Читать книгу Sie stiehlt sich in sein Herz - Christine Engel - Страница 9

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Pausanias betrat das Gesellschaftszimmer des Brother-Buildings. Er sah die anderen sieben Männer an, die sich hier im obersten Stockwerk ihres Gebäudes im Gesellschaftszimmer versammelt hatte. Sie waren zu einer Familie zusammengewachsen. Die Brüder unterstützten sich gegenseitig und hatten gemeinsam, so mache Schlacht geschlagen.

»Und was gibt es Neuen?«, erkundigte er sich, wobei er besonders Pedanios Descurides ansah.

Der einstige römische Feldherr und Begründer der modernen Pharmakologie lächelte ihn nur an.

Daher fragte er präziser nach. »Alles in Ordnung mit Alanya und Aylin?«

Pedanios hatte erst kürzlich eine Frau gefunden, die er nicht mehr gehen lassen konnte. Alanya war die erste Frau, die Pedanios, oder Danny wie er auch genannt wurde, nach zweihundert Jahren sexuellem Desinteresse wieder erregt hatte. Als das geschah, war Danny beinahe durchgedreht. Er war bereits nach dem ersten Treffen mit Alanya geradezu besessen von ihr gewesen. Nachdem Danny dann ihr Blut getrunken hatte, konnte er auch noch ihre Gefühle wahrnehmen. Das war eine Entwicklung, die ihnen bisher völlig unbekannt gewesen war. Klar hatten sie sich alle von menschlichem Blut ernährt, aber so eine Reaktion hatte es bis dahin nie gegeben. Nie hatte einer von ihnen die Emotionen der Opfer gespürt. Das wäre auch nicht sonderlich angenehm gewesen für sie. Außerdem war es den Blutsbrüdern bis zu diesem Zeitpunkt auch nie gelungen eine Frau zu wandeln. Immer hatte das Gehirn der Frau so erheblich unter der Wandlung gelitten, dass die Betreffende verrückt geworden war. Woraufhin alle davon ausgingen, dass es nur männliche Vampire geben würde. Danny hätte auch niemals in Erwägung gezogen Alanya zu wandeln, denn das Risiko war ihm einfach zu groß erschienen, aber Alanya war tödlich verletzt gewesen und Danny hatte sie nur retten können, indem er sie wandelte und das Unmögliche war erneut gelungen, sie war normal geblieben. Alanya war die einzige Vampirin, die sie kannten. Das gab den anderen Männern hier im Raum, die Hoffnung, irgendwann auch eine Partnerin zu finden. Zugeben wollte es keiner, aber sie alle fühlten sich einsam, obwohl sie einander hatten. Doch die Intimität einer Beziehung konnte eben auch nicht durch eine enge Freundschaft ersetzt werden.

»Ja, es geht ihnen gut. Aylin wächst normal heran«, sagte der stolze Vater. Aylin war seine leibliche Tochter und gerade mal ein halbes Jahr alt. Sie war ein weiteres Wunder und brachte viel Lachen und Freude in die Herzen dieser alten Krieger.

Pausanias nickte erfreut, dann sah er Galenos Rommos an. Der ehemalige Heerführer und Feldarzt Roms arbeitete nun in den Laboratorien mit Danny zusammen. »Kommt ihr mit der Forschung weiter voran?«

»Wir sind immer noch dabei, aber so ganz konnten wir das Problem bisher noch nicht lösen. Allerdings waren die letzten Ergebnisse recht vielversprechend. Jedoch kann ich schon mal sagen, dass wir den Termin, den sie uns vorgegeben haben, sicher nicht einhalten können. Schließlich verbringt unser Kazanova hier«, er lächelte Danny gutmütig an, »jetzt lieber seine Zeit mit seiner Frau.«

Dieser grinste zurück. »Du bist nur eifersüchtig!«

»Stimmt und ich gebe es offen zu.« Dann sah er wieder zu ihrem Anführer zurück.

