Читать книгу The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart - Страница 10
Оглавление5.: „How Can You Do It Alone?“Ein neues Album, der nächste Tote und ein fast tödlicher Schuss im Klub der Helden
„Ich wendete mich vom Licht ab und sah mich der Dunkelheit gegenüber.“
Pete über sich selbst, 1981
„Ich liebe alle Songs von Face Dances. Stellt euch bloß vor, sie wären mit einem richtig guten Schlagzeuger eingespielt worden, mit einem wie Simon Phillips.“
Roger Daltrey
„Hier ist ein weiteres neues Stück, damit ihr noch ein wenig mehr runterkommt.“
Rogers Ankündigung eines unbekannten Who-Titels beim ersten Konzert in Leicester
„Au ja, lass uns ‚Götterdämmerung‘ versuchen – in welcher Tonart ist das?“
Pete in der Essener Grugahalle zu Jerry Garcia von Grateful Dead
In London nahm Pete sein zügelloses Jetsetleben wieder auf, kaum dass er mit The Who dort angekommen war:
„Ich trank mindestens zwei Flaschen Cognac am Tag“, erinnert er sich, „und um die dumpfe Trunkenheit zu durchdringen, geriet ich in einen tödlichen Alkohol-Kokain-Kreislauf. Im Musikgeschäft ist Kokain allgegenwärtig. Beim Zahnarzt, beim Friseur, in der Anwaltskanzlei, bei der Plattenfirma, im Tonstudio, im Bus, im Taxi – jeder nimmt Kokain überall, und ich machte mir diese Gewohnheit sehr schnell zu eigen. Mit meinem vielen Geld konnte ich mich problemlos damit eindecken – und dazu noch jene ungefähr fünfzig Personen, die mir durch London folgten. Das war mein Versuch, mich zu lösen: von der Band, vom Rock’n’Roll. Die einzige Möglichkeit, meine Arbeit zu ertragen, war, mich selbst zu zerstören. Ich hatte nicht den Mut, aufzustehen und zu sagen: ‚Das ist ein Haufen Scheiße, macht’s gut!‘“
Trotz seines offenkundigen Widerwillens begab sich Pete im Sommer 1980 ins Studio, um das Album Face Dances fertigzustellen. Seine Demos hatte er bereits im Londoner AIR Studio aufgenommen, und The Who wollten die Stücke eigentlich in ihren eigenen Ramport Studios auf Basis dieser Demos einspielen; doch ihr neuer Produzent, Bill Szymczyk, ein Amerikaner, der trotz seines unaussprechlichen Namens einen famosen Ruf in der Branche genoss, bestand auf einem neutralen Ort. Man einigte sich schließlich auf die Odyssey Studios.
Szymczyk war ein Freund von Pete und lange mit ihm bekannt – über Joe Walsh, den Gitarristen der Eagles, der Pete bewunderte, seit er ihn Anfang der Siebziger kennen gelernt hatte. Szymczyk hatte Hotel California von den Eagles produziert, und „dieses Album verschaffte mir den Job“, sagt Szymczyk. „Es war eine von Petes Lieblingsplatten.“
Die Studioarbeit mit Szymczyk wurde für die Who zu einer neuen Erfahrung. Pete suchte nach Empty Glass einen neuen Who-Sound, denn das erste Album nach Keiths Tod – das erste mit Kenney Jones und das erste für die neue Plattenfirma Warner – sollte die britischen Wurzeln der Band betonen. Dafür galt es eigentlich vor allem die Errungenschaften des Punkrock zu berücksichtigen. Die Zusammenarbeit mit Bill Szymczyk, der mit dem Countryrock der Eagles berühmt geworden war, schien unter diesen Gesichtspunkten zwar eine fragwürdige Wahl, doch Szymczyk hatte aus seiner Arbeit mit der J. Geils Band und mit Joe Walshs früherer Gruppe James Gang auch einen härteren Sound parat, wenn es darauf ankam.
„Durch mein Soloalbum war mein Gesang viel besser geworden“, erklärt Pete die neue Marschroute. „Das wirkte sich auf die Melodien aus und auch auf die Texte. Manche Demos, die ich für die Who aufnahm, sang ich extra mit englischem Akzent, wie es gerade Trend war. Ich dachte, das kriegt Roger nie hin; doch er holte bloß tief Luft – und es klang natürlicher als sein üblicher Bob-Seger-Akzent. Er war angenehm überrascht, und ich war ebenfalls angenehm überrascht.“ Weniger angenehm überrascht war John, und zwar nicht ob der Melodieführung oder der kunstvollen britischen Diktion der neuen Songs, sondern wegen der nervtötenden Prozedur, die Szymczyk der Band im Studio auferlegte:
„Wir nahmen die Instrumentalspuren immer dreimal auf. Dreimal – und dann gab es eine Pause. Und dann wieder dreimal dieselbe Verfahrensweise. Ich habe das Gefühl, dass die Arbeit an den Backingtracks eine Ewigkeit gedauert hat. Dann wählte Szymczyk drei der besten Aufnahmen aus, zerstückelte sie in winzige Abschnitte und klebte sie wieder zusammen. Eine ziemlich eigenartige Methode für The Who. Es war ja auch Kenneys erstes Album mit uns, und wir machten Sachen wie: ‚Ich hätte gern ein bisschen davon, weil der Bass so gut klingt, und dann das Schlagzeugbreak hier.‘ Für mich war das unproduktiv und zusammenhanglos. Normalerweise gehen wir ins Studio, hören den Song dort das erste Mal und nehmen alles am selben Tag auf.“
Die kritischen Stimmen in Bezug auf Petes Demomaterial waren anscheinend vergessen, als die Band den Sommer über und bis in den Herbst hinein am neuen Album arbeitete. Vielmehr lobten alle die Songs jetzt. Trotzdem gingen die Aufnahmen alles andere als flüssig voran. John und Kenney machten dafür vor allem den Produzenten verantwortlich. „Ich mag die Songs, aber mir gefällt der gummiartige Sound nicht“, meinte der Schlagzeuger. „Die Chemie in der Band und zwischen der Band und dem Produzenten stimmte nicht.“
Roger fand zwar auch dass, die Chemie nicht stimmte, aber er machte das vor allem an Kenney fest, mit dem er nach wie vor nicht zurechtkam: „Alle Songs auf Face Dances sind großartig, ich liebe sie – stellt euch bloß vor, sie wären mit einem richtig guten Drummer eingespielt worden, wie wir das später auf der Bühne taten, mit einem wie Simon Phillips oder mit einem der Schlagzeuger, mit denen ich tourte. Da hört man erst, welches Potenzial diese Songs haben.“
Spätestens jetzt war für The Who der gute Einstand, den Kenney 1979 auf der Bühne gefeiert hatte, wieder vergessen. Pete hatte sein Soloalbum mit einem „wirklich guten Drummer“ eingespielt, und dieser Umstand wurmte Roger mächtig. Er attackierte Pete zwar nicht direkt für seine Entscheidung, Kenney zum Who-Drummer zu machen, sei es, weil er ihn in seiner augenblicklichen Identitätskrise für zu schwach hielt, sei es, weil er die offene Konfrontation mit ihm fürchtete; aber er hielt ihm die fragwürdige Personalie auf Umwegen ständig vor, was in gewisser Hinsicht durchaus berechtigt war. „Roger und Pete hatten immer unterschiedliche Ansichten über alles und jeden“, erklärt John. „Früher war es so gewesen, dass Keith und ich darüber nachdachten, was wir für richtig hielten. Und üblicherweise entwickelten sich die Dinge in der Band dann in diese Richtung. Auf diese Weise hatten wir vier damals untereinander eigentlich nie ernsthafte Probleme. Glücklicherweise. Aber dann starb Keith, und es begann die schlimmste Zeit …“
Kenney vermochte die Band vielleicht musikalisch zu stabilisieren, als Person war er dazu nicht in der Lage. Das Gleichgewicht in der Gruppe stimmte nicht mehr. Kenney hatte schlichtweg nicht die erforderliche Autorität, um mit John das Zünglein an der Waage spielen zu können. Denn so unterschiedlich und bisweilen zerstritten die vier Ur-Who auch gewirkt hatten, im entscheidenden Punkt stimmten sie immer völlig überein: Alle vier waren gleich starke Persönlichkeiten, und jede Entscheidung wurde gemeinsam getroffen und von allen mitgetragen.
Nach Keiths Tod zog sich John weitgehend aus den Machtspielen zwischen den Bandmitgliedern zurück. Er machte sich zwar seine Gedanken, aber er handelte nicht. John war ein Gemütsmensch, aggressiv nur in der Musik. Ihm fehlte der Hyperaktivist Keith als Freund, als Gefährte, auch als Antreiber, um das eigene Phlegma zu überwinden. Und so wurden The Who immer mehr zum Spielball ihres wankelmütigen Komponisten und eines singenden Schauspielers.
