Читать книгу Sie stiehlt sich in sein Herz - Christine Engel - Страница 7
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Am nächsten Abend kehrten die vier Vampirbrüder zurück nach Detroit. Sie materialisierten sich in einer Nebenstraße des Brother-Buildings und gingen zum Eingang des Gebäudes. Dort kamen sie durch den Haupteingang in das Gebäude, durchquerten die Lobby und gingen zu den gegenüber dem Eingang liegenden Fahrstühlen. Es war bereits früher am Abend, also eigentlich schon nach Geschäftsschluss. Der Empfang des Gebäudes war jedoch immer besetzt und es gab ebenfalls zu jeder Zeit Wachleute in der Lobby. Aber andere Personen waren nicht da. Kaum hatten die vier Männer die Lobby betreten, richteten alle noch anwesenden Menschen den Blick auf sie.
Die beiden Empfangsdamen lächelten die Männern gewinnend an. Die kleinere, der beiden Frauen, hob kichernd die Hand und winkte Alarich zu.
Der braunhaarige Alarich und Attila, der mit seinen langen schwarzen Haaren eher wild als zivilisiert aussah, erwiderten das Lächeln nur zu gerne. Weshalb daraus ein intensiver Blickkontakt zwischen den beiden Männern und den Frauen wurde.
Pausanias und Hannibal grüßten, gingen aber zügig weiter. Sie standen schon in einem der Fahrstühle, als die anderen beiden immer noch nicht dort angekommen waren. Hannibal grummelte: »Kommt ihr oder nehmt ihr einen anderen Aufzug?«
»Ja, ja, wir sind schon da.« Alarich stieg vor Attila ein, der noch der größeren Frau einen Handkuss zuwarf.
»Was seid ihr immer für Miesepeter?« Attila schüttelte den Kopf. »Nur weil ihr kein Interesse mehr an Frauen habt, müsst ihr es uns ja nicht die Tour versauen. Seit einer Woche versuche ich bereits, Inez in mein Bett zu bekommen. Jetzt endlich beißt sie an. Und sie ist gebürtige Spanierin, da wird es ganz schön heiß hergehen.« Attila grinste Alarich an und schlug ihm gegen die Schulter, aber erst, nachdem die Türen des Fahrstuhls sich geschlossen hatten.
Pausanias sagte nichts dazu, sondern starrte sie nur uninteressiert vor sich hin.
Hannibal aber wurde wütend und konnte nicht an sich halten. »Seid ihr eigentlich immer nur hinter irgendwelchen Frauen her oder macht ihr gelegentlich mal etwas anderes?« Er schüttelte den Kopf.
»Lass ihnen doch den Spaß, solange es noch geht.« Pausanias dunkle, tiefe Stimme war fast nicht zu vernehmen, aber die Männer verstanden ihn auch so sehr gut, denn sie hatten ein außergewöhnliches Gehör, was für Vampire ja nicht weiter ungewöhnlich war.
»Aber es nervt mich einfach, dass sie immer noch können und Spaß daran haben und bei uns geht es nicht mehr.« Hannibal sah Pausanias an.
Pausanias lebte bereits seit beinahe sechshundert Jahren ohne Sex. Er war eines Morgens aufgewacht und das hatte feststellen müssen, dass sein Interesse an dem weiblichen Geschlecht einfach verschwunden war. Er würde nicht einmal mehr hart werden, wenn ihm eine nackte Frau auf dem Schoß sitzen würde. Es funktionierte einfach nicht mehr und auch Viagra half ihm nicht. Das war für den ehemals so potenten Mann, damals sehr schwer zu akzeptieren gewesen. Heute jedoch verschwendete er daran kaum noch einen Gedanken.
Der Fahrstuhl hielt an und Pausanias verließ ihn, ohne zurückzublicken.
Alarich haute Hannibal die flache Hand an den Hinterkopf und flüsterte: »Pass doch auf was du sagst. Er lebt bereits viel länger als du, ohne Sex. Das muss für ihn noch schwerer sein.«
»Pass doch selbst auf! Wer baggert denn in unserer Anwesenheit die Frauen an? Aber warte ab, irgendwann seid ihr auch dran.«
»Das ist eben der Zahn der Zeit.« Attila kicherte. Er war sich der Tatsache bewusst, dass auch bei ihm irgendwann diese Zeit kommen würde. Aber momentan konnte er sich nicht einmal vorstellen, wie das wäre. Und außerdem solange er noch konnte, wollte er es genießen und wenn er damit einen Hannibal ärgern konnte, umso besser. Aber wenn man richtig bedachte, sie alle würden ewig leben. Die Ewigkeit ohne Sex!?
