Читать книгу The Who - Maximum Rock III - Christoph Geisselhart - Страница 6

Оглавление

1.: „A Face in the Who“: Ein Ex-Mod sorgt für frisches Blut – genau zur rechten Zeit

„Wenn ihr einen Schlagzeuger braucht – ich würde den Job liebend gern übernehmen.“

Phil Collins bietet sich als Keiths Nachfolger an

„Ich konnte in keinen Klub mehr gehen, ohne dass jemand am Nebentisch mit seinem Besteck lostrommelte – in der ­Hoffnung, von mir entdeckt zu werden.“

John

„Er war der einzige, bei dem wir nicht immer dachten: Wo ist Keith?“

Pete über Keiths Nachfolger Kenney Jones

„Kenney war ein guter Schlagzeuger und ist ein netter Kerl – aber er war nicht im Entferntesten der richtige Drummer für The Who.“

Roger über Kenney Jones

„Ich wünschte, wir wären mehr wie The Who gewesen – wenn die ein Problem hatten, machten sie so lange daran herum, bis sie es überwunden hatten.“

Kenney vergleicht seine frühere Band Small Faces mit den Who

Als Kenneth Thomas Jones am 16. September 1948 in Stepney geboren wurde, einem Arbeiterviertel im Londoner East End, hätten sich seine Eltern sicher nicht vorstellen können, dass ihr Sohn einmal so berühmt werden würde, dass er mit dem britischen Thronfolger hoch zu Ross Polo spielen durfte. Sein Vater war Lastwagenfahrer, und seine Mutter arbeitete in einer Glasmanufaktur.

Kenney, wie der Junge bald genannt wurde, war ein geliebtes Einzelkind und Sternzeichen Waage wie John. Er war ein ausgeglichener, fröhlicher Junge, der sich im Teenageralter zur Überraschung seiner Eltern, die alles andere als musikalisch gewesen waren, in den Kopf setzte, Drummer zu werden. Er trommelte der Legende nach solange auf Keksdosen herum, bis er sein erstes Schlagzeug geschenkt bekam, ein weißes Olympic für die damals stolze Summe von vierundsechzig Pfund.

Kenney wuchs im Teenageralter zu einem waschechten Mod heran. Er war drei Jahre jünger als Pete und John, und so erfasste ihn der Modkult im richtigen Alter. Mit Ronnie Lane spielte er in einer Jugendband, bis sie den Sänger Steve Marriott in einem Musikgeschäft kennen lernten. Mit Marriott und Lane gründete der erst sechzehnjährige Kenney die Small Faces, eine der wenigen echten­ englischen Modbands, die zweifellos authentischer war als die von Peter Meaden­ auf den Modkult hingetrimmten High Numbers, wie The Who einige Monate während des Siegeszugs der Mods im Jahr 1964 hießen (siehe Band eins). Der legendäre britische­ Musikmanager Don Arden, dem der einschüchternde Beiname „Al Capone des Popgeschäfts“ anhing, verschaffte den Small Faces innerhalb kürze­ster Zeit einen Plattenvertrag mit Decca.

Schon die erste Single, „Whatcha Gonna Do About It“, die im August 1965 veröffentlicht wurde, war ein Kassenerfolg. Von Platz vierzehn in den britischen Charts aus konnten die Small Faces zu ihren späteren Labelkollegen The Who hochschielen. Anfang 1966 überholten sie die Berufsgenossen sogar: Petes Komposition „Substitute“ kam nur auf Rang fünf der Charts, während die zweite Faces-Single, „Sha La La La Lee“, Platz drei erreichte. Und mit „All Or Nothing“ gelang den Small Faces im August 1966, was The Who nie schafften: ein unanfechtbarer Nummer-eins-Hit. Petes Who-Komposition „I’m A Boy“, die fast zeitgleich erschien, wurde nur Zweiter.