Pausanias nickte. »In Ordnung, dann wirst du die Auftraggeber schon mal rechtzeitig darüber informieren, dass es nicht zu schaffen ist. Aber ihr werdet nichts übereilen, um den Termin zu halten. Keine unüberlegten oder unausgegorenen Versuche. Wenn es nicht geht, geht es eben nicht!«

Galenos konnte dem nur zustimmen. »So habe ich es auch gesehen. Ich rufe morgen gleich an, wollte nur vorher noch mit dir sprechen.«

Pausanias sah nun zu Hannibal Barkas, dem großen, dunkelhaarigen karthagischer Krieger, dann schaute er zu Alarich Dargol, dem rumänischen Krieger und zu Attila Persos dem Hunnen. Sie schienen sich alle vom letzten Einsatz gut erholt zu haben und berichteten auch nichts weiter. Die letzten beiden Männer im Raum waren blond. Es waren kräftig gebaute Wikinger. Harald Halfdansson trug einen einfachen Schnurrbart, der nicht sehr lang war, aber seine offenen Haare reichten weit bis auf den Rücken hinab. Erik, der andere Wikinger, war Erik Haraldsson und wie der Name schon sagte auch wirklich der Sohn von Harald. Auch er trug die Haare offen, aber sie reichten nur bis auf die Schultern. Sein Schnurrbart war aber gedreht und reichte ihm fast bis an den Kehlkopf.

Jetzt ergriff Erik das Wort. »Es wurde gestern bekannt gegeben, dass Franklin Simmens, gestorben ist. Die Polizei veröffentlichte den Bericht im Fernsehen. Ich dachte, dass solltet ihr wissen. Er scheint ermordet worden zu sein. Genaueres wollten sie nicht sagen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.«

Alarich sah ihn nachdenklich an. »Simmens, Simmens. Der Name kommt mir gekannt vor. Wer war denn Franklin Simmens?«

Pausanias antwortete: »Er war der Architekt, der Umbauarbeiten dieses Gebäudes für uns vorgenommen hat. Er hat jedem von uns seinen Geheimraum eingebaut und die Wohnungen überarbeitet, sodass jetzt jeder ein eigenes Badezimmer hat. Auch die Expressaufzüge stammen von ihm.«

»Und letztens hat er die Wohnung für Alanya und mich überarbeitet«, ergänzte Danny.

Alarich nickte. »Richtig, daher kam mir der Name so bekannt vor. Ist schon klar, was ihm zugestoßen ist?«

Alle sahen zu Erik, dieser schüttelte den Kopf: »Nein leider keine Informationen. Aber ich dachte, ich könnte mich da mal einschalten und nachforschen. Denn schließlich war er ein ganz guter Bekannter von uns.« Erik sah Alarich provokant an.

»Nicht jeder geht immer mit allen die hier rein kommen auf »Du-und-du-saufen«.« Weiter ließ sich der Rumäne nicht provozieren.

»Mach das Erik. Vielleicht kannst du etwas herausfinden. Es war wahrscheinlich nur wieder ein Verbrechen aus Habgier. Das ist bei den Menschen eben weit verbreitet.« Pausanias schüttelte den Kopf.

Galenos fragte: »Und bei euch? Habt ihr den Speicherchip zurückbekommen?«

»Klar haben wir den«, antwortete Alarich sofort.

»Ich habe auch schon mit Mr. Smith von der CIA gesprochen und ihm mitgeteilt, dass alles gut verlaufen ist. In den nächsten Tagen klären wir die Übergabe.« Pausanias Gesichtsausdruck wurde düster. Die Freunde der Jagt war verflogen.

»Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte sich Danny.

Pausanias zwang sich, den Kopf zu heben und seine trüben, lustlosen Gedanken zu verbannen. »Ich soll gleich noch ein Interview geben und bin nicht besonders erpicht darauf, wie ihr euch vorstellen könnt.«

»Soll ich dir das abnehmen?«, fragte Galenos.

»Nein, das schaffe ich schon.«

Erik telefonierte eifrig weiter.

»Ich habe es gestern geschafft, dass mich Aylin angelächelt hat!« Harald sah stolz die anderen an. »Vorher hat sie nur geweint, hat Alanya gesagt. Aber ich habe es geschafft, dass sie aufhörte und sogar lächelte.«

»Ja«, sagte Pedanios missmutig. »Du solltest ihnen auch sagen, wie du es geschafft hast.«

Alarich sah nun interessiert zu Harald hinüber. »Du hast doch nicht deine Augen zugehalten und gerufen: »Wo ist das Baby?« Dann die Hände weggenommen und gesagt: »Da ist es ja!« Oder etwas in der Richtung? Das wäre gar nicht nett, denn das war mein Trick und sicher hätte es bald auch funktioniert. Wir beide arbeiten noch daran.«

»Du spinnst«, kommentierte Hannibal.