Im Herbst 1980 wurden die Aufnahmen für zwei Monate unterbrochen, weil Szymczyk bei einem schweren Autounfall verletzt worden war und danach die Produktion des Live-Albums der Eagles betreuen musste. Im November und Dezember gingen die Aufnahmen von Face Dances in die letzte Phase. Szymczyk spielte der Gruppe über die Studiolautsprecher einen vorläufigen Mix vor, der allgemein Befall fand. Der Produzent nahm daraufhin die Bänder in sein eigenes Studio nach Florida mit, um sie dort perfekt abzumischen, während The Who mit den Proben für die anstehende extensive Großbritannientournee begannen. Pete flog nur einmal kurz in die USA, um Szymczyk einige Vorschläge zu unterbreiten, wie der fertige Mix klingen sollte; dann begann die Tour.
Mit ihrer siebenwöchigen Konzertreise durch heimatliches Terrain, die vor allem dazu dienen sollte, die Markteinführung des neuen Albums vorzubereiten, demonstrierten The Who wieder einmal eine völlige Kehrtwende. Diesmal fanden sich bis auf die Wembley Arena keine riesigen Stadien auf dem Spielplan, keine Sporthallen mit Zehntausenden von Zuschauern, sondern vor allem Theater und Konzertsäle mit zwei- bis viertausend Plätzen Kapazität. Das zurückgenommene Konzept hatte durchaus Sinn, denn es galt, die Fans in eine konzentrierte Atmosphäre zu versetzen. The Who wollten vor allem ihre echten Anhänger mobilisieren und dafür sorgen, dass die neuen Songs ähnlichen Kultstatus erreichten wie die Klassiker aus den Sechzigern und Siebzigern. „Das Album ist brillant“, meinte Produzent Bill Szymczyk und nährte damit die Hoffnungen der Who-Fangemeinde auf ergiebige achtziger Jahre: „Pete hat sich als Songwriter um Klassen verbessert. Ich denke, er ist jetzt wieder da angelangt, wo er Material schreiben kann, wie man es auf Who’s Next findet.“ Das hörte sich wirklich verheißungsvoll an. Doch wie klang es tatsächlich? Und wie reagierten Fans und Kritiker auf das neue Repertoire? Vom ersten Konzert am 25. Januar 1981 in Leicester berichtet der britische New Musical Express:
„Kein ‚My Generation‘, kein Tommy (abgesehen von ‚Pinball Wizard‘), keine Gitarrenvernichtung, kein ‚I Can’t Explain‘ oder ‚Boris The Spider‘. Stattdessen viele neue Songs, bestimmt sechs oder sieben. Nichts weniger als ein Experiment, und Leicester stellte dafür die Meerschweinchen. Treffenderweise begann das Konzert mit ‚Substitute‘ (Ersatz), einem mitreißenden Nostalgiestück, bevor The Who in das eigentliche Programm einstiegen. Das Format der Show sprang von nun an beständig hin und her zwischen neuen Songs und Who-Material aus den Siebzigern, überwiegend aus Who’s Next und aus Quadrophenia, ohne irgendeine Reminiszenz an die goldenen Sechziger. Vielleicht war es nicht überraschend, dass das Publikum in ähnliche Schizophrenie gespalten wurde; es sang mit, klatschte und stieß mit den Fäusten in die Luft zu allem, was es erkannte, während man die nicht vertrauten Stücke still und stumm zur Kenntnis nahm. Die Band registrierte das sehr wohl. ‚Hier ist ein weiteres neues Stück, damit ihr noch ein wenig mehr runterkommt‘, kündigte Daltrey einen Song mit dem Titel ‚Just Another Chicken‘ an.“
Das war eine ebenso enthüllende wie schleierhafte Ansage, da die Who niemals einen Song dieses Namens aufgeführt haben. Vermutlich meinte der Reporter, der das neue Album noch nicht kannte, die ohrenbetäubende Darbietung von Johns Rotlichtreminiszenz „(Just) Another Tricky Day“, eine von fünf Kompositionen aus Face Dances, die sie an diesem Abend spielten. Und weil die Platte erst sechs Wochen später auf den Markt kam, kann man dem Journalisten ob seiner Unkenntnis keinen Vorwurf machen. Vielleicht verstand er den Titel auch wegen einer vorübergehenden Störung seines Hörsinns nur unvollständig, denn The Who knüpften auf dieser Tournee durchs britische Vaterland nahtlos an ihre gefürchtete Bühnenlautstärke der siebziger Jahre an.
John, der wie Pete und allmählich auch Roger unverkennbar Anzeichen einer gewissen Schwerhörigkeit zeigte, aber darüber weit weniger als die beiden anderen lamentierte, war von der neuen Strategie der kleinen Konzertsäle deswegen besonders begeistert. Er liebte nach wie vor nichts mehr, als auf einer verrauchten Bühne zu stehen und die gnadenlose Vehemenz seiner grollenden Bassläufe auf dicht gedrängte Zuschauerreihen loszulassen. Die eingeschränkte Hörfähigkeit gereichte ihm dabei sogar zum Vorteil, denn er selbst bekam ja von der gewaltigen Lautstärke weniger mit.
Pete dagegen litt mehr. Bei der Tournee im Vorjahr hatte ihm das engagierte Bläsertrio im Hintergrund ermöglicht, seine Lautstärke etwas herunterzufahren und seine Bühnenpräsenz gehörfreundlicher zu gestalten. Diesmal waren The Who wieder unter sich, und Pete musste mit John mithalten, der seit der Einführung des Marshall Stack und sehr zum Leidwesen von Roger schon traditionell die Bühnenlautstärke hochtrieb. Über Rabbit, den man eigentlich als Unterstützung für Pete engagiert hatte, notierte der New Musical Express ironisch: „Rabbit Bundricks Keyboards, die meistens sowieso nicht zu hören waren, ließen den Who-Sound weitgehend unangetastet.“
Petes Angst vor der beginnenden und als schmerzhaft erfahrenen Taubheit hatte sich möglicherweise sogar merklich aufs neue Repertoire ausgewirkt, das – untypisch für The Who – stark keyboardlastig war. John beobachtete diese Entwicklung mit Sorge:
„Pete schrieb ja nicht mal mehr Gitarrensoli in seine Songs. Keyboards nahmen mehr Raum ein als die Gitarre. Wir neigten dazu, Keyboards selbst dann einzusetzen, wenn das für den Song eigentlich gar nicht notwendig war. Das Instrument, das darunter vor allem litt, war die Gitarre. Als wir auf das fertige Album zurückblickten, gab es nur zwei starke Gitarrenstücke, und die waren beide von mir.“
John meint seine Songs „You“ und „The Quiet One“, letzterer bald ein viel geforderter selbstironischer Bühnenkracher wie die Stücke „Heaven And Hell“ und „My Wife“.
Wer sich Face Dances unvoreingenommen zu Gemüte führt, kommt nicht umhin, dem kompromisslos bei seinem Stil verharrenden Bassisten zuzustimmen. Seine Songs wirken in der Tat am authentischsten. Allerdings konnten Johns oft martialische und an Heavy Metal erinnernde Bühnendonnerwetter kaum ausgleichen, was Pete beizutragen verpasst hatte: perlende und vom ersten Akkord an mitreißende und vertraut klingende Arrangements. Petes einmalige und sehr individuelle Gitarrentechnik war dafür stets die Basis gewesen. Der hingegen erklärte seine Hinwendung zu den Tasteninstrumenten ganz anders: „Ich machte mir zunehmend Sorgen über die Gitarre, weil ich dazu tendierte, immer die gleichen drei oder vier Akkorde zu verwenden.“ (Tatsächlich ranken sich die meisten erfolgreichen Townshend-Kompositionen um die Akkorde A, D, G, B oder E.) „Manchmal bemerkte ich das sogar überhaupt nicht mehr. Insofern betrachtete ich Keyboards und vor allem Synthesizer als einen Weg, meine eigenen Konditionierungen und Muster zu durchbrechen.“
Im Fall von „You Better You Bet“, dem ersten Track auf dem Album, funktionierte dieser Ansatz offenbar – „ein Popsong, nur ein ganz normaler Popsong“, wie Pete meint, ganz spontan mit Bezug auf Marc Bolan geschrieben, der mit seiner Band John’s Children in den Sechzigern mit den Who auf Tournee gewesen war, später mit T. Rex gewaltigen Erfolg hatte und 1977 bei einem Autounfall umgekommen war. Mit „You Better You Bet“ gelang Pete sein wohl erfolgreichster Who-Hit der achtziger Jahre. Die Single kam, mit „The Quiet One“ von Entwistle auf der B-Seite, in England unter die Top Ten, in den USA in die Top Twenty. Abgesehen von diesen beiden Songs gab es zwar noch weitere interessante Stücke auf Face Dances, „Another Tricky Day“ natürlich oder „How Can You Do It Alone“, das kurz nach Cincinnati das erste Mal aufgeführt wurde und von Petes Begegnung mit einem New Yorker Exhibitionisten erzählt; aber insgesamt fehlte dem Album die Magie der sechziger und siebziger Jahre. Was aber nicht nur daran lag, dass Pete seine wohl spannenderen Titel für Empty Glass aufgespart hatte oder lieber auf Synthesizern als auf der Gitarre komponierte.
