Читать книгу The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart - Страница 5
ОглавлениеDrittes Buch: Mirror Doors (1978 bis 2009)
„Im Showgeschäfthimmel, hinter der Spiegeltür, stirbt niemand wirklich.“
Pete Townshend, 2006
„Wir wollen eine dauerhafte Karriere.“
Roger Daltrey 1967 im Record Mirror
„Ich bin ein Komponist. Geplagt von Warzen, Arthritis, Taubheit, Bitterkeit und Müdigkeit. Ich bin bereit für meine besten Werke.“
Pete Townshend, 2008
Als Keith Moons sterbliche Überreste am 11. September 1978 dem Feuer von Golders Green überantwortet wurden, einem der ältesten und schönsten Krematorien Englands unweit von Keiths Geburtsort im Nordwesten von London, glaubten die meisten Rockmusikfans, dass die Geschichte der Who damit ihr vorzeitiges und auch tragisches Ende gefunden habe. Zu unersetzlich für die Band erschien der verrückteste Schlagzeuger, den der Rock’n’Roll jemals hervorgebracht hatte, als dass man es dem Sänger Roger Daltrey, dem Gitarristen und Songwriter Pete Townshend sowie dem zurückhaltenden Bassisten John Entwistle zutraute, die Gruppe erfolgreich weiterzuführen.
Bis zu Keith Moons Tod am 7. September 1978 galten The Who als eine außergewöhnliche und authentische Kultrockband der ersten Stunde, die von den langjährigen öffentlichkeitswirksamen Exzessen ihrer Mitglieder nicht nur in publizistischer Hinsicht profitierte, sondern daraus eine fast magisch anmutende kreative Energie bezog (siehe Band eins und Band zwei dieser Biografie). Die internen Spannungen, die extremen Charakterunterschiede zwischen den ungleichen Mitgliedern der Gruppe, die nicht etwa ein gewiefter Popmanager zusammengestellt, sondern die sich Ende der fünfziger Jahre aus einer Schülerband entwickelt hatte, gründeten nicht zuletzt in der vielschichtigen, ja undurchschaubaren Persönlichkeit des exzentrischen Medienprofis „Moon the Loon“, des leutseligen Drogenexperten und manisch-depressiven Trommelgenies „Moonie“, der mit seinem von Verschwörungstheorien umwölkten Abgang noch einmal die Verkaufszahlen des soeben erst veröffentlichten Albums Who Are You in erstaunliche Höhe trieb – von der Platte wurden allein in den USA über zwei Millionen Exemplare verkauft, und sie erreichte dort doppelten Platinstatus.
Insofern wirkte der schnelle Vorstoß der Bandleader Townshend und Daltrey, man werde die Gruppe selbstverständlich auch nach Keiths Tod fortsetzen, nicht nur pietätlos auf die geschockte Rockmusikgemeinde. Nein, man traute es den in die Jahre gekommenen übriggebliebenen Rockdinosauriern auch nicht mehr zu, sich in einer neuen Besetzung zu bewähren, denn für die Fans waren The Who mit Moons Tod ihres unermüdlichen Motors und Taktgebers unwiederbringlich beraubt.
Für die Insider indes, für die Anführer Pete und Roger wie für das Who-Management, mochte es sich zunächst so anfühlen, als habe man mit dem immer unkontrollierbarer auftretenden Trommeldämon Moonie vor allem eine Menge Ballast verloren; denn selbst wenn man im Who-Camp oft die Augen vor dem tragischen und scheinbar selbst gewählten Niedergang des ehemals jugendlichen Helden verschloss, so waren die Folgen von Keiths jahrelangem nervenzermürbendem Ringen um Ruhm und Aufmerksamkeit auch an den Verantwortlichen der inzwischen auf dem Finanzmarkt erfolgreichen Who Group Ltd., bei der Keith den Posten eines PR-Direktors bekleidete, nicht spurlos vorüber gegangen. Hinter den Kulissen war, trotz aller aufrichtiger Trauer um einen treuen Freund, um einen brillanten Selbstdarsteller und einzigartigen Menschen, fast so etwas wie Erleichterung spürbar, dass eine alptraumhafte Entwicklung, die sich lange angekündigt hatte, nun abgeschlossen und bald überwunden sei – eine fatale Fehleinschätzung, wie sich zeigen sollte. Keith wirkte weiterhin auf die Geschicke der Gruppe ein, bis weit über seinen Tod hinaus, wie vor allem seine Nachfolger auf dem Schlagzeugstuhl erfahren mussten.