»Nur weil du es nicht schaffst, dass sie bei deinem Anblick nicht gleich in Tränen ausbricht. Oder was?«, verteidigte sich Alarich.

Schon sprang Hannibal auf und stellte sich in Kampfposition. »Wenn du mir damit etwas sagen willst, dann komm schon! Raus damit!«

Pausanias hob beschwichtigend die Arme. »Kommt runter. Sie mag euch alle!«

Der Vater des Babys nickte zustimmend. »Allerdings, sie liebt jeden ihrer Onkel abgöttisch und er hat sie zum Lächeln bekommen, indem er ihr seine Silberaugen gezeigt hat.«

Alle stöhnten auf. Das war die Farbe, die ihre Augen annahmen, wenn sie auf Nachtsicht umschalteten.

»Das probiere ich morgen auch gleich!« Attila grinste.

»Ich weiß nicht? Du bist vielleicht ein wenig wild und wenn du so aussiehst …«, gab Alarich zu bedenken.

Empört fuhr der Hunne herum. »Du willst mir damit doch etwas sagen. Dann los heraus damit!«

Pausanias schüttelte den Kopf. Sie waren wirklich einfach zu anstrengend.

Währenddessen betrat Keena O´Shea das Brother-Gebäude in Detroit durch den Eingang bei der Lobby. Es war die edle Lobby eines großen Konzerns, der Brother-Gesellschaft, die auch auf die Außenwirkung achtete. Der Raum war fast an allen Seiten mit Glas verkleidet, an einer Seite gab es eine Holzverkleidung. Sie verhinderte, dass man von der Straße in die Lobby des Gebäudes sehen konnte. Gegenüber dem Eingang war noch eine Wand aus Stein, vor der ein Tresen stand. Dahinter befanden sich zwei Empfangsdamen. Drei Sicherheitsmänner waren ebenfalls im Raum verteilt. Zwei standen neben der Glasschiebetür und ein weiterer an den Aufzügen. Weiter gab es noch zwei kleinere Sitzgruppen hier. Alle waren in rotbraunem Mahagoniholz und weißem Leder gestalte. Der Fußboden bestand aus weißem Marmor. Keena hatte gelesen, dass der im ganzen Gebäude verwendet worden war, sogar in den Laboratorien. Nur in den Wohnräumen, welche im obersten Stockwerk lagen, sollte Teppichboden verlegt worden sein. Das Gebäude selbst war schon recht alt. Keena hatte gelesen, dass es kurz nach der Gründung von Detroit 1701 erbaut worden war. Durch umfangreiche Umbauten und Renovierungen war es aber nun modern und sehr ansehnlich. Es gab auch zahlreiche Informationen über den Architekten, welcher die Veränderungen hatte vornehmen lassen, sowie über die Ausstattung des Gebäudes. Die Brother-Gesellschaft, der das Gebäude und die Laboratorien auch gehörten, war eine private Gesellschaft. Laut den Medien hatte sich diese Gesellschaft dem Wohle der Menschheit verschrieben. Sie stellten Pharmazeutika her, die den Menschen zugutekamen. Darüber hinaus gab es leider keine weiteren Aufzeichnungen über die Gesellschaft in der Presse und im Internet. Der Berger Pharmakologie Konzern, der ebenfalls Arzneimittel herstellte und hier in Detroit ansässig gewesen war, musste erst kürzlich wegen unlauterer Machenschaften geschlossen werden. Diese interessanten Fakten würde Keena nachher sicherlich verwenden können.

Die Kontakte von Jack Sounders hatte der jungen Frau jedoch eine Menge zusätzlicher Informationen über die Brother-Gesellschaft geliefert. Dabei hatte Keena gelesen, dass sie teilweise in dubiose Geschäfte mit der Regierung verstrickt gewesen war. Das hatte natürlich nicht im Internet gestanden. Weiter gab es Aufzeichnungen über die Mitglieder der Gesellschaft und über Geheimräume. Aber Keena schüttelte den Kopf, wenn man Geld hatte und das war hier eindeutig der Fall, konnte man sich wirklich alles leisten. Hier würde sicher, wie beim Berger Konzern auch, illegale Forschung betrieben werden. Aber das interessierte Keena nicht wirklich, aber es machte ihr ihre Tat etwas erträglicher. Sie hasste es, zu stehlen und anderen etwas wegzunehmen.

