Читать книгу Seine Liebe bringt den Tod - Christine Engel - Страница 6

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Am nächsten Morgen erschien Naomi pünktlich und mit Schuhen in der Reinigung. Sie hatte ihre dunklen Haare mit einem Haarband zurückgebunden. Der Zopf reichte bis über die Schulterblätter hinunter. Gestern waren ihr die Haare bei der Arbeit immer im Weg gewesen. Aber so war sie gut auf die Arbeit vorbereitet.

Mary winkte sie nach hinten in den Bereich, in dem die eigentliche Reinigung stattfand. Hier gab es einen Tisch in der Mitte, daneben einige Wäschekörbe und ein großes Regal mit vielen Schachteln, Dosen, Flaschen und Verpackungen stand an der Seite des Raumes. Auf vielen der Dinge im Regal waren chemische Formeln zu erkennen. Auch das Symbol für Säure und Laugen tauchte das eine oder andere Mal auf.

Naomi sah sich um und machte große Augen. »Das sind aber viele Chemikalien.«

»Ach, so schwer ist das gar nicht. Das lernst du schnell. Nur die Ruhe. Ich werde dir heute erst einmal die grundlegende Einteilung der Kleidung und die Einteilung die Fleckenkategorie erklären.«

Naomi sah sie gespannt an.

»Als Erstes musst du einfach auf das Etikett der Sachen sehen. Oft findest du darauf schon Hinweise, auf was du bei der Kleidung achten musst. Zum Beispiel, wie heiß sie gewaschen werden dürfen, ob sie geschleudert werden können und so weiter.«

»Also wie zu Hause auch. Da habe ich allerdings schon das eine oder Teil ruiniert, weil ich es falsch gemacht habe.«

Mary lächelte sie nachsichtig an. »Na ja, hier ist es schon wichtig, dass das nicht passiert. Teilweise sind die Sachen sehr teuer und wenn wir zu oft Schadensersatz zahlen müssen, sind wir bald bankrott. Also zuerst das Etikett lesen und wenn nichts dagegenspricht, dann behandelst du den Fleck erste einmal mit Wasser.«

»Klar warmes Wasser löste Fett.«

»Nein, kein warmes Wasser, sondern kaltes. Weiche die Stelle richtig ein. Das löst oft schon einiges aus dem Stoff heraus. Wenn du aber warmes Wasser verwendest, dann könnte das eine Reaktion auslösen und den Fleck tiefer ins Gewebe treiben. Trocknet der Fleck auf dem Stoff ein, dann ist er auch schwerer zu lösen. Deshalb kaltes Wasser auf den Fleck geben. Wenn aber auf dem Etikett steht, dass du den Stoff nicht waschen darfst, dann kannst du den Fleck nur vorsichtig mit Wasser betupfen, damit er feucht bleibt und nicht eintrocknet. Ganz wichtig ist, dass du dabei nicht über den Stoff reibst, denn das würde den Fleck nur weiter vergrößern und möglicherweise ebenfalls tiefer ins Gewebe treiben. Wolle solltest du nur flach liegend mit Wasser behandeln, da sich der Stoff sonst verziehen würde. Nun musst du analysieren, um welchen Stoff es sich handelt. Denn entsprechend der Art des Stoffes wird die Verunreinigung dann auch entfernt. Flecken in Baumwolle lassen sich gut mit einer leichten Säure entfernen, dafür verwende ich Essig.« Sie ging zum Regal und zeigte eine normale Essigflasche, die im Supermarkt erhältlich war. »Wenn es weiße Baumwolle ist, dann kannst du auch Bleiche verwenden.« Sie holte eine weitere Plastikflasche aus dem Regal.

Naomi nickte verstehend.

»Säure oder Bleiche darfst du bei Wolle jedoch nicht verwenden. Dafür benutzen wir diese Reinigungssubstanz.« Sie holte einen Karton hervor und zeigte ihn Naomi. »Hier steht, wie du dieses Pulver verwendest. Es wird auf den Fleck gestreut, leicht mit der Sprühflasche angefeuchtet und dann wird der Stoff einfach gefaltet, ehe du es nach zwanzig Minuten mit der Hand wieder auswaschen kannst. Wichtig ist, dass das Kleidungsstück dabei flach liegt.«

»Damit es sich nicht verzieht. Das habe ich verstanden.«

Mary lächelte sie an, dann wandte sie sich kurz ab und hob die Hand an den Kopf. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Wenn du Akryl-, Nylon- oder Polyesterstoffe vor dir hast, dann darfst du keine zu scharfen Reinigungsmittel verwenden, da es sonst zum Auflösen der Plastikfasern kommen kann. Aber viel vorsichtiger musst du mit Seidenstoffen zu Werke gehen. Hier ist zu beachten, dass Seidenstoffe immer ganz befeuchtet werden müssen, niemals nur der Fleck. Denn es könnte zum Ausbleichen der Farbe an der feuchten Stelle kommen, dann ist zwar der Fleck raus, aber ein Wasserfleck drin. Das wäre nicht gut fürs Geschäft.«

