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Kapitel 5

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Natalja

»Doc Stein is unnerwegs«, verkündete Pit, der soeben mit dem Handy am Ohr den Hof betrat. Horst Stein arbeitete als Pathologe im gerichtsmedizinischen Institut in der Kennedyallee. Hie und da kreuzten sich unsere Wege, etwa, wenn mir an der Natürlichkeit eines menschlichen Ablebens berechtigte Zweifel kamen. Bis heute war dies nur selten vorgekommen: Am Eindrücklichsten haftete mir die junge Frau mit dem blauen Auge und den zahlreichen Blutergüssen im Gedächtnis, die angeblich die Kellertreppe hinuntergefallen war. Gemeinsam mit der Polizei und Marc Bernstine, den ich bei dieser Gelegenheit vor sechs Monaten kennengelernt hatte, war ich einem Familiendrama auf die Spur gekommen.

Hilflos schauten wir auf Galanis' sterbliche Hülle. Die Leichenflecke und die Leichenstarre waren voll ausgebildet. Fliegeneier klebten an Augen, Mund und Nase und der offenen Stelle an der Kopfhaut, Maden waren bereits geschlüpft. Das deutete auf einen Liegezeitraum von um die zehn Stunden hin.

Ein laues Lüftchen wehte hier draußen, strich mit sanfter Hand durch mein Haar. Aber mir war kalt wie in Februar-Tagen.

»Wer macht denn so was?« Assoziationen an Indianer und Marterpfähle tauchten vor meinem inneren Auge auf, obwohl Galanis nur ein recht kleines Quadrat Kopfhaut fehlte. »Ich frage mich gerade«, sagte ich mit trockenem Mund, »ob diese ... Teufel ... die Hände im Spiel haben.«

»Daran dachte isch aach schon.« Pit presste die Lippen aufeinander und zeigte auf Galanis' Nacken. »Und zwar deshalb. Das hier is doch des Satanssymbol?«

Ich zuckte zusammen. Ein Goats Head. Ziegenkopf. So einen hatte auch Dana auf ihrer Schulter getragen. Meines Wissens hatte sie aber nie mit Satanisten zu tun gehabt. Oder doch?

»Du kanntest den Mann?«, wollte Pit wissen, dem meine Reaktion bei der Betrachtung der Leiche aufgefallen war.

»Kennen ist zu viel gesagt. Ich hab drei Wörter mit ihm gewechselt.« Ich rieb meine Arme, bis mir wärmer wurde. Es war natürlich Unsinn, doch ich machte mir Vorwürfe, gestern nicht länger an der Seite des Professors verweilt zu haben. Was für ein Drama war da passiert, während ich seelenruhig mit dem Bus nach Hause fuhr?

Die wichtigste aller Fragen brannte mir auf der Zunge: Was hatte Galanis ausgerechnet in meinem Hof verloren?

»Der Mord passierte sischer ganz in der Nähe«, meinte Pit, der ja die Theorie vertrat, dass die Entsorgung in meinem Hof dem puren Zufall geschuldet war.

»Ich wüsste zu gern«, sagte ich, und ich wiederholte mich, »ob das hier einen Zusammenhang mit der Seestraße hat, wo die Satansbrüder wohnen.«

»Überlass die Fragen lieber der Polizei, Allia.«

Carlos war herangetreten, ein seltener Anblick in meinen heiligen Hallen und ebenso im Hinterhof, wo schon mal der eine oder andere leere Sarg lagerte. Niemand verdrängte den Gedanken an Gevatter Tod so sehr, wie er es tat. Umso mutiger fand ich es, dass er ausgerechnet mich zur Partnerin gewählt hatte. Er war eine respektable Erscheinung, doch ich sah seine Augen unruhig flackern. Der Anblick der Leiche musste ihn tief verstören. Zu Recht, wie ich meinte. Die Situation war so irreal wie bedrückend.

»Lass uns ins Haus gehen«, bat ich Carlos, der die Nummer der Schulleitung wählte, um sich für heute freizunehmen. Mir wurde klar, dass bis zum Eintreffen der Kripo bei der Leiche niemand etwas zu suchen hatte. Aber da stand er schon im Hof, der wandelnde Vorwurf.