Vor einer halben Stunde hatte sie hier beim Konzern angerufen und gefragt, wann sie ein Interview mit dem Vorsitzenden der Gesellschaft, einem Mr. Pausanias Argiada, führen könnte. Sie hatte die Antwort erhalten, dass sie heute noch vorbeikommen könnte, wenn sie es wollte. Das passte ihr gut, dann konnte sie morgen schon wieder in Bosten sein. Am Flughafen hatte sie daraufhin bereits für morgen einen Rückflug gebucht. Vielleicht konnte sie dann ja doch ihren Job im Hotel behalten, denn es waren nur ein, vielleicht zwei Tage, die sie fehlen würde. Vielleicht konnte es im Hotel doch noch als unbezahlter Urlaub gelten, denn immerhin hatte rechtzeitig Bescheid gegeben, dass sie nicht kommen würde und Ansonsten immer pünktlich gewesen. Andererseits hatte sie nicht wirklich große Hoffnung darauf, denn die Frau im Büro hatte ziemlich sicher geklungen. Was ein Kranksein in der Probezeit betraf. Keena seufzte. Aber versuchen würde sie es auf jeden Fall.

Aber daran wollte sie jetzt nicht denken, sie musste sich konzentrieren. Schließlich wollte sie hier auf keinen Fall im Gefängnis landen. Sie machte sich gerade und hob den Kopf. Ihre langen rotblonden Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden. Keena hatte sich extra für das Interview entsprechend gekleidet. Sie trug einen dunkelblauen recht engen Rock, der ihr nur knapp über das Knie reichte und eine weiße Businessbluse, an der die obersten zwei Knöpfe offenblieben. Darüber hatte sie eine Kostümjacke, passend zum Rock gezogen. Sie sah aus wie eine Geschäftsfrau. Schließlich wollte sie hier als Reporterin auftreten. Aber ihre Füße schmerzten schon nach der kurzen Zeit, in denen sie sie in diese Folterinstrumente von Schuhen gesteckt hatte. Warum musste sie auch so klein sein? Wäre sie größer, dann wären die Absätze vielleicht nicht so hoch. Sie zwang sich zu einem Lächeln und schritt schnellen Schrittes zu der Anmeldung hinüber. Allerdings musste sie kleine Schritte machen, da sie sonst die Schuhe verloren hätte. Jeder Schritt tat entsetzlich weh.

»Guten Abend«, grüßte sie mit freundlicher leiser Stimme. »Mein Name ist Ms. Miller, ich komme vom Wochenblatt, wegen eines Interviews mit Mr. Argiada. Ich habe vorhin hier angerufen und einen Termin für das Interview erhalten.«

Die Empfangsdame erwiderte das Lächeln. »Schönen guten Tag Ms. Miller. Dann haben wir vorhin telefoniert?«

»Ja, das kann gut möglich sein, wenn Sie mir sagten, ich könne heute noch vorbeikommen, dann stimmt das wohl.« Sie vertiefte das Lächeln.

Die Empfangsdame nickte und erwiderte das Lächeln. »Ja sicher, warten Sie bitte einen Augenblick. Ich werde versuchen, Mr. Argiada zu informieren.« Sie griff nach dem Telefonhörer, wählte und wartete. Dann sah sie entschuldigend zu Keena zurück, die sie gespannt ansah. »Er geht im Büro leider nicht an seinen Apparat, ich werde die Sekretärin versuchen zu erreichen.« Sie wählte erneut, diesmal hatte sie Erfolg. »Ja, hallo Mrs. Preston, hier am Empfang ist die Reporterin, die gerne das Interview mit Mr. Argiada machen möchte. Können Sie mir sagen, wo er sich aufhält, oder wohin ich die junge Frau schicken soll?«

Sie lauschte einen Moment. »Vielen Dank, ich werde sie hochschicken.« Sie legte auf und sagte zu Keena: »Nehmen Sie bitte den Aufzug dort und fahren in den fünfundzwanzigsten Stock, dort hat Mr. Argiada sein Büro. Mrs. Preston seine Sekretärin, wird Sie am Fahrstuhl abholen. Mr. Argiada ist noch in einer Besprechung, wird aber gleich für Sie da sein.« Sie deutete auf die Fahrstühle am Ende des Raumes.

