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Kapitel Eins

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Noah

Noah Dixon öffnete die Online–Einladung, die er von seinem ältesten Freund Tony Malone erhalten hatte. Er hatte sie in eine private Facebook–Gruppe eingestellt, daher hatte Noah eine Meldung erhalten. Sein Mauszeiger schwebte über den Antwortmöglichkeiten: Ja, nein, vielleicht.

Hallo miteinander,

ich gebe zu Matts Dreißigstem eine fette Party im Strandhaus. Geschenke sind nicht nötig. Er würde sich aber freuen, wenn ihr eine Spende an eine seiner bevorzugten Stiftungen leisten würdet. Links siehe unten.

Es wird auch eine Überraschung geben, die ihr nicht verpassen wollt. Aber sagt Matt nichts davon. Ich fände es schrecklich, wenn ihm jemand etwas verrät. Bitte gebt mir Rückmeldung und sagt Bescheid, ob ihr einen Gast mitbringt. Dann können wir Essen und Getränke besser kalkulieren.

Ich hoffe, wir sehen uns bald.

Tony hatte sicher vor, Matt auf der Geburtstagsparty einen Antrag zu machen. Schließlich hatte Noah mit ihm in den letzten Monaten genug Gespräche über Ringe, Ideen, wie man den Antrag machen könnte, und sein wackeliges Nervenkostüm geführt.

Tony und Matt waren seit drei Jahren zusammen. Sie arbeiteten beide als Bilanzanalytiker und waren sich immer wieder in denselben Kreisen über den Weg gelaufen, bis sie sich auf einer Benefizgala endlich unterhalten und verliebt hatten. Der Rest war Geschichte. Noah wusste, wie sehr Tony Matt liebte und wie gern er sein Leben mit ihm verbringen wollte.

Erneut betrachtete Noah die Bitte um Rückmeldung in der Einladung. Tony veranstaltete stets extravagante Zusammenkünfte in seinem Haus in Fire Island Pines und dieses Mal würde keine Ausnahme bilden. Noah seufzte, als sich die vertraute Übelkeit in seinem Magen bildete. Dieses Mal konnte er sich unmöglich rausreden, auch wenn es auf das Übliche hinauslaufen würde: überall wunderschöne Männer. Wunderschöne und halb nackte Männer, die am Pool oder Strand herumalberten. Niemand würde ihm einen zweiten Blick zuwerfen, schon gar nicht, falls er mutig genug sein sollte, sein Hemd auszuziehen. Und meistens war er das ganz und gar nicht.

Er machte niemandem einen Vorwurf daraus. Er war selbst ohne die hässlichen Narben auf seinem Oberkörper kein besonders interessanter Anblick. Über die Jahre hinweg hatte er sich mit einigen Männern getroffen, am College sogar den Versuch gewagt, eine Beziehung zu führen, aber zu viele dieser Begegnungen waren auf unangenehme Weise zu Ende gegangen. Er freute sich bestimmt nicht darauf, der einzige Single auf der Party zu sein. Schon wieder.

Vielleicht war einer seiner Freunde aus der Stadt bereit, ihn zu begleiten. Allerdings erforderte es schon einigen Einsatz, bis in die Pines zu fahren. Nach der Zugfahrt nach Long Island, gefolgt von der Überfahrt mit der Fähre auf die Insel, wollte man im Allgemeinen einfach nur ein oder zwei Tage seine Ruhe haben. Abgesehen davon würde Tony ihm nie vergeben, wenn er nicht über das ganze Wochenende blieb. Angesichts ihrer vollen Terminpläne kamen sie momentan nicht oft dazu, Zeit miteinander zu verbringen, und seitdem Tony ganz mit dem Gedanken an die Verlobung beschäftigt war, hatten sie kaum über etwas anderes gesprochen.

Noah schloss das Fenster mit der Einladung. Er würde später entscheiden, wie seine Antwort ausfallen würde.

Er war seit seiner Kindheit mit Tony befreundet und ihre Familien hatten viele gemeinsame Sommer auf der Insel verbracht. Tonys Eltern würden vor Ort sein und helfen, die Party verschwenderisch auszurichten. Doch wenn Noahs Erinnerung ihn nicht trog, würden seine eigenen Eltern zu diesem Zeitpunkt noch durch Europa reisen. Das war eine Erleichterung.

Noahs Beziehung zu seinen Eltern war in den vergangenen Jahren zunehmend angespannter geworden. Nach dem Unfall hatten sie sich in das Sinnbild von Helikoptereltern verwandelt, die immer über ihn wachten, sich einmischten und nicht zuließen, dass er eigene Entscheidungen fällte oder auch Fehler beging.