Mit der Asche, die über dem toleranten Friedhofsgrün von Golders Green verstreut wurde, lösten sich gleichwohl viele persönliche Beziehungen zu Menschen, mit denen die Who durch Keith zuvor eng verbunden waren. Der Ablösungsprozess verlief über weite Strecken überraschend geräuschlos, das heißt: von der Öffentlichkeit unbeachtet. Er war aber für die Betroffenen keineswegs schmerzfrei. Keith hatte kein gesetzlich gültiges Testament hinterlassen, natürlich nicht, wird jeder sagen, der ihn kannte. Denn erstens rechnete er nicht mit seinem Ableben, sondern hielt sich für unsterblich. Zweitens dachte er nie groß über materielle Angelegenheiten nach. Drittens war er schon zum Schreiben zu faul und hätte den Weg zum Notar niemals ohne fremden Antrieb geschafft. Und viertens besaß er weniger, als die meisten sich das vorstellen mochten.
Tatsächlich hinterließ Keith Moon mehr Schulden und unbezahlte Rechnungen, als durch seine Tantiemen und durch das Gehalt als PR-Direktor der Who Group Ltd. gedeckt waren. The Who kamen diskret für viele Verbindlichkeiten auf. Allein der Londoner Edeljuwelier Asprey erhielt vom Who-Manager Wiggy Wolff siebentausend Pfund in bar (und war darüber so gerührt, dass er ihm eine goldene Uhr schenkte).
The Who kümmerten sich auch um Keiths Lebensgefährtin, das schwedische Ex-Model Annette Walter-Lax. Der testamentarische Zettel, den sie einst nach ihrer Rückkehr in die von Pete finanzierte Wohnung am Curzon Place entdeckt hatte (siehe Band zwei), tauchte nie mehr in den komplizierten und frustrierenden Erbschaftsverhandlungen auf. Annette nahm die Unterstützung der Who dankbar an, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen konnte. Sie kaufte sich einen Honda Civic und mietete eine Einzimmerwohnung in Knightsbridge.
Anwälte hatten ihr gesagt, sie könne Ansprüche auf Keiths exklusives kalifornisches Strandhaus erheben, aber sie fühlte sich nach dem Tod ihres anstrengenden Geliebten zu schwach, um für finanzielle oder materielle Vorteile zu kämpfen. The Who baten sie bald nach der Beerdigung, Keiths persönliche Habseligkeiten aus Shepperton abzuholen, und als sie sah, wie alles „in einen Raum gestopft worden war, bis zur Decke, gerade so wie Bauschutt in einen Container“, ließ sie alles hinter sich und ging: „Ich hatte einfach keine Kraft mehr“, sagt sie.
Sie lernte nach einiger Zeit den englischen Schauspieler Gareth Hunt kennen und heiratete ihn schließlich. Die Unterhaltszahlungen, die ihr The Who bis dahin gewährt hatten, wurden eingestellt. Als sie 1981 in Geldschwierigkeiten geriet, verkaufte sie ihre persönliche Keith-Moon-Story an den Sunday Mirror. Das war das Ende ihrer Beziehung zur Band und zur Familie Moon. Annette zog wieder nach Schweden, wo sie mit ihrem Sohn aus der Ehe mit Hunt lebt, von dem sie mittlerweile geschieden ist.
Kim Moon, Keiths erste Frau, heiratete vier Wochen nach Keiths Tod ihren langjährigen Gefährten, den ehemaligen Keyboarder der Small Faces Ian McLagan. Das Paar wollte mit Keiths und Kims einziger Tochter Mandy endgültig nach Los Angeles ziehen, denn „Mac“ hatte in Kalifornien viele berufliche Kontakte. Einzig Keiths Widerstand hatte den Umzug an die amerikanische Westküste bisher verhindert. Nach seinem Tod war dieser Weg frei.
Pete enthüllte im Januar 1979, dass er Mac, der sich nach dem Ende der Faces als zuverlässiger Studio- und Tourmusiker für die Rolling Stones, für Bob Dylan, Bruce Springsteen und Joe Cocker bewährt hatte, auch für The Who ins Auge gefasst hatte: „Ich wollte ihn, weil er nicht nur ein Keyboarder, sondern dazu ein guter Gitarrist ist. Ich hätte ihn wirklich gern gehabt.“
Macs zuversichtliche, gelassene Art gefiel dem Who-Vordenker. Obendrein war der ehemalige Faces-Keyboarder nur eine Woche vor Pete geboren worden, in Johns Stadtviertel aufgewachsen und mit Keiths Nachfolger Kenney Jones in einer Band gewesen. Doch Pete ließ sich davon überzeugen, dass der Beitritt von Ian McLagan keine gute Idee sei. Zuviel wäre durcheinander geraten, wenn der Mann, der Keiths Frau geheiratet hatte, auch noch Mitglied von The Who geworden wäre.
