Читать книгу Sie stiehlt sich in sein Herz - Christine Engel - Страница 10
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»Ich habe die Informationen über Simmens«, verkündete Erik den Brüdern im Gesellschaftszimmer gerade. Er stand auf und ging ein Stück, sodass er alle ansehen konnte. Er wartete, bis alle ihn schweigend ansahen.
Die Männer unterbrachen die Unterhaltungen und schauten erwartungsvoll zu Erik.
»Mein Freund in der Gerichtsmedizin, war mir noch was schuldig, als ich letztens für ihn eine Frau, … Äh, das wollt ihr sicher nicht wissen. Also er war mir auf jeden Fall noch etwas schuldig. Simmens wurde mit mehreren abgetrennten Gliedmaßen gefunden. Ihm fehlten einige Finger und eine ganze Hand, auch hatte er etliche weitere Schnitte und Anzeichen, die nur auf Folter schließen lassen. Entweder, so sagte mein Freund, ist er gefoltert worden, damit er etwas erzählte, was er nicht freiwillig preisgeben wollte, oder aber es war ein Ritualmord. Letzteres hielt er allerdings für unwahrscheinlich, denn bisher war es nur Simmens Leichnam, der so verunstaltet worden ist. Mein Freund meinte daher, dass es eher nach Folter aussah. Er hat in der Hinsicht bereits reichlich Erfahrungen sammeln müssen, meinte er.«
»Das ist doch alles recht dubios!« Harald schüttelte den Kopf. »Was kann so ein Architekt schon wissen? Ich meine damit, welche Informationen könnte man schon von ihm erpressen?«
»Wer weiß das schon?« Alarich schüttelte den Kopf. »Vielleicht hatte er viel Geld im Safe und sie wollten die Kombination.«
Pausanias sah auf die Uhr an der Seite des Raumes. Dann stand auf und sah erst Erik und schließlich Harald an »Ich denke, ich muss wohl zu dem Interview gehen. Es wäre gut, wenn du mit Harald der Sache nachgehen würdest.«
Erik und Harald nickten beide auf die unausgesprochene Frage, ob sie es tun würden.
»Haltet mich auf dem Laufenden über diesen Fall, Erik.«
»Geht klar«, sagte dieser und nickte ihm zu.
Pausanias hob die Hand, nickte ebenfalls den Brüdern zu und verließ den Raum.
Auch die anderen standen auf und folgten ihm in den Flur. Die Besprechung war beendet.
Im Flur vor dem Gemeinschaftsraum stieg Pausanias ein angenehmer Duft in die Nase. Er hob den Kopf und inhalierte ihn tief ein.
Die Brüder erhoben sich ebenfalls und folgen ihm in den Flur. Auch seine Brüder schnüffelten sofort, als sie den Raum verlassen hatten.
»Was riecht hier wieder so gut?« Alarich sah die anderen an.
»Ist Alanya hier?« Erik sah Danny fragend an.
Der aber schüttelte den Kopf. »Nein, heute wollte sie mit Aylin zum Kinderarzt. Außerdem ist das nicht ihr Geruch. Vertrau mir, den würde ich sofort erkennen.«
»Aber wer riecht denn dann so gut?« Erik ging schnüffelnd den Gang entlang.
Ehe ihn Harald aufhielt. »Komm, wir müssen noch was erledigen. Hast du eben nicht aufgepasst? Wir haben einen Auftrag!«
»Richtig«, sagte Erik und kehrte wieder zurück. »War nur so verlockend festzustellen, von wo dieser Duft kommt.«
Die beiden, blonden Vampire bestiegen den einen Fahrstuhl und fuhren zum Erdgeschoss hinunter.
Hannibal, Alarich und Attila gingen aber den Gang weiter entlang in ihre Räume. Sie hatten frei, denn sie waren ja mit Pausanias wegen des Speicherchips unterwegs gewesen und hatten sich einen freien Abend verdient. Scherzend schlugen sie sich immer wieder auf die Schultern, während sie sich entfernten.
Pedanios, Galenos und Pausanias nahmen einen anderen Fahrstuhl. Pausanias drückte den Knopf für die fünfundzwanzigste Etage, denn wollte zu seinem Büro. Dort würde er sich mit einer nervigen Reporterin auseinandersetzen müssen.