»Natalja.« Horst Stein, mittelgroß, schmal und eine Frisur wie Einstein, machte einen förmlichen Diener vor meinem Rollstuhl, Schuppen fielen von seinem Scheitel auf meine schwarze Hose. »Schade«, sagte er, »dass die Umstände nicht erfreulicher sind.«

»Liebling«, wandte ich mich an Carlos, »das ist Dr. Stein.«

Carlos reichte dem Doktor die Hand. Ich gewahrte den neuen Anhänger an der Kette um seinen Hals. Extravagant in der bizarren Form und sicher nicht von der Stange. . Erinnerte an sein Sternzeichen, den Steinbock. Carlos hatte Geschmack, und den zeigte er gern her.

Ehe er den Arm um meine Schulter legte, begrüßte er auch Steins hinzugetretenen Kollegen sowie die zwei eingetroffenen Polizisten. Ich indessen fegte genervt die unappetitlichen weißen Punkte von meinen Hosenbeinen.

»Da, schauen Sie«, forderte ich Stein auf und wies zur Leiche hin. »Sein Hinterkopf.«

Galanis‘ Blick schien mich zu fixieren. Strafend, irgendwie. Er schien zu sagen: »Wieso lasst ihr mich nicht in Frieden?« Ich konnte das nicht länger ertragen und erlaubte mir eine Handlung, die eher Horst Stein gebührte oder einem seiner Kollegen im Institut. Auf Kopfhöhe mit Galanis hielt ich an und drückte mit Bedacht die Safranaugen zu.

»Das ist ...« Stein rang um Fassung, und war damit in seinem Element – als wandelnder Vorwurf.

»Ist was?«, erkundigte ich mich scheinheilig. Er zückte ein Taschentuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Während die Polizisten die Personalien der Anwesenden notierten, und Carlos mir eine Decke für meine ausgekühlten Beine besorgte, hockte Stein mit verkniffenem Blick neben der Leiche, wehrte um seinen Kopf surrende Schmeißfliegen ab und beschwor mit seinen dürren Armen in mir Assoziationen an Dobby aus Harry Potter herauf.

»Die Arbeit«, nannte er es, was er in sein Diktiergerät sprach, »wurde akkurat ausgeführt, saubere Schnittränder. Von einem natürlichen Tod ist derzeit nicht auszugehen. Näheres, wenn ich den Mann auf dem Tisch hatte.«

Ich war Bestatterin. Von mir wurde einfach erwartet, dass mir jetzt nicht schlecht wurde. Ich schluckte. Ich musste hier weg. Am weitesten entfernt von Mord und Totschlag erschien mir die biedere Gemütlichkeit meiner Wohnstube, und Carlos nickte mir aufmunternd zu, während man die Leiche zum Abtransport in die Gerichtsmedizin vorbereitete und ich Horst Stein fragte:»Cappuccino, Doc, dazu ein Kreppel mit Blutorangengelee?«

Nein, sagte er, bedauernd. Er sei schließlich im Dienst.

Eine halbe Stunde nach dem vereinbarten Date und nach sieben von mir verspeisten Weingummiteufeln mit roten Mistgabeln war Claudia noch nicht im Café erschienen. Wie konnte sie es nur vergessen, noch gestern hatten wir kurz gesprochen, da ich ihr die schreckliche Sache mit Galanis mitteilen wollte, bevor sie es aus der Zeitung erfuhr.

Die Mailboxstimme leierte ihren Spruch herunter. The person you are calling is temporarily not available.

Na warte, dachte ich, die kann etwas erleben! Wohin sollte ich nun, mit meinem Mitteilungsdrang, meinen Sorgen und Nöten, und ja, mit meinem Zorn aufs Schwesterherz?

Die Antwort lag klar auf der Hand, nämlich in Form der gerade gelesenen FAZ, und so fand ich mich schon wenig später in der Frankfurter Hellerhofstraße wieder. Marcs Schlagzeile lautete: Mord im Bestattungsinstitut. Sie trug nicht eben zur Senkung meines Blutdrucks bei.

