Читать книгу Seine Liebe bringt den Tod - Christine Engel - Страница 5

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Eine laute Musik ertönte, woraufhin Naomi Stoj ruckartig in ihrem Bett auffuhr und sich gehetzt umsah. Bis eben hatte sie tief und fest geschlafen. Daher brauchte sie einige Zeit, ehe sie erkannte, dass die Musik aus ihrem Mobiltelefon kam. Müde streckte sie die Hand aus und schaltete den nervtötenden Wecker aus. Endlich wieder Ruhe! Erschöpft ließ sie sich rückwärts wieder ins warme Bett zurückfallen. Den Weckton sollte sie dringend ändern, der konnte ja sogar Tote wecken.

Ben regte sich neben ihr. »Guten Morgen«, brummelte ihr Lebensgefährte, während er sich die Decke vom Körper schob und sich aufsetzte, wobei er seine Füße bereits auf den Boden gestellt hatte. Er beugte sich vornüber, stützte die Ellenbogen auf die Oberschenkel und rieb sich mit beiden Händen über sein Gesicht.

Naomi rollte sich zu ihm herum. Sie setzte sich auf, nahm ihn von hinten in die Arme und presste ihr Gesicht gegen das T-Shirt an seinen Rücken. »Guten Morgen«, erwiderte sie den Gruß und küsste ihn auf die Schulter. »Wie kannst du nur immer so schnell wach werden? Komm wieder ins Bett und wir kuscheln uns noch ein wenig zusammen.« Nun küsste sie ihn auf den Nacken und den Hals.

Er drehte sich zu ihr und gab ihr flüchtig einen Kuss auf die Stirn. »Nein, ich muss zur Arbeit. Heute haben wir ein wichtiges Treffen, das ich vorher noch im Büro vorbereiten muss, damit da nachher nichts schiefgeht.« Er stand auf und ging zum Badezimmer.

Schmollend fiel sie nach vorne aufs Bett, da er sie durch das Aufstehen ihrer Stütze beraubt hatte. »Schon wieder so früh? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich vermuten, du hast etwas mit deiner Sekretärin.«

Ben drehte sich in der Badezimmertür zu ihr herum und betrachtete sie kopfschüttelnd. »Naomi, für so einen Schwachsinn habe ich jetzt wirklich keine Zeit.«

»Und hast du etwas mit ihr?«

»Mit Birte? Sicherlich nicht!«

»Nun ja, sie ist fast fünfzig, aber wer weiß«, sie grinste ihn an.

Aber Ben war im Badezimmer verschwunden und an dem laufenden Wasser erkannte sie, das er schon die Dusche angemacht hatte. Auch so etwas, was er verändert hatte. Er duschte nun immer vor der Arbeit. Vielleicht hatte er ja doch eine Affäre. In der letzten Zeit war ihr diese Idee schon des öfter gekommen. Zwischen ihnen beiden lief es seit einiger Zeit einfach nicht mehr gut. Sie waren jetzt vier Jahre zusammen. Vielleicht war einfach die Luft raus, oder sie hatten sich im Alltagsstress verloren. Aber vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass sie sich nicht genug bemühte, die Liebe aufrechtzuerhalten. Mit der Zeit wird alles immer so berechenbar. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie würde ihn überraschen und ein schönes Abendessen vorbereiten, mit romantischem Kerzenlicht und leiser Musik. Sie lächelte still vor sich hin und rollte sich auf den Rücken. Es würde ihr schon gelingen, ihn wieder dazu zu bringen, Zeit für sie zu haben. Früher hatte er seine Finger auch kaum von ihr lassen können, dabei war sie eigentlich nicht sein Typ. Sie kannten sich von der Schule und er hatte immer kleine, blonde Frauen mit blauen Augen bevorzugt. Aber dann war er mit ihr zusammengekommen. Sie hatte dunkelbraune, fast schwarze Haare und braune Augen. Außerdem war sie mit einem Meter siebzig nicht gerade klein. Aber er hatte sich für sie entschieden und war zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden. Ihr erstes richtiges Zuhause hatte sie bei ihm gefunden. Sie musste ihn nur wieder daran erinnert, was er an ihr hatte. Dazu musste sie nur die richtigen Klamotten aussuchen, sich einfach nett zurechtmachen und ihm klarmachen, dass sie für ihn wichtig war. Sie stand auf und ging zum Schrank. Rasch griff sie sich irgendein T-Shirt, eine Hose und streifte beides hastig über. Barfuß tappte sie in die Küche. Erst einmal einen Kaffee aufsetzen, das würde ihre müden Lebensgeister schon wecken. Dann fiel das Denken leichter und sie konnte den heutigen Tag in Angriff nehmen.