Sein Missmut muss seinem Gesicht anzusehen gewesen sein, denn Galenos bot an: »Soll ich das für dich übernehmen. Immerhin kommst du gerade von einem Auftrag zurück und könnest genauso wie die anderen eine Pause vertragen. Du siehst mir etwas angeschlagen aus. Außerdem hast du heute noch nichts essen können. Du hast mit Smith telefoniert, als wir anderen gegessen und Pause gemacht haben. Ich kann dir das jetzt wirklich abnehmen, wenn du willst.«
Pausanias schüttelte den Kopf. »Nein, ich mache das!« Es würde ihn weiter von den trüben Gedanken ablenken, die ihm immer wieder durch den Kopf gingen.
»In Ordnung! Ich wollte es dir nur angeboten haben!« Aber er sah ihn weiterhin besorgt an. »Du solltest darauf achten, dich nicht immer so zu übernehmen.«
Pausanias sah ihn an. »Glaubst du, ich könnte ein Burn-out bekommen, oder was?«
Galenos lächelte matt. »Nein, das halte ich bei uns für ausgeschlossen, aber du brauchst auch mal Ruhe. Wie gesagt ich kann es für dich gerne übernehmen.«
Nickend nahm Pausanias es zur Kenntnis. »Ich schaffe das schon. Dann habe ich wenigstens etwas zu tun.« Pausanias stieg dann in der fünfundzwanzigsten Etage aus, um sein Büro auszusuchen.
Danny und Galenos fuhren weiter ins Erdgeschoss und gingen zu den Laboren. Sie wollten versuchen, ihrem derzeitigen Forschungsproblem noch etwas näher zu rücken. Solange Alanya nicht hier war, konnte Pedanios wenigstens arbeiten.
Im Flur des fünfundzwanzigsten Stockwerks blieb Pausanias stehen, nachdem er aus dem Fahrstuhl gestiegen war. Er hob erneut den Kopf, um den Duft in seine Lungen zu ziehen. Hier war der Geruch deutlich intensiver und Pausanias konnte nicht anders, als wiederholt tief einzuatmen und dem Geruch zu folgen. Er führte ihn jedoch geradewegs dorthin, wohin er eigentlich auch unterwegs war, nämlich zu seinem Büro.
Die Sekretärin stand sofort ängstlich auf, als sie ihn kommen sah.
Ihre Angst nervte ihn immer mehr, er sollte sich dringend einmal mit ihr darüber unterhalten. Aber heute stand ihm nicht der Sinn danach. Auch auf nett sein, hatte er heute keine Lust mehr. »Wo ist sie?«, erkundigte er sich daher nicht gerade freundlich.
»Sie bat mich darum, in ihrem Büro warten zu dürfen, damit sie sich Eindrücke über ihre Arbeitsumgebung verschaffen könnte. Darüber wollte sie auch in ihrem Artikel schreiben«, erklärte die junge Frau etwa hektisch.
»Sie haben eine Reporterin allein in meinem Büro warten lassen?« Drohend kam er weiter auf sie zu. War diese Frau eigentlich ohne Gehirn aufgewachsen?
»Nein, habe ich nicht«, verteidigte sie sich schwach. »Die Tür ist offen, ich habe auch des Öfteren nach ihr gesehen.« Rasch trat sie einen Schritt zurück, als er auf sie zukam.
Wütend ballte er die Fäuste, ließ er die Sekretärin stehen und betrat sein Büro.
Die Reporterin saß auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch und als er eintrat, stand sie auf, drehte sich zu ihm herum und kam lächelnd auf ihn zu. In der linken Hand hielt sie einen Block und einen Stift.
Sie war klein, geradezu winzig, wenn man es von seiner Seite, oder von seiner Höhe aus betrachtete. Ihre rotblonden Haare hatte sie streng zu einem Knoten zusammengebunden. Ihre grünen Augen leuchteten fast, als sie ihn nun interessiert musterte.