Im Foyer des FAZ-Gebäudes brannten trotz hellem Tag die Lampen. Rocco mit den Rasta-Zöpfen, mein Lieblingspförtner, öffnete das Tor, nachdem ich über die Rampe zum Seiteneingang gefahren war. Ich plauschte ein paar nette Minuten mit ihm und steuerte dann den Panoramaaufzug rechts neben der geräumigen Wendeltreppe an. Ab dem sechsten Stockwerk lag das Glasrondell des Liftes im Freien und ich hatte einen interessanten Blick über die Häuser.

Im siebten Stock stieg ich aus. Neonlicht erhellte den Flur mit den zwei Reihen Bürotüren, es roch nach frisch Gedrucktem.

Marcs Tür stand offen. Er hatte die Beine überkreuz auf dem Schreibtisch liegen und schoss Papierkügelchen in den Abfallsammler, die vermutlich von irgendeiner verpatzten Presseerklärung stammten. Bei meinem Anblick sprang er auf und eilte mir mit ausgebreiteten Armen entgegen.

»How are you, my love?«

»Störe ich?«

»Du störst nie.« Er musterte mich. »Toll siehst du aus. Nahtlose Bräune?«

»Nur oben rum«, sagte ich und nieste, wie zur Bekräftigung.

Er blieb stehen.

»Du – bist doch nicht krank?«

»Geht so.« Das war glatt gelogen. Ich fühlte mich hundsmiserabel, mein Hals war zugeschwollen und das Schlucken tat weh. Doch ich wusste ja, welch ein zartbesaiteter, eingebildeter Kranker mein Freund hier war. Bestimmt ängstigte er sich gerade, sich bei mir anzustecken, wenn er sich nur einen Schritt näherte. Ich fragte mich, wie er es je geschafft hatte, in die Intimsphäre einer weiblichen Person vorzudringen, ohne beim Küssen tausend Tode zu sterben, aus Angst vor den Bazillen. Gleichzeitig wusste ich, dass ihm dies mindestens einmal gelungen war.

»Tee?« Die Frage kam aus sicherem Abstand.

»Mit Kandis, bitte.«

Er trat an das Sideboard, der Stoff der hellen Leinenhose umspielte großzügig seine Knie. Ich beneidete ihn. Er konnte essen, wonach immer es ihn gelüstete – kein Gramm Fett legte er zu, wohingegen ich in meiner Situation täglich um die schlanke Taille kämpfte.

»Don’t-worry-be-happy« pfeifend, packte er meine Lieblingssorte Rotbusch mit Vanillearoma in eine Tasse und goss heißes Wasser aus dem Wasserkocher auf. Das Thema Leiche-im-Hof umschiffte er mit seiner guten Laune, ich ahnte, er wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Ich erzählte derweil von sonnigen Stränden und Palmen und leckerem Moussaka. Doch während ich erzählte, stieg Wehmut in mir auf. Denn ich sah wieder die Bilder von damals vor mir: Den Strand von Georgioupolis, den ich in meinen Griechenland-Urlauben seither mied wie der Teufel das Weihwasser. Ich sah den leeren Platz an meiner Seite auf der Badematte neben meiner gelben Luftmatratze. Ich war erst knapp einundzwanzig, als meine geliebte Schwester vom Schwimmen im Meer nicht mehr zurückkehrte.Es gab nicht einen plausiblen Grund. Doch ich weigerte mich standhaft, um Dana zu trauern, und hatte gar das Gefühl, sie schritte wie mein Schatten neben mir durch mein Leben. Da ich damals ihren Tod nicht fühlte und die Bestattung ohne Leichnam für eine Farce hielt, war die rote Rose bis heute in meiner Obhut geblieben, die Mama für die Beerdigung gekauft hatte. Ich hatte sie nicht diesem leeren Grab übergeben, sie trocknen lassen und ihr später in meiner Wohnung den Ehrenplatz auf dem Klavier vermacht. Dana und das Klavier, das war Harmonie pur wie Sonne, Wasser, sanftes Wellenrauschen. Rein nach ihrem Äußeren hätte ihr das kein Mensch zugetraut. Man hätte sie viel mehr in die Kategorie Domina oder aber Telefonsex-Hure gesteckt, die sich die Fußnägel lackierte, während sie zahlungskräftigen Herren eifrig ins Telefon stöhnte. Sie war eine Virtuosin, eine Tastentänzerin, beglückte jede Familienfeier, »Flohwalzer«, »Pour Eloïse«, wenn ohnehin Tante Grete schon pausenlos schnatterte.