»Verstanden! Bei Seide immer den ganzen Stoff befeuchten.«

»Je nach Fleckart sollte man auch unterschiedliche Reinigungsmittel verwenden. So werden beispielsweise Blut und Rotwein am besten mit Salz aus dem Stoff gesogen. Aber auch Maisstärke, Backpulver und Talkumpulver können unerwünschte Substanzen aus dem Stoff ziehen. Sie werden auf den feuchten Stoff gestreut und fünfzehn Minuten einwirken lassen. Pigmentflecken, wie Lippenstift, kann man gut mit Wasserstoffperoxid entfernen. Allerdings musst du dabei wieder auf die Stoffart achten, ob du es einsetzen kannst. Fettige Flecken werden mit Gallseife behandelt und dann ausgespült. Aber hier«, sie deutete auf Dutzende kleiner Fläschchen, dabei fasste sie sich kurz an die Brust, »findest du reichlich Auswahl für verschiedene Flecken. Flecken von Gras, Tee, Kaffee und Klebstoffe werden am besten hiermit entfernt. Das ist eine leichte Säure. Mit Glycerin kannst du Tinte aus dem Stoff lösen. Organische Flecken wie Blut, Urin, Schweiß oder Eigelb werden mit diesem Enzymreiniger herausgelöst. Wichtig ist, dass du immer unter den Stoff ein saugfähiges Papiertuch legst und auch darüber. Denn nur so kann es funktionieren. Anschließend werden die Kleidungsstücke oder Stoffe gewaschen. Dabei bitte immer wieder auf die Temperatur des Wassers achten.«

Naomi nickte nachdenklich und besah sich das Regal genauer. »Wow, das ist ganz schön viel, was man beachten muss.«

»Iwo, so schwer ist das gar nicht. Außerdem habe ich hier eine handgeschriebene Liste, zum Nachlesen.« Sie deutete auf einen Ordner, der im Regal an der Wand stand und dann auf die Körbe in der Mitte des Raumes. »Hier in die Wäschekörbe kommen die Wäschestücke je nach Waschtemperatur oder Handwäsche.«

Naomi nickte erneut. »Das habe ich mir schon gedacht, als ich die Temperaturen daran gesehen habe.« Sie berührte eines der Temperaturschilder mit dem Zeigefinger. »Ich denke, das kann ich schaffen.«

Mary lächelte sie an. »Das denke ich auch.«

Die alte Frau hatte alle Handlungen ruhig und mit einer solchen Hingabe erklärt, dass Naomi sich schon jetzt eine Menge merken konnte. »Danke, dass du dir diese Zeit für mich nimmst.«

»Da habe ich ja auch etwas von. Denn du wirst mir jede Menge Arbeit abnehmen.« Mary lächelte, dann aber verzog sie plötzlich schmerzhaft das Gesicht und wandte sich schnell ab, damit Naomi es nicht sah, dabei fasste sie sich an den Kopf.

»Geht es dir nicht gut?«, fragte Naomi besorgt.

»Doch, doch. Es ist schon alles in Ordnung. Es ist das Alter, weißt du. Da zwickt es mal hier, mal dort.«

»Aber sonst geht es dir gut?« Naomi gingen die Worte des seltsamen Mannes durch den Kopf. War Mary doch schwer krank und litt?

»Aber sicher! Es ist alles in Ordnung.«

Naomi war sich nicht so sicher und wollte etwas erwidern, aber da ertönte das Klingeln der Ladentür. Ein Kunde betrat den Laden.

»Kannst du den Kunden übernehmen?«, fragte Mary. »Ich mache kurz Pause und trinke hier noch schnell etwas. Dabei kannst du auch gleich zeigen, was du gelernt hast.«

»Natürlich, das mache ich gerne!«

»Vergiss nicht den Namen und die Adresse zu notieren.« Mary verließ den Raum vor Naomi und ging zum Aufenthaltsraum, während Naomi ihr besorgt hinterher sah, ehe sie zu dem wartenden Kunden eilte. Sofort setzte sie ein Lächeln auf und trat an den Tresen. »Was kann ich für Sie tun?«

Der Mann Mitte dreißig legte einen Anzug auf den Tresen. Er trug einen hellblauen Anzug, war etwas größer als Naomi und hatte braune, modisch geschnittene Haare. »Können Sie mir den Anzug bitte bis Ende der Woche reinigen? Ich brauche ihn am Wochenende für eine Abendveranstaltung.«

»Sicher!« Naomi nickte. »Wenn keine größeren Flecken im Stoff sind, dürfte das kein Problem sein.« Nach dem, was sie gerade alles gelernt hatte, war sie in diesem Punkt sehr zuversichtlich. Außerdem würde Mary ihr notfalls helfen.