Auch die anderen drei Männer stiegen nun im obersten Stockwerk des Hochhauses aus dem Fahrstuhl und folgten Pausanias in den Gemeinschaftsraum. Das war der Aufenthaltsraum der Vampire, an dem sie zusammen ihre Zeit verbrachten. In dem großen Raum gab es einen Kicker in der linken Ecke des Raumes, einen Billardtisch in der rechten, sowie eine Couch als Sitzgruppe in der Mitte. Der Sitzgruppe gegenüber befand sich ein Flachbildschirmfernseher an der Wand. Daneben stand ein Tisch mit Stühlen. Über dem Tisch hing ein Wandschrank, in dem Gläser waren. Ein Kühlschrank, in dem das synthetische Blut aufbewahrt wurde, stand neben einer Geschirrspülmaschine in der Ecke.
Attila holte für jeden der vier Männer einen Beutel mit synthetischem Blut aus dem Kühlschrank und reichte es den anderen.
Hannibal holte die Gläser heraus und jeder füllte ihn in sein Glas und trank. Alle verzogen wie auf Kommando das Gesicht, als sie das Glas geleert hatten.
»Hatten Galenos und Pedanios nicht versprochen, sie würden den Geschmack verbessern?«, erkundigte sich Alarich.
»Das ist schon der verbesserte Geschmack«, stellte Hannibal richtig. Die beiden Genannte gehörten ebenfalls zur Gruppe der Brother-Gesellschaft.
»Seid nicht immer so negativ«, bemerkte Pausanias. »Sie haben ihr Bestes getan.«
Alarich nickte, nahm sich einen weiteren Beutel und füllte ihn ein. »Nur wird einem einfach fast schlecht, wenn man versucht, das Zeug runter zu würgen.« Er prostete den anderen zu und nahm einen weiteren Schluck.
Auch Attila und Hannibal holten sich noch einen weiteren Beutel.
Pausanias entschied, dass er genug getrunken hatte und es an der Zeit war sich zurückzuziehen. Er sah seine Brüder an. »Das war gute und schnelle Arbeit mit den Chinesen.«
»Ja, diesen Arschlöchern haben wir es richtig gezeigt. Sie hätten nie damit gerechnet, dass jemand den Chip so einfach aus dem Safe würde holen können. Denn schließlich galt er als einbruchssicher.« Alarich kicherte. »Sie haben halt nicht mit unserer Schnelligkeit und Stärke gerechnet.«
Pausanias nickte.
»Ja sie hatten nicht damit gerechnet, dass es jemand ohne Hilfsmittel und nur mit Körperkraft würde schaffen können«, Attila lächelte. »Sie wussten in der Tat nicht, mit wem sie sich angelegt hatten und wer hinter dem Chip her war.«
»Das ist doch auch gut so. Denn dann haben wir immer das Überraschungsmoment auf unserer Seite.« Alarich stellte das Glas auf den Tisch.
Hannibal gab zu bedenken. »Jetzt allerdings haben sie uns gesehen und können uns sicher identifizieren. Was bedeutet wir haben uns gestern eindeutig Feinde gemacht.«
»Aber die meisten, die uns gesehen haben, sind tot«, warf Attila ein.
»Stimmt! Jedoch dieser Xiao Kwong hat uns gesehen, bevor er geflohen ist. Allerdings wusste er sicher nicht, wer wir sind.«
Alarich nickte: »Ja, wenn er es gewusst hätte, dann hätte er den Chip sicher nicht so versteckt. Ich habe aber zusätzlich beunruhigende Anzeichen gesehen. Die Akte, die ich mitgenommen habe, enthält Bilder, die mich nachdenklich stimmen.«
Die anderen sahen ihn verständnislos an.
»Im Safe waren neben dem Chip noch Uhren und eine Akte.«
»Ja«, bestätigte Hannibal und betrachtete seine neue Uhr.
»Genau und ich hatte ja nun Zeit mir die Akte anzusehen. Abgesehen davon das sie auf Chinesisch ist und ich es nicht lesen kann, konnte ich den Zeichnungen entnehmen, dass tatsächlich schon Überlegungen angestellt worden sind, welche Verteidigungsanlagen der USA ausgeschaltet werden müssten.«
»Wie kannst du das denn wissen, wenn du die Sprache gar nicht lesen kannst?« Attila sah Alarich interessiert an.