Sie war noch in der Küche am Werkeln, als Ben hereinkam. Er hatte sich bereits angezogen und trug einen blauen Anzug und ein weißes Hemd. Frisch geduscht und nach Aftershave duftend, suchte er auf der Anrichte seine Sachen zusammen, dabei warf er ihr einen Seitenblick zu. »Wie siehst du denn schon wieder aus?«, fragte er, während er sich von ihrem Kaffee eine Tasse einschenkte.

Naomi drehte sich zu ihm herum und sah an sich hinunter. Sie hatte ein altes, verblasstes Winnie Puuh-T-Shirt erwischt. Die Jeanshose war verwaschen und an einigen Stellen schon aufgescheuert.

»Willst du so abgerissen zur Arbeit? So bekommst du kein ordentliches Trinkgeld.« Er schüttelte den Kopf und nahm einen vorsichtigen Schluck vom heißen Kaffee.

»Ich will das Trinkgeld doch nicht für den Anblick meiner Oberweite oder mein Aussehen bekommen, sondern dafür, dass ich nett, freundlich und schnell bediene.«

»Blödsinn! Das Geld kannst du gebrauchen. Setzt das ein, was du hast. Obwohl…, ach auch egal. Wann bist du heute wieder da?« Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Arbeitsplatte in der Küche.

Naomi stand ihm gegenüber und nickte. »Früh, würde ich sagen.«

»Wie früh? Habt ihr gekürzte Schichten?« Er pustete auf das heiße Getränk.

»Nein, eigentlich nur ich. Ich habe es dir ja noch gar nicht erzählt. Ich bin gekündigt worden.«

Ruckartig hob er den Kopf und sah sie an. »Was? Schon wieder?«

Sie grinste ihn verlegen an. »Ja, leider! Diesmal weiß ich aber gar nicht, wieso. Ich war fast immer pünktlich und habe meine Arbeit ordentlich erledigt, bevor ich gegangen bin. Außerdem habe ich sogar für die nächste Schicht noch das Geschirr hingestellt. Trotzdem hat mich mein Chef gekündigt.«

»Das macht er doch nicht einfach so. Dafür hatte er sicherlich einen guten Grund. Bestimmt warst du unhöflich zu ihm oder den Gästen, das kannst du immer besonders gut.«

»Hey, was soll das denn?« Sie stemmte die Hände in die Taille. »Du solltest mich aufbauen und nicht niedermachen. Die Sache nimmt mich schon genug mit. Immerhin bin ich jetzt ohne Arbeit.«

»Was soll ich denn Aufbauendes sagen? Das ist der vierte Job, den du innerhalb kürzester Zeit verloren hast. Du kannst nicht immer von meinem Geld leben.«

Niedergeschlagen senkte sie den Kopf und ließ die Arme hängen. »Das weiß ich ja.« Sie sah ihn wieder an. »Aber ich bin nie lange ohne Arbeit gewesen. Das musst du zugeben. Ich werde auch jetzt mein Geld verdienen. Ehe du dich versiehst, habe ich wieder eine Anstellung. Du wirst sehen. Außerdem ist das doch das Gute an einer Beziehung, wenn einer von beiden mal den Job verliert, verdient der andere noch weiter.«

»Ja, wenn man Mal den Job verliert! Bei dir ist das ein Dauerzustand.« Er nahm vorsichtig einen Schluck vom Kaffee. »Man ist der heiß!«

Entrüstet sah sie ihn an. »Jetzt übertreibst du aber! Außerdem tu mal nicht so, als würdest du immer alles zahlen.«

»Nein, alles nicht. Aber deutlich mehr als du.« Er stellte die halb volle Tasse einfach auf die Arbeitsplatte. »Ich muss los. Sonst komme ich noch zu spät.« Dann drehte er sich um und verließ die Küche.