»Klasse, dann habe ich ja Glück gehabt.« Er legte eine Tüte auf die Theke und öffnete sie, um ihr seinen Anzug zu zeigen. »Nein, er hat keine größeren Flecke, sondern muss nur gereinigt werden. Es ist ein empfindlicher Stoff und ich habe Angst, ihn zu waschen und dann nicht mehr hineinzupassen.«

Naomi grinste ihn an. »So etwas ist mir auch schon passiert! Dabei mochte ich den Pullover sehr gerne. Aber nach dem Waschen passte er meiner zweijährigen Nichte, wenn ich eine hätte, meine ich.«

»Ich hoffe, dass passiert mit meinem Anzug nicht!«

Sofort schüttelte sie den Kopf. »Sicher nicht! Jetzt weiß ich ja, was man machen muss.«

Nun sah er sie an und lächelte. »Vielen Dank! Wann kann ich ihn abholen?«

Naomi sah auf die Uhr. Es war Mittag. »Ich denke, ich werde vier bis fünf Stunden brauchen, da er auch trocknen und gebügelt werden muss. Er sollte heute Abend fertig sein. Reicht Ihnen das?«

»Was heute schon? Das wäre aber sehr schnell.«

»Schneller Service ist uns hier wichtig!« Naomi lächelte ihn gewinnend an und hoffte sich zeitlich nicht verrechnet zu haben.

Er lächelte zurück. »Ich brauche ihn erst zu nächstem Freitag. Sie haben also Zeit.«

»Das sollte überhaupt kein Problem sein!«

»Vielen Dank!« Er wollte schon gehen.

»Stopp! Ich brauche noch Ihren Namen und Ihre Adresse. Außerdem bekommen Sie einen Abholschein.«

»Nur Name und Adresse? Nicht meine Telefonnummer?« Er lächelte sie spitzbübisch an.

Sie grinste zurück. »Sorry, schon vergeben. Name?«

»Wie schade!«

»Wie schreibt man das?« Naomi nahm einen Stift und schlug das Buch auf, während sie ihn anlächelte.

Er grinste zurück. »Nein, ich heiße Martin Merkens.«

Naomi schrieb seinen Namen und die genannte Adresse in das Buch und reichte ihm den Abholschein.

Dann verließ Martin Merkens das Geschäft.

Naomi ging nach hinten und fand Mary im Aufenthaltsraum auf einem Stuhl hinten sitzen. Ihren Kopf hatte sie in die Hände gestützt.

Abermals machte sich Naomi Sorgen. »Geht es dir wirklich gut, oder soll ich dich zum Arzt bringen?«

Da erst bemerkte Mary die junge Frau und sah zu ihr auf. »Mir geht es so gut, es eben geht. Der Arzt kann nicht helfen. Naomi, ich bin achtzig Jahre alt. Weißt du, ich bin einfach müde.«

»Du bist doch noch topfit für dein Alter. Du hältst hier sogar noch ein ganzes Geschäft am Laufen.«

»Ja, einer musste ja den Laden weiterführen, als mein Frank starb.« Sie seufzte. »Das ist jetzt achtundzwanzig Jahre her. Und ich vermisse ihn immer noch schrecklich.«

»Sie müssen ihn sehr geliebt haben.« Naomi setzte sich neben sie an den Tisch und legte ihre rechte Hand auf die linke von Mary.

»Ja! Er war ein wundervoller Mann. Wenn man jemanden findet, der zu einem passt, jemanden, der einen mit allen Fehlern und Eigenarten akzeptiert, dann hat man das große Glück gefunden.« Sie sah zu Naomi. »So war das bei Frank und mir. Wir hatten dreiunddreißig wundervolle Jahre.« Sie lächelte verträumt. »Ich weiß, er wartet im Jenseits bereits ungeduldig auf mich. Aber ich sterbe einfach nicht. Der Arzt sagt mit meinem Herzleiden hätte ich nicht mehr lange, aber ich bin immer noch da. Nur diese schrecklichen Kopfschmerzen werden einfach jeden Tag mehr.«

»Soll ich dir eine Tablette aus der Apotheke holen?«

Sie winkte ab. »Die helfen nicht mehr. Nein, ich warte auf mein Ende und hoffe, dass der Quacksalber endlich mal recht hat und es nicht mehr lange dauert.«

»Bitte Mary, rede doch nicht so!« Naomi erkannte, dass Mary wirklich den Tod ersehnte. Aber so etwas konnte sie doch nicht einfach machen, also falls sie es konnte.

Mary tätschelte nun Naomis Hand. »Mach dir um mich alte Schachtel keine Gedanken. Ist ja nicht so, als ob du dabei etwas tun könntest.«

Naomi sah sie an und zog langsam ihre Hand zurück. Nicht dass sie jetzt etwas Unbedachtes tat, schließlich war Mary keine Pflanze. Sicher war sicher!

Seine Liebe bringt den Tod

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