Das Problem war vielmehr darin zu suchen, dass der typische Who-Sound nicht mehr überzeugend genug aus den Lautsprechern der Plattenkäufer polterte. Der Who-Sound war nicht nur geprägt gewesen von Johns und Petes sehr besonderer Handhabung ihrer Instrumente oder von Rogers emotionaler, ungeschliffener Stimme, sondern zu einem mindestens ebenso großen Teil davon, dass Keith wie kein zweiter Schlagzeuger die Melodieführung eines Stücks mit Trommeln und Becken zu unterstützen wusste. Für Petes neue komplexe Arrangements wäre Keiths Fähigkeit, Songs auf dem Schlagzeug zu orchestrieren, umso notwendiger gewesen. Kenney indes war zu dieser Spielweise nicht imstande. Zusammen mit Keyboards und Synthesizern, die auf Face Dances längst nicht so reizvoll und experimentell eingesetzt wurden wie auf Who’s Next, wirkte das Album deswegen ungewohnt kühl, fast künstlich.
Hinzu kamen die unterschiedlichen Vorstellungen, die The Who und ihr neuer Produzent vom Klangbild des Albums hatten. Pete verteidigt Szymczyk bis heute als „sehr guten Produzenten“, alle anderen aber waren vom Schlussmix tief enttäuscht. Kenney weigerte sich sogar, die fertig gepresste Platte während der Pressekonferenz in Empfang zu nehmen: „Wenn mir schon der Mix nicht gefällt, brauche ich mir die Platte auch nicht anzuhören“, maulte er.
Roger nahm dieses hochnäsige Verhalten zum Anlass, den ungeliebten Schlagzeuger weiter scharf ins Visier zu nehmen: „Ich habe nichts gegen Kenney persönlich, er ist ein prima Typ, aber ich komme mit seinem Stil nicht zurecht. Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Er passt nicht zu The Who.“
Pete und John nahmen Kenney in Schutz, ohne allerdings besondere Eintracht zu demonstrieren. John warf Pete vor, dass er den schlechten Mix mit zu verantworten habe; schließlich war Szymczyk auf Petes Wunsch Produzent des Albums geworden, und Pete war extra nach Florida geflogen, um beim Abmischen die Wünsche der Band zu artikulieren.
Der Titel und das Cover drücken den uneinheitlichen und artifiziellen Charakter des Albums recht deutlich aus. Ursprünglich hätte es ganz unoriginell The Who heißen sollen, doch dann unterhielt sich jemand mit Pete über Frank Herberts Science-Fiction-Trilogie Dune (Der Wüstenplanet, 1965 bis 1978), in der chamäleonartige Figuren auftauchen, die Face Dancers heißen und ihr Gesicht verändern. Ungefähr zur gleichen Zeit beobachtete Pete eine seiner Freundinnen vor dem Spiegel, wie sie im Takt zur Musik ein Streichholz zwischen den Zähnen hin und her schob, während sie sich gleichzeitig Lidschatten auftrug, und er sagte, ohne groß nachzudenken: „Face dances – dein Gesicht tanzt.“ Pete erinnert sich: „Das muss mir irgendwie hängen geblieben sein. Herberts erste Trilogie habe ich wirklich geliebt.“
So kam das Album in letzter Minute immerhin zu einem starken und vieldeutigen Titel. Für die Covergestaltung hatten The Who überdies den renommierten Pop-Art-Künstler Peter Blake beauftragt, der einst das legendäre Beatles-Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band gestaltet hatte. Blake kam auf die Idee, die bekanntesten britischen Maler zu bitten, Porträts der vier Who-Musiker zu erstellen. Der wohl berühmteste der angesprochenen Künstler, Francis Bacon, lehnte ab; alle anderen sagten zu, und so konnte Blake je vier Bildnisse von jedem Who-Musiker präsentieren, die nicht nur auf dem Cover erschienen, sondern der originalen Vinylscheibe auch noch als Faltposter beigelegt wurden.
Die feudale Aufmachung trug sicherlich dazu bei, dass Face Dances schon kurz nach der Veröffentlichung am 6. März in die Hitlisten schoss. In Großbritannien erreichte das Album Rang zwei; laut Richard Barnes fehlten nur neun verkaufte Exemplare zum Spitzenplatz, den Adam And The Ants mit Kings Of The Wild Frontier hielten; in den USA endete der Vormarsch auf Rang vier.
Die Großbritannientournee neigte sich unterdessen ihrem Ende zu. The Who boten nicht immer gute Vorstellungen, wie Richard Barnes berichtet. Pete war oft zu betrunken, um seine Parts im Einklang mit der Band zu spielen, was besonders während einer Vorstellung in London offensichtlich geworden war, als The Who ihren von allen musikalischen Bindungen losgelösten Gitarristen allein auf der Bühne zurückließen. Pete nutzte das zu einem peinlichen Soloauftritt, für den sich sogar die Roadies schämten.
Der Who-Komponist geriet während der Tournee immer mehr aus dem Tritt. John war zwar auch ständig betrunken und feierte die Nächte durch, aber er spielte davon völlig unberührt hervorragend. Allerdings laut. So laut, dass sich Roger beschwerte und der alte Konflikt zwischen dem Sänger und dem Bassisten neu aufbrach. Kenney trank inzwischen kaum weniger als Pete und John und bemühte sich, Roger keine Angriffsfläche zu bieten, was Roger in seiner öffentlichen Kritik am angeblich einfallslosen Schlagzeuger allerdings eher beflügelte als hemmte.
Außerdem machte sich Roger Sorgen um Petes Zustand. Nach ihrer Inseltour waren weitere Konzertserien geplant, doch Roger war klar, dass sein Partner die destruktive Lebensweise nicht lange würde durchstehen können. Pete schlief kaum noch, trank wie ein Fisch, kokste und schluckte Aufputsch-pillen wie weiland Keith Moon. Pete hatte aber weder die ochsenhafte Konstitution von John noch die selige Unbeschwertheit von Keith. „Da war ja nicht bloß seine Sauferei“, erinnert sich Roger, „sondern Pete steckte noch dazu tief im Drogensumpf.“
Irgendwann erkannte auch Pete, in welcher Verfassung er sich befand, woraufhin er Bill Curbishley anwies, die Europatournee abzublasen. Der Manager freilich tat nichts dergleichen, sondern hoffte, dass Pete seine Meinung wieder ändern würde, wie er das meistens tat. Der Kartenvorverkauf schritt munter voran, bis Roger und Pete gemeinsam die Notbremse zogen, worauf eine wahre Welle von Erstattungsanträgen auf die europäischen Veranstalter zurollte. 1981 sollte es nur noch ein einziges Who-Konzert geben: die vom deutschen Fernsehen europaweit übertragene Rockpalast-Show am 28. März in der Grugahalle von Essen.
Dieses Konzert im Rahmen der ehrwürdigen WDR-Rocknächte haben angeblich fünfzig Millionen Menschen gesehen, und nachdem ich mir die Aufzeichnung davon noch einmal angesehen habe, muss ich sagen – leider. Leider hat mich meine Erinnerung nicht getrogen, ich fand es schon 1981 kein gutes Konzert. Schon optisch nicht. Rogers neckisches Lederjäckchen zu unecht wirkenden und schlecht sitzenden Achtzigerjahre-Jeans war die erste Enttäuschung. Das gesamte visuelle Zentrum, bei den Who sonst immer ein Augenschmaus, wirkte schwach. Kenney hockte irgendwie behäbig und überhöht hinter einem viel zu großen weißen Schlagzeug. Er erschien wie ein fremder Planet im auseinanderstrebenden Who-Universum und kraftmeierte fantasielos über die Kesselpauken. Pete sah zwar mit seiner schwarzen Retro-Telecaster von Schecter über der Schulter und der coolen nachtblauen Marinejacke stark aus, aber er hampelte herum wie der Klassenkasper. Die Show wirkte hohl und wenig organisch, obwohl Roger und Pete kurz vor dem Auftritt übereingekommen waren, die Anzahl der neuen Songs deutlich zurückzunehmen und zumindest für dieses eine Konzert ihre Klassiker wieder auszupacken. Reumütig meinte Pete vor dem Auftritt:
„Wir haben es während der UK-Tour wohl ein wenig übertrieben. Ich wollte möglichst viele Titel aus Face Dances ins Programm einbauen, weil ich dachte, es sei für The Who gefährlich, sich immer nur auf Bewährtes und Erreichtes zu verlassen. Aber es hat sich gezeigt, dass es speziell für eine Band wie unsere sehr schwierig ist, neue Wege zu gehen. Unsere Karriere währt schon so lange, und wir haben so viele Hits, dass wir unsere Show problemlos darauf aufbauen können. Genau darin liegt die Gefahr, die einzige, die ich für The Who sehe.“
Die Karriere währte zwar schon lange, aber alle anderen sahen die Bedrohung wohl eher in Petes Lebenswandel und in seiner unverhohlenen Ambition auf eine erfolgreiche Solokarriere. Vor dem Rockpalast-Konzert hatte Pete den Manager der Grateful Dead angerufen, weil er unbedingt die drogenum-wölkten Kultrocker mit von der Partie haben wollte. Bandleader Jerry Garcia sagte zunächst ab, weil er die Heroinversorgung in Deutschland für ungesichert erachtete. Erst als ein eigens dafür angeheuerter Drogenkurier am Düsseldorfer Flughafen zugesagt wurde, wo auch die Who anlandeten, lenkte Garcia ein.