Als der Modkult verebbte, verkaufte Don Arden „seine“ Band für ­fünf­und­zwanzigtausend Pfund an den Stones-Manager Andrew Loog Oldham. Offiziell begründete der Poppate das Zerwürfnis mit dem exzessiven Drogenkonsum der Bandmitglieder, deren viel beschworenes Zusammen­ge­­hö­rig­keits­­gefühl darunter jedenfalls erkennbar zu leiden begonnen hatte. Steve Marriott, der eine ähnlich kraftvolle und markante Stimme hatte wie Roger Daltrey, rückte sich immer unverblümter in den Vordergrund, während die stilleren Ronnie Lane, Ian „Mac“ McLagan und Kenney Jones nach außen nur noch wie seine Begleitgruppe wahrgenommen wurden. Während eines Konzerts zum Neujahrstag 1969 verließ Marriott abrupt die Bühne und im gleichen Atemzug auch die Band und kehrte­ nicht zurück. „Ich wünschte, wir wären damals erwachsener gewesen“, beklagte Kenney­ noch ein Vierteljahrhundert später die verpasste ­Chance. „Ich wünschte,­ wir wären wie The Who gewesen. Wenn die ein Problem hatten, blieben sie trotzdem zusammen und machten so lange daran herum, bis sie es überwunden hatten.“

Den Small Faces war nach Marriotts Ausstieg wenig Zählbares von ihrem Ruhm geblieben. McLagan berichtet sogar, dass ihre Manager stattdessen plötzlich jede Menge Geld von der Band forderten, für angeblich geleistete Vorauszahlungen, Auslagen wie Kleider, Hotels, Autos, Drogen …

„Fakt ist, dass wir nie irgendwelche Tantiemen von Don Arden bekommen haben und dass Decca erst nach Steve Marriotts Tod 1991 die uns zustehenden Anteile rausrückte“, beschreibt Mac das finanzielle Debakel der Small Faces. Die Zusammenarbeit mit den besten britischen Tonmeistern der sechziger Jahre, Glyn Johns und George Chkiantz, hatte ihnen zwar noch einige Hits beschert, „Itchycoo Park“ und „Lazy Sunday“ vor allem; aber den retten­den Imagewechsel von der Modband zur kultigen Popgruppe, wie es die Who vorexerziert hatten, schafften die Small Faces nicht mehr. Hauptsächlich weil die Band nicht Steve Marriott folgen wollte, der sich ambitionierten Projekten zuwandte. „Eigentlich hatte Steve damals die Nase vorn mit seinem psychedelischen Märchen Ogdens’ Nut Gone Flake, und zwar mehr als wir ahnten“, berichtet Kenney vom Wettlauf um die erste Rockoper (siehe Band eins dieser Biografie). „Ogdens’ war ein Meisterwerk. Hätten wir es live gespielt, wären wir damit groß rausgekommen.“

Stattdessen ernteten The Who mit Tommy alle Lorbeeren, und Marriott gründete mit dem Gitarristen Peter Frampton (von The Herd) die Gruppe Humble Pie, die vor allem in den USA bis 1975 recht erfolgreich war. Aus den Small Faces wurden dann die Faces, zu denen Gitarrist Ron Wood und ­Sänger Rod Stewart stießen. Diese Auffrischung sorgte immerhin dafür, dass sich die Band noch so lange hielt, bis auch Rod Stewart als Solist erfolgreicher als die Gruppe wurde. Die daraufhin eingeleitete mühselige Reunion mit dem geläuterten Steve Marriott konnte das Ende einer der einflussreichsten britischen Bands der sechziger Jahre nicht mehr verhindern. Den Faces fehlte vor allem ein geschäftstüchtiger Führer, der auch die wirtschaftlichen Aspekte im Auge behielt und gegenüber raffgierigen Managern so entschlossen auftrat wie Roger für die Who oder Mick Jagger bei den Stones. Aus diesem Grund stieg auch Ron Wood schließlich lieber bei den Rolling Stones ein. Mac arbeitete, wie bereits erwähnt, als Studiomusiker und ließ sich für Tourneen erfolg­reicher Kollegen engagieren; er heiratete Kim und siedelte in die USA über. ­Ronnie Lane zog sich infolge seiner Erkrankung an multipler Sklerose vom Show­geschäft weitgehend zurück und verfolgte, abgesehen von seiner Zu­sam­men­­arbeit mit Pete, eher esoterische als musikalische Ziele. Nur Kenney, der Drummer,­ wusste nicht so recht, was er machen sollte.

Die Who und die Faces kannten einander seit vielen Jahren. Sie hatten die legendäre Ozeanientournee 1968 gemeinsam bestritten und untereinander kreuz und quer Freundschaften geknüpft. Pete und Ronnie bildeten die bekannteste Verbindung, aber auch Keith und John verstanden sich gut mit ihren Modvettern aus dem Londoner Osten – Keith mit Mac allerdings nur noch bedingt, nachdem der Kim gefreit hatte.