»Es sind Zeichnungen und Karten darin. Und wenn ich eine Raketenabschussanlage der USA sehe und die ist durchgestrichen, dann kann ich es mir denken!«
Attila nickte verstehend. »Okay, alles klar! Wollte nur gefragt haben.«
Alarich fuhr fort: »Es war gut, dass wir so schnell reagiert haben. Wenn auf dem Chip weitere Daten, wie zum Beispiel die Abschusscodes für die Abschussanlagen waren, dann solltest du diese Akte unbedingt an Smith weitergeben. Damit die CIA Maßnahmen ergreifen kann.«
Pausanias nickte. »Am besten bringst du sie noch in mein Büro. Dann gebe ich sie ihm zusammen mit dem Chip.«
Alarich nickte.
»Woher wusstest du, dass es so brenzlig für die USA werden würde?« Hannibal sah seinen Erzeuger interessiert an.
Pausanias zuckte die Schultern. »Wusste ich nicht!« Er hob als Gruß die Hand und drehte sich zur Tür um. »Ich werde jetzt Agent Smith informieren. Bring die Akte spätestens morgen in mein Büro! Oder soll ich sie gleich mitnehmen?«
»Ich bringe sie dir morgen, denn ich wollte noch versuchen, etwas zu entschlüsseln.«
Pausanias nickte und drehte sich bereits zum Gehen, da hielt ihn Alarich noch mal zurück. »Als du mich angerufen hattest, hast du vor mir aufgelegt.«
Verständnislos sah Pausanias ihn an. »Das soll vorkommen!«
»Ja, nein! So meinte ich es nicht. Sondern, dass es in der Leitung »geklickt« hat, nachdem du aufgelegt hattest.«
Interessiert kam der alte Vampir zurück in den Raum. »Was willst du damit sagen?«
Auch die anderen beiden sahen Alarich nun wissbegierig an.
»Ich vermute, dass jemand mitgehört hat. Ich bin daraufhin zu deinem Büro gegangen, weil ich das Telefon überprüfen wollte, ob es verwanzt ist oder so. Aber da war nichts. Ich habe es aber deutlich gehört!«
»Okay! Das heißt dann wohl so viel wie: Wir sollten die Augen offenhalten! Was?«
»Allerdings!« Alarich nickte etwas besorgt.
Pausanias wandte sich erneut um und verließ diesmal aber den Raum.
»Du musst doch nicht gleich diesem Regierungsfuzzi Bescheid geben. Wir können auch erst gemeinsam unseren Erfolg feiern gehen«, rief Attila ihm hinterher.
Aber Pausanias ging weiter, drehe sich im Flur nur kurz um. »Macht ihr ruhig. Ich gehe telefonieren.«
Stirnrunzelnd sahen die anderen ihm nach.
»Langsam mache ich mir Sorgen um ihn!« Attila hob sein Glas erneut, um den letzten Schluck des Blutes hinunterzuwürgen.
»Ja, ich auch. Er hat nur einen Beutel getrunken, obwohl er gestern gleich zweimal angeschossen wurde. Er müsste mehr brauchen.« Alarich stellte sein leeres Glas in den Geschirrspüler.
»Er wird immer ruhiger und mürrischer.« Hannibal sah die anderen nachdenklich an. »Ob das den Alten immer so geht? Schließlich hat er erzählt, dass sein Erzeuger auch ein alter Vampir war, der sterben wollte. Ich beginne mir wirklich ernsthafte Sorgen, um ihn zu machen, und dass nicht nur, weil er nur zweihundertfünfzig Jahre älter ist als ich.«
Attila grinste. »Von wegen! Du hast dich fast noch mehr aufgeregt als er, als er tatsächlich keinen mehr hochgekriegt hat. Alles hast du damals versucht, um ihm zu helfen, aber die Potenz geht wohl mit den Jahren verloren, ebenso wie die Lebenslust. Verdammt schade, aber irgendwie kann ich ihn schon verstehen.«
»Du? Aber du kannst das Leben doch noch in vollen Zügen genießen.« Hannibal sah Attila irritiert an.