Kim wurde gemeinsam mit Keiths Mutter als Nachlassverwalterin eingesetzt. Man kam überein, das glamouröse, aber heruntergewirtschaftete Strandhaus vor Malibu Beach zu verkaufen, um Keiths Schulden in den USA zu tilgen. Kim, Mandy und Mac lebten dort sogar einige Monate, bis das Anwesen wieder hergerichtet war. 1980 wurde die Strandvilla für genau eine Million Dollar veräußert – zu den späteren Besitzern zählten übrigens Walt Disneys Tochter sowie die US-Schauspieler Ted Danson und Michael Madsen, wobei letzterer die umgebaute Villa zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Buchs für über sieben Millionen Dollar zum Kauf ausgeschrieben hatte. Nachdem alle Gläubiger ausbezahlt waren, darunter mit knapp neunzehntausend Dollar auch das Cedars Sinai Hospital, das Rechnungen für Keiths diverse Entziehungskuren und Behandlungen zwischen Februar und Juli 1977 gestellt hatte, verblieb ein Nettogewinn von rund vierhundertfünfunddreißigtausend Dollar, der vor allem Mandy zugute kommen sollte.
1988 übergab Kim die Verwaltung von Keiths Erbe vollständig an ihre inzwischen zweiundzwanzigjährige Tochter. Die Neuveröffentlichung vieler Who-Alben auf CD in den neunziger Jahren brachte neue Tantiemenzahlungen ein, die sie nicht mehr erwartet hatte, und so versöhnte sich Amanda Jane Moon allmählich mit dem in vielerlei Hinsicht schwierigen Erbe ihres berühmten Vaters. Sie träumte davon „Perkussionistin zu werden“, begann Schlagzeug zu spielen und nahm an Keiths Stelle am 17. Januar 1990 in New York die wahrscheinlich höchste Auszeichnung in der Rockmusik entgegen, als The Who offiziell in die „Rock’n’Roll Hall Of Fame“ aufgenommen wurden.
Die Schattenseiten ihres Erbes wurden durch den Eintritt ins Showbiz allerdings ebenfalls bald offenbar: Sie bekam selbst Probleme mit dem Alkohol, und ihr Privatleben war alles andere als glücklich. Erst im Alter von dreißig Jahren und nach zwei gescheiterten Ehen schien sie etwas zur Ruhe zu kommen. Sie eröffnete ein Modegeschäft in Los Angeles, heiratete ein drittes Mal und hat zwei Töchter. Kim wurde also Großmutter. Mandy sah man 2006 am Messestand des Schlagzeugherstellers Premier, wo sie eine Neuauflage von Keiths berühmtem Pictures-of-Lily-Drumkit öffentlichkeitswirksam bewarb, und zuletzt im November 2007 neben Pete in der Attic Show in Los Angeles.
Kim und Mac verließen Los Angeles nach einem Erdbeben Anfang der neunziger Jahre und zogen nach Austin, Texas, wo die Musikszene gemäßigter und „gesünder“ war für Mac. Die McLagans hielten aber den Kontakt zu den Who, nicht zuletzt über Ronnie Lane, der wie Pete ein Jünger des Gurus Meher Baba war und in Texas lebte, bis er 1997 an multipler Sklerose starb. Kim arbeitete in einer Gesundheitsfarm am Lake Austin und machte sich schließlich mit einem Kosmetiksalon selbstständig. Nachbarn, Freunde und Bekannte schätzten die freundlichen, einfach lebenden McLagans; von ihrer bewegten britischen Vergangenheit war wenig bekannt. Die Ehe verlief sehr glücklich, blieb aber kinderlos (Mac hatte einen Sohn aus erster Ehe). Kims tödlicher Autounfall am 2. August 2006 in der Nähe von Austin riss das Paar schmerzhaft auseinander.