»Vielen Dank«, erwiderte Keena und ging zu den Fahrstühlen. Dort drückte sie auf den Knopf und wartete. Mit einem »Pling« ging nach einem kurzen Augenblick eine Fahrstuhltür auf. Innen war der Boden des Fahrstuhls mit Teppichboden versehen und es gab dunkle Wände. Keena trat ein und atmete noch einmal tief durch. Es war nicht so, als hätte sie es noch nie gemacht, aber es fiel ihr immer so schwer, sich zu verstellen, denn von Natur aus war sie ein ehrlicher Typ. Deshalb hatte Sounders sie auch ausgewählt, niemand würde als Erstes sie eines Diebstahls verdächtigen.

Die Tür schloss sich und der Fahrstuhl fuhr nach oben. Dabei wurde leise Musik gespielt. Es war fast so wie in einem Einkaufszentrum, dachte sie und schüttelte über die Dekadenz der Besitzer des Gebäudes den Kopf.

Mrs. Preston erwartete Keena bereits vor dem Fahrstuhl, als sie ausstieg. Beide Frauen waren ungefähr im gleichen Alter, also erst Anfang zwanzig. Beide trugen sie einen Rock mit Kostümjacke, aber damit endete die Ähnlichkeit der beiden Frauen auch schon. Mrs. Preston war mittelgroß und damit schon fast zehn Zentimeter größer als Keena. Sie trug ihre blonden Haare in einem aufwendigen Kurzhaarschnitt, während die angebliche Reporterin ihres lediglich zu einem Knoten hochgebunden hatte. Auch die Bluse der Sekretärin war hochgeschlossen und wirkte eher streng als verspielt. Nun lächelte sie der jungen Frau, die aus dem Fahrstuhl stieg, jedoch freundlich entgegen. »Sie müssen Ms. Miller sein.« Sie streckte ihr die Hand entgegen.

»Ja, dann sind Sie sicher Mrs. Preston.«

»Stimmt genau.« Sie versprühte eine Fröhlichkeit, die Keena nicht so recht teilen konnte, aufgrund der Aufgabe, die vor ihr lag, aber sie ließ sich nichts anmerken.

»Leider ist Mr. Argiada noch in einer Besprechung. Aber vor einer halben Stunde sagte er, er wäre für ein Interview bereit. Daher gehe ich davon aus, dass er gleich kommen wird. Kommen Sie doch bitte erst einmal hier entlang.« Sie führte Keena den Gang hinunter, vorbei an anderen Büroräumen, die vom Gang abgingen. Dabei beugte sie sich etwas zu ihr hin und flüsterte: »Ms. Miller, sind Sie sicher, dass Ihre Zeitung ein Interview mit Mr. Argiada machen will? Und sind Sie sich sicher, dass Sie es auch durchführen wollen?« Sie sah sich verstohlen um und hob die Hand an den Mund. »Er ist immer so wortkarg und unwirsch. Von ihm werden Sie kaum Antworten erhalten. Auch von der Pharmakologie hat er keine Ahnung.«

»Ich werde es trotzdem einfach versuchen«, flüsterte sie zurück. Dann aber lächelte Keena die Verwaltungsangestellte an. »Mr. Preston, richtig?«

Die Sekretärin nickte.

»Sie mögen Ihren Chef wohl nicht sehr?«

Die Sekretärin zuckte etwas zurück. »Äh, nun er ist immer zuvorkommend und nicht unfreundlich, aber er macht mir Angst. Ich weiß, ich sollte es nicht sagen, aber ich vermeide es immer, mit ihm allein zu sein. Er jagt mir Kälteschauer über den Rücken. Er ist einfach nur so unheimlich.«

»Gibt es dafür einen Grund?«

Mrs. Preston sah Keena nachdenklich an, schwieg aber weiter.

»Nun, meine Frage beziehen sich nur zum Teil auf die Forschungen, die hier betrieben werden. Dieser Pharmakologie Konzern hat viele Arzneimittel auf den Weg gebracht, die einigen Menschen sehr geholfen haben.«

»Ja, das stimmt allerdings.« Stolz hob sie den Kopf etwas an. Dann aber fügte sie wieder hinzu: »Deshalb sollten Sie vielleicht mit jemandem aus der Forschung sprechen. Die sind auch viel netter!«