»Ben, wartet bitte. Lass mich jetzt nicht so stehen. Wir sollten darüber reden.«

»Ich habe für diesen Schwachsinn jetzt keine Zeit!«

Naomi schluckte die Erwiderung hinunter, die ihr ihn der Kehle aufstieg. »Ok, dann reden wir später darüber. Wann bist du heute Abend hier?« Sie folgte ihm in den Flur.

Ben öffnete die Wohnungstür, drehte sich dort aber zu ihr herum. »Du brauchst nicht auf mich zu warten. Es wird spät werden.«

»Schon wieder?« Sie schaute enttäuscht zu ihm auf. Früher war er immer so liebevoll gewesen. Das vermisste sie.

»Ja, einer muss ja das Geld verdienen.«

Diese fiese Bemerkung überging sie einfach und lief auf ihn zu. »Keinen Kuss?«

»Nein, tut mir leid. Ich bin spät dran.« Er schloss die Tür vor ihrer Nase und sie stand allein im Flur.

»Super!« Enttäuscht sah sie auf die geschlossene Wohnungstür. »Er arbeitet immerzu und hat keine Zeit mehr für mich. Nicht mal für einen Abschiedskuss und dann beschwert er sich, dass ich nicht auch so schufte wie er.« Sie drehte sich wieder um und ging ins Wohnzimmer. Gedankenverloren trank sie ihren Kaffee. Aber er hatte ja recht. Sie hatte in der letzten Zeit wirklich oft ihren Job gewechselt. Aber wie sie schon gesagt hatte, fand sie auch zeitnah wieder einen. »Ich werde mich gleich auf die Suche machen, wenn ich den Kaffee in meinem Kreislauf spüre. Dann kann ich ihm morgen einen neuen Job präsentieren.« Sie lächelte. »Genau, das mache ich! Außerdem bleibt mir dann heute noch die Zeit, den romantischen Abend in Ruhe zu planen. Dafür ist es ganz gut, dass er heute erst später kommt, dann machen wir das eben Freitag Abend. Passt auch besser, weil wir an dem Tag anschließend noch weggehen können.« Sie nickte zustimmend zu ihrer Planung. Bis dahin würde Ben sicherlich seine dringende Aufgabe abgeschlossen haben und auch Zeit für sie erübrigen können. Sie würde Kerzen aufstellen, den Tisch mit Tischdecke, Servietten und dem guten Geschirr decken. Vorher würde sie ein gutes Essen kochen und den Wein kaltstellen. Leise Musik würde den Rest erledigen. Sie lächelte vor sich hin, dabei fiel ihr Blick auf ihre Pflanzen auf der Fensterbank. Schlagartig verging ihr das Lächeln wieder. Verdammter Mist! Was war das denn schon wieder? Gerade vorgestern hatte sie drei neue Alpenveilchen gekauft. Damit etwas Farbe und Freude in die Wohnung kam und jetzt waren sie auch wieder schlaff und verwelkt. Wie ging das nur immer? Sie kaufte jede Woche gesunde Pflanzen, aber sie überlebten nur einen, vielleicht zwei Tage und dann starben sie. Was machte sie nur immer falsch? Sie gab ihnen doch immer Wasser, prüfte, ob sie zu feucht waren und sorgte dafür, dass sie Licht hatten. Wahrscheinlich sollte sie es aufgeben, sie hatte wohl einfach keinen grünen Daumen. Traurig trat sie näher und nahm die verwelkten Blumen von der Fensterbank und beerdigte sie im Mülleimer.

Als sie sich wieder zum Wohnzimmer umdrehte, stand dort ein Mann hinter ihr. Er war mittelgroß, schon älter, vielleicht Mitte fünfzig, was sie an seinen ergrauten Haaren und den deutlichen Falten in seinem Gesicht erkennen konnte. Er trug einen schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd und mit einer schwarzen Krawatte. Auf seinem Kopf hatte er einen dieser altmodischen, schwarzen Hüte mit steifer Krempe und abgerundeter Hutkrone.