Hinter den Kulissen der Grugahalle versetzten sich die Grateful Dead also in die für ihre üblichen Marathonimprovisationen erforderliche Entrückung, während die Who auf der Bühne und vor den Fernsehkameras ihr Bestes gaben. Starke Szenen hatte John, dessen „The Quiet One“ wie immer gradlinig und authentisch durch die Halle röhrte, und auch „Sister Disco“ geriet überraschend gut, als Roger und Pete vor dem Schlagzeugpodest traulich zusammenkamen und zu einem bluesigen Duett ansetzten. Trotzdem lag eine seltsame Spannung in der Luft. Die Kräfte strebten spürbar auseinander und nicht auf einen gemeinsamen Punkt und Klang zu. Selbst Johns verbindliche Coolness kam ein wenig gespreizt daher, er schielte immer unsicherer zu Pete, in einer Mischung aus Bewunderung und Sorge um den überdrehten Gitarristen, die keineswegs unberechtigt schien.
Sofort nach dem wenig überzeugenden Auftritt trennten sich die Wege der Musiker. Roger zog sich wie immer zurück; John, Kenney und Rabbit übernahmen mit ihrer Mannschaft die Hotelbar, und Pete stakste mit Grateful Dead auf die Bühne. Jerry Garcia, der Pete zutiefst bewunderte und seine eigenen Kompositionen des Meisters für unwürdig befand, fragte: „Mein Zeug ist ja viel zu unakademisch für dich – sollen wir lieber was von Wagner spielen?“
„Au ja“, meinte Pete begeistert: „Lass uns ‚Götterdämmerung‘ versuchen – in welcher Tonart ist das? Legen wir los!“ Und so dudelten sie selig und enthoben bis zu den ersten zaghaften Strahlen der Morgenröte.
An anderer Stelle geriet die Stimmung unterdessen in bedrohliche Schieflage. Das Trio John, Kenney und Rabbit rächte sich für seine Zurücksetzung an deutschen Spirituosen und vernichtete erbarmungslos die Bestände der Hotelbar. Vor allem Rabbit, der angeheuerte Keyboarder, schlug arg über die Stränge. Er war schon während der Tour in Großbritannien einige Male bedenklich übers Ziel hinaus geschossen. Rückblickend sagt er:
„An einige Gigs in Cornwall kann ich mich nicht mal mehr erinnern, weil ich so betrunken war. Am 17. Februar verbrachte ich sogar eine Nacht in einem schottischen Gefängnis. Wir hatten einen Tag frei, und ich fuhr mit meiner Frau Sue fürs Wochenende von Glasgow in ein Hotel am Loch Lomond. Es war mein Fehler, arme Sue, sie war schon zu Bett gegangen, während ich mich an der Hotelbar betrank. Zurück im Zimmer wollte ich den Fernseher anschalten, schaffte es aber nur, das Gerät vom Tisch zu schubsen, worauf es mit großem Getöse am Boden zerschepperte. Dann torkelte ich durchs Zimmer, stürzte über das Nachttischchen und plumpste mit einem weiteren lauten Knall auf den Boden. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass die Tür aufgesprengt wurde und sich einige riesige Typen den Weg durch die Verwüstung bahnten und mich festhielten, bis die Polizei eintraf. Und die legte mir sofort Handschellen an; Sue übrigens auch, obwohl sie nur harmlos im Bett gelegen war. Im Revier von Dumbarton steckten sie mich in eine Zelle und Sue in eine andere. Dann unterhielten sie sich laut darüber ‚was für eine scharfe blonde Tussi‘ sie da zusammen mit dem Besoffenen von The Who eingelocht hatten, und dass sie am besten gleich in ihre Zelle gingen und es ihr so richtig besorgten. Ich bin sicher, sie sagten das nur, um mich fertig zu machen, aber ich war so besoffen, dass ich jedes Wort glaubte, und rastete völlig aus. Sie sprühten mir sogar Gas ins Gesicht, bis ich wegsackte. Mann, ich hatte solche Panik! Am nächsten Morgen wurden wir aber entlassen und fuhren gerädert von dieser furchtbaren Nacht nach Edinburgh, wo wir am Abend auftreten sollten. Als wir eintrafen und den Tourbus betraten, bedachten uns alle mit merkwürdigen Blicken. Bill Curbishley hielt eine Zeitung hoch, auf der die Schlagzeile stand: ‚Who-Bandmitglied wegen Trunkenheit und Ruhestörung verhaftet.“ Ich hatte den Eindruck, dass ich es mit allen ziemlich verschissen hatte.“
Rabbits Gefühl täuschte ihn nicht. Obwohl Pete und die anderen, von Roger einmal abgesehen, kaum weniger über die Stränge schlugen als Rabbit, der es immerhin mit der ehelichen Treue recht genau nahm, kam es auf Petes Betreiben nach der Rockpalast-Show zur Trennung. Denn auch in Essen sorgte Rabbit für einen Eklat:
„Ich war am Tag des Auftritts so betrunken, dass ich schon mittags an der Hotelbar fast in eine Schlägerei mit Angus Young, dem Gitarristen von AC/DC, geraten wäre. Ich verbrachte achtundvierzig Stunden lang nur bei Schnaps und Koks und schaffte es kaum auf die Bühne. Am Ende der Veranstaltung, als wir auf den Bus zum Flughafen warteten, trank ich immer noch an der Hotelbar. Ein Typ sprach mich an, er war offenkundig auf Heroin. Das ließ mich vollends ausflippen. Ich warf Stühle und Tische durch die Bar und durch die Lobby. Mein Roadie konnte mich beruhigen und mich mit Sue durch den Hinterausgang aus dem Hotel schaffen, denn der Hotelmanager hatte in der Zwischenzeit die Polizei alarmiert. Als wir hinten abfuhren, traf am Haupteingang gerade der Streifenwagen ein. Zu allem Überfluss hatte ich aus irgendeinem Grund darauf bestanden, Sue zum Hinterausgang hinauszutragen. Ich war so blau und hatte so wacklige Knie, dass ich sie fallen ließ. Arme Sue, das muss wehgetan haben. Der Heimflug war schrecklich, nicht nur für uns beide, sondern wahrscheinlich auch für alle anderen. Was war ich für ein Arschloch! In England hatten wir einen Monat frei, aber irgendetwas sagte mir, dass es für mich nicht gut war, auf Tournee zu gehen.“
Das sagte ihm nicht nur die innere Stimme, sondern auch der Who-Chef persönlich. Im Mai wurde Rabbit offiziell gefeuert. Der Keyboarder räsoniert zerknirscht:
„1979 schien ich am Ziel meiner Träume – doch schon zwei Jahre später hatte sich alles in einem Nebel aus Drogen, Alkohol und Starallüren verflüchtigt. Ich dachte, das ist es, was Rockstars tun. Ich konnte jeden unter den Tisch saufen und wurde bei dieser Gelegenheit zum Arschloch. Ich war unhöflich, verletzend, gewalttätig und immer bereit, einen andern k. o. zu schlagen, wenn der gerade wegschaute. Man könnte das auch Feigheit nennen. Sogar The Who ertrugen das nicht mehr, also warfen sie mich raus. Und ich hatte einen Grund weiterzutrinken.“
Rabbit war nicht der einzige Vertraute, von dem sich Pete kurz nach dem Konzert in Essen trennen musste: Am 27. April 1981 starb Kit Lambert unter Umständen, die brutal und schockierend klar machten, dass weder Ruhm noch Macht noch Geld einen Menschen vor sich selbst schützen können.
Der abgesetzte Who-Manager hatte nach seinem überraschenden Auftauchen in Cannes einen weiteren Vorstoß unternommen, um sich von der gerichtlichen Vormundschaft zu befreien. Zwei medizinische Gutachten, die Lambert veranlasst hatte, überzeugten seine Treuhänder immerhin, dass man den Versuch wagen konnte, sofern der Klient sich ärztlicher Aufsicht unterstellte. Lambert war Feuer und Flamme – bis er herausfand, dass die Wiederherstellung seiner vollen Eigenverantwortung selbst im günstigsten Fall mindestens achtzehn Monate dauern würde. „Da beschloss er zu sterben“, glaubt seine mütterliche Wohnungsgeberin Louise Fitzgerald.
Lambert forcierte den Heroinkonsum und verstieß so lange gegen die Hausregel („No boys!“), bis Louise ihn im Spätsommer 1980 vor die Tür setzte. Eine weitere Bekannte half aus, Deirdre Redgrave, ehedem mit Speedy Keene von Thunderclap Newman befreundet. Für fünfundvierzig Pfund in der Woche, was den Gutteil der vom Gericht bewilligten Apanage ausmachte, mietete sich Lambert in ihrem Haus ein Zimmer. Bald verband die beiden eine eigenartige Beziehung. Angeblich wollte Kit seine Vermieterin heiraten, weil er im Grund „seine Homosexualität hasste und sich eine eigene Familie wünschte“, wie Deirdre Redgrave behauptete. Immerhin waren die Regeln in ihrem Haus lockerer. Kit durfte Callboys mitbringen, allerdings nur dann, wenn Deirdres Kinder in der Schule waren. „Er stand für gewöhnlich gegen acht Uhr dreißig auf, verlangte Rührei mit Speck und begann daraufhin mit Brandy und seinen DF118“, berichtet Deirdre Redgrave von Lamberts Tagesablauf. Hinter der chemischen Typenbezeichnung verbirgt sich ein in Deutschland entwickelter Ersatzstoff, der vor der Einführung des heute gängigen Methadon zur Behandlung von Heroinabhängigen eingesetzt wurde. Eigentlich war DF118 ein künstlich hergestelltes Opiat für Schmerzpatienten, und die Tabletten durften nicht mit Alkohol eingenommen werden. Lambert scherte sich darum freilich genauso wenig wie seinerzeit Keith Moon. Er nahm Brandy, um die Tabletten, die ihm Ärzte verschrieben, zu schlucken.