»Aber oft fühle ich mich innerlich total leer und ausgebrannt, auch wenn ich stets zwei Frauen neben mir liegen habe! Ja, das Leben ist schon schwer!« Attila seufzte und stellte ebenfalls sein leeres Glas in die Geschirrspüle und ging in Richtung Tür. »Aber ich muss los. Ich habe ein Date.«
»Richtig«, Alarich eilte ihm nach. »Ich auch.«
Attila rief aber noch über die Schulter: »Wir sind dann mal weg. Mach dir einen schönen Abend zu Hause, Hannibal!« Dann lachte er gehässig.
»Halt die Klappe. Du kommst auch noch in meine Lage!« Aber er musste doch über ihn grinsen.
»Klar, aber bis dahin dauert es bei mir noch. Außerdem kann ich dich bis dann noch nerven.« Grinsend verschwand er im Flur.
»Super!« Hannibal blieb mit seinen düsteren Gedanken allein zurück.
Pausanias fuhr mit dem Fahrstuhl in das Stockwerk, in dem sein Büro lag und stieg aus. Da es Nacht war, waren hier keine Menschen, die ihrer Arbeit nachgingen. Er konnte, ohne aufgehalten zu werden, sein Büro erreichen. Er schaltete das Licht an und ging zu seinem Ledersessel, der hinter dem Schreibtisch stand. Das Telefon, eine kleine Statue und die Tastatur des Computers waren die einzigen Dinge auf dem großen rotbraunen Schreibtisch. Müde ließ er sich in den ledernen Bürostuhl sinken und drehte den Sessel so, dass er aus dem Fenster auf die Stadt sehen konnte.
Agent Smith von der CIA um diese Uhrzeit anzurufen, war selten von Erfolg gekrönt gewesen. Das wusste er bereits aus Erfahrung. Schließlich war es gerade einmal vier Uhr dreißig. Also konnte er die Schönheit der Nacht von hier oben einen Moment genießen, ehe er seinen Verpflichtungen nachkam. Er genoss den Anblick, den die Stadt in der Nacht bot. Die Lichter der Laternen und in den Häusern waren hell. Sie bildeten einen schönen Kontrast, zu der sie umgebenden Dunkelheit. So wie die Menschen, die dort lebten, nichts von seiner wahren und der wahren Existenz seiner Blutsbrüder wussten. Er starrte vor sich hin.
Nach einer endlosen Zeit drehte er sich zurück zum Schreibtisch. Sicher war es besser, wenn er den Speicherchip irgendwo verstecken würde. Schließlich war das Ding so klein, dass er es leicht verlieren konnte, wenn er es mit sich herumtrug. Mit den Gedanken überlegte er, wo er den Chip am besten verbergen konnte. Ein auffälliges Versteck war bisher oft das Beste gewesen. Nachdenklich trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte herum, während sein Blick durch den Raum schweifte. Er sah sich intensiv suchend im Raum um. Hier gab es neben dem Schreibtisch und dem Stuhl für Gäste, der davorstand, nur noch einen kleinen Schrank, auf dem einige Gläser und eine Karaffe mit Cognac standen. Dort gab es nichts, was er als Versteck nutzen konnte. Sein Blick fiel auf den Schreibtisch zurück und blieb an einer Statue hängen. Es war die Göttin Aphrodite, in all ihrer Schönheit und sehr detailliert dargestellt. Er besaß sie schon lange, aber erst seit vielleicht dreißig Jahren, also recht kurze Zeit, stand sie hier auf dem Schreibtisch. Nun ja nicht auf diesem, sondern auf dem Vorgänger, aber wer kümmerte sich schon um solche Kleinigkeiten. Er griff sich die Statue und strich mit dem Finger die Konturen der Figur nach. Ja sie war ein kleines Kunstwerk. Nun holte er den Speicherchip aus seiner Tasche hervor. Der Chip war wirklich winzig. Konnte er den Speicherchip an der Statue befestigen, ohne dass es auffiel? Er legte den Chip auf den Schreibtisch und drehte die Figur um. Dort schaute er, ob sie am Boden eine Vertiefung hatte, aber da war nichts. Wenn er ihn darunter befestigte, dann würde sie nicht mehr sicher stehen und leicht umfallen. Befestigte er ihn aber weiter oben, dann konnte ihn jeder sehen. Er stellte die Figur zurück auf den Schreibtisch und hatte den