Und auch wenn er sie verstehen konnte, fühlte er sich von ihnen erdrückt. Dazu kam noch sein Coming–out mit achtzehn und die Tatsache, dass er sich für eine weniger einträgliche Karriere als Verkaufsberater in einer Filiale von Home and Heart entschieden hatte. Seine Eltern wussten nicht mehr recht, wie sie mit ihm umgehen sollten.

Nicht, dass sie seine sexuelle Orientierung nicht akzeptierten. Es war eher die Tatsache, dass sie so verzweifelt um seine Sicherheit bemüht waren, dass ihr Sinn für Logik irgendwie fehlgeleitet wurde. Darüber hinaus konnte Noah nie ganz das Gefühl abschütteln, dass sein Dad von ihm enttäuscht war. Wegen praktisch allem.

Geistesabwesend strich Noah über das Narbengewebe unter seinem rechten Ohr, dann knöpfte er sein Hemd zu. Der Kragen bedeckte seinen Hals zum größten Teil und seine Frisur erledigte den Rest. Daher musste er unter normalen Umständen nicht die Blicke der Kunden erdulden.

Noah winkte einem Nachbarn zu, als er kurz darauf sein Apartment an der Upper East Side verließ und sich mit der U–Bahn auf den Weg ins Stadtzentrum machte. Er pfiff vor sich hin, während er an einem Saxofonspieler am Zugang zu den Stufen vorbei ging, und warf sein Wechselgeld in dessen leeren Koffer.

Er verstand sich definitiv als glücklichen schwulen Single. Meistens. Nur Einladungen zu einem Wochenende auf Fire Island oder ähnliche Veranstaltungen waren eine brutale Erinnerung, dass er allein war.

Seine Eltern besaßen nach wie vor Eigentum auf Fire Island – eine Wohnung in Cherry Grove, die etwas bescheidener war als ihre Unterkunft in den Sommern seiner Kindheit –, doch sie reisten inzwischen so viel, dass es schade gewesen wäre, sie dauernd leer stehen zu lassen. Daher vermieteten sie sie in den wärmeren Monaten praktisch jedes Wochenende, was nach sich zog, dass Noah sie während Tonys Partys nicht als Zufluchtsort nutzen konnte. Abgesehen davon verband er mit der Insel seit dem Unfall nur noch wenig gute Erinnerungen.

Es war keineswegs so, dass er keine Dates oder One–Night–Stands fand: Sie liefen nur nie auf viel hinaus. Seine längste Beziehung hatte rund vier Monate gehalten und genauso lange hatte er gebraucht, um sich in intimeren Momenten halbwegs wohlzufühlen. Doch die Narben waren für die meisten Männer zu viel des Guten und seine Eltern drängelten zu sehr, sodass die meisten Treffen eher unbehaglich ausfielen. Wenn er schon dabei versagte, sich einen vernünftigen Mann zu suchen, dann wollte er wenigstens allein versagen.

Seine letzte Hauttransplantation lag mindestens zehn Jahre zurück. Es war seine achte Operation gewesen und danach hatte er entschieden, dass er nicht mehr ertragen konnte.

Während er auf der unruhigen Fahrt an der Tür des Waggons Halt suchte, kratzte er sich die Brust. Auch nach all den Jahren war der stechende Phantomschmerz immer noch da. Das Narbengewebe zog sich von seinen Rippen über seine Schulter und den Hals entlang bis hinauf zum Ohr. Seine Ärzte hatten ihm bei zahllosen Gelegenheiten versichert, dass es viel schlimmer hätte ausgehen können. Auch sein Gesicht hätte betroffen sein können, dazu sein Gehör, von Organschäden ganz zu schweigen und der größte Schlag von allen: Er hätte tot sein können.

Daran versuchte er sich stets zu erinnern, egal, wie entmutigend sein Leben manchmal war. Sicher, diese Partys auf der Insel weckten in ihm den Wunsch, zurück in die Stadt zu flüchten und in seinem eigenen Leben zu verschwinden, in dem er sich nie bemühen musste, mehr zu sein, als er war. Aber davon konnte er sich nicht die Laune verderben lassen.

Außerdem musste er für seinen besten Freund da sein.

Er stieg aus und eilte in der Nähe des Saks Fifth Avenue die Stufen zur Haltestelle hinauf. Dort hielt er kurz inne, um das kitschige Blumenarrangement des Kaufhauses zu bewundern, ehe er dann an der stark frequentierten Ampel die Straße überquerte.

Die Wahrheit war, dass er seine Arbeit im Einzelhandel und speziell im Home and Hearth liebte. Es handelte sich um ein gehobenes Lifestyle-Geschäft, das Möbel, Beleuchtung, Kunst und moderne Haushaltswaren anbot. Er hatte schon immer ein Auge für Design gehabt. Daher genoss er es, die Verkaufsausstellungen einzurichten und hatte auch nichts dagegen, harte Arbeit zu leisten, wenn die Regale neu bestückt werden mussten. Der Job war nicht sonderlich gut bezahlt – erst recht nicht gemessen an den Standards seiner Eltern –, aber er finanzierte ihm eine bescheidene Wohnung, die er sich über die Jahre ziemlich hübsch eingerichtet hatte.

