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Drei Schüsse und zwei Tote

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Zehn Kilometer sind es vom Bahnhof in Galanta bis zum Wohnort des Paares im Dorf Veľká Mača. Die Strecke verläuft über flaches und im Sommer äußerst fruchtbares Land, auf dem Weizen, Mais, Zuckerrüben und Gemüse angebaut werden. Das Donautiefland im Süden der Slowakei wird von der ungarischen Minderheit im Land geprägt. Gerade in kleineren Orten ist Ungarisch die dominierende Sprache, wenngleich gemischte Ehen häufiger werden und die Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen zuletzt merklich abnahmen. Kuciak und Kušnírová, die beide ursprünglich aus gebirgigeren Teilen der Slowakei stammen, zogen bewusst hierher. Sie sind auf dem Land aufgewachsen, lieben den dörflichen Zusammenhalt und die Natur. Die Vorstellung, in einer kleinen, überteuerten Wohnung in den Häuserschluchten von Bratislava zu leben, schien ihnen nicht gerade reizvoll. Es ist längst dunkel, als Kušnírová am Bahnhof den kleinen Dienst-Pickup startet. Wind fegt über das flache Land. Am Fenster des Fahrzeugs ziehen brache Felder vorbei. Die Erde ist gefroren, und es fällt ein wenig Schnee. Wie Gespenster tauchen im Raureif erstarrte Bäume im Lichtkegel des Scheinwerfers auf.

Sie fährt denselben Weg, den kurz zuvor zwei Männer in einem Citroën Berlingo genommen haben. Um 18.28 Uhr hält dieser Wagen am Rande des Dorfes, noch vor dem Friedhof, gleich beim Ortsschild. Darunter weist eine Zusatztafel auf Slowakisch und Ungarisch darauf hin, dass die Gemeinde videoüberwacht wird. Einer der Männer steigt aus dem Auto. Es ist ein großer, kräftiger Kerl, 35 Jahre alt, muskulös, mit kahlrasiertem Schädel. Ihm ist anzusehen, dass er einmal Berufssoldat war, sich auf Missionen im Ausland verdingte, zuletzt mit der UNO auf Zypern. Nach seinem Ausscheiden heuerte er als Security auf einem der großen Containerschiffe an, die über die Weltmeere kreuzen und ihre Fracht im Indischen Ozean vor Piratenangriffen schützen müssen. Mit Waffen ist er also vertraut, weshalb er auch mit der Luger-Pistole der ungarischen Marke FEG, Modell P9R, die in seiner Jackentasche steckt, gut umgehen kann. Es ist eine halbautomatische Waffe mit einem Kaliber von neun Millimetern, die auch bei der ungarischen Polizei und dem Militär Verwendung findet. Der Mann hat sie im Herbst des Vorjahres erhalten. „Schwarz“ für 700 Euro. Ein Bekannter modifizierte sie, feilte am Lauf und versah die Pistole mit einem Schalldämpfer.