»Nun, wie ich eben bereits sagte, möchte ich lieber mit Mr. Argiada darüber sprechen, denn ich habe auch andere Fragen, die die Forschung nicht betreffen. Die Forschung gehört sicher auch dazu, aber es geht auch darum, wie es bestimmte Konzerne schaffen, sich trotz der Wirtschaftskreise zu halten. Wie steht zum Beispiel die Brother-Gesellschaft zu den unschönen Dingen, die kürzlich über den Berger Konzern zu hören waren? Wird in der nächsten Zeit vielleicht ein weites Wachstum des Konzerns zu erwarten sein, da der Konkurrent aus dem Weg ist? Denn dann könnte es ja möglich sein, dass hier Jobs frei werden. So etwas interessieren unsere Leser immer. Ein weiterer Punkt ist auch ein eventueller Standortwechsel dieser Gesellschaft. Sowie weitere Zukunftsabsichten.«

»Ja, dann sind Sie eindeutig hier richtig«, gab die Sekretärin daraufhin widerstrebend zu.

»Vielleicht können Sie mir ja sagen, wie es kommt, dass die Gesellschaft führend ist auf dem speziellen Forschungsgebiet?«

»Sie meinen die Blutforschung? Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin hier nur die Verwaltungsangestellte und die Sekretärin für Mr. Argiada. Ich würde Ihnen gerne helfen, aber dazu kann ich Ihnen leider nichts sagen.«

»Auch über das Gebäude möchte ich den Lesern etwas mitzuteilen. Daher interessiert es mich, was hier alles im Haus stattfindet. Ich habe zum Beispiel gehört, dass im obersten Stockwerk des Brother-Buildings einige Wohnungen geben soll?«

»Ja, dort wohnt auch Mr. Argiada. Wollen Sie das Interview nicht doch lieber mit einem der Ärzte in der Forschung führen?« Die Sekretärin wirkte wirklich besorgt.

»Nein, nein. Das hier ist schon richtig! Mr. Argiada leitet das Unternehmen und führt es durch es offiziell an der Börse. Auch verhandelt er mit der Regierung, daher ist er derjenige, mit dem ich gerne sprechen würde.«

»Na, sie müssen es ja wissen!« Sie zuckte die Schultern.

Genau, dachte Keena und nickte, außerdem befindet sich das, was ich besorgen muss in seinem Büro. »Wie lange dauert es noch, bis er Zeit hat, sagten Sie?«

»Als Sie vom Empfang hochgekommen sind, habe ich mir Ihren Termin noch mal bestätigen lassen. Ich denke, es kann noch gut eine halbe Stunde dauern, ehe er hier sein kann. Die Besprechung hat sich scheinbar etwas länger hingezogen, als es geplant gewesen war. Aber auf meine Frage, wann er hier sein würde, erhielt ich nur die Antwort: Gleich!«

Keena kicherte. Die Sekretärin mochte ihren Chef wirklich nicht. Wäre sie eine richtige Reporterin, würde sie viel Material von der Frau erhalten, um den armen Mr. Argiada zu diskreditieren. Andererseits musste es ja einen Grund geben, warum sie sich so benahm. Vielleicht fürchtete sie ihn so sehr, weil er einfach ein Mistkerl war. Mit solchen Männern kannte sie sich, dank ihres Stiefvaters, recht gut aus. Wie dem auch sei, die Sekretärin hatte eindeutig Angst vor ihrem Chef.

»Kann ich vielleicht in seinem Büro auf ihn warten? Dann könnte ich schon einmal anfangen und notieren, beziehungsweise aufnehmen, was ich bereits für Eindrücke von dem Gebäude und dem Ambiente hier gesammelt habe.«

»Für welche Zeitung schreiben Sie noch mal?«

»Für das Wochenblatt.« Rasch fügte sie noch hinzu: »Unsere Leser interessieren sich, wie schon gesagt, auch das Gebäude und die Räume hier an sich. Wenn ich schon rein könnte, könnte ich eben schon mal ein paar Eindrücke aufnehmen.«

Sie dachte kurz nach, dann nickte sie. »In Ordnung. Ich zeige Ihnen, wo Sie warten können. Hier entlang bitte.« Mrs. Preston ging voran und öffnete die Bürotür. Das Büro war geräumig, so wie alle Räume hier im Gebäude, die sie bisher betreten hatte. Die Sekretärin nickte ihr zu und verließ den Raum. Sie lehnte die Tür jedoch nur an, wie die angebliche Reporterin mit einem schnellen Blick erkannte.