Seine Arbeit war das Einzige, worauf er sich im Verlauf der Woche freute. Das und die Limonade, die nebenan im Bagel–Laden von dem heißen Asiaten serviert wurde. Kaffee machte ihn nur zappelig und das konnte er nicht gebrauchen.

Noah nippte an seinem süßen Getränk, als er den Laden betrat, und betrachtete die warm und freundlich gehaltene Schlafzimmerausstellung, bei deren Gestaltung er im Juni geholfen hatte. Der Manager hatte sich als Leitthema Schlafräume an Colleges ausgesucht, auch wenn der Sommer damals erst vor der Tür gestanden hatte. Aber so lief das im Einzelhandel. Man arbeitete immer auf die nächste Saison zu.

Das Geschäft war groß genug, dass zeitgleich mehrere Mitarbeitende anwesend waren. Heute würde er mit Samantha und Michelle zusammenarbeiten. Michelle neigte ein bisschen zum Tratschen, aber Samantha war gesprächig und unbekümmert und das würde helfen, falls es zwischendurch ruhig zugehen sollte. Dazu kam es jedoch während der Hauptreisezeit äußerst selten.

Auch William Crossen hatte sich gerade eingestempelt. Nenn mich Will, hatte er an seinem ersten Tag vor ein paar Monaten zu Noah gesagt, und Noah hatte daraus abgeleitet, dass er ein freundlicher Mensch sein musste. Das war nur bedingt der Fall.

Will war definitiv ein netter Anblick. Noah hätte seine perfekt modellierten Wangenknochen, das Grübchen im Kinn und die vollen Lippen den ganzen Tag lang anstarren können. Aber natürlich war das Interesse einseitig. Nicht nur, weil Will sehr wahrscheinlich hetero war, sondern auch, weil er abgesehen von ein paar Höflichkeiten unter Kollegen nicht viel mit Noah redete, wenn man ihn nicht drängte.

Aber er arbeitete fleißig und kam gut mit der Kundschaft zurecht. Er erzählte nur eben nichts von sich und ging auch selten mit ihnen etwas trinken. Vielleicht hatte er etwas zu verheimlichen und damit kannte Noah sich aus, nicht wahr?

Bald darauf kamen die ersten Kunden und sie hatten alle gut zu tun. Es handelte sich um eine Mischung aus Touristen, Wohnungseigentümern und Familien, deren Kinder an der NYU oder der Columbia aufgenommen worden waren. Die Eltern suchten nach kleineren Schlafzimmereinrichtungen für die jungen Erwachsenen, oder wollten verwaiste Kinderzimmer neu ausstatten.

Den ganzen Abend lang bildete sich eine Schlange vor der Kasse und am Ende seiner Schicht taten Noah die Füße weh. Er war erleichtert, als er hinter dem letzten Kunden abschließen konnte. Anschließend sorgten sie im Erdgeschoss für Ordnung und machten die Kasse.

Schließlich betrat Noah den Personalraum, um seine Tasche aus dem Spind zu holen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Will ein paar Nachrichten auf seinem Handy prüfte. Er hatte heute noch reservierter als sonst gewirkt – nicht, dass Noah ihn gut genug kannte, um seine Launen zu verstehen –, aber irgendetwas, das ihm per Sprachnachricht mitgeteilt wurde, ließ seine Augen aufleuchten. Vermutlich ein heißes Date.

Will warf einen Blick auf die Wanduhr und griff dann hastig nach seiner Tasche. Er angelte eine kleine weiße Karte aus seiner Tasche, kritzelte etwas darauf und stürzte zur Tür. Er murmelte eine hastige Verabschiedung über die Schulter und erst, als Noah vom Neubinden seiner Schnürsenkel aufsah, fiel ihm auf, dass Will die frisch beschriftete Karte heruntergefallen war.

Er griff danach und konnte nicht anders, als zu lesen, was darauf vermerkt war.

Gotham City Escorts

Louise, 22 Uhr, 22 Park Avenue.

In Noahs Ohren begann es zu klingeln.

Ruckartig richtete er sich auf, das Blut stieg ihm in die Wangen. Es war undenkbar, dass er Will noch einholen würde, trotzdem sah er sich, als er sich abgelenkt auf den Weg zur Haltestelle machte, auf der Straße um, um ganz sicher zu sein. Er steckte die Karte ein, stieg in die U–Bahn und dachte auf dem ganzen Heimweg über Will nach. War Will etwa ein Escort?