Das war also der Mann, vor dem die junge Büroangestellte sich fürchtete. So zum Fürchten sah er ja gar nicht aus, eher traurig. Das waren die ersten Gedanken, die ihr bei seinem ersten Anblick durch den Kopf gingen. Dann fielen ihr seine feingemeißelten Gesichtszüge auf. Mr. Argiada sah aus, als sei er aus einem antiken Roman gestiegen. Ganz der große dunkle Held, der die Jungfrau in Not rettete. Nur, dass sie das nicht war. Nein, sie war die kleine Diebin, die ihn bestohlen hatte. Und doch ließ sein Anblick ihr Herz schneller schlagen. Nicht dass sie Erfahrung im Umgang mit Männern gehabt hätte: Im Gegenteil sie hatte Männer immer gemieden. Aber dieses Exemplar hier gefiel ihr gut. Sie konnte gar nicht aufhören, ihn anzustarren. Reiß dich zusammen, mahnte sie sich. Du darfst nicht auffallen.
Pausanias merkte es jedoch nicht, da er sie seinerseits musterte. Ihre kurvige Figur gefiel ihm ausgesprochen gut. Besonders die wohlgeformten Beine, die unter dem kurzen Rock zu sehen waren, entsprachen seinen Vorstellungen. Auch anderweitig schien sie gut ausgestattet zu sein. Der kurze Rock betonte ihre schmale Taille noch weiter und die schlichte weiße Bluse konnte nicht über ihre ansehnliche Oberweite hinwegtäuschen. Sie hatte zwei Knöpfe offengelassen und durch seine Größe, hatte er einen netten Einblick. Aber das interessierte ihn alles nicht mehr. Also zwang er seine Augen auf ihr Gesicht und straffte seine Haltung.
Sie strahlten ihn an und lächelte.
Er ging mit raschen Schritten zügig in ihre Richtung.
Die Bewegung riss sie aus ihren Betrachtungen. Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen und wich nicht zurück, sondern streckte ihm abwartend die rechte Hand entgegen.
Wenigstens schien sie keine Angst vor ihm zu haben, wurde ihm dabei klar. Das war mal eine angenehme Abwechslung. Er sah sich im Raum um und stellte fest, dass dieser wahnsinnige Duft eindeutig aus diesem Raum kam. Roch sie etwas so? Er trat noch dichter und zog die Luft genussvoll ein. »Tragen sie ein Parfüm?«, erkundigte er sich.
»Äh, was?« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. So etwas sollte ein Romanheld doch nicht fragen. »Nein, eigentlich nicht! Vielleicht mein Duschgel?« Sie ließ die Hand sinken. Es schien, als wollte er ihr nicht die Hand geben. Vielleicht so ein Glaubensding. »Es wurde mir schon gesagt, dass der Duft etwas zu intensiv sei. Bitte entschuldigen Sie.« Irritiert runzelte sie die Stirn. Höflich war dieser große Mann auch nicht gerade. Er hatte sich nicht einmal vorgestellt. Nun ja, wenn man bedachte, dass sie ein Interview mit ihm haben wollte und bereits in seinem Büro auf ihn wartete, war das vielleicht auch nicht zwingend notwendig, aber es wäre höflich gewesen. Sie konnte ganz gut verstehen, warum sich die Sekretärin vor ihm fürchtete. Der Blick seiner dunklen Augen verlieh seinem eindrucksvollen Gesicht einen düsteren Ausdruck. Das konnte jemandem schon Angst machen. Außerdem war er reichlich direkt und schien etwas sehr kurz angebunden, dadurch wirkte er schon beinahe unhöflich. Auch seine etwas steif wirkende Haltung verstärkte den düsteren Eindruck. Er hatte sehr breite Schultern, einen kräftigen Oberkörper und eine recht schmale Hüfte, aber kräftige muskulöse Beine, welche sich deutlich unter der schwarzen Anzughose, die er trug, abzeichneten. Keena aber verspürte keine Angst. Auch seine rasche Bewegung auf sie zu machte ihr keine Angst. Seine direkte Art verwirrte sie zwar, ließ sie aber nicht vor ihm zurückschrecken. Nein, sie mochte ihn auf Anhieb. Ihr wurde regelrecht warm und sie musste den Impuls unterdrücken einen weiteren Knopf der Bluse zu öffnen. Der Schmerz und die Trauer, die sie in seinen tiefen dunklen Augen sah, weckten in ihr den seltsamen Wunsch, ihn in den Arm zu nehmen und zu trösten. Er wirkte so unendlich traurig. Also lächelte sie ihn weiterhin warm an. Denn sie kannte das Gefühl, wenn man nirgendwo dazugehörte und immer nur sehen musste, dass man nicht zu sehr auffiel. So ging es ihr bereits ihr ganzes Leben und er wirkte irgendwie genauso verloren. Vielleicht war es das, was ihn ihr so sympathisch machte.