„Zu einem großen Teil fühlte sich Lambert gelangweilt, weil ihm das glamouröse schnelle Leben, das er durch The Who kennen gelernt hatte, verwehrt wurde“, schreibt sein Biograf Andrew Motion. „Seine überschäumende Unbekümmertheit, durch Townshend und die anderen kanalisiert, der Motor für die Transformation von Zerstörung in Kunst, hatte nun keine andere Richtung mehr, als sich nach innen zu wenden.“ Kits früherer Kollege, der Musikmanager Simon Napier-Bell, traf Lambert wenige Tage vor dessen Tod und erzählt:
„Wir waren zusammen im Yours And Mine, was damals der angesagte Klub für Schwule im Showbiz war. Drei oder vier Stunden lang war er in schlechter Verfassung. Er hielt keine Monologe mehr, wie er es früher gern getan hatte, sondern fiel mitten in der Suppe in eine Art Koma – sein Drogenkonsum war exzessiv. Dabei war er bankrott und lebte von zweihundert Pfund die Woche. Ich nehme an, dass er jede Wochenauszahlung dafür verwendete, um das Heroin der vorigen Wochen abzustottern. Er lieh sich auch Geld von den Who und manipulierte seine Rechnungen. Später an diesem Abend im Yours And Mine kam er noch in Bestform. Über die Musik hinweg erzählte er von aufregenden Erlebnissen am Bahnhof von Rom, und dass er dort bald in tollen Hotels leben würde, was alles mit den römischen Strichjungs zu tun hatte. Er war großartig. Ich dachte, er würde sich vielleicht tatsächlich wieder unter Kontrolle bringen; aber dann, eine Woche später, wurde er übel zusammengeschlagen, ging zu seiner Mutter nach Hause und fiel die Treppen runter.“
Was Kollege Napier-Bell in einem flotten Nebensatz abhandelt, war in Wirklichkeit ein zwei Tage währendes Drama. Lambert tauchte tatsächlich am Samstagabend, dem 25. April 1981, unerwartet und betrunken vor der Haustür seiner Mutter auf, was er zuvor tunlichst vermieden hatte, da ihn ein Gefühlsmix aus Reue, Scham und Sohnesliebe davon abhielt, der zarten Florence Lambert seinen wahren Zustand zu offenbaren. Kit konnte sich kaum auf den Beinen halten, er war schwer verletzt. Seine Mutter bezahlte das Taxi, setzte ihn ins Wohnzimmer und lauschte erschrocken seiner Geschichte. Er sagte, er wäre im Yours And Mine gewesen und sei dort von vier jungen Männern in der Toilette zusammengeschlagen worden. Grund dafür waren offenbar Drogenschulden. Als die vier Männer herausgefunden hatten, dass er kein Geld dabei hatte, um seine Schulden zu begleichen, stießen sie ihn ins Klo und schlugen auf seinen Kopf ein. „Während er mir das erzählte, fiel er aus dem Sessel“, sagt Mrs. Lambert über ihren Sohn. „Er war in einem schrecklichen Zustand. Sein Gesicht war aufgeschürft und zerschnitten. Er bat mich um einen Brandy, aber ich meinte, er solle nicht von mir verlangen, ihn umzubringen. Er bestand darauf. Als ich ihm die Flasche gab, ließ er sie erst einmal fallen. Er holte auch ein weißes Puder hervor, das in das Silberpapier einer Zigarettenschachtel eingewickelt gewesen war.“
Während Kit seinen Stoff inhalierte und Brandy dazu trank, rief seine Mutter die Polizei an. Man kannte Lambert gut im Revier und nahm den Vorfall nicht weiter ernst: „Glauben Sie, wir sind seine Kindermädchen?“ fragte der Beamte.
Florence Lambert wollte ihren Sohn ins Bett stecken, aber der bestand darauf, sich zuerst in die Badewanne zu legen. Kit schleppte sich ins obere Stockwerk, badete und plumpste schließlich ins Bett. Seine Mutter ermahnte ihn, liegen zu bleiben, weil sie mit der Wirkung des Brandys rechnete.
Kurz nachdem sie selbst schlafen gegangen war, weckte sie das laute Geräusch eines die Treppe hinunter polternden Körpers. Sie fand ihren Sohn bewusstlos auf der untersten Stufe, aus dem Mund und aus der Nase blutend.
Florence Lambert rief sofort einen Krankenwagen. Kit wurde ins Charing-Cross-Hospital gebracht, wo man schwere Gehirnblutungen feststellte und ihn künstlich am Leben erhielt. Er zeigte keine Anzeichen von Bewusstsein. Auch seine Verlegung in das auf solche Fälle spezialisierte Middlesex Hospital brachte keine Besserung. Obwohl sich die Nachricht von seinem Unfall herumsprach, ließen sich nur wenige Menschen an seinem Bett blicken: seine Mutter, die alte Freundin Daria Shuvalloff, Anya Butler und Chris Stamp, der angeblich später zu Marsha Hunt sagte: „Ich sah ihn und wusste sofort, dass er starb – der Drecksack, er starb und ließ mich verdammt noch mal allein zurück.“ Am Montag, dem 27. April, war klar, dass Kit Lamberts Gehirn so zerstört war, dass er nie mehr das Bewusstsein erlangen würde. Die Beatmungsmaschine wurde abgestellt; Kit starb nur wenige Augenblicke später. Christopher Lambert war fünfundvierzig Jahre alt geworden, kaum zwei Wochen älter als sein berühmter Vater, dessen Schicksal ihm wie eine zwanghafte Vision immer vorgeschwebt war. Louise Fitzgerald, die für fünf Tage bei Kits Mutter einzog, um sie nicht allein zu lassen, sagt, dass sich in dieser Zeit nicht ein einziger Freund oder Wegbegleiter Lamberts meldete. Als sie auf eigene Faust ins Yours And Mine ging, um die genauen Umstände des Überfalls zu erfragen, schrie sie der Klubbesitzer an: „Wo waren denn Kits Freunde, als er starb? Hier war er immer willkommen!“
Pete weilte zu dieser Zeit in New York, wo er nach eigenen Angaben generell „nicht mehr besonders viele Gefühle“ entwickeln konnte. Lamberts Begräbnis fand ohne ihn statt. Überhaupt nahm keiner von den Who daran teil, was Anlass zu manchen Spekulationen gab. Kit Lambert wurde im Krematorium von Golders Green eingeäschert – wie Keith Moon zweieinhalb Jahre zuvor.
Die Trauerfeier muss eine bizarre Veranstaltung gewesen sein. Anya Butler, die laut eigenen Angaben bis zum Anschlag mit Alkohol und Haschisch narkotisiert war, sah nur Szenegänger, schrille Typen und Möchtegernstars, aber keine Freunde von Kit. Vielleicht hatte Lambert nie wirkliche Freunde besessen? Wenn wir seinem Intimfeind Shel Talmy glauben wollen, war „Lambert eins der abscheulichsten Stücke Scheiße, von denen ich jemals das Unglück hatte, ihnen zu begegnen. Ich hielt seinen Tod immer für verdächtig, und ich glaube, dass ihn jemand erledigt hat, weil er eine verkommene, ekelhafte Schwuchtel war. Ich hoffe, das klingt nicht schockierend – aber falls doch: Nun, so ist das Showbiz.“
Weil Shel Talmys Urteil alles andere als ein würdiger Nachruf ist auf einen Mann, der mit The Who groß geworden war und nicht zuletzt durch seine elementare Mitwirkung an Tommy einen erheblichen Einfluss auf die Jugendkultur der Nachkriegszeit hatte, muss angefügt werden, dass Lamberts Schicksal eher Mitleid wecken sollte als Verachtung. Er war mit Sicherheit einer der talentiertesten Menschen seiner Zeit, und seine charakterlichen Schwächen schadeten vor allem ihm selbst. Seine wenigen Vertrauten litten freilich immer mit, und sein brutaler, auch selbstverschuldeter Tod muss vor allem für seine Mutter grauenvoll gewesen sein. Sie vertrat übrigens wie Talmy die Auffassung, dass ihr Sohn getötet worden war. Selbst wenn die entscheidenden Kopfverletzungen nicht durch die Schläge in der Herrentoilette entstanden waren: „Er war so durcheinander nach dem Überfall, dass er ausrutschte und die Treppen runterfiel.“
Die Behörden schlossen sich dieser Argumentation jedoch nicht an, sondern blieben bei einem Unfalltod: Kit Lambert starb an Gehirnblutung infolge eines Treppensturzes (und nicht an einem Genickbruch, wie Chris Charlesworth in seiner Who-Biografie schreibt).