Gedanken mit der Figur schon fast wieder verworfen, da kam ihm eine Idee. Wie war das noch? Die auffälligen waren die besten Verstecke. Hätte er noch eine Spur von Humor gehabt, hätte er sicher gelächelt, aber so legte er den Kopf nur leicht schief. Ja, das wäre sicherlich möglich. Nur wie sollte er ihn dort an der Statue befestigen, ohne dass er Schaden nahm? Er nahm sie erneut auf und drehte sie in der Hand hin und her. Da kam ihm eine weitere Eingebung. Rasch stellte er die Figur wieder auf den Schreibtisch und öffnete die Schreibtischschublade. Er holte einen kleinen Plastiksack, eine Tube Sekundenkleber und einen kleinen Beutel aus Samt aus der Schreibtischschublade heraus. Er legte es alles auf den Schreibtisch und legte die Statue nun daneben. Jetzt öffnete der den Beutel. Darin war ein kleiner Diamant. Er hatte den Diamanten erst kürzlich erworben, weil er ihn an der Statue befestigen wollte. Er sollte an dem Diadem der Göttin gesetzt werden. Hier war ihm die Arbeit des Bildhauers nicht sorgfältig genug gewesen. Aber wenn der Diamant daran wäre, würde sie absolut perfekt sein. Bisher war er allerdings noch nicht dazu gekommen. Den Chip legte er vorsichtig in einen kleinen Plastiksack und klebte den Plastiksack an dem Diamanten fest. So war der Chip vor der Chemie des Klebers geschützt. Er wartete, bis der Klebstoff fest war, und entfernte das überschüssige Plastik. So sah man kaum etwas davon. Jetzt nahm er den Diamanten und klebte ihn so an das Diadem der Statue, dass er perfekt daran aussah. Zufrieden begutachtete er sein Werk und stellte die Statue wieder auf den Schreibtisch.
Nun drehte er sich erneut zum Fenster um. Am Horizont konnte er bereits einen leichten Lichtschimmer erkennen. Die Sonne ging auf und schon schlossen sich die Jalousien des gesamten Gebäudes automatisch. Nur in dem Bereich, in dem die Mitarbeiter aßen, blieben die Fenster offen.
Ein weiterer Tag in einer Reihe endloser Tage brach an.
Pausanias drehte sich zurück zum Schreibtisch und drückte auf den Knopf, welcher den Computerbildschirm aus der Tischplatte ausfahren ließ. Heute, am späten Nachmittag, sollte eine Besprechung der Blutsbrüder erfolgen. Was sollte er nur bis dahin machen? Klar er musste die Börsendaten checken und die Verträge der neuen Mitarbeiter überarbeiten. Das würde schon etliche Stunden in Anspruch nehmen. Aber es war nichts, was ihn begeistert hätte. Zugegeben, davon gab es auf der Welt nicht mehr viel, wenn überhaupt. Er schaltete den PC an und begann seine E-Mails zu lesen und zu beantworten. Diese Arbeit betäubte wenigstens das tote Gefühl in ihm. Aber das würde ebenso wie der Job, den er für die Regierung erledigt hatte, nur kurzzeitig helfen. Er hatte bereits begonnen seinen Nachlass zu regeln, denn seine Zeit lief eindeutig ab. Die anderen Blutsbrüder waren nicht so alt wie er und konnten sich daher auch mit der modernen Welt besser auseinandersetzen und sich besser einfügen. Diese Fähigkeit hatte er verloren. Er war entbehrlich geworden.
Mittlerweile wurde es laut im Flur. Die Menschen waren zur Arbeit erschienen und unterhielten sich über alles Mögliche. Er konnte alle Gespräche verstehen, wenn er es gewollt hätte, aber es interessierte ihn einfach nicht.
Plötzlich klopfte es an der Bürotür. »Herein!«
Seine Sekretärin öffnete vorsichtig die Tür und lächelte ihn gezwungen freundlich an. »Guten Morgen Mr. Argiada! Sie sind aber schon wieder früh auf.« Sie hob kaum merklich die Augenbraue.
Wollte sie damit etwas andeuten?
»Ich wollte nur schnell Bescheid gegeben, dass ich schon da bin. Falls Sie mich brauchen sollten!«
»Guten Morgen, Mrs. Preston. Nein zurzeit habe ich alles, was ich brauche. Danke!«
Erleichternd ausatmend nickte sie und zog sich rasch wieder zurück.