Pausanias war überrascht von dieser Frau, denn Frauen zogen sich normalerweise immer zurück, wenn er eintrat und sie wollte ihn auch niemals anfassen oder ihm freiwillig die Hand geben, wenn sie es vermeiden konnten. Er sah, wie sie die Hand wieder senkte.
Nun streckte er ihr seinerseits die Hand hin.
Sie ergriff sie daraufhin, ohne zu zögern.
Sie musste das Interview dringend brauchen. »Ms. Miller, richtig?«
Sie nickte auf seine Frage hin.
Er und konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, ihr Handgelenk an seinen Mund zu führen. Dieser Geruch, der von ihr auszugehen schien, machte ihn ganz kribbelig. Und eins konnte er mit Sicherheit sagen: Es lag nicht am Duschgel! Erneut atmete er tief ein. Er konnte nicht mehr richtig denken. Was zum Teufel geschah hier mit ihm? In diesem Zustand sollte er doch lieber Galenos das Interview führen lassen und es nicht selbst tun. Er fühlte sich zum ersten Mal, seit etlichen Jahrhunderten nicht in der Lage, gelassen und überlegt zu reagieren. Er war durcheinander. Abrupt ließ er ihre Hand wieder los. »Mir ist bewusst, dass Sie hier lange auf das Interview gewartet haben, aber ich könnte Ihnen nichts erzählen, was unser Pressesprecher Ihrer Zeitung nicht bereits mitgeteilt hat. Außerdem hatte ich einen schweren Tag und möchte Sie daher nun bitten zu gehen.«
Überrascht riss sie die Augen weit auf. »Aber ich habe hier die ganze Zeit auf Sie gewartet.«
Er nickte. »Trotzdem!«
Er hatte doch wohl nicht ihre Tarnung durchschaut? Hatte sie sich irgendwie verraten oder hatte Mrs. Preston doch etwas durch die Tür gesehen? Nein, dann wäre längst die Polizei hier. Sie musste den Schein wahren und ihre Rolle spielen. »Bitte, ich muss doch dem Redakteur etwas sagen können«, behauptete sie deshalb.
»Meine Sekretärin wird ihnen sicher die Pressemitteilung des Konzerns ausdrucken, wenn sie möchten! Guten Tag, noch!« Er drehte sich um, trat einige Schritte zur Seite und brachte rasch Raum zwischen sie und sich. Dieser Geruch, der von ihr ausging, benebelte ihn, raubte ihm die Fähigkeit klar zu denken. Wenn sie nicht gleich den Raum verließ, würde er gleich an ihrem Hals hängen. Die Schusswunde hatte ihn wohl mehr Blut gekostet, als er gedacht hatte. Außerdem hatte er eindeutig zu wenig gegessen, sonst würde er auch auf einen appetitlichen Geruch nicht so reagieren. Er wollte an ihr vorbei zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch gehen, blieb aber schon nach einem Schritt dich neben ihr stehen, als hätten seine Beine allein reagiert. Verdammt, was war denn nur los mit ihm? Er war über zweitausend Jahre alt und so etwas war ihm bisher noch niemals passiert. Mühsam unterdrückte er den Impuls sie zu packen und an sich zu ziehen.
»Bitte Mr. Argiada, es wären doch nur ein paar Fragen!« Sie war ganz durcheinander. Er reagierte anders als erwartet und dann brachte er sie mit seiner Erscheinung so durcheinander, dass sie sich konzentrieren musste, ihre Rolle weiter zu spielen, obwohl sie doch liebend gern den Raum verlassen würde. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sah zu ihm hoch.
