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I Der letzte Tag im Leben des Journalisten Ján Kuciak

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Ján Kuciak steht vor dem großen Finale. Sechs Tage noch, und der journalistische Underdog wird die Regierung ins Wanken bringen, den Premier in Bedrängnis und dessen schöne Assistentin halbnackt auf die Straßen der Hauptstadt. Doch Ján Kuciaks Leben wird nur noch zwölf Stunden dauern.

In der Redaktion herrscht jene stille Betriebsamkeit, die man aus Großraumbüros kennt. Spricht jemand lauter, schauen alle gleich hin. Die Journalisten sitzen einander an langen Tischen gegenüber, tippen auf Tastaturen und starren auf Bildschirme. Kuciak hat den zweiten Platz neben dem Fenster. Er ist ein junger Mann, 27 Jahre alt, in Jeans, T-Shirt und Pulli, mit struppigem, dunkelbraunem Haar und Brille. Wie immer trägt er große Kopfhörer, aus denen klassische Musik dringt, deren Klänge eine beruhigende Wirkung entfalten. Kuciak wirkt konzentrierter als sonst und ein wenig angespannt.

Draußen schneit es. Der Winter, mit dem in diesem Jahr kaum noch jemand gerechnet hat, hält die slowakische Hauptstadt plötzlich fest im Griff. Die Temperatur wird an diesem Tag in Bratislava nicht über null Grad steigen, und für das Wochenende sind Neuschneemengen von bis zu dreißig Zentimeter sowie ein Kälteeinbruch angekündigt. Der Verkehr entlang der breiten Ausfallstraße, an der die Redaktion liegt, zieht träger dahin als sonst. Nur die Schneepflüge kämpfen trotzig gegen das Weiß an, das sich still über die Stadt stülpt.

Es ist Mittwoch, der 21. Februar 2018. Kuciak, den seine Kollegen alle nur Janko nennen, ist ein ruhiger, gewissenhafter und zugleich lustiger Typ. „Wie ein großer Plüschbär“, sagt seine Kollegin Annamária Dömeová, „unglaublich lieb, hilfsbereit und zuvorkommend.“ Nennt man Kuciak einen Investigativ-Journalisten, ist ihm nicht ganz wohl dabei. „Sagen wir, ich bin vielleicht auf dem Weg dorthin, einer zu werden“, wendet er dann ein und lächelt. Er ist keiner, der sich selbst inszeniert, so wie es einige in der Branche gern tun, auch wenn ihre Artikel das nicht immer rechtfertigen. Vor Kuciak liegen entscheidende Tage. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet er im Investigativteam von aktuality.sk, der zweitgrößten Nachrichtenseite der Slowakei, die zur schweizerisch-deutschen Ringier-Axel-Springer-Gruppe gehört. Er gräbt sich dort in Affären ein, die das Land beschäftigen. Gestrickt sind sie meist aus einem Muster aus Geld, Gier, Korruption und Machtmissbrauch. Im besten Fall bringen die Storys Politiker, Unternehmer oder die beliebte Mischform aus beidem in Bedrängnis. Häufig geschieht aber auch ganz einfach gar nichts: Medien berichten, Politiker dementieren, die Polizei schweigt, die Justiz bleibt tatenlos. Diesmal soll das anders sein. Kuciak ist in den letzten Zügen einer Recherche, die ihn über eineinhalb Jahre kaum losgelassen hat. Nur die wenigsten in der Redaktion wissen von ihr. Und die, die es tun, beschleicht neben der Vorfreude auf einen journalistischen Knüller auch so etwas wie ein ungutes Gefühl. Kuciaks Gegner scheint dieses Mal größer, mächtiger und damit auch gefährlicher.

Ján Kuciak

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