John war besonders gut mit Kenney befreundet. Während der Aufnahmen am Tommy-Soundtrack hatten Pete und John verschiedene Schlagzeuger ausprobiert, und beide Who-Saitenspieler waren der Meinung gewesen, dass Kenney am besten zu ihnen passte. Also schlug John sofort Kenney vor, als man über potenzielle Nachfolger für Keith debattierte. Er wollte keine Zeit verlieren und die leidigen Diskussionen über die Zukunft der Gruppe möglichst schnell beenden. „Kurz nach Keiths Tod musste ich in die USA, um den Soundtrack von The Kids Are Alright fertigzustellen“, erinnert sich John. „Ich konnte in keinen Klub mehr gehen, ohne dass jemand am Nebentisch mit seinem Besteck los­trommelte – in der Hoffnung, von mir entdeckt zu werden.“

Neben den vielen Namen von britischen Drummern, die in der Öffentlichkeit als Keiths Nachfolger genannt wurden, gab es auch einige Kollegen, die sich selbst ins Gespräch brachten. „Als Keith starb“, erzählt Phil Collins, dessen­ Gruppe Genesis dem vorläufigen Ende zusteuerte, „rief ich Townshend an und sagte: ‚Wenn ihr einen Schlagzeuger braucht – ich würde den Job liebend gern übernehmen.‘ Ich wusste, dass man Feuer braucht, um mit The Who zu spielen, und das hatte ich. Zu ihren Songs hatte ich einst vor dem Spiegel Schlagzeugspielen gelernt. Pete antwortete: ‚Ja, Mann, das wäre toll, aber Kenney Jones ist schon auserkoren, die Nachfolge zu übernehmen.‘“

In dieser etwas steifen Formulierung dringt zweierlei durch: Erstens hatten­ sich The Who viel früher auf Kenney festgelegt, als sie das öffentlich bekannt gaben. Vermutlich hatten Pete und Kenney schon im Oktober ­­darüber gesprochen, als sie gemeinsam an Paul McCartneys Rockestra mit­­wirkten. Die offizielle Vorstellung folgte trotzdem erst im Winter.

Und zweitens war die Entscheidung für Kenney nicht ganz frei von Nebengeräuschen. Roger nämlich stellte sich quer. Er wollte weder den Ex-Faces-Drummer, dem er nicht zutraute, in Keiths Fußstapfen zu treten, noch wollte er irgendeinen vierten Musiker kurzerhand als vollwertiges Bandmitglied aufnehmen, wie John und Pete das vorhatten. The Who hatten schließlich fünfzehn Jahre lang hart dafür gearbeitet, um so weit zu kommen, und er hielt es für ungerecht, unklug und unnötig, einem neuen Mann sofort die gleichen Rechte und Gewinnanteile zuzugestehen.

„Niemand konnte Keith ersetzen“, erklärt Roger. „Er war der beste Schlagzeuger der Welt. Wir hatten nach seinem Tod die Chance, vollkommen frei zu entscheiden und alles mögliche auszuprobieren. Meinetwegen hätten­ wir sogar mit einem Streichquartett experimentieren können. Ich hatte wegen Kenney scheußliche Streitigkeiten mit Pete. Kenney war sicherlich ein guter Drummer und ein prima Kerl, aber er war nicht der richtige Schlagzeuger für The Who. Sein Stil passte nicht. Aber keiner wollte auf mich hören. Ich ging sogar so weit, dass ich Pete vor die Wahl stellte – entweder Kenney oder ich. Pete meinte nur gelangweilt: ‚Ich schätze, das ist überhaupt keine Frage …‘ Er teilte mir sozusagen mit, dass ich die Band verlassen sollte. Ich war völlig verzweifelt. Wir kriegten die Sache schließlich auf die Reihe, aber wieder war ich es, der seinen Stolz herunter­schlucken­ musste. Ich musste eine Menge Scheiße fressen über all die Jahre, damit alles heil und zusammen blieb.“

Über seinem Schmerz übersah Roger vermutlich, welch glückliches ­Händchen der Who-Vordenker bei seiner Wahl für Kenney Jones in anderer ­Hinsicht bewies. Oder war es Zufall, dass der ehemalige Schlagzeuger der Modband Small Faces just zu einem Zeitpunkt den vakanten Posten bei The Who besetzen sollte, da die Who-Unternehmensgruppe den Plan gefasst hatte, Petes Modstory Quadrophenia zu verfilmen?