Verblüfft riss Naomi die Augen auf und starrte ihn an. »Wie zum Teufel kommen Sie denn hier rein?«

Er sagte nichts, sondern musterte ihre Erscheinung.

»Antworten Sie gefälligst. Wer sind Sie und was wollen Sie hier?« Hatte Ben die Tür nicht richtig geschlossen? Sie sah an dem Mann vorbei in den Flur, aber die Wohnungstür war zu.

»Klar immer diese Fragen: Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir? Gerade von dir hätte ich mehr erwartet.«

»Das war keine Antwort auf meine Frage!«

»Stimmt.«

Langsam machte sich ein mulmiges Gefühl in ihr breit. »Also, wie kommen Sie hier rein?«

»Das war nicht schwer.«

»Was schon wieder keine Antwort ist.«

»Ganz schön hartnäckig, was? Dann hast du doch etwas von deiner Mutter.« Er lächelte, was sein Aussehen auch nicht gerade verbesserte. Dadurch wurden die tiefen Linien um den Mund und die Schatten um die Augen und Wangen herum noch stärker. »Aber das wird dir auch nicht helfen, Naomi.«

»Woher kennen Sie meinen Namen?«

»Oh, ich beobachte dich schon länger.«

»Sie sind ein Stalker!« Erschreckt wich sie einige Schritte vor ihm zurück.

»Nein, das bin ich nicht. Naomi Mortem, ich bin hier weil, …«

»Ich heiße nicht Mortem.« Sie sah ihn an und kniff die Augen verärgert zusammen. »Das war der Mädchenname meiner Mutter. Nach ihrer Heirat hieß sie Stoj, wie ich und mein Vater.«

»Was?«

»Nun, wenn eine Frau heiratet, nimmt sie für gewöhnlich den Nachnamen des Mannes an. Das ist doch nicht so ungewöhnlich.«

»Naomi Mortem, hör mir doch bitte endlich mal richtig zu.«

»Stoj, mein Name ist Naomi Stoj!«

»Also gut, Naomi Stoj. Naomi, ich habe dich nicht gestalkt, sondern für den Rat beobachtet.«

»Also doch gestalkt. Oder wie würden Sie es nennen, wenn Sie jemand gegen ihr Wissen und Wunsch beobachtet?«

Er schloss kurz genervt die Augen und ballte die Fäuste, dann sah er sie wieder ruhig an. »… und jetzt ist der Zeitpunkt, an dem der Rat der Wesen dich für alt genug hält, damit du deine Dienste für ihn antreten kannst.«

»Dienste? Rat der Wesen? Ich verstehe nur Bahnhof.« Vielleicht lag sie noch im Bett und schlief, das hier war einfach zu seltsam …

»Naomi das, was du endlich begreifen musst, ist, dass du, Naomi, kein Mensch bist. Du bist …«

… und es wurde immer besser! »Genau, ich habe mich schon immer gewundert, warum ich Schnurrhaare und einen Schwanz habe.«

Verwirrt runzelte er die Stirn. »Was? Wieso Schnurrhaare?«

»Nun, weil ich ja kein Mensch, sondern eine Katze bin.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, du bist keine Katze, sondern ein Wesen und ...«

»Nein, ich bin Waage, das heißt Waage. Ich bin vom Sternzeichen Waage.«

Erneut ballte er genervt die Fäuste. »Hör auf dazwischenzureden und lass mich endlich ausreden. Deine Mutter war ein Wesen und hat sich mit einem Menschen gepaart. Dadurch bist du entstanden.«

Entrüstet stemmte sie die Fäuste in die Seiten. »Echt jetzt? Sie hat sich gepaart. Wo kommen Sie denn her? Hat man Sie in der Fossilienkammer des Museums gefunden, oder was? Außerdem bin ich dann höchsten ein halbes Wesen, was auch immer das sein soll. Sie sollten ihre Geschichten besser überdenken, ehe sie hier in der Wohnung unschuldiger Frauen auftauchen und dubiose Behauptungen aufstellen.«

Er schüttelte den Kopf und trat vor. »Jetzt reicht es mir! Ich werde dir zeigen, wer du bist und was von dir erwartet wird.« Er fasste sie am Handgelenk an und von einem Augenblick zum anderen standen sie in der Stadt auf einem Fußweg.