Nun ist sie bereit zum Einsatz, für ihn, den Auftragskiller. Er steigt aus dem Wagen, trägt eine schwarze Kapuze und sieht zu, dass er sofort wegkommt von der Hauptstraße. Keiner soll ihn jetzt sehen, sich später an ihn erinnern oder nur irgendeine Wahrnehmung machen, die sich einmal der Polizei mitteilen ließe. Er richtet den Blick zu Boden, pirscht über den Fußballplatz des örtlichen Vereins und gelangt durch ein größeres Loch im Zaun zurück auf eine Straße. Es ist eine Abkürzung, die er ausgekundschaftet hat. Gemeinsam mit seinem Kompagnon, der sein Cousin ist, fuhren sie das erste Mal vor gut zwei Wochen in das Dorf. Sie entdeckten die Kameras, die an den Kreuzungen den Verkehr aufzeichnen, und fanden einen Weg, sie zu umgehen. Nun ist es nicht mehr weit bis zur Brezová-Straße und dem Zielobjekt. In der Siedlung stehen kleine, ältere Häuser, die noch aus der Zeit des Kommunismus stammen, neben neuerrichteten Bungalows mit gepflasterten Einfahrten, die zu Garagen führen, in denen große Autos parken. Die Strecke kennt der Mann mittlerweile auswendig. Er hat sie studiert und verinnerlicht, um jetzt, wo er unter Druck steht und Adrenalin durch seine Adern schießt, keinen Fehler zu begehen. Das Opfer wohnt im dritten Haus auf der rechten Seite, genau an der Adresse, die ihm und seinem Cousin mitgeteilt worden ist. Dessen Biografie deckt sich mit seiner. Er ist ein ehemaliger Polizist, der später ebenfalls als Security zur See fuhr und sich auf Frachtschiffen vor Afrika verdingte. Als er von dort zurückkam, kaufte er sich ein Motorrad und brach damit zu Touren auf. Immer wieder führten ihn diese auch nach Österreich. Fotos auf Facebook zeigen ihn bei einer Rast am Semmering. Die beiden ehemaligen Männer des Staates sind in ihrer Gegend an der ungarischen Grenze als „Problemlöser“ bekannt. Sie gelten als Typen, die krumme Dinge drehen und die man ruft, wenn sonst nichts mehr hilft. Gemeinsam inspizierten sie Kuciaks Haus. Das gleicht einem Würfel aus Beton und entstammt dem Baukasten des Sozialismus. In der ganzen Slowakei finden sich in den Dörfern Häuser aus dieser Zeit, die genauso aussehen: zwei Fenster auf der Vorderseite, eine schmale, zurückgesetzte Loggia beim Ausgang vom Wohnzimmer, dazu oft ein Schuppen im Garten. Kuciak und Kušnírová haben sich ihr Domizil erst vor ein paar Monaten auf Kredit gekauft. Aus ihm wollen sie sich mit bescheidenen Mitteln und viel Arbeit langsam ein Idyll schaffen. Insgesamt fünfmal haben es die zwei Männer inspiziert, ganz zeitig in der Früh, zu Mittag und auch in der Nacht. Für die Fahrten benutzten sie verschiedene Autos und prüften, ob die Routinen, die ihnen mitgeteilt worden waren, auch stimmten. Sie fragten sich, wann und wie sie ihr Opfer aus dem Weg schaffen sollten. Eines Abends beratschlagten sich die zwei in einer Pizzeria. Sie überlegten, ob sie Ján Kuciak erst entführen und später ermorden könnten. Seine Leiche sollte danach verschwinden, damit sie nie von der Polizei gefunden würde. Genauso lautete zumindest ihr Auftrag. Doch sie verwarfen den Plan. Überall seien heutzutage doch schon Kameras, sagte der eine. Und was, wenn sie die Polizei anhielte und im Kofferraum ein Bewusstloser lag, meinte der andere. Das Risiko erschien ihnen zu groß, die Alternative trat klar hervor: Ján Kuciak muss in seinem Haus erschossen werden. Zwei Tage zuvor hatte der muskulöse Mann den Finger bereits am Abzug gehabt und war bereit, seinen Auftrag zu erfüllen. Bis er durch ein Fenster spähte und dort eine Frau erblickte, von der sie nicht wussten, wer sie war. Sie verschoben die Mission. Auf heute.


Der Tatort, das Häuschen im Dorf Veľká Mača

Bild: Ricardo Herrgott

An einer Kreuzung befindet sich links ein kleiner Spielplatz mit einer Rutsche und einem Klettergerüst und rechts ein Coop-Geschäft, das die Menschen im Dorf mit Lebensmitteln versorgt. Gegenüber sind an einem Strommast zwei Kameras montiert. Um 19.03 Uhr filmen sie, wie ein kleiner Pickup abbiegt. Es werden die letzten Aufnahmen, die Ján Kuciak und Martina Kušnírová lebend zeigen. Vor ihrem Haus stellen die beiden den Wagen ab und öffnen das Tor zum Hof. Der eisige Wind beißt in ihre Gesichter, das gefrorene Eis am Boden knirscht. Rasch eilen sie zur Tür, vorbei am Schuppen. Ihr Schicksal ist in diesem Moment besiegelt. In der Hütte lauert der Mann mit dem kahlrasierten Schädel und der Pistole in der Tasche. Im Haus legt das Paar seine Jacken ab und zieht sich um. Kušnírová trinkt vom Tee, den sie zuvor stehenließ, als sie ihren Verlobten abholen fuhr. Danach stellt sie Kaffee auf und gießt ihn für Ján und sich in die Tassen. Es ist ihr gemeinsames, vertrautes Abendritual. Der Killer verfolgt es durch das Fenster der Gartenhütte, das ihm einen Blick direkt ins Haus gewährt. Kušnírová chattet mit Kuciaks Schwester. Sie sprechen über die bevorstehende Hochzeit, das Kleid, das sie tragen wird und über das kirchliche Ehevorbereitungsseminar, zu dem das Paar an diesem Freitag fahren und dort bis Sonntag bleiben soll. Kuciak trägt derweil die Autobatterie in den Keller und schließt sie zum Aufladen an ein Kabel an. Um 19.51 Uhr schreibt Martina Kušnírová im Messenger ihre letzte Nachricht. Eine halbe Stunde später versucht ihre Mutter sie anzurufen. Das Handy läutet. Keiner geht ran.

Dazwischen fallen in dem Haus in der Brezová-Straße 558 drei Schüsse. Zwei Menschen stürzen zu Boden. Ihre Leichen werden erst vier Tage später von der Polizei gefunden werden. Als am fünften Tag die Slowakei und bald darauf die Welt von dem Doppelmord erfährt, ist nichts mehr wie zuvor. Erst im Oktober 2017 war auf Malta die Antikorruptionsjournalistin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe ermordet worden. Und nun: ein Journalist und seine Verlobte, kaltblütig hingerichtet in ihrem eigenen Haus, in einem Staat mitten in der EU, 47 Kilometer Luftlinie von der österreichischen Grenze.

Ján Kuciak

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