Schon hatte er das Gefühl, er hätte einen elektrischen Schlag bekommen und zog den Arm weg. Wütend über sich selbst und seine fehlende Selbstbeherrschung drehte er sich rasch um. Laut fuhr er sie an. »Ich sagte: Nein! Ich werde jetzt keine Fragen beantworten. Was haben Sie daran nicht verstanden?«
Erst jetzt wich sie etwas zurück, aber nicht aus Angst, sondern weil auch sie diesen Schlag gespürt hatte. Außerdem musste sie Luft holen und wollte sie nicht zu ihm hochsehen müssen. »Nun, es wären nur ein paar Fragen gewesen, aber wenn Sie es besser finden meine Zeit hier zu verschwenden, in dem Sie mir das Interview versprechen, ich warte und warte hier und werde dann doch noch abgewiesen. Dann muss ich das wohl hinnehmen, denn Sie sitzen am längeren Hebel.« Sie griff sich ihre Tasche, mit der rechten Hand, umklammerte den Block und den Stift weiter mit der linken. »Aber vielen Dank für den netten Abend.« Sie drehte sich um und ging mit energischen Schritten zur Tür, so als wollte sie aus dem Büro stürmen.
Pausanias war kurz verblüfft, dann aber konnte er nicht anders. Er lachte leise.
Keena hörte es und stoppte.
Er lachte wahrscheinlich das erste Mal seit einigen Jahren, denn sein Lachen klang völlig eingerostet.
Sie hatte die Tür bereits fast erreicht, dort drehte sich nun jedoch erneut herum und funkelte ihn erstaunt und doch wütend an. »Jetzt lachen Sie mich auch noch aus!« Aber als sie ihm ins Gesicht sah, verging ihr die Wut schlagartig. Das Lachen hatte sein düsteres Gesicht aufgehellt und ließ es erstrahlen. Das war ein Anblick, den sie noch nie erlebt hatte. Kurzzeitig vergaß sie, wie man atmete, und holte danach plötzlich heftig Luft. Ihr ganzer Körper prickelte.
Pausanias fing sich wieder. Jetzt, wo sie weiter weg war, fiel es ihm leichter, sich zu beherrschen. Ihre Wut hatte ihn überrascht und amüsiert. Sie war so klein und zierlich und machte ihre Wut über sein Verhalten deutlich. Das war einfach nur niedlich. »In Ordnung stellen Sie ihre Fragen, aber schnell!« Er drehte sich um und ging um den Schreibtisch herum auf seinen Stuhl zu und setzte sich.
Keena bemühte sich, ihren Körper ruhig zu halten und unterdrückte das Zittern, das sie plötzlich überkam. Dabei kniff sie nachdenklich die Augen zusammen. »Warum wollen Sie mir jetzt doch das Interview geben?«
»Ist das wichtig? Fragen Sie schon!« Er ging weiter um den Schreibtisch herum und setzte sich auf seinen Stuhl. Dabei deutete er auch auf den anderen Stuhl vor dem Schreibtisch.
Sie schüttelte den Kopf, kehrte zu dem Stuhl zurück, auf dem sie die ganze Zeit gesessen hatte und setzte sich erneut darauf. Dann hängte sie die Tasche über die Lehne zurück, griff sich den Stift und schlug den Block auf. »Nein, wahrscheinlich ist es nicht wichtig! Auch ich glaube nicht, dass es sehr schmeichelhaft für mich wäre, wenn ich die Wahrheit wüsste.« Sie machte eine kurze Pause, so als dachte sie darüber nach und kam dann zu ihren Fragen. »Unsere Leser dürften daran interessiert sein, ob Ihr Konzern hier in Zukunft weiter seinen Standort haben wird, oder ob Sie, jetzt wo sie an der Börse sich so gut etabliert haben, lieber woanders das Labor aufbauen wollen?«
»Wir bleiben!«
»In Ordnung! Aber warum hier in Detroit?«
»Wir sind doch schon hier. Warum sollten wir woanders hingehen?«
»Äh, vielleicht weil es woanders kürzere Transportwesen gibt, oder die Energiepreise geringer sind. Gerade hier sind sie doch recht hoch.«
»Das ist für uns nicht weiter von Interesse. Wir bleiben hier!«
»Nun, Sie könnten die Gewinne maximieren, wenn sie die Unkosten reduzieren würden.«
»Ja, aber ein Umzug würde ebenfalls einiges kosten. Hier haben wir schon das Gebäude, die Labore und alles ist auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten. Auch Arbeitskräfte gibt es hier genügend.«
Keena nickte verstehend und notierte es auf dem Block. »Haben Sie vor weiter zu expandieren und womöglich weitere Arbeitsplätze für Detroit zu schaffen?«
»Nein, so groß wie wir sind, werden wir auch bleiben. Eine Expansion steht nicht zur Debatte.«
»Das heißt, sie sehen keine Möglichkeit, hier weitere Jobs zu schaffen und den Menschen hier zu helfen, die durch die momentan schlechte wirtschaftliche Lage Detroits leiden?«
»Nein!«
Diese schroffe, kurze Antwort machte Keena deutlich, dass sie in diese Richtung nicht weiter fragen sollte. »Wie schafft es der Brother-Konzern, trotz der Krise hier weiter schwarze Zahlen zu schreiben?«
»Wir sind halt gut!« Er würde ihr nichts weiter darüber erzählen, wie sie hier ihre Gewinne erzielten. Das ging die Menschen, die die Zeitung lasen, auch nichts an.
