Читать книгу Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal - Christine Schrappe - Страница 29
3.1.6 Leitkonzepte im Wandel: Von der Defizit- zur Potenzialorientierung
ОглавлениеBetrachtet man die aufeinander folgenden Konzepte der Personalarbeit im Überblick, ergibt sich eine dreifache Erweiterung des Blickes: Von einer Orientierung an Defiziten (Was fehlt den Mitarbeitern) und einem Konzept der Anpassung durch Vermittlung von Know-how geht der Blick zur Potenzialorientierung. Nicht mehr zweckorientiertes „Zurüsten“ und „Nachbessern“ stehen im Vordergrund, sondern „Know-how-to-know“ als Gestaltungsprinzip. Potenzialorientierung will die Kompetenzen der Mitarbeiter, ihr Wissen und ihre Potenziale nutzen, statt wie in herkömmlichen Schulungsprozessen einen Großteil des Wissens „auf Halde“ und „ins Leere“ zu produzieren. Potenzialorientierung in der Personalentwicklung kann darüber hinaus aber auch bedeuten, Kompetenzen beim Personal auch ohne Vorliegen konkreter und zeitnaher Stellenanforderungen zu fördern, als eine Art Vorleistung oder Investition in die Problem- und Lernfähigkeit einer Organisation.
Menschen leben aus der Kraft ihrer Ressourcen, nicht von ihren Defiziten.104 Obwohl die Reflexion von Defiziten selten interessant und weiterführend ist, hat es sich auch in der Pastoral eingebürgert, den Defiziten eine ungebührliche Aufmerksamkeit zu widmen. Christoph Jacobs lenkt den Blick auf die Salutogenese: „Seelsorger und Seelsorgerinnen brauchen eine stetige und gelassene Vergewisserung der heilsamen Ressourcen, die von Gott zum Aufbau der Kirche geschenkt werden. Die Bezugnahme auf die Potenziale stellt eine geistliche und psychologisch folgenträchtige Entscheidung dar. Sie ist eine Wahl. Die Ressourcenperspektive steuert die Aufmerksamkeit, die Blickrichtung, die Dynamik der Analyse und die Erneuerung des pastoralen Handelns.“105
Statt einer simultanen Personalentwicklung, die versucht, für den Arbeitsmarkt adäquat ausgebildetes Personal zeitnah bereitzuhalten, steht heute der antizipierende Aspekt von Personalentwicklung im Vordergrund. Personalentwicklung hat weniger eine konsekutive und reaktive Ausrichtung; Ziel ist es, Personal auf Zukunft hin zu befähigen, in komplexen Alltagssituationen Problemlösungen selbstständig zu planen und durchzuführen. In Zeiten rasanten Wandels greift eine reaktive „Know-how-Anpassung“ durch Erlernen entsprechender Fähigkeiten nicht mehr. Im Vordergrund steht die Frage nach den „weichen Faktoren“ wie Kreativität, Sozial- und Persönlichkeitskompetenz, Flexibilität und die Fähigkeit, eigenständige Lern- und Entwicklungsprozesse zu organisieren. Personalentwicklung steht nicht im Dienst der Anpassung, ist keine Strategie zur Personalbedarfsdeckung. Personalarbeit wird zum Baustein von Veränderungsgestaltung. Die Grenzziehung zwischen zweck- und verwendungsorientiertem Lernen in Betrieben einerseits und Bildung und Persönlichkeitsentwicklung in außerbetrieblichen Bereichen andererseits ist heute nicht mehr möglich. Die klassische Personalentwicklung hat sich in hohem Maße zur Persönlichkeitsentwicklung gewandelt.
Vom Ansatz des Lehrens und Führens geht die Entwicklung hin zur Moderation betrieblicher Selbstorganisation. Nicht mehr der „Vor-Gesetzte“ ist Leitbild von Führung, sondern der Lenker und Moderator von Lern- und Veränderungsprozessen. Lösungsvorgaben sind weniger gefragt; Führung bedeutet, „die Eigenkräfte und Ressourcen, die Eigeninitiative, Selbstgestaltungs- und Selbstregulierungsfähigkeit der Organisation, ihrer Subsysteme (Arbeitseinheiten) und Elemente (Mitarbeiter) zu erkennen und zu entwickeln, zu mobilisieren und auf die Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben hin auszurichten.“106 Betriebliche Selbstorganisation bedeutet auch zunehmende Dezentralisation der Personalentwicklungsfunktionen. Weder Personalleitung noch Fortbildungsabteilungen können Kriterien und Wege der Wissensvermittlung und Kompetenzaneignung vorgeben. Die Leitungspersonen vor Ort sind darauf vorzubereiten, dass Lernen und Kompetenzmanagement in den kleinsten Organisationseinheiten für alle Mitarbeiter gewährleistet werden.
Zusammenfassend lässt sich der Wandel im Selbstverständnis von Personalarbeit skizzieren als Weg von der verwaltenden Personalarbeit der fünfziger Jahre über die betreuende Personalarbeit zur Personalentwicklung bis hin zum Verständnis von Personalarbeit als unternehmerische Gestaltung.