Marc schloss das Fenster, und aufgrund seiner Miene ahnte ich seine Gedankengänge: Ein rotznasiger Gast in Kombination mit frischem Luftzug potenzierte die Krankheitsgefahr. Ganz still war es nun im Raum, da die Geräusche der Straße ausgesperrt waren. Nur der Tischventilator rauschte.

»Wie geht's dir sonst so, Birdie?« Ich rang mir ein Lächeln ab.

»Abgesehen von Mord und Totschlag«, begann ich und zuckte nur mit den Schultern, als wäre das alles nichts. Birdie. Wie hatte ich es vermisst! Marc hatte mir den Spitznamen aufgrund meiner Affinität zu Papageien und anderen Krummschnäbeln verliehen. Ich schätzte mich glücklich, dass der Mann mit dem Indianerherzen mich nicht etwa »Die mit dem Federvieh knuddelt« nannte. Zuerst wollte ich ihn auf die reißerische Schlagzeile mit dem Bestattungsinstitut ansprechen, doch ich schwieg. Die Sache war ohnehin gelaufen und nicht mehr rückgängig zu machen.

Ich nahm die Tasse in Empfang, umschloss sie mit beiden Händen, pustete etwas kühle Luft hinein in die Hitze und bedankte mich für den nach Schokolade duftenden Brownie, den Marc mir auf einer Untertasse thronend servierte.

»Eine böse Geschichte«, stimmte er mir zu und nahm mir gegenüber Platz. Etwas versetzte mich in eigentümliche Spannung, unter der ich sein Unterzeichnen einiger Schriftstücke beobachtete. Es war der Anblick seiner Hände. Feingliedrig waren sie, doch kraftvoll. Auf den Handknöcheln sprossen helle Härchen, die auf mich wie kleine Rebellen wirkten, da sie kreuz und quer abstanden, wie in Verteidigungsstellung. Sie passten zu dem Mann, der, wenn es darauf ankam, zum Löwen mutierte, im Kampf gegen die Ungerechtigkeiten der Welt. Ich konnte nicht aufhören, diese Hände anzustarren und mir auszumalen, wie sie zärtlich über meinen Nacken strichen, sich zu meinem Gesicht voranarbeiteten, und wie ich die Berührung mit einem sanften Kuss auf die Fingerspitzen erwiderte. So, wie ich es schon einmal getan hatte. Vor einigen Wochen.

Die Erinnerung an jenen sehr intimen Abend lastete auf meinem Gewissen, auch wenn mir Carlos mit seiner neuerdings ernsten bis schroffen Art nicht ganz unschuldig vorkam an meinem sehnsüchtigen Ausflug in fremde Arme. Ein Sonnenschein wie Marc vertrieb einer Frau spielend den Ehekummer. Ertappt wich ich seinem forschenden Blick aus und inspizierte meine Fingernägel. Das mit Marc hätte nie passieren dürfen, ich bereute aufrichtig. Ich liebte doch meinen Carlos, gleichzeitig erkannte ich, wie schwierig es war, mit Marc in den Freundschaftsmodus zurückzuschalten.

Marc sagte: »Komm schon, Birdie, mach mir nichts vor. Ein Toter in deinem Hof, das ist harter Tobak. Aber da ist noch mehr, nicht wahr? Wo drückt der Schuh? Du hast doch keine Ehekrise?« Für eine Sekunde glomm ein hoffnungsfrohes Licht in seinen Augen, als unsere Blicke sich trafen.

»Was du dir so einbildest. Allerdings ...«

»Yes, my love?«

Wieder strahlten seine Augen. Die Sache gestaltete sich schwieriger als erwartet. Schließlich entschloss ich mich, über Dinge wie die Rothaarige vom Airport oder diese ominöse Roja zu schweigen. Das machte Marc nur Hoffnung, und zwar auf einen baldigen Rosenkrieg zwischen Carlos und mir.

