Читать книгу In Teufels Hand - Christine Bendik - Страница 7
Kapitel 4
ОглавлениеMelda
Die Frau gegenüber blickte sie traurig an. Melda streckte die Hand nach ihr aus, doch die traf nur auf die Kälte des Flurspiegels. Luzifers dritter Versuch hatte schließlich gefruchtet, sie hatten miteinander telefoniert und ein Date vereinbart – unter Jorgas‘ finsteren Blicken. Luzifer behauptete, er sei immer noch verrückt nach ihr, sie aber konnte diese Liebe nicht fühlen und sehnte sich nach einem anderen. Eine Weile hatte sie überlegt, einen Spaziergang zu machen, hinauszugehen aus ihren vier Wänden, und sie hatte sich den feinen Seidenschal mit den Bommeln umgelegt, weil sie sich im Schatten so leicht verkühlte. Aber ihren Gedanken nachhängen, das konnte sie ebenso gut im Beisein Jorgas‘ und der Katze. Sie mochte sowieso keine Menschen, mit Ausnahme einiger Apostelbrüder und -schwestern. Die Momente, die sie mit der Außenwelt verbanden, ließen sich an einer Hand abzählen: Da waren die Gruppentreffen, alle paar Wochen ein Kinobesuch, und samstags der Einkauf bei Edeka.
Die freie Ecke der Couch, auf die Melda seitlich blickte, lud sie zu einem Schläfchen ein, gleich nach dem Essen. Ob sauber oder nicht, dies war ihr Zuhause, ihre Trutzburg, und in drei Jahren, dachte Melda, ging die Zeilsheimer Mansarde komplett in ihren Besitz über, sobald die letzte Rate fällig wurde. Die letzte Rate würde sie aber nicht begleichen können, wenn Luzifer finanziell nicht bald einsprang. Sie mussten reden. Immerhin schuldete er ihr noch eine größere Summe. Als Krankenschwester und spätere Hebammen-Schülerin war Meldas Gehalt nicht gerade üppig ausgefallen, doch auch die Ersparnisse aus der Zeit der Telefonsex-Stunden wurden langsam knapp. Luzifer zuliebe hatte sie die Hebammen-Schule abgebrochen. Er fand es damals eine gute Idee, wenn sein Mädchen den Kameraden ein Zeichen setzte, und sich mit vollem Einsatz der Gruppe widmete.
Im Spiegel suchte ihr Blick Jorgas‘, und sie erschrak. In jüngster Zeit häuften sich die Momente: Der Spiegel zeigte einen apathischen Buben, der, ohne zu blinzeln, vor sich hin starrte, und von Melda kaum Notiz nahm, so, als sei er gar kein menschliches Wesen. Fehlten ihm die Spielkameraden? Seine Reserviertheit ärgerte sie. Er war doch ihr Freund, ihr Seelenpartner, ihr Ersatz für Maria. Nie im Leben hätte Maria ihr solch eine kalte Schulter gezeigt.
Mit einem Handgriff löste sie den Seidenschal und fühlte die wachen Katzenaugen von der Couch her auf die tanzenden Bommeln gerichtet. Sie ging in die Hocke, um eine lang vermisste Haarspange vom Boden neben dem Schuhschrank aufzuklauben, an dessen Seitenwand noch die Tüte vom gestrigen Einkauf lehnte. Im Begriff aufzustehen, mit der Haarspange und der Tüte und der Tafel Schokolade in Händen, spürte sie eine weiche Pfote an ihrem Hals.
»Schleich dich, Katze, hörst du wohl?« Der preiswerte Laib Bauernbrot vom Vortag, zwei Äpfel und ein Döschen herzhaftes Ragout in Sauce kullerten aus der Plastiktüte. Für die teure Alpenmilchschokolade hatte das Geld nicht gereicht.
Die weiche Pfote spitzte die Krallen, und aus dem Spiel mit den tanzenden Zipfeln des Schals wurde Ernst. Ein scharfer Schmerz riss an Meldas Wange. Ehe sie das Katzenvieh am Schwanz packen konnte, war es ins Bad geflüchtet, und es tat gut daran. Luzifer hatte Melda gelehrt: Hasse deine Feinde von ganzem Herzen. Wenn jemand dir auf die Wange schlägt, schlage ihn auf die andere.
Aus dem Spiegel starrte ihr eine vertrocknete alte Jungfer entgegen, dabei war sie erst Mitte dreißig. Im Hintergrund rührte sich Jorgas, reckte die Glieder, wandte sein Gesicht voller Spott Melda zu.
