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Kapitel Vier

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Will

Am folgenden Freitag traf sich Will mit einer neuen Kundin, einer älteren Frau, die in ihrem Hotelzimmer nach einem Drink zu viel ein bisschen zudringlich wurde. Sobald er wieder zu Hause war, duschte er lange und heiß und schrubbte sich gründlich ab. Er fühlte sich nicht oft so. Normalerweise zeigte sich seine Kundschaft respektvoll, aber betrunkene Kundinnen waren am schlimmsten. Zumindest hatte er sie lange genug abwehren können, bis sie endgültig eingeschlafen war. Dann hatte er die Tür hinter sich geschlossen und war geflüchtet.

Will nahm kein Blatt vor den Mund – die meisten waren einfach einsam. Sie brauchten lediglich etwas menschliche Nähe, wenn sie sich für eine Nacht ein Hotelzimmer mieteten. Ein paar Mal war es ihm passiert, dass sie zu sehr an ihm hingen, und wenn es dazu kam, schaltete sich die Agentur ein, um die Arbeitsverbindung aufzulösen und seine Identität zu schützen.

Wenn er für abendliche Treffen mit Schwulen gebucht wurde, ging es üblicherweise um Männer, die jenseits der besten Jahre waren. Ihre Tage in den Clubs lagen lange hinter ihnen, Grindr ebenfalls, und sie wollten einfach etwas Gesellschaft in einer Umgebung, in der sie sich sicher fühlten und merkten, dass sie nicht verurteilt wurden.

Viele fragten, ob sie seinen Körper betrachten durften, während sie sich einen runterholten, oder baten um Erlaubnis, ihn berühren zu dürfen. Es war verrückt, wie oft er gefragt wurde, ob sie ihm einen blasen durften. Einige spielten vermutlich nur mit der Fantasie oder wollten sich an die gute alte Zeit erinnern. Vielleicht wollten sie herausfinden, ob sie es noch draufhatten – dafür zu sorgen, dass sich ein anderer Mensch dank ihrer Hände und ihres Munds gut fühlte.

Über diesen Teil ihrer Arbeit sprachen die Escorts normalerweise nicht – es sei denn, es waren ein paar Whiskey im Spiel –, auch wenn es häufiger geschah, als man annehmen mochte.

Daher hatte Will keine Ahnung, was ihn erwartete, als er Samstagmorgen aus der U–Bahn stieg, die Stufen hinaufging, bis er die Straße erreicht hatte, und das Starbucks betrat, um seinen neuesten Kunden kennenzulernen. Er sah sich suchend um, entdeckte jedoch niemanden, der ihm als Kunde wahrscheinlich schien, und er verfluchte sich, dass er vergessen hatte, zumindest nach der Haarfarbe zu fragen. Und da auf der Website der Agentur Fotos verboten waren, um die Privatsphäre der Angestellten zu schützen, würde auch sein Kunde nicht wissen, wie er aussah.

Als er einen Gang entlangschlenderte, um sich umzusehen, stellte er plötzlich verblüfft fest, dass Noah Dixon an einem der Tische saß, den Kopf gesenkt und den Blick fest auf sein Handy gerichtet. Will zog in Erwägung, Scheiß drauf zu sagen und das Starbucks zu verlassen. Doch im selben Moment sah Noah auf und verkrampfte sich, als ihre Blicke sich trafen.

Panisch sah sich Noah um. Sein Blick huschte von links nach rechts, als suche er nach einem Ausweg oder als müsste er in seinem Kopf etwas ausknobeln.

»Was tust du denn hier?«, platzte Will heraus, aber er kannte die Antwort bereits.

Verdammte Scheiße.

»Oh Gott. Bist du M-Max?«, fragte Noah zitterig, während er Will über seinen Strohhalm hinweg betrachtete. Er schüttelte den Pappbecher in seiner Hand. Offenbar trank er gern Eiskaffee, bemerkte Will abwesend, während er zeitgleich innerlich ein bisschen ausflippte.