Wir erinnern uns, dass Manager Bill Curbishley genau an Keiths ­Todestag die Finanzierung des Films unter Dach und Fach gebracht hatte. Nachdem man verschiedene Regisseure und Drehbuchautoren mit der ­Produktion in Verbindung gebracht hatte, fiel die Wahl schließlich auf den britischen ­Filmemacher Franc Roddam, der bereits im Oktober mit der Arbeit an ­Originalschauplätzen in Brighton begann. Pete und Roger wollten Quadrophenia unbedingt so realistisch wie möglich anlegen und nicht als fanta­stisches, grellbuntes Psychoabenteuer wie Tommy, was abermals dafür spricht, dass The Who die für viele überraschende Wiederkehr des Modkults zum Ausgang der siebziger Jahre frühzeitig erkannt hatten und sogar entscheidend mit prägten.

Regisseur Roddam hatte zuvor eine erfolgreiche Reality-Serie (The Family) für die BBC gedreht, und sein letzter Film, ein von vierzehn Millionen fas­zinierten Briten mitverfolgtes Fernsehspiel namens The Dummy, behandelte das tragische Schicksal einer taubstummen älteren Prostituierten. Pete hatte das außergewöhnliche Fernsehdrama gesehen und war davon begeistert. Genau so eindringlich und wirklichkeitsnah wollte er seine vor fünf Jahren vertonte Rockoper Quadrophenia auf der Leinwand sehen.

The Who sollten in ihrem Film übrigens nicht selbst auftreten, obwohl sie ihn produzierten. Bill Curbishley und sein Mitarbeiter Roy Baird, der auch den Kontakt zu Roddam hergestellt hatte, übernahmen die Leitung über die zweieinhalb Millionen Dollar teure Produktion und hielten den langwierigen Entstehungsprozess eisern durch.

„Es ist viel schwieriger, einen Film zu produzieren, als einen zu drehen, denn letztlich überantwortet man seine Story dem Regisseur“, sagt Pete. „Das erste Drehbuch schrieb ich mit Chris Stamp; es enthielt noch keine Gewaltszenen. Für mich fand die Gewalt in den Köpfen der Jungen statt. Mein Drehbuch war mehr eine Studie über spirituelle Verzweiflung, über eine Hoffnungslosigkeit, die dazu führt, dass jemand das erste Mal in seinem Leben erkennt, wie wichtig es ist, sein Herz zu öffnen. Da ging es noch nicht um Blut oder um Schneid, um Blitz und Donner, wie später im Film. Franc Roddam dachte wohl, das macht gutes Kino aus.“

Roddam bearbeitete Petes Ausgangsstory mit zwei Autoren so lange, bis ein klares Skript entstand, das dennoch „den Geist des Who-Albums enthält“, so die Vorgabe des Managements. Roddam traf zu diesem Zweck auch mit Pete zusammen und erzählte beeindruckt:

„Er ist außerordentlich intelligent, wach und gut informiert. Ein sehr ­reicher­ Mann, aber immer noch mit allem verbunden und berührbar. Die Kernidee von Quadrophenia ist, dass einem nicht erlaubt wird, man selbst zu sein. Von der Familie kommt Druck, von der Schule, vom Beruf, und wenn man sich entwickeln will, muss man diesem Druck standhalten. Ich versuche, diese Idee des Albums in bewegte Bilder zu übersetzen, aber die Musik spielt dabei eine geringere Rolle. In Tommy dominierte die Musik den Film, war seine treibende Kraft und kontrollierte die Handlung. In Quadrophenia ergänzt und unterstützt die Musik die Handlung nur, sie greift kaum bestimmend ein. Das war eine ziemlich schwierige Entscheidung, denn damit wurde die Musik in den zweiten Rang versetzt. Auf diese Weise wurde es eine ganz andere Art von Film als Tommy“.

