Читать книгу Unsere grüne Kraft - das Heilwissen der Familie Storl - Christine Storl - Страница 9
TRADITIONELLE NATURHEILMITTEL AUS KRÄUTERN
ОглавлениеHier nun ein kurzer Überblick der von der weiblichen Kultur vermittelten traditionellen Heilmittel. Sie sind noch immer der Kern der Volksmedizin. Zwar sind im Mittelalter alkoholische Tinkturen, Schnäpse und Elixiere über die von der Alchemie besessene Mönchskultur hinzugekommen, auch Theorien über Humore (Körpersäfte), Hitzegrade und die planetarische Zugehörigkeit der Kräuter, aber im Grunde genommen waren folgende Heilmittel und Herstellungsarten die ursprünglichsten:
Tee
Der Tee, der heiße Aufguss, war heilig: Die Schale mit dem Wasser galt als die weibliche Komponente, die Hitze des Feuers als die männliche. Es ist ein Verbinden mit dem Ursprung. Im Glauben dieser Waldvölker ging die Welt aus den beiden Ur-Elementen Feuer und Wasser hervor. Die Kräfte der Heilpflanze werden durch die Kraft der Hitze herausgelöst und durch das aufnehmende Wasser an den Organismus vermittelt.Der Kräutertee wurde (und wird noch heute) zu den drei sakralen Tageszeiten getrunken: Die erste Schale am Morgen, wenn der neue Tag erwacht und die Morgenandacht vollbracht ist; die zweite zur Mittagszeit, wenn die Sonne im Zenit steht; die dritte Schale am Abend, wenn der Tag sich verabschiedet und die Seele sich auf die dunkle Hälfte des Tageslaufs, auf den Gang in die Anderswelt, das Land der Träume, vorbereitet.Kräuteraufgüsse sind bis heute bei uns die bevorzugten Heilmittel der europäischen Volksmedizin.
Heilbiere
Auch das Brauen der Heilbiere gehörte zu den Aufgaben der Hausherrin. »Neun« Kräuter kannte sie, wobei die Zahl Neun, also drei mal drei, eine magische Zahl ist. Mit den Bieren, die – abgesehen von besonderen Feiertagsbieren – einen niedrigen Alkoholgehalt hatten, konnte die Frau das seelische Befinden der Hofgemeinschaft führen. Sie kannte Biere, die die Familienmitglieder vor Krankheit schützen, auch Biere, die die Männer anregen oder auch abregen können. Mit warmem Bier wurde das Euter kranker Kühe eingerieben. Da sie auch – als »Schamanin des Hofes« – für die Herstellung einer guten Beziehung mit den unsichtbaren Haus- und Hofbewohnern zuständig war, opferte die Hausfrau den Gärtrunk den Zwergen, Kobolden oder den Verstorbenen. Das geschah meistens draußen, unter dem Hofholunder.Die beliebtesten Bierkräuter waren alltäglich verwendete Heilkräuter wie Gundermann, Schafgarbe, Brennnessel, Rauschbeere, Porst, Beifuß (bei Frauenleiden), Wermut (bei Magenleiden), Rosmarin (bei Schwermut und betrübtem Herzen) oder Wacholder (Nierenmittel). Das Bier war meistens kein Hopfenbier. Hopfen kam erst während der Völkerwanderungszeit von den Slawen zu den Germanen und wurde dann im Mittelalter, als die Mönche und dann die Herrschaften das Braurecht an sich rissen, immer häufiger verwendet.Als wir auf den Berg ins Allgäu zogen, wollten wir weiterhin dieser Tradition der Heilbiere folgen. Wir lebten weit abseits und hatten weder genügend Einkommen noch ein Auto, mit dem wir Kisten mit dem Gebräu aus dem Tal nach oben hätten transportieren können. Gottfried Härle, ein junger Braumeister, der in seiner Leutkirchner Brauerei hervorragende, bekömmliche Biere braute, war sogar so nett, uns Brauhefe zu schenken, damit Christine uns das »flüssige Brot« brauen konnte. In Ladakh, wo wir einige Zeit bei tibetischen Bauern wohnten, braute die Bauersfrau jeden Tag wunderbares Gersten-Chang. Wir kamen auf die Idee, das auch bei uns zu machen. Dieses Bier, ungefiltert und mit niedrigem Alkoholgehalt, ist eine gesunde Nahrungsergänzung, es enthält viel Vitamin B, unterstützt die Verdauung, mindert die Gefahr der Nierensteinbildung; der Harvard-Professor Walter Willet behauptet sogar, dass Menschen, die täglich einen halben Liter Bier trinken, ihr Herzinfarktrisiko halbieren. Und die kräuterkundige Äbtissin Hildegard von Bingen rät den wahren Christenmenschen: Cervisiam bibat! (Man trinke Bier!) Übrigens war das auch der Rat einer alten Frau, als Christine geboren wurde und ihre Mutter zu wenig Milch für den Säugling hatte, denn der Gerstensaft stimuliert die Ausschüttung des Hormons Prolactin, das den Milchfluss bei Stillenden auslöst.Leider mussten wir auf Selbstgebrautes verzichten. Der Brauvorgang schlug fehl, da es in dem alten, mit Holz beheizten Haus unmöglich war, die Temperatur, die für die Hefegärung wichtig ist, in den Griff zu bekommen; nachts wurde es immer zu kalt.