»Bist du James?«, gab er mit knirschenden Zähnen zurück. Heilige Scheiße, das konnte nicht wahr sein. »Ich dachte, du erkundigst dich für einen Freund.«

»Du wusstest, dass das wahrscheinlich gelogen war«, antwortete Noah, bevor er auf die Kartonummantelung seines Bechers starrte. Nervös knibbelte er daran herum. »Scheiße… Du kannst einfach gehen. Glaub mir, wir können einfach so tun, als wäre das nie passiert.«

Will nickte und wandte sich dem Eingang zu, um zu verschwinden. Doch für eine Sekunde überkam ihn Mitleid mit Noah. Wie schwer musste es ihm gefallen sein, Will überhaupt anzusprechen, ihm Fragen zu stellen und es dann darauf ankommen zu lassen, einen Escort zu buchen?

Allein zu solchen Veranstaltungen zu gehen, war immer unangenehm für mich, und es wäre wirklich toll, sich nicht länger wie ein Außenseiter zu fühlen.

Will verhielt sich unfair – und das nur, weil er ein paar Vorurteile gegenüber seinem ätzend gut gelaunten Kollegen hatte, der viel zu gut in seinem Job war und vermutlich ein leichteres Leben führte als er selbst. Wenigstens hatte er das geglaubt, bis er das Starbucks betreten hatte.

Er musste zugeben, dass er neulich, als Noah ihn angehalten und ihm Fragen über seine Agentur gestellt hatte, davon ausgegangen war, dass er einfach… neugierig war. Hinterher war er halb besorgt gewesen, ob Noah ihren Kollegen von seiner Arbeit als Escort erzählen würde, und ob er lieber kündigen oder einfach damit leben sollte. Die Möglichkeit, dass Noah die gleiche Angst haben könnte, als Fragesteller enttarnt zu werden, war ihm nicht einmal in den Sinn gekommen. Warum sonst sollte er einen falschen Namen benutzen?

Will seufzte. Dann setzte er sich gegenüber von Noah in die Bank.

Dessen Augen weiteten sich. »Was hast du vor?«

»Dir helfen«, sagte Will achselzuckend. »Vielleicht kann ich dir jemand anderen aus der Agentur vorschlagen, jemanden, den ich dir sehr empfehlen kann. Einen Typ, dem man vertrauen kann.«

Aus irgendeinem Grund schien ihm Letzteres derzeit am wichtigsten zu sein. Er wollte auf keinen Fall, dass Noah schlechte Erfahrungen sammelte. Schließlich hatte Will sich ursprünglich für die Agentur ausgesprochen und er kannte ein paar der anderen Escorts, die sehr respektiert wurden.

»Okay, klar«, antwortete Noah mit einem Blick, in dem sich aufrichtige Dankbarkeit widerzuspiegeln schien. »Danke.« Nach einem weiteren Moment der Verlegenheit beugte er sich nach vorn. »Also… du bist schwul?«

»Bi«, erwiderte Will. »Meistens stehe ich auf Männer, aber es hilft mir, an Jobs zu kommen. Der Agentur gefällt es, dass ich… flexibel bin.«

Noah lief dunkelrot an und Will begriff, dass er ihm gerade ein krasses Bild in den Kopf gemalt hatte.