Das war auch notwendig, sollte dem Leinwandepos nicht das gleiche Schicksal widerfahren wie Petes gleichnamigem Album von 1973. Die Story von Quadro­phenia hatte im wichtigsten Musikmarkt der Welt, in den USA, zu wenig Eindruck hinterlassen, da der Modkult ein vorwiegend britisch-urbanes Phänomen gewesen war. Eine weitere Aufgabe von Franc Roddam bestand deswegen darin, die Geschichte von ihrem soziologischen Binnencharakter zu befreien. Letztlich sollte es eine sensible Studie um die ewigen Themen von männlichen Heranwachsenden werden: Konfrontation mit Autorität und Gewalt, Revolte, Auflehnung, Frustration. Das waren nicht bloß Aspekte der Modbewegung, sondern im Kern die Ursache dafür, dass sich so viele männliche Jugendliche auf der ganzen Welt mit den Who und ihrer energiegeladenen Musik identifizierten.

Petes kunstvolle Konstruktion der vier Persönlichkeitsanteile von Jimmy, dem unsicheren Quadrophenia-Helden, der vorwiegend in Konflikt mit sich selbst stand, wurde effektvoll nach außen verlagert: auf den mythologisierten Konflikt zwischen Rockern und Mods, sowie auf die Fragen, welcher Kleiderordnung man sich zugehörig fühlte, ob man lieber Harley oder Vespa fuhr oder sich eher mit Pillen als mit Bier zudröhnte. Was viele Kritiker bei dieser simplen Struktur übersahen, war, dass Heranwachsende sich tatsächlich mit solchen Problemen beschäftig­ten. Selbst Pete, der doch völlige Wirklichkeitsnähe wollte, aber schon deutlich über dreißig war, hatte vergessen, wie stark sich Teenager nach Identität und Absicherung durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe sehnten. Er meinte:

„Für das ganze Klamottentheater rund um die Mod-Renaissance waren doch vor allem The Jam verantwortlich,“ – eine englische New-Wave-Band, die sich stark an The Who orientierte – „die hatten damit angefangen, während wir bloß das Glück hatten, dass es den Film gab. Vor unserem ersten Konzert nach Keiths Tod im Rainbow konnte ich nicht widerstehen, zu den langen Reihen von Jugendlichen raus zu gehen, die alle Parkas mit Who-Stickern trugen. Ich fragte: ‚Habt ihr schon mal The Who spielen sehen?‘ Ein Junge drehte sich um, er hatte keine Ahnung, wer ich war. Er warf mir bloß einen Blick zu, in der Richtung von: ‚Hau ab, du altes Arschloch.‘ Und mir wurde plötzlich klar, dass unser Logo mit dem Modkreis nur ein Symbol war wie die verdammte Swastika für die Hell’s Angels. Es bedeutete ihnen nichts.“

Ich denke, Pete täuscht sich. Symbole haben immer eine Bedeutung, selbst wenn es eine verfälschte, geklaute oder missverstandene Symbolik ist; besonders Letzteres verstärkt ihre Wirkung oft sogar noch. Ich habe während der Arbeit an dieser­ Biografie mit vielen Who-Fans in Deutschland gesprochen und immer wieder überrascht erfahren, dass viele der zwischen 1960 und 1970 geborenen Anhänger erst über den Quadrophenia-Film Zugang zu The Who gefunden hatten, als sie genau im richtigen Alter waren, um sich mit Hilfe der Kernbotschaft hinter dem Mod-Epos selbst zu ergründen. Der Modkult stellte­ für diese Generation eine Art von Matrix dar, die gerade deswegen so geeignet schien, weil sie vergangen war und keinerlei sonderlich tiefgründigen Ziele oder Inhalte verfolgte.

Unter diesem Gesichtspunkt ist natürlich fraglich, ob der ursprüngliche Modkult von 1962 bis 1964 wirklich „authentischer“ war als seine Neuauf­lage fünfzehn Jahre später, wie Pete es beklagte. Eine Kultur, die so stilfixiert war, dass ihr jede innere Bedeutung im Grunde abging, besitzt in sich wenig nachvollziehbare Echtheit. Irish Jack, der in dieser Zeit am Ort des Geschehens aufwuchs, und frühe Who-Fans wie Christian Suchatzki werden dieser Aussage vermutlich nicht zustimmen, doch ich meine festgestellt zu haben, dass die in sich eher sinnleere Ausrichtung der Modkultur 1979 keine Wandlung erfahren hatte – nur die historischen Rahmenbedingungen waren andere, die Gesichter, und natürlich auch Petes eigene Haltung.