Wieso hatte sie nur so eine Angst vor ihm? Das war von Anfang an so gewesen. Als er ihr den Job gab, hatte er gedacht, dass es sich mit der Zeit legen würde. Aber ihre Angst blieb. Er konnte sie sogar riechen. Dabei hatte er ihr nie etwas getan und noch nicht einmal die Stimme gegen sie erhoben. Im Gegenteil er hatte sich darum gekümmert, dass es ihr gut ging, auch wenn sie es nicht wusste. Er schüttelte den Kopf und widmete sich wieder seinen Mails. Heute waren eine ganze Menge dieser Mails zu beantworten.
Während er arbeitete, fiel sein Blick immer wieder auf die Figur der Göttin. Vielleicht sollte er sie doch besser in den geheimen Raum stellen. Schon stand er auf, nahm die Statue vom Tisch und ging zu dem Bild an der Wand des Raumes. Er drückte den geheimen Knopf dahinter und schon öffnete sich eine Tür in der Holzverkleidung. Er ging hinüber und drückte in dem kleinen Geheimraum auf einen weiteren Knopf. So schaltete er die Infrarotstrahlen aus, die kreuz und quer in der Türöffnung angebracht waren. Wenn diese Strahlen unterbrochen wurden, wurde ein stiller Alarm ausgelöst. Sie waren eine zusätzliche Diebstahlsicherung. Da sie jetzt ausgeschaltet waren, konnte er, ohne Alarm auszulösen, den kleinen Raum betreten. Er enthielt alles, was er in den Jahrhunderten seiner Existenz gesammelt hatte. In dieser endlosen Zeit hatte er einiges gesammelt. Die Museen dieser Welt würden begierig sein, diese Kunstgegenstände in die Finger zu bekommen. Deshalb wollte er sie alle einem Museum vermachen, da er sich langsam für sein Ableben vorbereitete, konnte er auch heute noch dem Museum, die Liste seiner geplanten Schenkung mailen. Ja, dachte er nun, das war ein guter Plan. Auf diese Weise würde er wenigstens etwas Sinnvolles getan haben in seinem Leben und eine Spur in der Geschichte hinterlassen. Alle diese unterschiedlichen Stücke waren für ihn mit Erinnerungen an das frühere Leben verbunden. So war da zum Beispiel das Einzige, was ihm von seiner Mutter geblieben war, ihre Halskette. Die hatte sie ihm mitgegeben, als er damals als Kind ins Erziehungslager geschickt wurde. Das war auch das letzte Mal gewesen, dass er sie gesehen hatte. Er war in diesem Lager aufgewachsen und erzogen worden. Sein Vater war der Ansicht, dass seine Mutter ihn verweichlicht hatte, und gab deshalb seinen Sohn weg. Sein Vater war Kleombrotos gewesen und gehörte dem spartanischen Königshaus der Argiaden an. Er löste einige Jahre später den König Pleistarchos ab und regierte in Sparta. Auch Pausanias sollte einst in Sparta herrschen. Deshalb sollte er ja ein richtiger Mann und harter Krieger werden. Pausanias erinnerte sich noch gut an die Tränen seiner Mutter, als sie ihn wegbrachten. Heimlich hatte sie ihm die Kette zugesteckt, damit er etwas hatte, was ihn an sie erinnerte. Aber schon nach ein paar Tagen wurde die Kette bei ihm gefunden und ihm wieder weggenommen. Er schrie und versuchte sie zurückzuerhalten, aber er war erst drei Jahre alt und seine Fähigkeiten reichten nicht einmal annähernd aus, um das zu erreichen. Sein Vater nahm die Kette an sich und schüttelte den Kopf, über das jämmerliche Verhalten seines Sohnes.
Als Pausanias älter geworden war, führte er als Heerführer viele Kriege für seinen Vater. Auch am Perserkrieg war er beteiligt gewesen. Dabei hatte er das spartanische Landheer unter seinem Kommando gehabt, was unter anderem den Spartanern den endgültigen Sieg über die Perser einbrachte. Aber damit endeten seine Tage als Krieger leider noch nicht. Später setzte er seine Fähigkeiten in einer aussichtlos erscheinenden Seeschlacht gegen die Athener geschickt ein. Pausanias führte dabei eine Flotte Kriegsschiffe gegen eine Schiffsflotte der Athener. Seine geschickten Strategien und Taktiken rissen das Ruder der Schlacht herum und ermöglichten es den Spartanern doch noch die Schlacht zu gewinnen.