Kräuterbrötchen und Wecken
Neben Tees und Heilbieren wurden Heilpflanzen, getrocknet oder frisch, in Brotteig geknetet und gebacken. Diese Kräuterbrötchen oder Wecken waren eine beliebte volksmedizinische Art und Weise zu heilen. Hildegard nannte diese mit getrockneten Wurzeln, Samen und Gewürzen hergestellten Heilmittel »Küchlein«. Heilkräftige »Gebildekuchen« in Tier-, Pflanzen- oder Menschenform gab es schon im altgermanischen und keltischen Heidentum. Der Brauch wurde von den Christen übernommen und überlebte als heilkräftige, mit Kreuzzeichen versehene Oster- und Weihnachtsbrote. Es gab auch heilsame Kräuterwecken, die einem Heiligen geweiht waren, wie etwa das Agatha-Brot, das Sankt-Sebastians-Brot oder das Sankt-Erharts-Brot. Brote mit Dill oder Fenchel sollten gegen Verzauberung wirken. Später, in den Handelsstädten, wurden dann die ebenfalls als heilwirksam geltenden Gewürz-, Pfeffer- und Lebkuchen gebacken. Um der Verdauung zu helfen, bäckt man bis zum heutigen Tag Brot mit Kümmel. Vielerorts werden noch zur Mittsommerzeit »Hollerküchlein« aus den Blüten des Schwarzen Holunders in Bierteig gebacken. Im Allgäu wurde das Schmalz, in dem die Blütenkuchen frittiert wurden, als Heilsalbe bei rissiger Haut und kleinen Wunden verwendet.
Selbst gemachte Salben, etwa die Ringelblumensalbe, sind ebenso wie Kräuteröle, Tinkturen und Teekräuter wichtige Bestandteile der Hausapotheke.
Salben
Salben zum Einreiben spielten ebenfalls eine wichtige Rolle in der Heilkunde der Großmütter. Salbenrühren war ein heiliges Geschäft, denn was die Frau dachte und fühlte, rührte sie mit in die Salbe hinein. Oft wurde das Rühren mit dem Singen von Liedern begleitet – Liedern, die zum Segen von Familie und Angehörigen beitrugen. Das Rühren musste hauptsächlich im Uhrzeigersinn geschehen, also im Einklang mit dem Lauf der Sonne. Zwischendurch wurde die Richtung geändert, ehe man wieder zur Sonnenläufigkeit zurückkam. Gänzlich entgegen dem Sonnenlauf zu rühren würde der Überlieferung nach Unheil bringen.In alten Zeiten nahm die Hausfrau vor allem Schweineschmalz oder Butter (Anke, Smör) als Salbengrundlage. In besonderen Fällen kamen auch Bärenfett, Dachsfett oder Hirschtalg infrage. Murmeltiersalbe für die Gelenke ist noch heute beliebt. Schweinefett war einst begehrt, da es dem menschlichen Körperfett ähnlich ist und die pflanzlichen Wirkstoffe über die semipermeable Hautmembran gut eindringen lässt. Im Zeitalter der Agrarindustrie ist das Fett unglücklicher, mit Chemikalien und Antibiotika vollgestopfter Rüsseltiere zur Salbenherstellung problematisch. Da nimmt man lieber das Fett von glücklichen Bio-Schweinen, so wie es uns die große Kräuterfrau Maria Treben (1907–1991) beim Kochen ihrer Ringelblumensalbe vormacht. Anstelle von Butter, Butterschmalz oder Tierfetten verwenden viele Kräuterfrauen heutzutage lieber pflanzliche Fette, deren Vorhandensein der globale Handel ermöglicht: Jojoba-, Kokos- und Olivenöl, Kakaobutter oder Mandelöl, dazu Bienenwachs zum Härten.Noch heute gibt es Frauen, die Ringelblumensalbe zur Beruhigung und Heilung der Haut, Beinwellsalbe für die Knochenheilung, Steinkleesalbe für die Venen, Kastaniensalbe für schwere, müde Beine, bei Venenentzündung und zur besseren Durchblutung, Gänseblümchensalbe als Kosmetikum für die Haut oder Pappelknospensalbe als heilendes, schmerzlinderndes Mittel herstellen. Meine Frau hat einige dieser Salben probeweise hergestellt, aber sie bevorzugt Kräuteröle.
Kräuteröle
Kräuteröle wie etwa Johanniskrautöl, Ringelblumenöl, Gundermannöl oder Beinwellöl stehen jedes Jahr für einige Zeit (rund 3 Wochen) zum Ausziehen (Digerieren) in Schraubgläsern an Christines Küchenfenster oder an der sonnigen Südseite vor der Tür. In einem Pflanzenöl – sie bevorzugt Sonnenblumenöl, gegebenenfalls Olivenöl oder Distelöl – lassen sich ätherische (essentielle) Öle bestens konservieren.