Geräuschvoll atmete er aus. »Verstehe«, sagte er. »Reden wir also über Galanis. Das wolltest du doch?«

Als er sich nach vorn beugte, lösten sich mit der abrupten Bewegung einige Locken, die er sorgsam hinter das Ohr gestrichen hatte. Das mittlere Blond zeigte im Neonschein einen winzigen Rotstich. In letzter Zeit schien meine Wahrnehmung regelrecht auf rotes Haar getrimmt zu sein.

»Ich habe eine Scheißangst, Marc«, gab ich zu und benieste meine Offenheit.

»Ängste«, erklärte Marc, »sind mein Ressort, Birdie. Du bist doch die Starke in unsrem Gespann ...« Er nahm meine Hand und sah mir tief in die Augen, wollte noch etwas sagen und begann damit, wie leicht beeinflussbar und schwach er oft sei, auch wenn es nach außen hin niemand bemerke. Aber er unterbrach seine Rede, als Heinz Hasse ins Zimmer trottete, ein früherer Schmierblattschreiber und mittelmäßiger Kolumnist, dessen Spitzohren auf hab acht standen. Marc warf einen raschen Blick in das Pamphlet auf dem Tisch, eine Artikelrohfassung über die Eröffnung eines neuen Fitnessstudios in Bornheim.

»Samstagsausgabe«, meinte Marc, »Rubrik Rhein-Main-Markt«, und drückte Hasse das Bündel Papier in die Hand.

»Ist gut, Chef.« Hasse stapfte von dannen, Marc sammelte sich kurz.

»Wo waren wir stehengeblieben?« Er wurde sachlich und rückte ein Stück von mir ab. »Ah-ja. Der Professor. Ehrlich, die Sache ist mir ein Rätsel.«

»Frag mich mal.«

»Ich meine: Wieso ausgerechnet deine Adresse, Babe?«

»Pitti glaubt an Zufall.«

»Und was glaubst du?«

»Ich glaube, Galanis war nur die Spitze vom Eisberg.«

»Nun, ich will dir keine Angst machen, aber aus Erfahrung ...«

Das saß. Er hatte denselben Eindruck.

Er fügte an: »Es scheint mir ein Ritual zu sein.«

»Sehe ich ebenso. Du denkst dabei an den Pfarrer, oder?« Ich fischte den Teebeutel aus dem Becher, umwickelte ihn mit dem Fädchen und deponierte ihn auf der Untertasse. Vanilleduft stieg mir in die Nase, süß und lieblich, als gäbe es nicht Mord und Totschlag in unserer unmittelbaren Nähe.

»Birdie, my dear«, nahm Marc den Faden wieder auf. »Was fällt dir eigentlich so zu Galanis ein?«

Ich sprach über meine Begegnung mit ihm im Flugzeug.

»Er trägt einen griechischen Namen. Hast du Verwandte in Griechenland, Freunde? Feinde?«

»Freunde? Nur den hübschen Kellner vom Strandrestaurant in Georgioupolis. Du, der hat ein Paar Augen ...« Ich straffte meinen Oberkörper und schleckte den Teefleck auf meinem Zeigefinger ab. »Und du und der Pfaffe?«, wollte ich wissen. »Bist du am Fundort gewesen?«

»Ist mein Job.« Job hin oder her, ich wunderte mich nicht zum ersten Mal, woher die Zeitungsfuzzis so schnell Wind von brisanten Ereignissen bekamen.

»War Holger Busch vor Ort?« Den Frankfurter Hauptkommissar und Marc verband eine Art Hassliebe. Der eine konnte nicht ohne den anderen, aber miteinander konnten sie auch nicht so recht.

Marc nickte geistesabwesend. »Busch und ein alter Kumpel von mir. Tom Weyers, Kripo Frankfurt.«

»Wie sah die Leiche aus?«, bohrte ich weiter.

»Zum Glück stand ich abseits, aber ehrlich?«, erwiderte er. »Stundenlange Entspannung in der Badewanne ist künftig passé. Die Schrumpelhaut ... dazu das Kopfkino ...«

Der Brownie schmeckte trotzdem. »Aussagen über die Kopfverletzung?«

Marc musterte mich. »Wer stellt hier eigentlich die Fragen: Busch oder du?«

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

»Freiwillig kommt von dir ja nichts. Bist doch sonst so ein Plaudertäschchen.«

»Ein Tier war das wohl nicht, sagt Busch, viel zu akkurat, die Wunde. Sah aus wie sorgsam herausgeschält.«

Kurz bevor ich wieder zubeißen konnte, ließ ich das Schokogebäck sinken.