Pete war kurz nach Lamberts Tod von New York nach London zurückgeflogen und arrangierte für seinen ehemaligen Mentor, den er nach wie vor bewunderte, eine zweite, weit würdigere Trauerfeier in der Kathedrale von St. Paul’s, wo man fast genau zwanzig Jahre zuvor Kits Vater, den Komponisten und Dirigenten Constant Lambert, zu Grabe getragen hatte. „Es war eine sehr schöne und außergewöhnliche Zeremonie“, erinnert sich Barnes. „Etwa zwei Dutzend Gäste waren anwesend, und wir wurden überwältigt vom Londoner Orchester.“
Pete hatte die Londoner Philharmoniker persönlich engagiert. Sie trugen Stücke aus Tommy vor, Musik von Lamberts Vater und Teile aus dem „Gordischen Knoten“ von Kits Lieblingskomponisten Henry Purcell. Petes Rede rührte die Trauergemeinde zu Tränen, wie Deirdre Redgrave erzählt. Im Anschluss an die Totenfeier gingen Pete, Chris Stamp und einige andere in eine Kneipe. Der Kontrast zur auserlesenen Atmosphäre in St. Paul’s wirkte irritierend. Bald waren alle betrunken, und Pete geriet in den Sog seines seltsam berauschenden Niedergangs:
„Um diese Zeit geschah etwas mit mir. Ich wendete mich vom Licht ab und sah mich der Dunkelheit gegenüber. Ich glaubte, einen Schatten des Leids und der Einsamkeit erleben zu müssen, wie es Kit gefühlt hatte. Als er starb, kam es mir vor, als verlöre ich den letzten Sinn in meinem Leben. Niemals wieder würde mich jemand übertreffen können. Auf der einen Seite weckte das in mir den Wunsch, mich umzubringen, auf der anderen Seite schien sich dadurch alles zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Ich fühlte einen neuen weiten Raum in mir, eine noch größere Berechtigung, noch mehr auszuprobieren. Es war so wunderschön.“
Laut Produzent Chris Thomas, den Pete für sein zweites Soloalbum verpflichtet hatte, driftete der Songwriter nach Lamberts Tod regelrecht ab und verhielt sich mehr als absonderlich. Noch verbrachte er immerhin die Wochenenden und Ferientage bei seiner Familie. Das ermöglichte ihm, von Montag bis Dienstag einigermaßen konzentriert im Studio zu arbeiten. Von Mittwoch an aber war Pete schon so erschöpft von seinem wilden nächtlichen Gebaren, dass er für den Rest der Woche keine Aufnahmen mehr zustande brachte. „Ich erinnere mich, dass er einmal über dem Aufnahmepult einschlief, während ich mit ihm redete“, sagt Thomas.
Pete verprellte auch zunehmend seine alten Freunde und verbrüderte sich stattdessen mit Partylöwen wie David Bowie, Elton John oder Mick Jagger. Er wechselte wöchentlich seine Moden und Haarschnitte und womöglich noch häufiger seine meist viel jüngeren Freundinnen. Manchmal zog er sich für einige Tage oder Wochen allein auf seinen Landsitz zurück, entgiftete sich komplett von Alkohol und Drogen, las und schrieb Kurzgeschichten oder arbeitete im Garten. Alle atmeten erleichtert auf, er schien zur Besinnung zu kommen – doch da sah man ihn schon wieder durch die Londoner Klubs torkeln oder mit Bowie in der Concorde nach New York düsen, vollgekokst, Cognacflaschen schwenkend, umgeben von Speichelleckern und vergnügungssüchtigen Nachtschwärmern. Vergleiche mit Keith Moon und Kit Lambert wurden nun immer häufiger angestellt.
Eine von Petes Kurzgeschichten, „A Death in the Day of“, veröffentlicht in seiner Prosasammlung Horse’s Neck (1985), beschreibt sein Leben im Winter 1981 sehr genau:
„Ich erwache gegen vier oder fünf Uhr nachmittags; um diese Jahreszeit stehe ich in der Dunkelheit auf. In besseren Zeiten wäre es möglich, dass ich neben einer Geliebten erwache; hoffentlich neben der einen, die mir wirklich wichtig ist. Meine Tage in London sind für niemanden wirklich nützlich, aber lustig. Ich kaufe Kleider, schaue bei Freunden vorbei und ertrage lästige Geschäftsbesprechungen. Abends habe ich mir sonst immer gern aktuelle Bands angeschaut; neuerdings bevorzuge ich ein gemütliches Abendessen in einem guten Restaurant und darauf einen Nachtklub. Ich habe ein Büro, das ich kaum aufsuche. Meine Sekretärin droht zu kündigen. Sie kann meine Selbstvernichtung nicht mehr aushalten. Meine Frau, glücklich von mir getrennt lebend, überweist die Rechnungen. Ich besitze ein Studio, das allerdings vorwiegend andere Leute benutzen. Ich nehme an, das verschafft mir eine gewisse Befriedigung. Jetzt kann ich sowieso nicht arbeiten. Wenn ich so spät aufstehe, ist der Tag dafür zu kurz. Ich lebe in einem paradoxen Zustand: Ich bin zufrieden mit meinem Unglück, fühle mich wohl im Jammer. Da ich am Fluss lebe, kann ich rudern, was ich häufig mache. Ich habe eine Sonnenbank. Darunter liege ich und höre Radio. Im Sommer ist der Garten herrlich. Ich pflanze Gemüse an und Pflaumenbäume. Ich versuche jeden Tag zu schreiben. Einsamkeit ist unerlässlich. Ich lese ungefähr sechs Bücher gleichzeitig, das heißt, ich kann meine Lektüre auf meine Laune abstimmen. Vereinzelt beantworte ich Fanpost und Geschäftsbriefe, spiele Billard, klimpere auf der Gitarre direkt in ein Aufnahmegerät, bitte um Vergebung und denke darüber nach, was für ein Schlamassel ich aus einem Leben gemacht habe, das so viel von allem und von jedem zu bieten hatte. Ich denke an die Jugendlichen in Toxteth und Brighton und wie schwer ihr Leben ist. Ich danke Gott dafür, dass sie nicht wissen, wie absurd ich meine Zeit vergeude. Welcher Tag ist heute? Ist das wichtig? – Keine besonderen Vorkommnisse heute. Was würde ich schreiben, wenn ich ein Tagebuch hätte? Will nicht mehr leben. Oder: Ich wollte wissen, wie es ist. Oder: Jetzt hab ich’s euch aber gezeigt, nicht wahr? Oder: Bitte nicht vergessen die Pflanzen zu gießen. Ich stelle mir vor, wie ich meinen Bauch aufschlitze und die Gedärme hervorquellen. Ich halte mir mein Gesicht vor Augen, wie ich eine rostige Rasierklinge langsam quer durch die Kehle ziehe, von einem Ohr zum anderen. Dagegen erscheint es gar nicht so übel, einfach bloß ein paar Tabletten zu schlucken.“
Petes Verzweiflung wuchs, als er Mitte des Jahres feststellen musste, dass sein Desinteresse an geschäftlichen Angelegenheiten zu schier unüberwindlichen finanziellen Problemen geführt hatte. Als er ein neues Aufnahmegerät für sein Studio in Twickenham kaufen wollte, entdeckte er, dass nicht nur die erforderlichen hundertdreißigtausend Pfund fehlten – nein, er stand sogar mit über einer halben Million Pfund bei der Bank in der Kreide.
„Ich sagte in der Bank: ‚Ich muss nur meine Platte fertigstellen, dann kriege ich zwei Millionen Dollar.‘ Aber die Bank, bei der ich seit meinem Studium Kunde war, sagte bloß: ‚Nein, Sie bekommen von uns kein Geld mehr.‘ Obwohl ich jeden Pfennig, den ich persönlich hatte, in die Firma steckte, um sie wieder flüssig zu machen, wollte mir die National Westminster Bank an den Kragen. Sie wollte mein Haus, meinen Plattenvertrag, meine Plattenfirma, alles. Ich steckte in einer scheußlichen Zwickmühle. Ich hatte mein Geld nicht bloß in tolle Anwesen, Rolls Royces oder Häuser in Los Angeles investieren wollen, weil ich es für besser hielt, Arbeitsplätze zu schaffen und zu akzeptieren, dass das Teil meiner Verantwortung war. Aber dann war ich unfähig, das durchzuziehen. Entweder war ich zu kaputt, zu abgelenkt oder mit Rock’n’Roll auf Tour. Und die Leute, die ich angestellt hatte, um die Arbeit zu erledigen, hielten den Zufluss von Geld für unerschöpflich. Sie gaben mein Geld schneller aus, als ich es verdienen konnte.“
Wie Richard Barnes schon beobachtet hatte, wurde Petes Unternehmensgruppe Eel Pie von ungeeigneten Mitarbeitern geführt, und seine ständige Abwesenheit hatte noch zusätzlich dazu beigetragen, dass die Firma bis zum Bankrott herabgewirtschaftet worden war. Petes Tantiemen reichten nicht mehr aus, um die Verluste auszugleichen, zumal Plattenfirmen oft erst Jahre nach einer Veröffentlichung die Tantiemen abrechneten und überwiesen, was hieß, dass die erfolgreichen Alben Empty Glass und Face Dances in Petes aktueller Finanzkrise keine Hilfe waren. Allein sein Buchverlag, der laut Barnes mehr Angestellte als Titel hatte, stand mit einer Million Dollar in der Kreide. Pete musste den Verlag, auf den er sehr stolz gewesen war, aufgeben und die Verlagsrechte verkaufen. Er musste auch seinen Buchladen „Magic Bus“ in Richmond schließen, und Eel Pie Sound, seine Verstärkervermietungsfirma, ging in Konkurs. „Eine Zeitlang erwog ich ernsthaft, die Freuden eines Pleitiers zu genießen und in Paris ein friedliches Dasein zu führen. Aber dann dachte ich: Nein! Ich werde diese Bastarde mit ihren eigenen Waffen schlagen. Ich erstehe von den Toten auf und verdiene Geld.“
Das klingt im Rückblick sehr entschlossen. In der Praxis musste Pete freilich erst buchstäblich von den Toten erweckt werden, ehe er den ganzen Ernst seiner Situation erfasste und den Kampf aufnahm.