Keena sah sich nun interessierter um. Hier gab es einen Schreibtisch, zentral im Raum. Wenn man davor saß, hatte man das Fenster im Rücken und das Gesicht zu Tür gerichtet. Auf dem Schreibtisch lag nichts, was sie interessiert hätte, nur die Zeitung von gestern und die Tastatur eines Computers, aber den Bildschirm hatte sie noch nicht gefunden. Ah, hier war er in die Schreibtischplatte eingelassen. Alles hochmodern eingerichtet. Das hatte bestimmt einiges an Geld gekostet, den Computer so in den Schreibtisch zu integrieren. Viel mehr gab es auf dem Tisch nicht zu sehen. Es standen nicht einmal Bilder auf dem Schreibtisch. Nichts Persönliches gab es hier. Der Schreibtischstuhl war mit Leder bezogen und zeigte bereits deutlich Gebrauchsspuren, war aber heil. Er schien ein Liebhaberstück zu sein und war das einzige persönliche hier im Raum. Vor dem Schreibtisch stand ein einfacher dünn gepolsterter Holzstuhl aus Mahagoni. Die Fenster nach draußen waren mit Jalousien verdeckt, die kein Tageslicht hineinließen. Die Beleuchtung erfolgte durch kleine Lämpchen, die in die Decke eingelassen worden waren. Was für eine Verschwendung! An der rechten Seite war ein halbhoher Aktenschrank, ebenfalls aus Mahagoni. Darauf stand ein kleines, silbernes Tablett, darauf war eine Karaffe mit Alkohol und ein paar umgedrehte Gläser. Ein typisches Büro eines Mannes. Eigentlich hatte sie noch einen Aschenbecher erwartet, aber der fehlte. Auf der anderen Seite des Raumes gab es einen getäfelten Wandteil. Dem gegenüber war ein Bild eines alten Schiffes an der Wand zu sehen. Nein, korrigiere sie sich, es war eine Darstellung einer Seeschlacht. Interessiert trat sie näher. Die abgebildeten Schiffe schien noch mit Rudern betrieben worden zu sein. Aber die Schiffe verfügten neben den Rudern auch über Segel. Auf dem Bild war ein Mann zu sehen, der am Bug eines der Schiffe stand. An der Position von wo aus sicherlich die Befehle erteilt worden waren. Der Maler hatte die Erscheinung eindrucksvoll dargestellt, sodass er dem Betrachter unweigerlich ins Auge fiel. Breitbeinig und selbstsicher stand der Mann dort. Es war ein altes Bild, bestimmt schon einige Hundert Jahre. Es war in Öl gemalt und künstlerisch gestaltet. Ihr Interesse galt nun aber besonders der Wand hinter dem Rahmen, denn ihrem Informanten zufolge gab es an der Stelle einen Schalter für eine Geheimtür. Woher ihr Auftraggeber die Information hatte, wusste sie nicht und sie wollte auch lieber nicht nachfragen, denn das konnte bei ihrem Stiefvater sehr unangenehm werden. Aber die Informationen, die er weitergab, waren immer eindeutig richtig. Sie fand den Schalter und drückte darauf. Sofort knackte es im vertäfelten Teil der Wand hinter ihr leise und dort öffnete sich eine Tür. Keena trat näher und holte ein Spray aus der Handtasche. Damit sprühte sie nun in die Öffnung und erkannte, dass es trotz der Geheimtür noch weitere Sicherheitsvorkehrungen hier gab. Infrarotstrahlen waren hier vorhanden, welche, sollten sie durchbrochen werden, einen Alarm auslösen würden. Aber durch das Spray wurden sie vorrübergehend sichtbar. Keena lächelte, dass hier war keine wirkliche Herausforderung für sie. Sie zog die hohen Schuhe aus und seufzte befreit, als sie diese Folterinstrumente abgelegt hatte. Nun zog sie den Rock hoch und steckte ihn fest. Wenn sie durch die Strahlen stieg, durfte nichts herunterhängen, denn das konnte den Alarm auslösen. Deshalb hatte sie heute auch ihre Haare zum Knoten gebunden. Die Anzugjacke zog sie ebenfalls aus und legte sie über den Stuhl, ihre Tasche stellte sie daneben. Dann war sie bereit für ihren Einsatz. Sie sprühte noch einmal und prägte sich die Lage der Strahlen ein. Gekonnt schlüpfte sie anschließend zwischen den Strahlen hindurch, ohne eine davon zu unterbrechen. Das hatte sie jahrelang üben müssen, aber jetzt war sie wirklich gut darin. Hier aber waren die Strahlen sehr eng und sie musste sich schon gehörig verbiegen, um hindurch zu passen. Aber es gelang ihr gut. Dann stand sie in dem geheimen Raum und sah sich um. Es gab viele alte Gegenstände hier. Mr. Argiada musste ein Kunstsammler bestimmter alter Artefakte sein. Allerdings schien er alles Mögliche zu sammeln und nicht eine bestimmte Richtung zu bevorzugen. Viele reiche Leute sammelten bestimmte Bilder oder bestimmte Krüge, hier aber war von vielen unterschiedlichen Bereichen Gegenstände gesammelt worden. Sie sollte aber nur ein bestimmtes Stück besorgen. Es war eine alte römische Statue. Das Material war Marmor. Dieser Statue fehlten jedoch nicht, wie bei vielen römischen Darstellungen, die Arme, sondern die Frau sollte ganz dargestellt sein. Weiter sollten ihre Blöße durch ein Tuch nur spärlich bedeckt sein. So hatte es im Bericht gestanden. Keena wusste, das Tuch nannte man damals eine Toga. Ah, da stand sie ja. Sie war wirklich ein kleines Kunstwerk. So detailliert dargestellt. Die aufwendig dargestellten Haare waren künstlerisch frisiert und wurden durch ein Diadem gehalten. Fasziniert strich sie über den kleinen Diamanten, der an der Spitze des Diadems prangte. Davon hatte im Bericht nichts gestanden. Die ganze Statue war vielleicht zwanzig, bis dreißig Zentimeter groß. Und passte daher perfekt in ihre Tasche, die neben ihrer Anzugjacke auf dem Stuhl lag.

