung ein wenig zu senken. Man hatte ihm schon früher Komplimente über seine Kleidung gemacht. Auch seine Augen waren ein oder zwei Mal erwähnt worden. Er wusste, dass sie eine ungewöhnliche blaugraue Schattierung aufwiesen. Aber in erster Linie zog er sich so an, um seine Narben zu verstecken. Daher fühlte es sich wirklich nett an, etwas anderes zu hören zu bekommen.

»Tja, danke«, murmelte er. Seine Wangen wurden warm.

»Sehr gern geschehen«, sagte Will mit einem ansteckenden Lächeln. Noah stellte fest, dass er zurückgrinste.

»So. Wer wird denn dieses Wochenende noch da sein?«, fragte Will nach einer Weile. Als er sich näher beugte, entschied Noah, dass er es mochte, wie dieser Mann roch – nach Seife, Sauberkeit und auch ein wenig nach Salzwasser, was wohl damit zu tun hatte, dass sie auf einer Fähre über den Atlantik schipperten.

Noah dachte einen Moment über die Frage nach. »Die übliche Mischung. Ein paar Jungs, die einfach gern feiern, und andere, die eher oberflächlich sind und sich einen Kerl fürs Wochenende suchen werden.«

»Und du machst so was nie?«, fragte Will mit so tiefer Stimme, dass Noah schauderte.

»Ich…« Noah schüttelte kurz den Kopf, als das elende Gefühl aus seiner Magenkuhle aufstieg, das ihn auf so vielen dieser verfluchten Partys begleitet hatte. »Es ist wie beim Sport, wenn man als Letzter ausgesucht wird, weißt du? Und nach einer Weile will man nicht mehr derjenige sein, der immer erst infrage kommt, wenn die erste Runde Sex schon durch ist.«

Will stieß ihn mit der Schulter an. »Danke, dass du dich meinen Fragen stellst. Es hilft mir, meine Arbeit besser zu erledigen.«

Noah erstarrte und wünschte beinahe, er würde nicht immer wieder daran erinnert werden, dass Will nur hier war, weil er ihn dafür bezahlt hatte.

Will spürte sofort, dass seine Stimmung sich verändert hatte. »Ich verspreche dir, dass ich auch als Freund für dich da sein werde. Ich meine, nun, da ich dich ein bisschen besser kennengelernt habe. Ich hoffe, du glaubst mir.«

Noah nickte und zwang sich zu einem breiten Lächeln. »Ich möchte mich einfach nur wohl in meiner Haut fühlen und eine schöne Zeit verbringen. Glaubst du, das kriegen wir hin?«

Ihre Blicke trafen sich für einen langen Moment. »Definitiv.«

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