Kim wurde siebenundfünfzig Jahre alt. Ihr Mann gründete eine Stiftung in ihrem Namen, die Frauen gegen häusliche Gewalt unterstützt, und Pete würdigte Kim mit einem kurzen Nachruf im Begleittext zum Who-Album Endless Wire – als eine von drei wundervollen Rock’n’Roll-Frauen, die zu früh starben (die beiden anderen waren Chrissie Wood und Susie Cunningham). Mac spielte auch Ende 2008 noch jeden Donnerstagabend mit seiner Bump Band im Musikklub Lucky Lounge in Austin; er tourte im Sommer durch Großbritannien, brachte eine neue CD heraus und reiste Anfang 2009 mit dem kritischen Amerikana-Barden James McMurtry durch Deutschland. Mac wirkt trotz der Trauer um die Liebe seines Lebens positiv und gefestigt.
Und sonst? Was blieb vom „besten Rockdrummer der Welt“, wie Roger ihn nannte, der sich mit zunehmender Vehemenz gegen Pete stellte, weil der für Keith zu schnell einen Nachfolger installierten wollte?
„Keith war ein so außergewöhnlicher Schlagzeuger, dass jeder Versuch, ihn zu ersetzen, lächerlich gewesen wäre“, meint Roger. Wäre es nach Roger gegangen, hätten The Who Keiths Erbe mit nach Bedarf angeheuerten Aushilfskräften verwaltet. Stattdessen kam Kenney Jones – ein Ex-Faces auch er – und mit ihm eine glückliche Fügung des Schicksals: die Rückkehr des Modkults. Die ersten Tourneen wurden eine enthusiastisch gefeierte Neugeburt.
Allerdings steuerten die Who schon bald nach der Tragödie von Cincinnati im Dezember 1979 (siehe Kapitel drei) einer zähen Agonie entgegen. Nach zwei mittelmäßigen Platten wurde die Krise offenbar, und Pete verkündete fast genau vier Jahre nach der Katastrophe im Dezember 1983 das Ende der dienstältesten Rocktitanenband. (The Who wurden zwar offiziell nach den Rolling Stones gegründet; wenn man aber die Jugendband The Detours mit dem Trio Roger, John und Pete in die Rechnung einbezieht, liegen sie um etwa ein Jahr vor den Stones.)
Der Exitus bestätigte damals nur, was jeder empfand: Die Zeit der großen Rockbands war vorüber. Musik wurde endgültig zum Konsumgut. Verpackung, Oberfläche, Show war alles; entsprechend seicht und unbedeutend wurde der Inhalt. In solchen Zeiten schien eine Band fehl am Platz, die stets mehr gewesen war als eine gewöhnliche Rockgruppe. Die achtziger Jahre, die nur für Kulturpessimisten, Zyniker und Verpackungskünstler eine glorreiche Zeit waren, bedeuteten für Who-Fans ein Fegefeuer. Häufig vernahm man Gerüchte um angebliche Wiedervereinigungen, doch in der Realität musste man sich mit meist eher deprimierenden Kurzauftritten à la Live Aid 1985 zufrieden geben.
Erst 1989, zwanzig Jahre nach Tommy und ein Vierteljahrhundert nach der Gründung der Band, tauchten The Who wieder aus der Versenkung auf, mit einem gigantischen Rockensemble im Rücken und mit dem Filigrantechniker Simon Phillips am Schlagzeug. Unmittelbar nach der bis dahin goldensten Who-Tournee aller Zeiten, die jegliche finanzielle Probleme bereinigte, die vor allem den Bassisten John Entwistle zum Handeln gezwungen hatten, wurde es erneut still um die Band.
Das nächste Revival, die musikalisch womöglich noch exorbitantere Quadrophenia-Tour 1996/1997, eröffnete nahezu unbemerkt die Chance, vom Image der Tributeband wegzukommen, die sich zwar selbst besser zitierte als jede andere Formation, aber letztlich nur von der Erinnerung an bessere Zeiten und deren kommerzielle Nutzung lebte. Petes jüngster Bruder Simon sowie Keiths geistiger Nachkomme Zak Starkey betraten nun die Bühne, und sie blieben der Band verbunden, obwohl The Who zwischen den lukrativen Tourneen eher phantomgleich durch die Köpfe ihrer Fans geisterten. Diese zweite Generation von Musikern bildete ein verlässliches Gerüst um Pete und Roger, die so lange umeinander kreisten, bis ihre manchmal wie betoniert wirkende Rivalität durch zwei tief eingreifende Ereignisse aufgebrochen wurde: durch den skandalumwitterten Tod von John, der Pete einst in Rogers Band gelotst hatte und als Bindeglied zwischen den beiden Leitwölfen eigentlich unverzichtbar war, und durch Petes unbedachte Verstrickung in die umfassendste Ermittlungsoperation, die FBI und Scotland Yard je im Internet durchgeführt haben. Diese beiden existenziellen Erfahrungen öffneten The Who schließlich jene magisch-vage „Spiegeltür“, die Pete als Sinnbild für die letzte Schwelle zur Unsterblichkeit formuliert hatte: eine Schwelle, die jeder Künstler zu überwinden hat, will er die ganze Wahrheit erfahren.
