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1. Kapitel

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Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es den Herrn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.

Gen 6,5-7

Der alte Mann keuchte, während er lief. In seinen Gliedern machte sich Erschöpfung bemerkbar, das war nach vier Kilometern Strecke ganz normal. Ich habe es nicht mehr nötig, mir etwas zu beweisen, dachte er. Lange Zeit habe ich mir etwas darauf eingebildet, dass die Presse über mich schreibt, wie gut ich mich für mein Alter gehalten habe. Dass ich für einen alten Knacker verdammt fit aussehe. Aus rei­ner Eitelkeit habe ich damals angefangen zu joggen.

Trotz der Müdigkeit fühlte Benno von Zabern sich großartig, wäh­rend er die kalte, frische Nachmittagsluft einatmete. Joggen war für ihn kein Sport, sondern eine Form der Meditation. Vier Schritte lang ein­atmen, vier Schritte lang ausatmen. Immer abwechselnd, immer wie­der. Die Welt um ihn herum vergessen, Spaziergänger und Hundebes­itzer, den See, den er umrundete, den Schotterweg, auf dem er lief. Erinnerungen, Ideen und Assoziationen reihten sich wie von selbst in seinen Gedankenfluss ein. Blockaden lösten sich, und Banales trennte sich von Wichtigem. Oft hatte er das Gefühl, wenn er nur lange genug joggte, würde sich sein Leben wie von selbst ordnen, ohne dass er et­was dazu beitragen musste.

Eine schöne Illusion. Sein Leben würde sich nicht von selbst ord­nen, auch wenn er selbst alle seine Mühe darauf verwendete, es würde ihm nicht mehr gelingen. Dafür war es zu spät. Ich kann froh sein, ging es von Zabern durch den Kopf, während er einem entgegenkom­menden Radfahrer auswich, dass es mir wenigstens vergönnt war, ei­nen unge­schönten Blick auf das Chaos zu werfen. Jahre, Jahrzehnte lang habe ich mir in der Rolle des unbequemen Analysten gefallen. Als mir die Augen geöffnet wurden, sah ich im selben Moment, dass ich mir auf nichts etwas einbilden kann. Nicht einmal darauf, reinen Tisch ge­macht zu haben, denn das wird die Dinge nicht mehr ins Lot bringen. Die ganze Zeit war ich mir darüber bewusst, dass ich mir selbst etwas vormache, doch ich habe es eben gern getan. Es war be­quem und brachte mir Ansehen ein.

Der alte Mann verließ den See und bog nach links auf einen Weg ab, der an der Gartenseite seines Grundstücks vorbeiführte. Es war ein großes Grundstück in einer sündhaft teueren Lage, Innenstadt und Parklandschaft in einem. So etwas konnten sich nur wenige leisten. Er gehörte zu ihnen.

Von Zabern musste grinsen. Sich etwas vorzumachen, zahlte sich aus. Nicht nur jetzt, sondern auch später. Vielleicht war das Haus samt Grundstück schon bald nicht mehr viel wert, doch heutzutage konnte man sich selbst aus der Hölle freikaufen, wenn man nur über das nöti­ge Kleingeld verfügte. Die berühmte Volksweisheit, der zufolge ein To­tenhemd keine Taschen hatte, war widerlegt.

Der Jogger verfiel in Schrittempo und stoppte vor seiner Gartentür. Er überquerte den Rasen in Richtung Terrasse. Wenigstens hatte er rei­nen Tisch gemacht. Das war es eigentlich, was seine gute Stimmung aus­machte, nicht nur die Endorfine, die das Joggen freigesetzt hatte. Nach außen hin schien er sich dem Ende seines Lebens zu nähern. Und doch hielt er die Chance eines Neuanfangs in den Händen. Ob­wohl er es nicht verdient hatte.

Am Ende zählt immer nur, was du nicht verdient hast. Das hatte er ir­gendwo gelesen.

Die Terrassentür stand offen. So weit von Zabern sich erinnerte, hatte er sie verschlossen, als er vor einer halben Stunde das Haus ver­lassen hatte. Er blieb stehen und machte ein paar Dehn- und Streck­übungen. Und wenn es das letzte Mal gewesen ist, dass ich diese Stre­cke gelau­fen bin?, fragte er sich. Er war kein Dummkopf und hatte diese Mög­lichkeit von Anfang an in Betracht gezogen.

Benno von Zabern beugte sich vor, um mit seinen Fingern die Zehens­pitzen zu berühren. Richtete sich wieder auf und nahm einen tie­fen Atemzug. Er verwarf den düsteren Gedanken und betrat das Haus. Erst würde er eine Dusche nehmen und danach in aller Ruhe seinen Brief fertigstellen.

Im Arbeitszimmer befand sich ein Mann. Er trug eine braune Leder­jac­ke und stand, dem Ankömmling den Rücken zukehrend, über den Schreibtisch gebeugt.

Von Zabern trat auf ihn zu und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich eine zweite Person aus dem Schatten der Tür löste. Also doch, dachte er.

„Suchen Sie etwas Bestimmtes, meine Herren?“, erkundigte er sich.

Der Mann am Schreibtisch drehte sich zu ihm um. Er war sehr groß, kräftig gebaut und trug eine spiegelnde Sonnenbrille, was sei­nem Ge­sichtsausdruck etwas Hartes und Unpersönliches gab.

In der Hand hielt er eine Waffe, auf dessen Lauf ein Schalldämpfer ge­schraubt war.

Das Rubikon-Papier

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