»Geschieht dir ganz recht, Mel.«
»Sag das nochmal.«
»Du hast es versprochen: Du triffst dich nicht mehr zu Haus mit dem Teufel. Lügner muss man bestrafen«
Und wenn schon, was ging es ihn an? Am liebsten hätte sie ihm den Hintern versohlt. Freute sich doch der Bengel über den Kratzer in ihrem Gesicht! Das war nun der Dank, dass sie ihn aufgenommen hatte? Dabei saß er, mit seinen Schlenkerbeinen und den Sockenfüßen, den lieben langen Tag nur faul auf dem Bierkasten unter dem Marilyn-Manson-Poster. Und überhaupt, Melda redete sich da etwas schön, das wurde ihr nun klar. Von wegen Maria-Ersatz. Der Kleine konnte Maria das Wasser nicht reichen.
Der Schmerz ließ allmählich nach, als Melda mit Brot und Äpfeln zum Esstisch vordrang. Was wusste der Bengel schon? Als ob sich Melda mit Luzifer träfe, nur weil sie ihn haben wollte. Doch für den Titel des Beelzebubs würde sie alles tun. Sogar dieses Baby beschaffen.
Tine Fabian, hatte Luzifer gesagt. Schreib dir die Telefonnummer auf. Sie ist eine Freundin Mephistos und sie will eine Hausgeburt.
Melda legte Äpfel und Brot auf den Tisch, dazu die Schokolade. Sie musterte Jorgas stumm. Dürr sah er aus. Dürr wie sie selbst. Wenn sie die Schokolade verschenkte, musste sie mit trockenem Brot Vorlieb nehmen. Danach stand ihr nicht der Sinn und dieser respektlose Jorgas hatte Strafe verdient.
Verführerisch raschelte sie mit der Silberfolie, ehe sie sie zerknüllte, auf den Müllberg warf, genüsslich von der Rippe abbiss und sich die Lippen leckte.
»Jorgas mag auch.« Die Faust des Knaben krachte auf sein Knie, Spucke tropfte aus seinem Mundwinkel, hasserfüllt hing sein Blick auf Melda. Sie warf ihm eine Kusshand zu.
»Mh, lecker.«
»Du bist böse«, knurrte das Balg. Sie lächelte.
»Du bist böse. Du frisst Schokolade. Und kleine Kinder.«
Kleine Kinder? In Meldas Schlund klebte die Süßigkeit. Sie atmete tief.
»Nimm das lieber zurück.«
Er schnaubte.
»Seelenfresserin, Bluttrinkerin.«
Bildfetzen tauchten auf. Eine Gruppe betender Männer in schwarzen Kutten. Und in ihrer Mitte, am Boden in eine schwarze Decke gehüllt, die kleine Maria.
Neben Maria Melda. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie schüttelte den Kopf, die Bilder zerbarsten vor ihren Augen wie Glas. Das dumme, dumme Kind! Was wusste es schon von der Welt, von Melda? So satt hatte sie seine Beleidigungen.
»Reiß dich zusammen, Jorgas. Und bitte Satan um Vergebung.«
Jorgas sagte nichts, wirkte wie eingefroren und stierte wieder vor sich hin. Nur die Katze, zurück aus dem Bad, zeigte Lebendigkeit, indem sie mit den Krallen kleine Wollfäden aus Jorgas‘ Hosenbeinen zupfte. Der Lümmel spielte mit Meldas Gefühlen. Er will mein schlechtes Gewissen. Er will, dass ich leide, dachte sie. Niemand machte das mehr mit ihr. Niemand. Sie hatte genug gelitten, ihre Familie Luzifers wegen verlassen, dann Dimmi verlassen, und ihr Baby verloren.
Oh, sie wollte ihm die Zähne schon öffnen, dem Neidhammel, dem aufmüpfigen Unschuldsgesicht. Melda, hol den Essig. Das war Satans Stimme in ihrem Ohr.
Über die Brücke führte der Weg nach rechts zu dem Schrank mit den Schrubbern, Besen und Putzmitteln. Als Melda wieder vor Jorgas stand, hielt sie die glasklare Flasche. Miauend ergriff die Katze die Flucht in den Wäschekorb.
Der Essig verbrannte Meldas Hände, als sie den Lappen tränkte und sich Jorgas näherte. So verlangten es die Gesetze der Gruppe: Rebellen war der Mund mit Säure auszuwaschen.