Die nächste wichtige Personalentscheidung, die für The Who anstand, war die Besetzung der Hauptrolle von Jimmy dem Mod im Film. Interessanter­weise boten sich dafür reihenweise junge Punk- und New-Wave-Musiker an. Auch der Sänger der Sex Pistols, Johnny Rotten, fragte persönlich bei Pete nach, ob er die Rolle haben könne. Die Branche schien förmlich darauf zu warten, dass die Who als Paten sowohl der wiederauflebenden Modbewegung als auch des allmählich schon wieder verebbenden Punkrocks erneut eine ­Vorreiterrolle einnahmen. Keine andere Band besaß diese auf den Zeitpunkt so perfekt zugeschnittene Vergangenheit und Reputation für beide vorherrschenden Musiktrends des Jahres 1979, Modkult und Punkrock. Die Rock­dinosaurier The Who standen damit vor einer erstaunlichen Wiedergeburt.

Jimmys Rolle wurde schließlich mit dem weithin unbekannten Schau­spieler Phil Daniels besetzt, der bis dahin nur eine Statistenrolle in Bugsy Malone­ und einige Fernsehauftritte vorweisen konnte. The Who suchten wohl mit Absicht nach unverbrauchten Gesichtern. „Die meisten Jugendlichen in dem Film waren tatsächlich Mods aus Sheffield, aus Stafford und aus ähnlichen Ortschaften“, sagt Pete. „Und sie trugen wirklich Parkas und fuhren Motorroller. Wir hatten einfach Glück, dass in den achtzehn Monaten, in denen wir den Film machten, diese Modgeschichte wieder losging, wobei einige von den Jungs uns erklärten, dass die Geschichte des Modkults nie auf­gehört hatte.“

Kenney Jones, der ehemalige Drummer einer der bekanntesten Mod­gruppen überhaupt, bedeutete für The Who, die mit ihrer Modtradition nach „My Generation“ sehr bewusst und aus strategischen Gründen gebrochen hatten, sicher mehr als nur „eine enorme Blutauffrischung“, wie Pete meinte.­ Die Wahl auf Kenney fiel wie bei den meisten wichtigen Who-Entscheidungen in einer demokratischen Abstimmung. Alle Gruppenmitglieder sowie Manager Curbishley besaßen je eine Stimme. Pete und John sprachen sich ohne Zögern für den schulmäßig trommelnden Ex-Mod Kenney aus, Roger stimmte gegen ihn. „Ich wollte künftige Pattsituationen verhindern“, er­läutert Curbishley seine ausschlaggebende Zustimmung für Kenney. „Wir ­hatten keine Zeit für so etwas.“

Der Erwählte bat sich zur Überraschung aller eine kurze Bedenkzeit aus. Der berühmte britische Tonmeister Glyn Johns hatte gerade eine neue Band zusammengestellt, bei der Kenney das Schlagzeug übernehmen sollte. Diese Gruppe war ein anglo-amerikanisches Sextett namens Lazy Racer. Es gab bereits einen Plattenvertrag, und die Band wollte in den nächsten Tagen nach Nassau fliegen, um dort das erste Album aufzunehmen – als Bill Curbishley anrief. „Am nächsten Tag trafen wir uns zum Mittagessen, Pete, Bill und ich“, erzählt Kenney. „Ich sagte nicht sofort zu, sondern redete erst zwei Stunden lang mit Pete, ehe ich schließlich doch einschlug. The Who waren einfach näher an meinen Ursprüngen dran als eine Gruppe mit drei Amerikanern und drei Engländern.“

Was Kenney zu erwähnen vergaß: The Who boten ihm zudem vor allem die Aussicht auf eine schnelle Konsolidierung seiner zumindest wackligen Finanzen. Nach allem, was man hörte, war der zuvor wenig beschäftigte Ex-Faces-Drummer hoch verschuldet. Den Eintritt in eine der erfolgreichsten Rockgruppen der Musikgeschichte dürfte deswegen auch er selbst als seinen persönlichen Glücksfall betrachtet haben. „Ich war mein Leben lang immer in Bands gewesen, die sich auflösten“, meinte Kenney. „Und deswegen glaubte ich, dass ich mit The Who eine gute Wahl getroffen hatte.“

Tja, was soll man dazu sagen? Vier Jahre später war es wieder soweit: The Who lösten sich auf, und Kenney Jones wurde von seinem Trauma abermals eingeholt. Aber zuvor konnte er sich eine Basis schaffen, die ihn für alle ­Zeiten von seinen Schulden befreite.

The Who - Maximum Rock III

Подняться наверх