Naomi holte tief Luft und sah sich leicht panisch um. »Was war das denn jetzt?«

»Du wolltest doch wissen, wie ich bei dir erschienen bin. Das ging so.«

Naomi hörte auf, sich umzusehen und sah ihn genau an.

Er grinste. »Das sollte ich öfter tun, dann bist du wenigstens still. Dort ist dein erster Job.« Er deutete auf den Laden hinter ihr.

Sie drehte sich um und sah das Schild im Fenster. «Mitarbeiterin gesucht«

»So dringend suchen Sie Arbeitskräfte, dass Sie sich die Mitarbeiter schon aus ihren Wohnungen holen? Aber achten sie darauf, dass diejenigen nächstes Mal vernünftig angezogen sind und Schuhe mitbringen.« Naomi sah zu ihren nackten Füßen hinunter und rieb den einen Fuß an dem anderen. »Meine Füße sind jetzt schon kalt. Aber Sie haben Glück, ich suche wirklich einen Job.« Naomi tappte an dem Mann vorbei auf den Laden zu.

»Warte, du weißt doch noch nicht, was du tun sollst.«

Vor der Tür sah sie ihn noch einmal an und lächelte. »Ich habe mich schon des öfteren um einen Job beworben. Was meine Aufgaben sind, erfahre ich immer bei der Vorstellung.« Sie trat ein und sah sich um.

Beim Klang der Klingel an der Eingangstür sah eine alte Frau auf, die mit dem Rücken zur Tür hinter dem Tresen gestanden hatte. Sie ließ die Kleidung, die sie gerade aufhängen wollte, einfach liegen und drehte sich zu den Naomi und ihrem Begleiter um.

An den Kleiderstangen im Hintergrund des Raumes konnte die junge Frau erkennen, dass dieses Geschäft eine Reinigung war.

Die alte Frau sah den beiden Kunden erwartungsvoll entgegen. »Was kann ich für Sie tun?«

»Guten Morgen«, grüßte Naomi. »Ich habe gesehen, Sie haben einen Job zu vergeben?«

Die alte Frau lächelte nun erfreut. »Ja, allerdings dachte ich schon, dass daran niemand mehr interessiert ist. Das Schild hängt dort schon eine Weile.«

»Doch! Ich schon. Was wären denn meine Aufgaben?«

»Nun, ich vermute mal, Sie haben noch nicht in einer Reinigung gearbeitet?«

Bedauernd schüttelte Naomi den Kopf. »Nein leider nicht. Heißt das, ich kann dann nicht hier arbeiten? Ich bin durchaus lernfähig.«

Das Lächeln der Alten vertiefte sich. »Nein, so schwer ist das alles nicht. Wenn Sie wollen, können Sie es schnell lernen. Sie nehmen die Kleidungsstücke entgegen, entscheiden über die Reinigungsart und den dadurch entstehenden Kosten. Der Kunde erhält dann eine Wäschekarte und der Name des Kunden wird im Buch notiert. Anschließend wird die Textilie gereinigt. Das ist dann etwas komplizierter, aber es ist durchaus lernbar, wenn Sie dazu bereit sind.«

»Das sollte ich können, vorausgesetzt Sie zeigen mir, wie was gereinigt werden muss.«

Die alte Frau nickte. »Ihre Arbeitszeiten würden den Öffnungszeiten des Ladens entsprechen. Montag bis Samstag und einen Tag in der Woche hätten Sie frei. Die Bezahlung liegt bei 10 Dollar die Stunde. Klingt das für sie in Ordnung?«

Naomi nickte langsam.

»Sie müssen das nicht sofort entscheiden. Denken Sie ruhig in Ruhe darüber nach.« Dann sah sie Naomis Begleiter an. »Und was kann ich für Sie tun, junger Mann?«

»Gar nichts«, antwortete er und sah dann eindringlich zu der jungen Frau. »Naomi, dein Job hier ist ein ganz anderer.«

Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Die Leute in der Stadt werden auch immer seltsamer. Kommen herein und wollen gar nichts. Aber egal«, murmelte sie. Laut fügte sie hinzu: »Und haben Sie sich entschieden?«

»Ja, ich würde den Job gerne machen.«

»Das freut mich. Ich kann Hilfe gebrauchen. Ich hole dann mal die Unterlagen für den Arbeitsvertrag.« Sie verließ den Raum durch eine Tür hinter dem Tresen.