„Im Showgeschäfthimmel, hinter der Spiegeltür, stirbt niemand wirklich“, verkündete er 2006 und meinte damit wohl: Ein Leben lang starren Künstler und Publikum auf die von Triumphen glänzende Pforte der Selbstbeschau; doch der Eintritt in den erahnten zeitlosen Raum dahinter bleibt dem Künstler verwehrt, so lange er in der Fixierung auf sein trügerisches Abbild verhaftet ist. „Das größte Problem in unserem Geschäft ist das Ego“, formulierte Roger es bündiger.
Beinahe ein Vierteljahrhundert lang blieb der schillernde Durchgang für die drei überlebenden Ur-Who-Musiker Roger, John und Pete verschlossen, deren „Ego zu groß war, als dass sie es gemeinsam in einem Raum aushielten“, wie Johns zweite Ehefrau Maxine Entwistle einmal sagte. Erst mit Johns Tod im Sommer 2002 zersplitterten die Spiegel, ein Tommy-Motiv übrigens, und die beiden verbliebenen Antagonisten Roger und Pete, ihres diplomatischen Vermittlers beraubt, standen einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Wie sollte, wie konnte es weitergehen?
In den vierzehn Jahren der Maximumbesetzung mit Keith Moon wurde fast alles erschaffen, was den Mythos The Who begründet hat und wovon die Band bis heute zehrt. Erst Endless Wire, das erste komplett neue Who-Studioalbum nach vierundzwanzig Jahren, sowie eine phänomenale Welttournee, die über ein Jahr dauerte und den Who-Fans in Deutschland insgesamt zehn Konzerte bescherte, standen für einen neuen Anfang.
Oder nicht?
„Mich erstaunt immer wieder, dass ich fast wöchentlich von neuen Who-Fans kontaktiert werde“, sagt Christian Suchatzki, der die deutsche Anhängerschaft seit Einführung des Internets über seine Fanpage www.the-who.net organisiert und Kontakte zur Who-Gemeinde in aller Welt pflegt. „Und deren Alter reicht von acht bis über sechzig Jahren – das ist absolut genial.“ Wer eines der Konzerte der Welttournee 2006/2007 besucht hat, weiß, warum die Gefolgschaft eher wieder jünger wird als älter.
Dieses Buch wurde in einer schwülwarmen Sommernacht 2006 geboren, genauer gesagt am 23. Juli, als The Who unter dem von starken Scheinwerfern bestrahlten Ulmer Münster ein grandioses Konzert gaben. In jener Nacht keimte der Entschluss, ein deutschsprachiges Buch über diese Gruppe zu schreiben – weil der Autor es kaum fassen konnte, dass Roger und Pete nach fast einem halben Jahrhundert auf der Bühne immer noch so vital waren, so ungebrochen kraftvoll und fast besser denn je spielten. Das war nicht zu erwarten gewesen, und dafür wirkten viele Fans auf dem Münsterplatz aufrichtig dankbar; vielleicht weil sie über die kraftvolle Musik vergaßen, dass sie älter geworden waren, vielleicht weil sie sich aber auch mit einem oft vergessenen Teil ihrer Vergangenheit neu verbunden und versöhnt fühlten. Was die jüngeren Hörer an der Musik ihrer Väter fasziniert, lässt sich mit Sicherheit sagen: „Rockmusik ist einfach geil“, so ein Sechzehnjähriger in Ulm. Rockmusik ist längst ein „klassisches“ Genre geworden, und die Botschaft des Rock’n’Roll ist unsterblich.
Es scheint, als ob The Who und einige andere Bands aus den Sechzigern mit ihrer Musik eine Art zeitfreien Tunnel geschaffen haben, der es Menschen ermöglicht, problemlos in ihre Vergangenheit zu reisen und von dort aus noch weiter bis an den Grund ihres Seins.
„Was The Who heute noch so interessant macht“, erklärt Pete, „ist weniger die Gruppe an sich, sondern die Zeit, in der alles angefangen hat. Und lange bevor die Jugendrebellion und all das angefangen hat, war da die Musik, diese Tiefe, die ohne Zeit ist.“
Die Tiefe ohne Zeit hat schließlich auch The Who erfasst. Aber der Weg dorthin war sehr beschwerlich, wie wir noch sehen werden.