Nachdem er sich etwas zu trinken bestellt und ein bisschen Zucker und Sahne hineingerührt hatte, fiel ihm auf, dass Noah nervös mit den Zuckerpäckchen vor ihm spielte. »Erzähl mir von dieser Veranstaltung, für die du einen Escort suchst.«

Noah holte tief Luft. »Mein Freund Tony veranstaltet in seinem Haus auf Fire Island eine riesige Geburtstagsparty für seinen Lebensgefährten Matt. Was Matt aber nicht weiß, ist, dass Tony ihm einen Antrag machen wird.«

»Cool«, sagte Will lächelnd. Das ganze Konzept war ihm fremd. Nicht nur Partys in einem Strandhaus auf Fire Island, sondern auch die Vorstellung eines ausgefallenen Antrags. Es bestätigte Wills Vermutungen über Noahs Lebensstil. Wie aus einem Ethan Allen–Katalog. »Aber wenn diese Party bei deinem Freund stattfindet… Warum brauchst du einen Escort?«

Will fand, dass die Frage gerechtfertigt war, auch wenn es ihn nichts anging. Dennoch nahm er an, dass ihm eine Antwort helfen würde herauszufinden, welcher andere Escort am besten geeignet war. Zudem konnte er nicht anders: Seine Neugier war geweckt. Dies war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen er Noah nicht gut aufgelegt sah, und er war nicht sicher, was genau dafür verantwortlich war.

»Warst du je in den Pines oder in Cherry Grove?«, fragte Noah mit abwesender Miene, als würde er sich an die Zeiten erinnern, die er auf Fire Island verbracht hatte. Die beiden genannten Gegenden waren seit Jahren als Schwulenmagnete im Staat New York bekannt.

Will blinzelte und versuchte sich zu entsinnen, wann er zuletzt dort gewesen war. Es waren nur wenige Male gewesen, denn ein Ausflug auf die Insel stellte für jemanden wie ihn, der wenig Geld und Zeit hatte, praktisch Luxus dar. Es war eine pittoreske Zuflucht aus der Stadt und im Augenblick klang das für ihn verdammt gut. Der August in Manhattan konnte drückend heiß und elend sein, besonders, wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen war. Außerdem war er seit Jahren nirgendwo hingefahren. »Sicher. Es ist das Paradies für schwule Männer.«

»Vielleicht für solche wie dich«, antwortete Noah unüberhörbar frustriert.

Will zog die Augenbrauen zusammen, während er Noah musterte. Er war sich nicht sicher, ob er sich auf sein Aussehen oder seinen Lebensstil bezog. Aber wenn er raten sollte, würde er von Ersterem ausgehen, denn sein Leben war nichts, das der Rede wert gewesen wäre. Nur sah Noah nicht schlecht aus. Entsprechend war Will nicht sicher, woher seine Gereiztheit stammte. »Ich weiß nicht, ob ich dir folgen kann. Du könntest doch eine Menge…«

»Ich kann mir jemanden für eine Nacht suchen, klar. Aber es ist nie…«, begann Noah, unterbrach sich und murmelte schließlich: »Vielleicht für eine Mitleidsnummer.«

»Das ist ein bisschen weit hergeholt, oder?«, gab Will ungläubig zurück. Doch als Noah seinem Blick auswich und den Kiefer anspannte, fiel ihm zu erstem Mal auf, dass er heute ein normales T–Shirt und Jeans trug. Natürlich ordentlich gestärkt, wie frisch aus dem Katalog, aber üblicherweise trug er zur Arbeit ein farbiges Hemd und eine Stoffhose.

Und als Noah sich an der Schulter kratzte, verfing sich Wills Blick an seinem Hals dicht über dem Kragen. Dort wirkte seine Haut dicker und unter dem Ohr schien sie regelrecht aufgeworfen zu sein. Das war Will nie zuvor aufgefallen und auch jetzt konnte er es kaum erkennen, da Noahs dichtes Haar die Stelle verdeckte.

Eine Mitleidsnummer? In seinen Ohren klingelten Alarmglocken, als er erneut vorsichtig zu der Stelle schielte. Doch er wollte nicht dabei ertappt werden, wie er die ledrige Hautpartie an Noahs Hals anstarrte, die bis auf seine Schulter zu reichen schien. Litt Noah an einem Geburtsfehler oder hatte er eine Art Unfall gehabt?