Naomi drehte sich zu dem Mann herum. »Ich weiß nicht, wie Sie es geschafft haben, dass wir so schnell hier waren, aber vielen Dank. Sie haben mir echt geholfen.« Sie lächelte ihn glücklich an. So schnell hatte sie nicht mit einem Job gerechnet. Normalerweise musste sie immer einen ganzen Tag lang suchen. »Ich brauchte nämlich wirklich einen Job.«

»Deine Aufgabe ist nicht, hier zu arbeiten. Sondern du sollst die Seele der alten Frau abholen.«

»Hä?«

»Du bist der Tod.«

»Klar, jetzt weiß ich auch, warum ich immer so dünn war. Dabei fand ich die Jungen in der Schule immer gemein, die mich ein Klappergestell genannt haben. Und erst diese unpraktische Sense, die ich immer mit mir rumgetragen habe.«

»Was? Nein, deine Mutter war ein Tod und du bist auch einer.«

»Man, hören Sie doch endlich auf mit dem Schwachsinn. Ich glaube Ihnen das nicht!«

»Es ist aber mein Ernst.«

»Das hatte ich befürchtet! Die Nummer mit dem Herbeamen war ja cool, aber jetzt reicht es mir. Okay. Ich bin kein Wesen und erst recht kein Tod, sondern ein Mensch. Und das bin ich schon mein Leben lang. Meine Eltern wurden getötet, als ich vier war. Seitdem war ich in Pflegefamilien und Heimen. Sie können überall dort fragen, wo ich gewesen bin. Ich bin nichts Besonderes, nur nervig.«

»Letzteres kann ich sogar nachvollziehen. Aber mal Scherz beiseite. Dass wo du aufgewachsen bist, bestätigt doch nicht deine Abstammung.«

Sie trat auf ihn zu. »Wenn das stimmt, was Sie sagen, dann verraten Sie mir mal, warum Sie jetzt erst zu mir kommen? Ich hätte Ihre Hilfe früher gebraucht, als man mich als Kind herumgereicht hat. Wo war da Ihr Rat?«

»Der Rat der Wesen zieht keine Kinder auf. Er achtet nur darauf, dass alle ihre Aufgaben erledigen. Und sie bestrafen diejenigen, die aus der Reihe tanzen. So wie deine Mutter bestraft wurde, weil sie sich mit einem Menschen abgegeben hat und nicht mehr für den Rat arbeiten wollte. Auf diese Verweigerung des Gehorsams dem Rat gegenüber steht die Todesstrafe. Deshalb hat der Rat deine Eltern töten lassen. Eigentlich hätte der Täter auch dich erledigen sollen, aber er hat es versäumt.« Er schüttelte den Kopf. »Aber der Rat hat dich nie aus den Augen verloren. Sie haben über dich gewacht. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo du in ihrem Dienst treten sollst.«

Mit großen Augen starrte sie ihn an. »Das kann jetzt doch nicht wirklich ihr Ernst sein. Sie sagen mir«, sie hielt einen Finger in die Höhe. »Dass ich kein Mensch bin oder nur ein halber Mensch.« Ein zweiter Finger folgte. »Dass meine Eltern durch den Rat der Wesen ermordet wurden und nicht durch einen Unfall starben.« Jetzt hielt sie ihm den dritten Finger unter die Nase. »Und zu guter Letzt will jetzt dieser Rat angeblich, dass ich für ihn arbeite.«

Der Mann nickte erfreut. »Du bist zum Glück doch nicht so begriffsstutzig, wie ich anfangs gedacht habe.«

»Oh dumm gelaufen für Sie und Ihren Rat. Ich habe nämlich schon einen Job! Ich arbeite in der Reinigung hier. Also sorry, kein Interesse!« Naomi war verwirrt. Sie wusste nicht, was sie von all dem halten sollte.