Die anderen Kunstgegenstände hier in diesem Raum waren teilweise aus Gold und Bronze gefertigt und sahen sehr alt und sehr kostbar aus. Die Statue wirkte im Gegensatz dazu eher von geringem Wert. Warum wollte der Kunde unbedingt diese kleine Figur haben, wenn es hier doch so viel mehr und so viel Wertvolleres gab? Aber das war ihr egal. Keena wollte sowieso nicht stehlen. Deshalb interessierten die anderen Gegenstände hier im Raum sie auch nicht sonderlich und sie sah sie sich gar nicht so genau an. Aber dann fiel ihr Blick auf eine antike Kette. Die Steine glitzerten im Licht und Keena musste sie einfach kurz berühren. Sie hob sie an und legte sie sich um den Hals. Die Kette war schwer, durch das Gewicht der Steine, und schmiegte sich dadurch wundervoll an die Haut an. Sie war absolut traumhaft. Vorsichtig, um sie nicht zu beschädigen, legte sie sie wieder an ihren Platz. So etwas würde sie selber niemals ihr Eigen nennen. Sie musste hier nur für andere stehlen und wenn sie die Wahl gehabt hätte, dann hätte sie nicht einmal das getan, sondern würde sich ihren Lebensunterhalt anders verdienen. Aber diese Option hatte es in ihrem Leben, dank ihrer Mutter, leider bisher nicht gegeben. Aber das würde sich ab jetzt ändern.

Erneut sprühte sie, um die Strahlen wieder sichtbar zu machen, und stellte die Statue vorsichtig durch die Strahlen in den Büroraum. Dann zwängte sie sich wieder durch die kleine Öffnung zwischen den Infrarotstrahlen zurück in den anderen Raum. Wären die Strahlen ausgeschaltet gewesen, dann wäre es leicht gewesen hineinzukommen. Aber in dem sie versuchte, den Infrarotstrahlen auszuweichen, wurde der Platz zum Durchschlüpfen gering und sie musste sich erneut recht heftig verbiegen damit, sie es schaffen konnte. Aber es gelang ihr fast mühelos, unter anderem wegen ihrer geringen Körpergröße. Das war ein weiterer Grund, warum Jack Sounders sie für diesen Job ausgesucht hatte.

Rasch trat sie zu dem Ölgemälde zurück, drückte erneut auf den Schalter und die Tür schloss sich beinahe lautlos wieder. Keena kehrte zum Stuhl zurück. Dort holte sie ein Tuch aus der Tasche, wickelte die Göttin darin vorsichtig ein und verstaute sie danach rasch in ihrer Tasche, zog den Rock hinunter, die Schuhe an und die Jacke wieder über. Dann setzte sie sich ganz ruhig auf den einfachen Stuhl und wartete.

Sie stiehlt sich in sein Herz

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