Dann jedoch wurde er zurück in die Heimat gerufen. Ein alter Freund und Vertrauter Pausanias, hatte seinen Vater ermordet und es Pausanias angehängt. Alle dachten nun, er hätte den Tod seines Vaters veranlasst. So wie Kleombrotos es bei seinem Vater getan hatte. Ganz nach dem Sprichwort: Wie der Vater so der Sohn! Das aber war so weit von der Realität entfernt, wie es nur sein konnte. Pausanias wollte niemals herrschen. Er mochte seinen Vater nicht sonderlich, aber gerade das war ein Grund dafür, dass er es nicht getan haben konnte, denn er wollte niemals so werden wie sein Vater. Also würde nie so handeln wie er. Im Gegenteil er wünschte seinem Vater ein langes Leben, damit er nicht in die Verlegenheit kam, herrschen zu müssen. Nun aber war er von einem Mann, den er für seinen Freund gehalten hatte, der Anstiftung und des Hochverrates angeklagt worden. Pausanias wollte sich nicht der Rechtsprechung des Landes stellen. Denn er wusste bereits aus Erfahrung, dass das Recht desjenigen, der mehr bezahlte, immer größeres Gewicht hatte als die Wahrheit selbst. Deshalb floh Pausanias, wobei er jedoch lebensgefährlich verletzt worden war. Entkräftet und ausgehungert gelangte er schließlich zu einem Tempel, versteckte sich darin und bat dort um Asyl. In diesem Tempel sollte sich dann sein Schicksal erfüllen. Denn dort traf er einen Mann, der schon zu lange gelebt hatte, wie er sagte und endlich sterben wollte. Das konnte Pausanias damals nicht verstehen, denn er wollte leben. Da versprach ihm der Mann, er würde Pausanias Leben retten, wenn dieser versprach, ihn dafür zu töten. Pausanias war damals verwirrt gewesen, hatte aber so verzweifelt am Leben gehangen, dass er sich darauf eingelassen hatte. Was Pausanias damals nicht wusste und erst später erkennen musste, war, dass dieser Mann ein Vampir gewesen war, der Vampir, der ihn wandelte. Woher der Vampir gekommen war oder wer ihn geschaffen hatte, wusste Pausanias nicht. Auch andere Informationen hatte er von seinem Erzeuger damals nicht erhalten. Aber der Vampir rettete sein Leben, indem er Pausanias zu seinesgleichen machte. Dadurch stand Pausanias genügend Kraft und Stärke zur Verfügung, um den alten und fast ausgehungerten Vampir zu töten. Er riss ihm den Kopf ab, so wie dieser es gewollt hatte. Seit dem Tag existierte Pausanias als Vampir, der menschliches Blut brauchte, um zu überleben. Je vernetzter die Welt wurde, desto schwieriger wurde es, es geheim zu halten, was er und die anderen Brüder waren. Das änderte sich erst in den letzten Jahrzehnten, als Pedanios und Galenos die Herstellung eines synthetischen Blutes gelungen war, welches die Bedürfnisse der Vampire erfüllte.
Nach seiner Auferstehung als Vampir war Pausanias eine lange Zeit nicht nach Sparta zurückgekehrt. Erst Jahre später war er auf der Suche nach der Kette heimgekehrt. Er fand sie tatsächlich in der Schatzkammer des damaligen Herrschers. Von dort stahl er sie und verließ für immer dieses Land.
Pausanias stellte die Statue in den Raum, trat heraus und schaltete die Alarmanlage wieder scharf. Dann ging er zum Bild hinüber und betätigte den Knopf, um die Geheimtür zu schließen. Sein Blick blieb an dem Bild hängen. Es war ein Ölgemälde, welches die Schlacht der Athener gegen die Spartaner zeigte. Immer wenn er Gefahr lief zu vergessen, wer er war oder woher er kam, betrachtete er das Bild. Während er auf so einem Schiff gestanden hatte, hatte sich sein Schicksal entschieden. Während der Zeit hatten ihn Männer hintergangen, die er für Freunde gehalten hatte. Verrat und Habgier waren für ihn seitdem immer die schlimmsten Verbrechen gewesen. Es waren diese Männer, seine Freunde, gewesen, die ihn nach Hause geholt und angeklagt hatten. Aber Wut empfand er deswegen nicht mehr. Denn es war lange her und die Knochen dieser Verräter waren mittlerweile zu Staub zerfallen. Aus dieser Geschichte aber hatte er gelernt, niemals jemandem zu vertrauen, nur bei seinen Brüdern machte er eine Ausnahme. Auch dem Agenten Smith musste er zwangsläufig vertrauen, obwohl ihm das nicht immer leichtfiel. Sein Instinkt sagte ihm, dass dieser Mann falschspielte. Aber bisher war immer alles gut gegangen. Daher ging er über sein Unwohlsein hinweg. Ansonsten traute er aber den Menschen nur so weit, wie er sie sehen konnte. Die eine Figur auf einem der Schiffe, hatte Ähnlichkeit mit ihm, aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, dass damals ein Maler mit auf dem Schiff gewesen wäre, der diese Szene so detailliert festgehalten haben konnte. Aber anscheinend war ihm damals einiges entgangen. Da seine Sinne noch nicht so geschärft gewesen waren wie jetzt.