»Ich meine, versteh mich nicht falsch…«, sagte Noah, doch Will konnte ihm dank seiner rasenden Gedanken kaum folgen. »Meine Familie hatte vor der Stonewall–Zeit auch Land in den Pines, bevor die Gegend bei Schwulen sogar noch beliebter wurde als Cherry Grove. Dort habe ich Tony kennengelernt und wir haben von unseren Sommern dort immer noch gemeinsame Freunde. Aber das ist lange her und seitdem… Ich würde lieber in der Stadt bleiben und mein eigenes Ding durchziehen. Aber eine Geburtstagsparty mit Antrag? Da kann ich nicht wegbleiben. Es ist zu wichtig, verstehst du?«

Noah hielt inne und wartete darauf, dass Will reagierte, doch ihm wirbelten zu viele Überlegungen durch den Kopf. Daher murmelte er nur etwas Zustimmendes und versuchte zu verarbeiten, was er bisher erfahren hatte. Noah hatte die Sommer mit seiner Familie auf Fire Island verbracht, daher waren sie vermutlich ziemlich wohlhabend. Dennoch arbeitete Noah im Einzelhandel und verdiente kaum mehr als den Mindestlohn. Irgendetwas musste vorgefallen sein. Er war sich nicht sicher, was. Aber aus irgendeinem Grund genoss es Noah nicht mehr, Zeit dort zu verbringen.

Und er ließ anklingen, dass andere Männer nur aus Mitleid mit ihm schliefen. Das spielte sicher auch eine Rolle, warum er einen Escort buchen wollte. Will konnte sich kaum vorstellen, dass dies derselbe gut gelaunte, unausstehliche Kerl sein sollte, mit dem er seit Monaten zusammen arbeitete. Er war das Sinnbild des klassischen Midtown–Typs, hatte jedoch offensichtlich einiges zu verbergen. Und galt das nicht für sie alle?

»Also was meinst du?«, fragte Noah plötzlich und riss ihn damit aus seinen schwerfälligen Gedanken. Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch und Will bemerkte, dass er seinen Kaffee bisher kaum angerührt hatte. »Fällt dir jemand ein? Er muss nur so tun, als wäre er mein Date, und ich erwarte nur… na ja, ich weiß noch nicht. Die Details müssten wir noch besprechen. Fürs Erste wäre es schön, nicht allein dort hingehen zu müssen.«

Als Noah ihn über den Tisch hinweg aus seinen tiefblauen Augen offen und ernst anstarrte, ging Will auf, was für ein einfacher Auftrag dieses Wochenende eigentlich war. Wenigstens kannte er Noah bereits. Das wäre leicht verdientes Geld.

»Wie wäre es… Ich meine, wenn dich der Gedanke nicht zu sehr abstößt…« Will schluckte. Wollte er das wirklich vorschlagen? »Wie wäre es, wenn ich doch mit dir nach Fire Island fahren würde?«

Noah schüttelte den Kopf. »Tu das nicht, nur weil du Mitleid mit mir hast. Bitte.«

Will schlug das Herz bis zum Hals, als er Noahs flehenden Blick bemerkte.

Verdammt, er fühlte sich darunter wie der letzte Dreck. Und er konnte sich gut vorstellen, dass Noah bei anderen Gelegenheiten bereits etwas Ähnliches zu seinem Gegenüber gesagt hatte. Aber es ging nicht um Mitleid. Es ging um Mitgefühl. Verständnis. Auch in seinem Leben lief einiges richtig beschissen.

»Natürlich nicht«, sagte er heiser und versuchte, den Klumpen loszuwerden, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. »Je mehr ich darüber nachdenke… Es wäre einfach leichter. Weil wir uns schon kennen, und jetzt weiß ich auch ungefähr, was du von deinem Escort brauchst.«

Noah starrte ihn lange an, als versuche er, in seinen Augen zu lesen. Dann langsam… sehr langsam streckte er Will die Hand entgegen. »Okay. Dann sind wir im Geschäft.«

Love me louder

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