»Wie stehen sie zu den unschönen Dingen, die kürzlich über den Berger Konzern an die Öffentlichkeit drangen?«
»Von solchen Machenschaften distanzieren wir uns völlig!«
»Das heißt, hier werden keine illegalen Versuche an Menschen durchgeführt, die hier in einer finanziellen Lage leben müssen? Damit ist das nicht der Grund, warum Sie hier den Standort hier in Detroit halten werden?«
»Nein, ganz sicher nicht!« Er verengte die Augen etwas. Diese Frage gefiel ihm nicht. »Wie bereits gesagt, illegal Versuche werden hier nicht durchgeführt!«
»Denken Sie, es wird eine Steigerung der Einnahmen geben, da ihr stärkster Konkurrent, der Berger Konzern aus dem Rennen ist?«
»Er war nicht wirklich ein Konkurrent. Wir haben auf anderen Gebieten geforscht als der Konzern. Außerdem geht es uns darum, die Medikamente erschwinglich zu produzieren und nicht nur auf den Gewinn ausgerichtet zu sein.«
Keena nickte und notierte alles auf einem kleinen Block. »Aber gerade dann frage ich mich, wie Sie es schaffen wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben? Ich meine, wenn sie die Medikamente günstig anbieten, wo bleibt da ihr Gewinn?«
»Dadurch, dass die Medikamente für die Menschen erschwinglich sind, kaufen sie diese, wenn sie die Medizin brauchen und zögern nicht zu lange. Dadurch haben auch wir mehr Umsatz.«
Erneut notierte sie die Information. Keena konnte sich nicht wirklich auf die antworten und Fragen konzentrieren, denn sie fühlte seine Augen auf sich und das löste ein warmes Zittern tief in ihrer Brust aus. Ihre Reaktion auf seine Nähe irritierte sie wahnsinnig. Das war keine normale Reaktion ihrerseits. »Welches Erzeugnis verkauft Ihre Gesellschaft am häufigsten?« Selbst in ihren Ohren klang diese Frage schwach und unsinnig.
Seine Augen zogen sich fast unmerklich zusammen. »Das kann man im Internet nachlesen. Wollen Sie mich testen oder haben sie sich gar nicht wirklich auf das Interview vorbereitet, was sie so unbedingt haben wollten?«
»Äh, nun ich wollte nur wissen, ob ihnen als Konzernvorstand auch klar ist, an was ihre Leute arbeiten. Besonders, nachdem der Berger Konzern hier in der Stadt unerlaubte Untersuchungen vorgenommen hat.«
Bei jeder Bewegung, die sie machte, wehte ihr Duft zu ihm herüber und er wurde zusehends unruhiger. »Ich sage es Ihnen gerne noch einmal. Mit diesen unerlaubten Untersuchungen haben wir hier überhaupt nichts zu tun!«
Sie nickte. »Das glaube ich Ihnen sogar.« Jetzt lächelte sie ihn an.
Auch Pausanias fühlte, wie ihm plötzlich innerlich sehr warm wurde. Was bitte ging mit seinem Körper vor sich? Das Ganze hier war ihm unangenehm und er wollte die Situation so schnell als möglich beenden. »War das jetzt alles? Oder haben Sie noch mehr Fragen?« Ungehalten, über sein eigenes Verhalten, sprang er auf und starrte auf sie hinunter.
