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5. Kapitel

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Sie ist wieder einmal zu spät dran. Viel zu spät. Die Veranstaltung im Stadion hat längst begonnen. Marla lässt den kurzen Security-Check über sich er­gehen, rennt durch den Gang, dann eine Treppe hinauf und tritt wieder ins Freie, lässt ihren Blick über die Ränge des Stadions schweifen. Alle Plätze sind besetzt. Ein Meer aus Gesichtern. Und Li­ane kann sie nicht entdecken. Dabei ist sie ganz bestimmt hier und hat lange genug auf ihre Kommilitonin gewartet. Also gut, das ge­schieht ihr recht. Vielleicht sollte sie einfach wieder gehen. Wahl­kampfver­an­stal­tungen sind noch nie ihr Fall gewesen. Und die von Rechtspo­pulis­ten schon gar nicht.

Aber gerade deshalb Flagge zeigen - damit hat Liane sie zu dieser Ak­ti­on überredet. Dieser Mensch redet von Europa, und wir sind Stipen­diaten des von-Zabern-Kollegs. Wir dürfen ihm nicht kampflos die Büh­ne überlassen. Also schön, dann hat sie sich überreden lassen, mit einer Handvoll anderer Studentinnen ihres Jahrgangs ins Stadion zu gehen und ein Transparent hochzuhalten. Nur jetzt kann sie es nir­gends entde­cken. Vielleicht sind die anderen Frauen auch zu spät ge­kommen ...

Das von-Zabern-Kolleg ist ein Institut der Kindermann-Stiftung, eine Bildungseinrichtung, die sich dem europäischen Gedanken verschrie­ben hat. Europäische Geschichte, europäische Traditionen und Errun­genschaften wie Demokratie, Menschenrechte, kulturelle Vielfalt. Die Abschlussarbeit - für Marla fällt sie dieses Jahr an - muss sich natür­lich irgendeinem europäischen Thema widmen.

„Hey, kannst du mal zur Seite gehen?”, beschwert sich jemand hinter ihr. „Du stehst im Weg.”

Marla räumt das Feld, tritt zurück auf den Gang, der zwischen den Rängen nach oben führt.

Applaus brandet auf. Marla dreht sich wieder um und wirft einen Blick auf den Redner, für den eine Tribüne mitten in der Arena er­richtet wurde. Armin Roland steht mit erhobenen Ar­men da und wartet das Ende des Applauses ab. Er wirkt wie ein Diri­gent. Ein Mann um die dreißig, der sich der Wirkung seiner attrakti­ven Erscheinung be­wusst ist. Schlank, glatt rasiert, in in einem creme­farbenen Anzug, der leger wirkt, aber auch nicht unseriös. Der ideale Schwiegersohn. Ein junges Gesicht in der überalterten Politik, das Veränderung und Auf­bruch verspricht.

Dabei weist er die Bezeich­nung Politiker bei jeder Gelegenheit kokett zurück. Er sei kein Politi­ker, sondern ein normaler Bürger, der eine Vi­si­on habe und etwas ver­ändern wolle. Und ebenso seien seine Anhän­ger keine politische Par­tei, sondern eine Bewegung. Die Bewegung Abendland!.

Der Applaus ebbt ab.

Rolands sonore, eindringliche Stimme schallt durch das Stadion. Man hört ihr an, dass der Redner in seinem Ele­ment ist. Trotzdem versteht man ihn nicht so gut, weil das Mikrofon einen Hall erzeugt und die Wiedergabe verzerrt. Einmal mehr be­kräftigt der Redner leiden­schaft­lich, dass er nicht nach Politikerart Verspre­chun­gen machen will. Er habe nichts zu ver­sprechen. Aber er verachte diejeingen, die immer alles kleinredeten und nichts unternähmen. Die keinerlei Probleme damit hätten, Ver­sprechen zu machen, die sie niemals zu halten ge­dächten. Während man ihm vorwerfe, Angst zu schüren. Dass er nicht lache: „Wenn das Boot überfüllt ist, zu kentern droht und am Horizont ein Sturm auf­zieht, ist dann etwa der, der vorsichtsalber Schwimmwe­sten verteilt, einer, der Angst schürt? Der das Unwetter herbeiredet? - Dabei ist es nicht meine Absicht, Schwimmwesten zu verteilen. Ich ru­fe euch alle auf, es nicht dazu kommen zu lassen, dass das Boot zu kentern droht, wenn ein Sturm aufzieht.”

Applaus.

Marla Lubitsch meint, Liane entdeckt zu haben, läuft ein paar Trep­penstufen hinunter, bis sie merkt, dass sie sich geirrt hat. Beifälliges Lachen schallt über die Ränge - Roland muss einen Scherz gemacht haben, den sie nicht mitbekommen hat. Jetzt legt er noch nach. Ge­lächter. Roland ist keiner, der den Leuten Angst macht; er bringt sie zum Lachen.

Sie ist jetzt beinahe ganz oben angekommen. Leider wird das Gedrän­gel hier nicht weniger, im Gegenteil: Sogar die Stehplätze sind knapp. Marla weicht aus bis zum äußersten Rand, hier kann sie unbedrängt stehen und hat das Geschehen im Auge. Unmittelbar hinter ihr ragt ei­ner der Masten in den Himmel, die das Flutlicht tragen. Und dann glaubt sie, hinter sich etwas gehört zu haben. Ein Zischen.

„Los, weg da!”, kommt es dann etwas lauter, als sie schon denkt, sich verhört zu haben. „Runter mit dem Kopf!”

Sie dreht sich um.

Da ist niemand. Bleibt, wo sie ist, aber geht vor­sichtshalber in die Ho­cke. Aber das ist keine angenehme Haltung, au­ßerdem kann sie jetzt nicht mehr viel von dem sehen, was da unten ge­schieht. Also richtet sie sich nach einer Weile wieder auf.

„Runter, hab ich gesagt!”

Unmittelbar darauf verspürt sie einen Schlag von hinten gegen ihre Schulter, der sie zu Boden wirft. Sie verliert das Bewusstsein.

Das Rubikon-Papier

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