Eines Abends im September, genau einen Tag und drei Jahre nach Keiths Tod, besuchte Pete mit einigen Freunden ein Nachtlokal namens Club For Heroes. Mit von der Partie waren Paul Weller (von The Jam und Style Council) und Phil Lynott (von Thin Lizzy); über andere Personen sowie über den genauen Verlauf des Abends herrscht eine gewisse Unklarheit, da Pete und seine Begleiter den Klub bereits in einem Zustand betreten hatten, der bei gewöhnlichen Menschen eine Alkoholvergiftung nach sich gezogen hätte, wie Pete konstatiert:
„Ich hatte so viel Brandy getrunken, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat oder zu mir nahm. Phil Lynott dachte wohl, ich leide unter Entzug, denn er sagte: ‚Ich kann dir was geben, das dich wieder munter macht.‘ Ich hielt meinen Arm hin, bekam eine Spritze, ich glaube von Phil, und das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich rausgeschleppt wurde. Der Heroinschuss brachte mich kurzzeitig um – mein Herz stand still.“
Pete hat mehrere, teils abweichende Versionen von seinem Zusammenbruch im Klub der Helden erzählt. Die Schilderung hier folgt vor allem seinen beiden Interviews im Q-Magazin 1996 und 2000. Jedenfalls scheinen mehrere Drogen und noch weitere Begleiter im Spiel gewesen zu sein. Möglicherweise erhielt Pete die fast tödliche Injektion in der Toilette des Lokals auch nicht von Phil Lynott, wie er selbst einräumt: „Es waren noch fünf oder sechs weitere Personen anwesend. Ich weiß nicht sicher, ob es Phil war.“
Wie auch immer: Der Türsteher des Klubs warf sich den inzwischen bewusstlosen Who-Komponisten über die Schulter und trug ihn zum Auto. Petes damaliger Chauffeur Paul Bonnick war es gewöhnt, seinen Chef benommen auf dem Rücksitz liegend nach Hause zu transportieren, aber irgendetwas kam ihm diesmal verdächtig vor. Er hielt an und bemerkte, dass Petes Lippen blau angelaufen waren. „Sein Puls war sehr schwach, aber er raste“, erinnert sich Bonnick. „Ich sagte: ‚Wenn wir uns nicht beeilen, gibt er den Löffel ab.‘“ Petes Begleiter wollten zunächst keinen Arzt aufsuchen, weil sie die Presse fürchteten und weil sie sich kaum in einem besseren Zustand befanden, doch Bonnick fuhr Pete unverzüglich ins nächste Krankenhaus. „Die Krankenschwester kam zum Auto, und als sie Pete sah, handelte sie sofort. Er war inzwischen vollkommen blau angelaufen. Sie sagte: ‚Schnell! Wir haben nicht mehr viel Zeit!‘ Sie riss sein Hemd auf und schlug auf seine Brust.“
Pete erhielt eine Kortisonspritze, die aber keine Wirkung zeigte. Eine zweite direkt in die Brust brachte ihn ebenso wenig zu Bewusstsein. Daraufhin wurde er an ein Reanimationsgerät angeschlossen, „und kurz bevor sie mir Elektroschocks geben wollten, kam ich wieder zu mir“, erinnert er sich. „Ich glaube, mein Fahrer Paul hat mir das Leben gerettet. Er hat darauf bestanden, dass ich in ein Krankenhaus gebracht wurde.“
Obwohl Pete natürlich vom Pflegepersonal erkannt wurde und seine Heroininjektion offensichtlich war, erfuhr die Presse zunächst nichts von dem Vorfall. Pete war zutiefst geschockt – und dankbar für die glückliche Rettung. Allmählich dämmerte ihm, dass er keine neun Leben besaß wie Keith, sondern dass er mehr auf sich achtgeben musste, wenn er es noch erleben wollte, dass seine Kinder erwachsen wurden. Erstmals begriff er in aller Klarheit, dass er etwas unternehmen musste – dass er ein Alkoholiker war und die Kontrolle über sein Leben verloren hatte:
„Mein Zustand war schon vorher wie bei einem Heroinsüchtigen: Ich benötigte so viel Alkohol, um mich ins Gleichgewicht zu bringen, dass es mich umbringen konnte, wenn ich diese Menge tatsächlich trank. Ich kippte fünf oder sechs Bier und fühlte mich immer noch krank. Ich trank zwei Flaschen Brandy und war unverändert im Delirium tremens. Schließlich rief ich meinen Arzt an und bat ihn um Hilfe.“
Pete begab sich in eine Privatklinik, wo er unverblümt zugab, dass er nicht nur trank, sondern auch harte Drogen nahm. Der Arzt entschied, erst den Alkoholismus zu bekämpfen. Nach fünf Tagen war er so weit entgiftet, dass er nach Hause konnte. Bemerkenswerterweise hatte Petes Mutter Betty zur gleichen Zeit beschlossen, vom Alkohol loszukommen, und vermutlich gab ihm ihr Beispiel den entscheidenden Anstoß: „Sie beschloss, dass es genug war, und hörte damit auf. Mir war klar, dass das für den Rest ihres Lebens galt.“ Leider täuschte sich Pete in dieser Beziehung, wie wir noch erfahren werden. „Die Ärzte meinten, es wäre vermutlich besser, wenn sie nicht gleich nach Hause zurückkehrte. Also kam sie zu mir. Und da geschah zweierlei: Erstens fühlte ich mich durch sie wirklich ermutigt und wollte mich solidarisch zeigen; zweitens entfielen plötzlich meine wichtigsten Ausreden. Es besteht kein Zweifel, dass die Alkoholkrankheit genetisch angelegt ist; doch nun konnte ich nicht mehr sagen: ‚Alle in meiner Familie sind Säufer, deswegen bin ich auch einer.‘“
Pete unterbrach die Arbeit an seinem Soloalbum und behandelte seinen Alkoholismus mit einer Hypnosetherapie. Unterstützend erhielt er Beruhigungsmittel, Tranquilizer wie Ativan, wovon er allerdings in kürzester Zeit abhängig wurde, wie er erzählt:
„Ich nahm alles, was ich in die Hände bekam, weil ich das Gefühl hasste, nicht betrunken zu sein. Mein Arzt hatte mir eine hochkonzentrierte Pille namens Ativan verschrieben. Ich schluckte die ganze Dosis auf einmal und besorgte mir eine zweite Ladung von einem Dealer. Ich trank nicht, aber ich konsumierte immer noch Kokain. Ich kehrte nach New York zurück, wo Kokain inzwischen oft mit Heroin gemischt wurde. Und das war’s. Viele Leute wissen nicht, dass man sofort abhängig wird, wenn man Heroin raucht. Beim Schnupfen wird man nicht sofort abhängig, beim Rauchen schon. Bald rauchte ich reines Heroin, das ich mir privat besorgte, heimlich, niemand wusste davon. Ungefähr ein Gramm, manchmal mehr. Und wenn die Heroinwirkung nachließ, schluckte ich acht bis zehn Ativan-Tabletten, dazu zwei oder drei Schlaftabletten, um nachts ein wenig schlafen zu können – ich war ein wandelndes Tablettenröhrchen. Der einzige, der etwas bemerkte, war mein Vater. Um Weihnachten herum fragte er mich: ‚Du sagst, du trinkst nichts mehr?’ Ich antwortete: ‚Nein, nein, schon seit einem Monat nicht mehr.‘ Er sagte: ‚Du bist auf irgendwas drauf, es steht verdammt schlecht um dich, wenn du mich fragst.‘ Dann erhob er sich und ging raus.“
Pete pflegte ein gutes kameradschaftliches Verhältnis zu seinem Vater, wie man beispielsweise während einer BBC-Talkshow von 1981 beobachten konnte, als die beiden miteinander flachsten und sogar das erste Mal gemeinsam öffentlich musizierten. Cliff Townshend kannte seinen Sohn sehr genau; man darf also annehmen, dass er als ehemaliger Profimusiker die Gefahr, in der Pete schwebte, richtig einzuschätzen wusste. Pete ähnelte in seiner Veranlagung mehr seiner exzentrischen Mutter Betty, die mit ihren frühen Eskapaden beinahe die Familie zerstört hätte, und so mag es auch Cliffs Einfluss zuzuschreiben sein, dass sich Pete im Dezember mit seiner Ehefrau Karen aussöhnte. Der finanzielle Kollaps hatte das Paar zwangsläufig wieder näher zusammengebracht, Dokumente mussten gegengezeichnet werden, Schecks unterschrieben, Pläne und Vereinbarungen gingen hin und her – Pete zog um Weihnachten wieder bei seiner Familie ein, obwohl er heroinsüchtig und tablettenabhängig war und sich selbst als nicht resozialisierbar betrachtete:
„Ich sagte: ‚Ich glaube, ich sollte nicht bei euch bleiben. Ich gehe besser wieder aufs Land und komme morgen wieder.‘ Und Karen sagte: ‚Nein, bleib.‘ Ich erwiderte: ‚Pass auf, ich nehme zurzeit Heroin und denke, ich sollte besser gehen.‘ Aber sie meinte: ‚Nein, bleib trotzdem.‘ Ich denke, das gab den Ausschlag. Ich hielt mich für ein wertloses Stück Scheiße, unwürdig im Haus zu wohnen, das ich für meine Familie gekauft hatte, die ich in die Welt gesetzt hatte und ernährte; doch sie, vor allem meine Frau, hielten mich nicht für wertlos. Diese Geste bedeutete so viel für mich. Es war eine einmalige Gelegenheit mir zu zeigen, was vorbehaltlose Liebe ist. Das war es, was Karen damals für mich getan hat, und durch sie bin ich darauf gestoßen, was es bedeutet, bedingungslos lieben zu können.“
Pete fand nun die Kraft, unangenehme geschäftliche Entscheidungen zu treffen und durchzuziehen. Er musste den größten Teil seiner Belegschaft entlassen und sogar die Unterstützung des von ihm initiierten Meher-Baba-Zentrums in London auf ein Minimum zurückfahren, was man ihm dort recht übel nahm und was bei ihm ein schlechtes Gewissen hinterließ.