Sichtlich irritiert stand Keena ebenfalls auf, zwang sich trotz des seltsamen Gefühls, sich über den Schreibtisch zu beugen und ihm abermals die Hand zu geben. »Ja, vielen Dank, dass Sie sich doch noch die Zeit genommen haben.«
Damit kam sie ihm erneut so nahe und für ihn definitiv zu dicht. Wieder konnte er sich nur mühsam beherrschen und verhindern, dass er über sie herfiel. Er konnte mühelos ihren Brustansatz erkennen und Hitze schoss ihm in die Lenden. Verdammt merkte die dumme Person denn nicht, wie dicht sie dran war, seine fehlende Nahrung zu ersetzen? Entsetzt über sich selber, wich er ein Stück zurück, damit der Abstand konstant blieb. Er war nur froh, dass der Schreibtisch dazwischen war und sie ihm nicht weiter folgen konnte, denn er traute sich selbst nicht mehr. Er hatte Angst, die Kontrolle verlieren, wenn sie noch näher zu ihm kam. Sie irritierte ihn zunehmend und das verunsicherte ihn extrem. Aber er zwang sich, trotzdem ihre Hand zu ergreifen, und schüttelte sie erneut. Dann aber kam er, wie von selbst, um den Schreibtisch herum auf sie zu, nahm ihre Tasche von der Stuhllehne und reichte sie ihr.
Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm weiterhin in die Augen sehen zu können, und nahm die Tasche entgegen. Dabei berührten sich ihre Finger, erneut erhielt sie einen Schlag und ein warmer Schauer rieselte durch ihren Körper. Was war das denn plötzlich? Wieso fühlte sie sich so zu diesem Mann hingezogen? Irritiert hängte sie sich die Tasche rasch über ihre Schulter. »Noch mal vielen Dank, Mr. Argiada, dass sie sich doch noch die Zeit für das Interview genommen haben!«
»Ich bringe sie zu Tür.« Er legte ihr die Hand auf den Rücken und schob sie möglichst schnell in Richtung Tür. Sie musste hier dringend raus, er wusste nicht, wie lange er sich noch zurückhalten konnte. Rasch öffnete er sie und ließ Keena in den Flur treten.
Sie drehte sich um und lächelte ihn abermals an. »Es war nett mit Ihnen zu sprechen. Ich wünsche Ihnen eine schöne Nacht!« Keena war überrascht, aber es stimmte genau. Obwohl sie eigentlich froh sein sollte, hier wegzukommen und mit ihrem Diebesgut zu fliehen, wäre sie gerne noch geblieben.
Er nickte ihr zu und schloss rasch die Tür. Ihm war wieder zu warm geworden. Das musste wohl an der Klimaanlage liegen. Gleich morgen früh würde er mit dem Mann von der Gebäudetechnik reden müssen.
Im Flur stand Mrs. Preston und sah Keena erwartungsvoll an. Als diese kein Wort verlauten ließ, flüsterte die Sekretärin: »Er ist echt unheimlich, nicht wahr?«
Keena schüttelte den Kopf und flüsterte ebenso leise zurück. »Nein, das finde ich überhaupt nicht. Er ist vielleicht ein wenig seltsam, aber nicht unheimlich, eher schien er mir sehr traurig zu sein.« Keena sah zu der Bürotür zurück. Außerdem reichte schon der Gedanke an ihn aus und das Kribbeln setzte wieder ein, aber das sagte sie lieber nicht.
»Der doch nicht!« Mrs. Preston schüttelte den Kopf und sah Keena irritiert an. »Ich mache jetzt auch Schluss! Wenn Sie kurz warten wollen, können wir zusammen runterfahren.«
Keena wäre lieber schnell mit ihrer Beute entkommen, aber sie wollte auch kein Aufsehen erregen, also lächelte sie leicht verkrampft und nickte. »Ich gehe schon mal und hole den Fahrstuhl.«
Mrs. Preston räumte ihre Sachen zusammen und folgte Keena zu Fahrstuhl. Gemeinsam verließen die beiden Frauen das Gebäude.