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Kapitel 2

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Melda

Wie hatte es nur so weit kommen können? Tu's jetzt, befahl eine innere Stimme. Menschen verschoben lästige Dinge gern auf den rechten Moment, der dann doch nie eintraf. Der rechte Moment war hier und jetzt. Räum endlich auf.

Melda ließ den Blick über das Chaos gleiten, und sie empfand wieder diese lähmende Hilflosigkeit. War es Mamas Stimme? Melda sah die Bilder, wie sie durch das elterliche Wohnzimmer wirbelte, mit dem Staublappen in den Kinderhänden, wie sie das Essen richtete, die Terracotta-Fliesen schrubbte und die Kloschüssel bürstete, und es doch nie recht machte.

Einen kleinen Kratzer und ein kaltes Gefühl auf Meldas Haut hinterlassend, sprang die Katze aus ihrem Arm. Melda folgte ihr mit den Blicken hinüber zur Fensterbank. Selbst auf dem Sims türmten sich leere Dosen und Teller mit alter Bratensoße, deren sich die Katzenzunge annahm. Sie mussten dort seit Wochen dümpeln. Zum Spülbecken war ja auch kein Durchkommen.

Hinter ihr kicherte Jorgas auf.

»Wie du guckst.«

»Wie gucke ich denn?«

»Na, so«, meinte er und zog Grimassen.

»Bengel«, tadelte sie. Sie mochte das Bürschchen, doch von Zeit zu Zeit bedurfte es eines erzieherischen Dämpfers, damit er ihr nicht auf der Nase herumtanzte.

Noch bevor ihr die passende Reaktion einfiel, schnurrte das Handy. Eine SMS, von Luzifer. Lass uns reden. Gewohnte Zeit, neunzehn Uhr?

Seufzend versenkte sie das Handy in der Hosentasche. Über Luzifer wollte sie jetzt nicht nachdenken. Zuerst die Brücke finden. The bridge. The bridge over troubled water. Sie nannte den schmalen Durchgang zu Bad, Küche und dem zum Kinderzimmer umfunktionierten Büro die Brücke, die sich durch Schluchten aus Unrat wandt.

Ein wenig schämte sie sich vor dem Jungen. Sie sollte ein Vorbild sein. Stattdessen bot sie ihm Dreck und Flöhe, seit dem Tag, als ihre kleine Maria für immer aus ihrem Leben verschwunden und Jorgas ihr fast zeitgleich zugelaufen war wie eine mutterlose Katze. Knapp ein Jahr war seither vergangen. Ein Jahr, das Jorgas und Melda zur untrennbaren Einheit verschweißt, ein Jahr, das Melda den Jungen lieben gelehrt hatte wie ihr eigenes Fleisch und Blut. Auch wenn er sich manchmal bockig zeigte: Er liebte Melda von Herzen, war ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihr engster Vertrauter. Am liebsten saß er im Schneidersitz, dort auf dem Bierkasten zwischen Klamottenstapeln, und gerade bohrte er höchst ausführlich in seiner Nase. Dabei wackelte die Nickelbrille auf seinem Nasenbein, die Melda für einen Euro plus Versand bei E-Bay ersteigert hatte, weil das Geld für den Optiker hinten und vorn nicht reichte.

»Jorgas hat Hunger«, verkündete der Racker. Eingehend betrachtete er das Produkt seiner Fingerübungen, bevor er es in den Mund steckte.

Melda seufzte.

»Scheint mir auch so.«

»Gibt's Schoki?«

»Wart's ab.« Sie strebte auf die Brücke zu. Schokolade war eine gute Idee, die Süßigkeit hob sofort die Laune. Mit etwas Glück fand sich im Kühlschrank noch eine Tafel Trauben-Nuss vom letzten Einkauf.

Linkerhand wucherten Zeitschriften, Kissen, ein String-Tanga, auf der anderen Seite der Brücke verschüttetes Katzenfutter, Katzenkot, Lebendiges: Kugelkäfer, die sich im Futter tummelten, eine surrende Schmeißfliege. Zwickte Melda die Augen zusammen, so verschwamm das Ganze zu einer breiigen Masse, ein Konglomerat schmutziger, erdiger Farben. Wie bei Hochwasser, dachte sie, wenn der Main über die Ufer trat und Schlamm und Sand anspülte.

Wenn Mama das sähe! »Saustall«, würde sie sagen. »Aus dir wird nie was Vernünftiges werden.«

Melda fiel ein, was der Main letzte Woche noch so alles preisgegeben hatte, und für eine kleine Sekunde schimmerte dort zwischen dem Unrat ein bleiches Gesicht, worüber die Maden krochen. Es war das Gesicht von Pfarrer Kunze.

Sie war geübt im Verdrängen von Schmerz und Gefühl, sie wandte den Blick von dem grässlichen Bild. Bestimmt war er selbst schuld an seinem Tod, der Pfaffe.

Im Vorbeigehen fand sie eine Plastiktüte. Mit spitzen Fingern sammelte sie ein Toastbrot mit Käfern hinein. Der Gestank, irgendwo zwischen Schimmel und Tod, trieb ihr Tränen in die Augen, sodass sie beschloss, öfter durchzulüften. Herr Großkurt, der Vermieter, hatte sich zu einem Gespräch angekündigt. In dieses Durcheinander konnte sie ihn unmöglich bitten, sonst würden sie nicht über Mieterhöhung, sondern gleich über Kündigung reden. Melda musste die Müllsäcke holen: ein seelischer Kraftakt.

In ihrer Tasche vibrierte das Handy, doch sie konzentrierte sich auf die Müllsacksuche. Der sanfte Summton steigerte sich zum Klingeln.

Jorgas rief: »Hast du was mit den Ohren, Mel?«

»Sei lieber still, Freundchen«, zischte sie. »Hörst du? Sonst esse ich die Schoki allein auf.«

»Wenn es wieder Luzifer ist ...«

»Was dann?«

»Kann ihn nicht leiden.« Es war erschreckend, wie klar Jorgas oft Meldas Gedanken aussprach. In letzter Zeit hielt sie nicht mehr so große Stücke auf den Hohepriester, das hieß, die Gefühle für diesen Mann wechselten. Noch gab es Zeiten, in denen sie Zärtlichkeit fühlte.

Sie machte noch einen Schritt und blieb Jorgas die Antwort schuldig. Was wollte Luzifer? Wollte er ein privates Treffen, oder hatte er ihr etwas Wichtiges, Gruppeninternes mitzuteilen?

Unterwegs klaubte sie die Grauwollene auf, die ihr leise maunzend um die Beine strich.

»Schscht, Katze. Kriegst gleich dein Fresschen.«

Nach Meldas Trennung von Dimmi hatte Luzifer angefangen, ihr wieder Avancen zu machen. Wollte sie das? Sie sah ihn mit anderen Augen. Seit Walpurgis, letztes Jahr.

»Schoki«, bettelte Jorgas, und jetzt surrte auch noch das Festnetzgerät.

Melda zog den Kopf zwischen die Schulterblätter, spürte den schnelleren Herzschlag, und wie sie die Finger tiefer in das Katzenfell krallte. Luzifer spielte gern die beleidigte Leberwurst, wenn man ihn ignorierte. Sie zog das Handy aus der Hosentasche, noch bevor sie die nötigen Müllsäcke aus dem Hochschrank gleich neben der Tür holte und dann seitlich die Kühlschranktür wegen der Schokolade öffnete. Sekundenlang starrte sie das Display an wie einen Feind.


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