Im Januar 1982 brach Pete abermals unter einer Überdosis zusammen; er musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, wo man ihm den Magen auspumpte. Erst daraufhin besann er sich der eigentlich naheliegenden Lösung: Er rief seine alte Bekannte Meg Patterson an. Die Expertin auf dem Gebiet der alternativen Suchtmedizin, zu der Pete einst Eric Clapton und Keith Moon gebracht hatte und deren Arbeit er mit Wohltätigkeitskonzerten unterstützte, betrieb inzwischen ein Forschungszentrum in Kalifornien.
„Ich fragte sie, was ich tun sollte, und sie bestand darauf, dass ich am nächsten Tag kam. Ich meinte, das ginge nicht, aber sie sagte: ‚Entweder du kommst morgen oder überhaupt nicht.‘ Daraufhin nahm ich ein Flugzeug und flog rüber. Ich hatte eine volle Dosis Heroin in mich hinein gepumpt, um den Flug nach Los Angeles durchzustehen. Die Pattersons erwarteten mich schon am Flughafen und schlossen mich sofort an ihr Gerät an.“
Dieses Gerät war etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel und hieß NET Box oder Black Box. Es beruhte auf Meg Pattersons Erkenntnissen über die Elektroakupunktur, die sie in einem Krankenhaus für Opiumsüchtige in Hongkong gesammelt hatte. Nach ihrer Theorie entstand Heroinabhängigkeit vor allem dadurch, dass das Gehirn nach Einnahme von Opiaten die Endorphinherstellung einstellte. Durch die elektrischen Impulse aus der NET Box wurde das Gehirn des Patienten wieder angeregt, eigene Glückshormone, Endorphine, zu produzieren, so dass das Verlangen nach künstlicher Stimulanz durch die Droge erlosch. In achtundneunzig Prozent aller behandelten Fälle war die im Grund recht simple neuroelektrische Therapie erfolgreich.
Seit der Heilung von Keith Richards und Eric Clapton konnte sich die Ärztin kaum mehr vor prominenten Anfragen retten; Meg verzichtete jedoch auf eine Karriere als Showstarmedizinerin, sondern versuchte, das amerikanische Gesundheitsministerium und die UN-Drogenbehörde auf ihre Forschungen aufmerksam zu machen. Sie erinnert sich: „Als Pete aus der Abfertigungshalle kam, sah ich sofort, wie verzweifelt krank er war. Er sah entsetzlich aus und zitterte vor Schwäche, Gier und Aufruhr. Ich verband ihn augenblicklich mit dem Apparat. Mit Bill Curbishleys Unterstützung hatte ich ein kleines Apartment in unserer Nähe für Pete angemietet und für Lorne, meinen Medizin studierenden Sohn.“ Die beiden kannten sich seit Eric Claptons Therapie im Haus der Pattersons 1972. „Lorne sollte Petes Behandlung Tag und Nacht überwachen. Ich war schockiert, als ich herausfand, dass er auch noch von Ativan abhängig war, einem Beruhigungsmittel, das schwere Krämpfe auslösen kann, wenn man es absetzt. Die Fahrt zur Wohnung dauerte zwei Stunden. Bis wir ankamen, hatte er sich glücklicherweise erkennbar beruhigt.“
„Meg hielt meine Abhängigkeit von Ativan sogar für bedrohlicher als die Heroinsucht, was mich überraschte, weil mir Ativan immerhin ein Arzt verschrieben hatte“, sagt Pete. „Gegen das Heroin bekam ich zunächst niedrige Frequenzen aus der Net Box verordnet. Ich glaube ununterbrochen acht Stunden lang. Ein Gefühl von natürlicher Energie durchströmte meinen Körper. Es war, als würden alle meine schlummernden Gefühle zum Leben erweckt. Die innere Freude, mich zu erholen und frei zu werden von Drogen, versetzte mich in jugendliche Hochstimmung. Am zweiten Tag wusste ich bereits, dass ich auf der Zielgeraden lief. Am dritten begann ich wieder wie ein menschliches Wesen auszusehen und mich auch so zu fühlen. Ich erinnere mich, dass ich wieder Zeitungen las und Dinge notierte wie: Ich möchte rausgehen für einen Spaziergang – unglaublich! Eine andere Entdeckung war die Wiederkehr von Sexualität. Ein, zwei Monate lang hatte ich keinerlei sexuelle Empfindungen mehr gehabt, die Behandlung hatte also definitiv eine belebende Wirkung. Doch am vierten Tag erwachte ich mit einer aggressiven, zornigen Haltung gegenüber dem Leben. Nein, Arroganz beschreibt es besser. Ich glaubte, ich könne die Welt besitzen. Später, ab dem fünften Tag, wurde ich depressiv. Meg erhöhte nun die Frequenzen um eine Stunde, um die für Kokain zuständigen Rezeptoren zu stimulieren. Einmal bekam ich entsetzliche Entzugserscheinungen, Panik, die Nase fing an zu laufen, irrsinnige Krämpfe, vor allem in Armen und Beinen, bis wir merkten, dass die Batterie im Gerät leer war. Als der Apparat wieder funktionierte, wurde es sofort besser. Das Entscheidende an Megs Behandlung ist, dass man sofort die Handlungsfähigkeit zurückerlangt. Zuvor hatte ich bei jedem Versuch nicht nur unter den Entzugssymptomen gelitten, sondern auch darunter, dass ich nicht mehr in der Lage war, aus dem Bett zu steigen.“
Pete trug die Black Box gut eine Woche lang Tag und Nacht am Körper. Dann reduzierte Meg Patterson die Behandlung auf die Tageszeit. Der Vorteil der Elektroakupunktur ist laut Pete erstens, dass sie nicht abhängig macht, sondern den Körper in die Lage versetzt, sich selbst zu regenerieren, und zweitens, dass der Patient während des Entzugs schlafen kann. Nach zehn Tagen erhielt Pete nur noch gelegentliche Auffrischungsdosen und unterzog sich einer dreiwöchigen Psychotherapie.
„Man fühlt sich plötzlich wie Superman, voller Euphorie, dass man all das hinter sich gelassen hat. Aber das ist es, was Megs Therapie so erfolgreich macht: Sie weiß um die Gefahr, dass man sich überschätzt, und in dem Monat, den ich bei ich verbrachte, half sie mir, das auszugleichen, zu verhindern, dass eine Überreaktion in die andere Richtung stattfand. Sie bestand darauf, dass ich mich spirituell neu aufstellte und mich damit auseinandersetzte, was mich bis heute beschäftigt: meinen Kindern wieder näher zu kommen, und, wenn möglich, die Beziehung zu meiner Frau zu erneuern, wonach es zuerst gar nicht aussah.“
Vieles musste erneuert werden, damit Pete einen Weg fand, um als Mensch und Partner, Musiker und Komponist in der sich rasch wandelnden Zeit der achtziger Jahre zu überleben. Face Dances, das erste Who-Album nach Keiths Tod, gab zunächst kaum Anlass zur Hoffnung, die Band könne ihn darin unterstützen. Pete glaubte sich meist allein und verloren in seinem kunstvollen Ringen für eine bessere Welt. Das glaubten damals allerdings auch viele Rockmusikhörer. Heute wissen wir, dass es für Pete persönlich und für The Who als Gruppe tatsächlich auf Messers Schneide stand. Und dass der Kampf um eine bessere Welt noch lange nicht gewonnen ist.