Er stellte sich vor, wie Will sich auf den Weg zur Park Avenue machte, um sich noch heute Abend mit seiner Kundin zu treffen.

Heilige Scheiße.

Noah hastete im Laufschritt zu seinem Apartmenthaus, warf kaum einen Blick auf seine Post, die er in der Lobby einsammelte, und auch auf der Fahrt hinauf in den fünften Stock war er ganz in seinen eigenen Gedanken verloren.

Während er die Sesamnudeln vom chinesischen Lieferdienst vom Vorabend aufwärmte, griff er nach einer Flasche des importierten Biers, das er sich beim letzten Einkauf mitgebracht hatte. Dann startete er seinen Laptop.

Nach ein paar Bissen, um seinen Magen zu füllen, und ein paar herzhaften Schlucken Bier rief er die Seite des Escortservices auf. Nur aus Neugier.

Das Logo der Website spielte mit dem Gotham City–Batman–Thema, indem es den Umriss der Skyline zeigte. Die Seite war sehr übersichtlich und doch informativ.

Brauchen Sie eine Begleitung für eine Veranstaltung? Sehnen Sie sich nach etwas Gesellschaft?

Dann ziehen Sie doch in Erwägung, eine professionelle Begleitung zu engagieren.

Sie dürfen erwarten, dass unsere Begleitungen sich Ihnen gegenüber höflich, aufmerksam und zuvorkommend zeigen. Sie stellen die Bedürfnisse unserer Kundschaft stets an erste Stelle.

Oben gab es ein Menü, über das man die einzelnen Unterseiten des Escortservice erreichen konnte. Es gab keine Fotos, nur schlichte Beschreibungen der einzelnen Angestellten: Vorname, Haarfarbe, Größe, Gewicht. Noah entdeckte nirgendwo Wills Namen, sodass er sich fragte, ob er mit der Vermutung, dass sein Kollege für die Agentur arbeitete, falschgelegen hatte. Vielleicht hatte Will vielmehr jemanden engagiert. Aber das ergab keinen Sinn.

Erneut holte Noah die Visitenkarte hervor. Darauf stand explizit Louise zu lesen, also vermutlich eine Kundin.

Als er sich wieder der Website zuwandte, bemerkte er ganz am rechten Rand einen mit LGBTQ beschrifteten Tab und klickte ihn an.

Diskretion ist unsere oberste Priorität.

Noah starrte lange auf den Bildschirm, bevor er sich eingestand, dass er die Vorstellung, einen Escort für das Wochenende auf Fire Island zu engagieren, ziemlich verlockend fand. Aber nein, so etwas konnte er unmöglich tun, oder? Wie viel würde das überhaupt kosten?

Er klickte sich durch die verschiedenen Seiten und entdeckte, dass der Preis je nach gebuchtem Escort und Veranstaltung variierte. Einige riefen eine Gebühr von dreihundert Dollar pro Stunde auf.

Noah bestückte die Spülmaschine. In seinem Kopf wirbelten die Möglichkeiten umher und in seinem Magen flatterte es nervös. Zog ein Abend mit einem Escort weitere Dienste wie Sex nach sich? Das stand vermutlich nicht zur Debatte. Immerhin handelte es sich um keine Prostituierten, die man für Sex bezahlte.

Laut der Website boten die Escorts Gesellschaft an und war es nicht genau das, was Noah wollte? Einfach jemanden, der an seiner Seite blieb und vorgab, sein Date zu sein, damit er es durchs Wochenende schaffte, ohne sich so allein zu fühlen?

Noah ließ sich schwer auf die Couch fallen. Es trieb ihm praktisch die Luft aus den Lungen.

War er wirklich so verzweifelt? Und was, wenn etwas vollkommen schiefginge?

Vielleicht könnte er Will direkt ansprechen und ihn fragen, wie sicher diese Sache war. Nein, das konnte er streichen. Wenn es nicht sicher wäre, würde Will es dann tun?

Noah kannte ihn kaum, aber er bezweifelte, dass solche Agenturen überleben würden, wenn sie ihren Angestellten und ihrer Kundschaft neben Diskretion nicht auch ein gewisses Maß an Sicherheit boten. Abgesehen davon: Wollte er Will wirklich wissen lassen, wie einsam er sich manchmal fühlte?

Nun ergab es verdammt mehr Sinn, warum Will nicht wollte, dass jemand allzu viel über seine Angelegenheiten erfuhr.

Noah versuchte, eine Zeitschrift für Wohnungsgestaltungen zu lesen, doch er konnte sich kaum konzentrieren. Stattdessen öffnete er – nach einem weiteren Schluck Bier und definitiv in einem Augenblick des Mutes – Tonys Einladung, klickte auf Ja und trug bei der Anzahl der Teilnehmer 2 ein.

Love me louder

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