»Wie bei dem Professor.«

»Apropos Galanis.« Der Stift, auf dem Marc herumkaute, zeigte viele kleine Dellen. »Der Mann soll zwar in Frankfurt gewohnt haben. Aber ihm gehört auch ein Waldhaus im Oberurseler Stadtwald, wo er die Wochenenden verbracht haben soll.«

»Soll er das?« Ich stellte mir das heruntergekommene Haus mit der Viehweide an der Waldlichtung vor, von dem sicher die Rede war. Carlos und ich hatten den einen oder anderen „Spaziergang“ dorthin unternommen.

„Es ist nur eine kurze Autofahrt“, sagte Marc. Das Gespräch, fand ich, nahm gerade eine ungute Wendung.Unsere Blicke trafen sich.

»Oh nein, mein Lieber«, wehrte ich mich, mit großzügiger Milde in der Stimme. Ich kannte doch meine Pappenheimer. Natürlich brannte in mir die Neugier, aber das jetzt war zu viel. »Das hast du nicht wirklich vor, oder?«

»Was hältst du davon, Birdie? Ein wenig umsehen in der Gegend, ja? Morgen früh? Ich schiebe Schmidtchen sogar freiwillig.«

Schmidtchen. Der Name meines Rollstuhls – natürlich Marcs Idee.

»Also ich nenne das schnüffeln.« Aber wer konnte diesem spitzbübischen Grinsen schon etwas abschlagen?

»Du willst es doch auch, Babe«, hakte Marc nach, mit übertriebenem Augenklimpern.

»Na schön, machen wir einen kleinen Ausflug. Aber unter einer Bedingung: In deine Rostlaube setze ich keinen Fuß.«

»Das wollte ich hören. Ich liebe übrigens dein süßes Familienauto. Vor allem ohne deine Familie.« Damit meinte er Carlos.

Wäre ich frei und ungebunden, Marc hätte mich auf der Stelle mit Kusshand genommen. Nun, vielleicht nicht auf der Stelle. Die Erkältung stand im Weg. Ich war gespannt, wie er es ohne Mundschutz auf der Fahrt hoch in den Oberurseler Stadtwald neben einer Bazillenschleuder wie mir auszuhalten gedachte.

Mein freier Nachmittag bot noch Zeit für einen Schaufensterbummel in der Stadt, doch zuerst wollten ein paar Formalitäten mit Pit geklärt sein.

Bei einer Spazierfahrt durch Frankfurt ging es mir gar nicht so sehr um den Konsum, eher darum, die Seele baumeln zu lassen. Schon in meiner Schulzeit waren eine Freundin und ich durch die Stadt gezogen und hatten uns an den Schaufensterauslagen ergötzt, obwohl das Taschengeld viel zu knapp bemessen war, um die Läden zu betreten.

Während Mona zwei frei gewordene Räume desinfizierte, ging ich mit Pit noch die Bestellungen durch: Rosenkränze mit Holz- oder Glasperlen, Totenhemden in Größe L, Visitenkarten, zwei neue Seidengestecke mit weißen Lilien für die Wände des Schauraums mit den Särgen, zwecks der feierlichen Stimmung.

»Und bitte, denke an die Kiefernmodelle zu neunhundertneunundneunzig Euro«, bat ich Pit, wobei ich mich kräftig schnäuzte und wünschte, Galanis hätte seine Bazillen für sich behalten. Meine Stirn fühlte sich heiß an, es ging mir stündlich schlechter.

Pit fummelte an seiner Goldrand-Brille herum.

»Für wen solle die denn sein, hab isch was verpasst?«

»Die Güttler-Zwillinge«, sagte ich nur, und er nickte wissend und zeigte den Vogel in Richtung Bad Vilbel, wo Güttlers wohnten. Die beiden Schwestern waren seit Jahren meine treuen Kundinnen und die Einzigen, die turnusmäßig neue Särge bestellten, nicht für den Friedhof, sondern für das heimische Schlafzimmer. Sie rühmten die Bequemlichkeit und den tiefen, traumlosen Schlaf in der Holzkiste. Dabei liebten sie durchaus die Abwechslung, früher durfte es schon mal Ebenholz sein, doch nun, da es auf die Rente zuging, waren preiswerte Hölzer gefragt.