Auch das Verräuchern von Heilkräutern kann bei einer Heilbehandlung sinnvoll sein. Hier glimmt ein Zopf aus getrocknetem Mariengras.
Räucherkräuter
Getrocknete Räucherkräuter wurden seit heidnischen Zeiten verwendet, um die geistige Atmosphäre zu säubern. Geräuchert wurde etwa nach ungutem Besuch, wenn Geister Schabernack trieben, oder – bei Krankheiten und Seuchen – um die Stube oder den Stall zu reinigen. Zu diesen Kräutern gehörten, wie Ethnobotaniker ermitteln konnten, seit der eiszeitlichen Steppe die Blütenrispen des gewöhnlichen Beifußes, Quendel (Thymian), Wacholderzweige, Tannen- oder Fichtenharz, Ruchgras oder Mariengras, und später, in christlichen Zeiten, der Weihrauch. Vor allem während der zwölf heiligen Tage der Weihnachtszeit – in den Raunächten, den »Rauchnächten« – ging die Frau mit schwelenden Kräutern in der Pfanne durch Haus und Stall. Je nach Region und Tradition wurde auch am Nikolaustag, in den Nächten um die Wintersonnenwende, wenn die Perchten umgehen, zu Walpurgis, wenn die Hexen unterwegs sind, oder auch in der Andreas- und der Hubertusnacht geräuchert.Bei ansteckenden Krankheiten räucherte Kräutervater Sebastian Kneipp (1821–1897) die Zimmer mit Wacholder aus, auch die Kranken selber wurden damit beräuchert. Dabei handelte es sich um altüberliefertes Allgäuer Brauchtum, das er von seiner Mutter und einer Bäuerin gelernt hatte. Mit Wacholderrauch hielt er in Boos, dem Dorf, wo er als Kaplan tätig war, den Sensenmann fern, als 1854 in Bayern eine Cholera-Epidemie ausbrach. In den anderen Dörfern starben die Patienten der konventionellen Mediziner wie die Fliegen. Bei Kneipp überlebten alle 42 der im Dorf an Gallenbrechdurchfall Erkrankten. Seine erfolgreiche Kur bestand aus Wacholderräucherung, heißen Wickeln, Kräutertees und Fenchelmilch. Auch andere Räucherungen kannte Kneipp, etwa mit Heidekraut als Hilfe bei Gicht und Rheuma und um die Kühe im Stall zu beruhigen. Bei asthmatischen Anfällen kannte er den Rauch der Huflattichblätter, und, kräftigend für die Brust, den Rauch mit Tannen- oder Fichtenharz.Um drohendes Unwetter abzuhalten, räucherten die Frauen mit Hartheu (Johanniskraut). Als am besten geeignet galt das am Johannistag (24. Juni) gesammelte Kraut. Auch mit Bergwohlverleih (Arnika) konnten nach altem Glauben Blitz, Hagel und Sturm vertrieben werden. Der Spruch dazu lautete: »Steck Arnika an, steck Arnika an, dass sich das Wetter scheiden kann.«Auch für uns ist das Räuchern wichtig. Christine räuchert, um die harmonische Stimmung im Haus zu erhalten. Auch als Sterbebegleitung hat sie schon mehrfach geräuchert, was beruhigend und wohltuend auf jene wirkt, die sich an der Schwelle zur anderen Welt befinden.
Heublumenbad
Beliebt in der Volksmedizin ist das Heublumenbad, das bis in keltische Zeiten zurückverfolgt werden kann. Unter Heublumen versteht man ein Gemisch aus den getrockneten Blüten des Klees und anderer Wiesenblumen, Samen der Gräser, sowie Blatt und Stängelreste, die sich auf dem Heuboden ansammeln. Ein Stoffsack voll mit diesen Blüten wird dann wie ein großer Teebeutel aufgebrüht und der Sud ins Badewasser gegossen. Das Heublumenbad hilft bei vielen Leiden, vor allem Verkrampfungen und Viruserkrankungen wie etwa die Grippe.
Zauberkräuter
Neben den Heilkräutern kannte die Hausfrau verschiedene magisch wirkende Liebes- und Lenzmittel, Hebammenkräuter und zuletzt auch die sogenannten Lüppekräuter (Giftpflanzen/Schadenskräuter). Auch die Faserpflanzen – Lein, Brennnessel und Hanf – sowie die Färbepflanzen, wie Waid und Wau, standen unter ihrer Obhut. Sie spann das Garn, wob und nähte das Tuch. Man glaubte, dass sie beim Spinnen ihre guten Wünsche, Gedanken und Liebe mit in das Garn hineinspann. Die Kleidung, die so entstand, würde dann wie eine schützende Aura für ihre Angehörigen wirken.