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Das Model und die Mafia

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Und jetzt, an diesem bitterkalten Februartag des Jahres 2018 also das Finale, der Knüller, die große Story, an der Ján Kuciak so lange recherchiert hat. In seinem Artikel soll es um die Verflechtungen zwischen slowakischen Politikern, Unternehmern und der kalabrischen ’Ndrangheta gehen – der mächtigsten Mafiaorganisation Europas. Die Sache scheint heikel, weshalb nur ein kleiner Kreis in Kuciaks Recherchen eingeweiht ist. Noch am Nachmittag schickt Kuciak einer Kollegin in Tschechien, mit der er gemeinsam an der Story arbeitet, eine verschlüsselte Nachricht. Er habe eine weitere Verbindung zwischen den Italienern und einem Vertreter der sozialdemokratischen Regierungspartei Smer gefunden. Als sein Chefredakteur die Rohfassung der Story liest, ist er verblüfft. Vor ihm ist es keinem Journalisten gelungen, das Wirken der italienischen Mafia in der Slowakei auch nur annähernd so präzise zu beschreiben.

Kuciak legt in seinem Text nahe, dass die ’Ndrangheta im Osten des Landes Gelder aus ihrem weltweiten Kokaingeschäft wäscht. Dort, fast 500 Kilometer von Bratislava entfernt, am anderen Ende der Republik, sind die Sitten rauer als in der Hauptstadt und die Löhne gleich um die Hälfte niedriger. Kuciak identifiziert einen gewissen Antonino Vadalà als Kopf des Clans. Der Mann aus Kalabrien kam vor Jahren in die Slowakei, nachdem ein Job in Rom, bei dem er einen Mann hätte „bestrafen“ sollen, nicht ganz nach Wunsch ausgegangen war. Im Text wird Vadalàs ganze Geschichte dargelegt, Namen werden genannt, Orte ausgewiesen. Kuciak nimmt an, dass die Drogengelder in den Kauf großer Agrarflächen fließen. So legalisieren die Italiener, die dort längst als Großgrundbesitzer gelten, nicht nur ihr schmutziges Geld, sondern sie saugen mit den erworbenen landwirtschaftlichen Flächen auch noch EU-Fördergelder ab. Für Kuciak ist ab diesem Punkt klar, dass ein solcher Betrug nicht ohne Deckung und mögliche Teilhabe höchster staatlicher Stellen klappt. Weshalb die Krönung der Recherche in einer Erkenntnis besteht: Die langjährige Geliebte und frühere Geschäftspartnerin des Mafioso Vadalà ist heute die engste Assistentin des slowakischen Regierungschefs. Insofern kommt der schönen Mária Trošková in Kuciaks Report eine tragende Rolle zu. Die frühere „Miss Universe“-Teilnehmerin, die auch schon mal für Nacktfotos posierte, wird zur personifizierten Verbindung zwischen der Mafia und der Macht. Nicht umsonst hat der sozialdemokratische Premier Robert Fico bisher jeden Kommentar zu ihrer Rolle an seiner Seite tunlichst vermieden. Erst weit später würde herauskommen, dass sie aus dem Regierungspalast an die dreihundert Mal ihren Ex-Lover, den Mafioso, angerufen hat und auch Fico selbst mit diesem telefonierte. „Damit haben wir ihn! Das kann ein Erdbeben auslösen, die Regierung zum Sturz bringen, vorzeitige Neuwahlen provozieren“, sagt Investigativ-Chef Marek Vagovič an jenem Mittwoch, sichtlich stolz auf Kuciaks Recherche. Gemeinsam besprechen sie mit dem Chefredakteur, was es noch zu erledigen gilt, bevor die Story online gehen kann. Als sich Kuciak am Abend verabschiedet, sieht ihn Vagovič zum letzten Mal. Zehn Tage später wird er vor seinem Sarg stehen.

Ján Kuciak sprintet die Treppen hinunter und stößt die Tür auf. Scharfer, schneegespickter Wind schlägt ihm entgegen. Am nächsten Tag, einem Donnerstag, will er von zu Hause arbeiten, dort seiner Story den letzten Schliff verleihen und sich auf die Konfrontation mit den Italienern vorbereiten. Die hat er sich für den kommenden Montag vorgenommen. Gemeinsam mit einem Fotografen will er die Reise in den Osten antreten und die Männer der ’Ndrangheta auf ihren Ländereien aufsuchen. Von dort aus ziehen sie die Fäden und bedrohen jeden, der sich ihnen in den Weg stellt.

Ján Kuciak

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