Pit grinste. »Ob die zwei nachts ausschwärme un de Leut das Blut aussauge?«

»Unsinn, die sind harmlos. Ich fürchte mich eher vor der Indianerfraktion.« Spontan dachte ich an Marc zurück, mit dieser quälenden Sehnsucht in mir. Ich hätte ihn fragen können. Er war indianischer Abstammung, vielleicht wusste er mehr über solche Praktiken wie das Skalpieren. Von Horst Stein würde ich ohnehin nur das Nötigste erfahren, wegen der Schweigepflicht.

»Wie meinst du das?«, wollte Pit wissen. Manchmal stand er aber auch schrecklich auf dem Schlauch, und ich hatte keine Lust, eine detaillierte Antwort in die lange Leitung zu schicken. Er reckte den Hals nach Mona, die soeben auf dürren, langen Beinen und in ihrem grünen Lieblingspullover das Büro betrat. Die meisten Menschen ließen sich meiner Meinung nach in Vogelarten katalogisieren: Mona war eindeutig ein Storch.

»S'Allinsche will in die Stadt«, verkündete Pit, während das Haustelefon schnurrte. Ich spürte, wie ich errötete, immer noch, nach zwei Jahren gemeinsamer Arbeit mit diesem zwar etwas naiven, dafür aber grundehrlichen und direkten Typen. Nicht jeder durfte mich sein Allinsche nennen. Nur, weil ich im Rollstuhl saß und von recht kleiner Statur war, war ich noch lang kein hilfsbedürftiges Hascherl.

»Ich bin dabei«, sagte Mona spontan. Sie wusste doch, dass mindestens ein leckeres Mittagessen bei solchen Gelegenheiten heraussprang. Mit dem vertrauten Pokerface streifte sie die Handschuhe ab, parkte sie auf dem Schreibtisch, griff an den Wandapparat und reichte mir den Hörer.

»Möchtest du, dass ich dich begleite?«, fragte Carlos am Telefon. Es tat gut, wie man sich plötzlich um meine Gesellschaft riss. Doch auch, wenn ich Carlos für seine Bereitschaft liebte: Ich gab Mona den Zuschlag, da mein Mann sich beim Shoppen tödlich langweilte.

»Wohin soll’s denn zuerst gehen?«, wollte sie wissen. Sie warf den Kopf in den Nacken, wasserfallartig wallte das Blondhaar über ihre Schulter – das einzig Üppige an ihr. Ihre grauen Augen taxierten mich.

»Douglas«, antworteten Pit und ich wie aus einem Mund.

Dass ich Parfumfreak war, wusste schließlich jeder im Haus.

»Dann mach ich mal die Luken dicht«, meinte Mona, zückte den Schlüssel für die Kellerräume und wandte sich Richtung Garderobe, wo ihre dünne beigefarbene Fleecejacke hing. Sie sah auf ihre Armbanduhr. »So in ungefähr – einer Minute?«

Ich warf eine Kusshand und tauschte noch einen Blick mit Pit.

»Grüß mir Jochen«, bat ich ihn und verabschiedete mich bis morgen, da ich nicht vorhatte, vor seinem Feierabend zurückzukehren. Innerlich grinste ich, weil ich mir den schönen Jochen nackt vorstellte. Mit rasiertem Herz. Der Sound meines Handys »Pour Eloïse« rettete mich vor einem bösen Kicheranfall.

»Wie?«, hörte ich mich zu Horst Stein sagen. »DNS gefunden? Das Ergebnis? In ein paar Tagen, ich weiß Bescheid.« Bis zum Wochenende also sollte ich Professor Dimitrios Galanis wiederhaben. Und mein »Bestattungsinstitut Sanchez« würde Formalitäten erledigen und die Beerdigung einleiten. Alles völlig normal, alles ging seinen üblichen Gang. Ich aber nahm mir vor, ab heute die Haustüren sorgsam von innen zu verriegeln, ehe ich schlafen ging.


In Teufels Hand

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