Er drehte sich schnell herum, da er etwas gehört hatte. Da sah er Mrs. Preston in der Tür stehen. Sie sah schon wieder verschreckt aus, als er sie nun ansah. Hatte er sich zu schnell gedreht? Wie lange stand sie schon da? Er runzelte die Stirn. Hatte sie ihn etwa beobachtet?
»Ich hatte geklopft«, sagte sie schnell, als sein Blick sie traf, »aber Sie waren so in der Betrachtung des Gemäldes versunken, dass Sie mich nicht gehört haben.«
Das war wohl eher ausgeschlossen, stellte er fest. »Was wollen Sie?«, fragte er deshalb recht barsch.
»Äh, also nun. Hier hat ein Mr. Smith für Sie angerufen. Ich habe ihn auf Leitung zehn gelegt, da er Sie dringend wegen irgendeiner Angelegenheit sprechen wollte. Er wollte mir nicht sagen, was genau er wollte.«
Pausanias nickte ihr zu. »Vielen Dank! Ich werde mich darum kümmern.« Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber. Setzte sich in den Ledersessel und nahm den Telefonhörer ab. Er wählte die Kurzwahltaste zehn.
»Ah, da erreiche ich Sie endlich. Ich versuche Sie schon geraume Zeit zu sprechen!«
»Einen Augenblick bitte«, sagte Pausanias und sah die Sekretärin erwartungsvoll an. »Das wäre dann alles, Mrs. Preston!«
Sie nickte und verschwand.
»Guten Morgen, Agent Smith. Wie schön, dass Sie angerufen haben, sonst hätte ich mich in den nächsten Stunden bei Ihnen gemeldet.«
»Spannen Sie mich nicht immer so auf die Folter, Mr. Argiada. Haben Sie ihn?«
»Mr. Smith, wenn die Brother-Gesellschaft einen Job übernimmt, sind Sie da jemals enttäuscht worden?«
»Nein, bisher zum Glück noch niemals. Aber es ist auch entsprechen wichtig.«
»Wie schon gesagt, ich hätte Sie noch angerufen und informieren. Der Auftrag wurde zu Ihrer vollen Zufriedenheit erledigt. Das besagte Stück befindet sich nun in meinem Besitz. Ich habe es einer Göttin zur Aufbewahrung gegeben.« Der Agent Smith war schon des Öfteren in seinem Büro gewesen und hatte die Statue der Göttin Aphrodite auf seinem Schreibtisch stets bewundert. Er würde verstehen, was Pausanias andeutete.
So war es auch, denn Smith lachte. »Sie wollen nicht am Telefon darüber reden, was? Sehr klug von Ihnen, aber ich habe Sie auch so verstanden. Sie haben ihn in die Obhut der Liebe gegeben.«
»Wir sollten in den nächsten Tagen über die Übergabe sprechen. Jetzt allerdings habe ich hier für die Gesellschaft zu viel zu tun, da ich einige Zeit weg war. Der Chip ist hier bei mir jedoch absolut sicher. Also keine Sorge! Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag!« Pausanias legte auf, ehe der Regierungsangestellte noch etwas erwidern konnte. Ihm war gerade nicht nach Reden zumute.
Smith sah den Telefonhörer an. Wie er diesen arroganten Mann verabscheute. Er hatte ihm noch sagen wollen, dass es hier in Langley ein Leck gegeben hatte und jemand das Telefonat mit Argiada belauscht hatte und der Mann deshalb vorsichtig sein sollte, aber so konnte er ihn nicht warnen. Dann war es seine Schuld, wenn ihm etwas zustieß.