»Das ist nicht verhandelbar und deine Pflicht! Diese Frau muss sterben und du wirst ihre Seele mitnehmen und in Jenseits bringen. Dann kannst du bis zu deinem nächsten Auftrag so weiterleben, wie du willst und meinetwegen auch hier arbeiten.«

»Rein interessehalber, wie oft würde ich einen solchen Auftrag erhalten?«

»Alle ein bis drei Tage eine Seele, denke ich, vielleicht auch etwas mehr.«

Energisch schüttelte Naomi den Kopf. »Zum hundertsten Mal, ich kann so etwas überhaupt nicht. Ich bin ein ganz normaler Mensch!«

»Doch du kannst es und hast es auch schon getan.«

Sie verdrehte die Augen. »Ich habe Seelen eingesammelt und Menschen getötet, ohne dass ich es gemerkt habe? Jetzt wird ihre Lügengeschichte reichlich abgedreht.«

»Das ist keine Lüge. Du hast doch gesehen, wie du hergekommen bist. Reicht dir das als Bestätigung meiner Worte immer noch nicht?«

»Das Beamen war wirklich nett und ich weiß nicht, wie Sie das geschafft haben, aber das hat doch mit dem anderen Unsinn, den Sie hier erzählen, nichts zu tun. Ich lebe schon zweiundzwanzig Jahre und noch nie jemanden getötet. Das kann ich mit Bestimmtheit sagen. Ich habe niemanden getötet und ich werde auch nie jemanden töten.«

»Keinen Menschen! Aber du hast die Pflanzen in deiner Wohnung getötet. Du hast ihnen immer die Lebensenergie genommen, deshalb sind sie jedes Mal verwelkt.«

Überrascht und schuldbewusst sah sie ihn an. »Was? Ich habe Pflanzen getötet?«

»Das war ein Überlebensreflex«, beruhigte er sie. »Du brauchst eigentlich Seelenenergie, um zu überleben. Die bekommst du, wenn du die Seelen ins Jenseits begleitest. Da du diese Energie nie bekommen hast, hast du die Lebensenergie der Pflanzen genutzt.«

»Was für ein ausgemachter Unsinn! Das wäre mir bestimmt aufgefallen.«

»Die Pflanzen sind dir doch aufgefallen.«

»Ach, kommen Sie schon! Es gibt viele Menschen, die keinen grünen Daumen haben.«

Er runzelte verwirrt die Stirn. »Der Daumen der Menschen ist nicht grün.«

»Ach wirklich!« Sie schüttelte den Kopf. Was für ein Trottel? »Egal! Das, was Sie wollen, werde ich nicht tun. Ich werde niemanden töten.«

»Die alte Frau leidet. Sie sehnt sich nach dem Tod.«

»So ein Quatsch! Sie sah nicht leidend aus.«

»Es ist aber so. Du musst sie nur am Handgelenk anfassen und dich konzentrieren, dann bringst du ihre Seele ins Jenseits und kannst weiter machen, wie du willst.«

»Ich töte keine alten Frauen!«

Die alte Frau kam zurück. »Das höre ich aber gerne. Hier sind die Papiere, oder haben Sie es sich das mit der Arbeit jetzt anders überlegt?«

»Nein, ich hätte den Job gerne und mein Freund hier verschwindet jetzt auch.« Sie sah ihn demonstrativ an.

Mahnend trat er dichter zu ihr und flüsterte. »Wenn du es nicht tust, dann zieht das Turbulenzen und Verwicklungen nach sich und die musst du dann ausgleichen.«

»Es ist mir egal, was Sie sagen, ich mache so etwas nicht! Verschwinden Sie endlich.«

Er schüttelte den Kopf und verschwand aus dem Laden.

»Das war ja ein komischer Vogel«, sagte die Alte. Sie treckte Naomi die Hand hin. »Ich bin Mary Berger. Mir gehört der Laden.«

Naomi ergriff die Hand. »Naomi Stoj. Nett, dass Sie mir eine Chance geben.«

»Sag bitte Mary und Du zu mir, sonst fühle ich mich noch älter!« Mary lächelte sie liebenswürdig an.

»Sehr gerne. Ich bin Naomi«, sagte sie daraufhin und unterschrieb den Vertrag und ließ sich von Mary in die Arbeit einweisen.

»Kannst du heute schon anfangen?«

»Ja, sehr gerne.«

Seine Liebe bringt den Tod

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