Читать книгу 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener - Страница 13
ОглавлениеReinhold Kusche
Peterle´s Abenteuer - Im Grundbuchamt
Eine satirische Kurzgeschichte
„Es ist schon ein Kreuz mit dem Alter“, brummte Peter Petersen, während er einen sehnsuchtsvollen Blick durch das Terrassenfenster in seinen verwilderten Garten schickte.
„Wenn erst mal die Goldene Hochzeit droht, ist nichts mehr, wie es war.“
Dabei war es nicht nur der Garten, den er nicht mehr bewirtschaften konnte. Auch für seine ausgedehnten Spaziergänge, die zunehmend kürzer wurden, musste er einen ständigen Begleiter in Kauf nehmen. Es half nichts, dieses Utensil als Wanderstock zu deklarieren. Die schmerzliche Wahrheit war, dass der Handstock fortan zu ihm gehörte, wie der Knochen zum Hund. Zu allem Unglück versuchte sein Zahnarzt verzweifelt, seine neuen Kukident-Beißerchen – bisher vergeblich – zu einem halbwegs praktikablen Mahlwerkzeug zu formen.
Seine Olga, eine gebürtige Schwäbin, die ihn liebevoll Peterle nannte, überzeugte ihn schließlich davon, ihr Heim gegen einen gemütlichen Platz im Seniorenstift zu tauschen. Ein kompetenter Makler war schnell gefunden, der dem Ehepaar Hoffnung auf ein schnelles Ergebnis machte. Dieser nahm die vorliegenden Unterlagen an sich und wies darauf hin, dass ein aktueller Grundbuchauszug erforderlich sei.
Gesagt, getan. Am nächsten Morgen nahm Peterle seinen ständigen Begleiter aus dem Schirmständer, setzte seine neue Prinz-Heinrich-Mütze auf, die Olga ihm zu Weihnachten geschenkt hatte und machte sich auf den Weg zur Busstation. Ein Fahrzeug der Verkehrsbetriebe brachte ihn fast vor die Tür des Amtsgerichtes der norddeutschen Kleinstadt. Dort wies ihm ein freundlicher Justizbeamter den Weg zum Grundbuchamt. Kurz darauf klopfte er an der schweren Tür der Behörde, erhielt aber keine Antwort. Auch der zweite Versuch scheiterte. Beim dritten Klopfen vernahm er ein gähnendes Geräusch aus dem Büro und wertete dies als Aufforderung zum Eintreten, was er dann auch tat. Zielsicher steuerte er einen überdimensionalen Schreibtisch an, hinter dem sich ein Mann um die vierzig verschanzt hatte und begrüßte ihn mit einem herzlichen Moin Moin. Der Angesprochene erwiderte den Gruß mit einem genervten Brummen, gähnte herzerfrischend und richtete seinen starren Blick auf den Computermonitor vor ihm. Peterle wartete geduldig, aber der Beamte zeigte kein Interesse, ihn zu bedienen. Schließlich machte Peterle durch ein dezentes Räuspern erneut auf sich aufmerksam, aber der strenge Blick seines Gegenübers ließ ihn augenblicklich verstummen. Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm der Mitarbeiter Blickkontakt mit ihm auf und deutete stumm auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch. Höflich trug Peterle sein Anliegen vor. Mürrisch verlangte der Beamte seinen Ausweis und unterzog diesen einer eingehenden Prüfung, die nach Peterle´s Armbanduhr volle 6 Minuten in Anspruch nahm. Danach schaltete er umständlich seinen Computer ein und machte darauf aufmerksam, dass dieser Vorgang einige Zeit dauern würde, bis das System hochfährt.
Peterle fragte sich, worauf der Beamte gestarrt haben mag, wenn bei seinem Eintritt der Computer ganz offensichtlich ausgeschaltet war.
Nach insgesamt 16 Minuten spuckte der Laserdrucker endlich fünf Blätter aus. Der Mitarbeiter überprüfte diese, forderte 10,--Euro und griff nach dem Tacker.
„Oh, bitte nicht“, protestierte Peterle. „Ich brauche eine Kopie davon. Könnten Sie vielleicht …“
„Ich bitte Sie“, fuhr ihn der Beamte an. „Wo denken Sie hin. Dies ist ein amtliches Dokument.“
Peterle erklärte ihm die Situation: „Sehen Sie, meine Frau und ich wollen unser Haus verkaufen. Der Makler braucht einen Grundbuchauszug und ich möchte das Original gern behalten. Vielleicht haben Sie einen Kopierer?“
Der Beamte lehnte dieses Ansinnen vehement ab, reichte den getackerten Grundbuchauszug über den Schreibtisch und bot mit strengem Blick an: „Ich könnte Ihnen das Dokument noch einmal ausdrucken, wenn´s denn sein muss. Dann sind allerdings weitere 10,-- Euro fällig.“
Enttäuscht gab Peterle auf, legte die geforderte Gebühr auf den Tisch, griff nach seinem Dokument und verließ stumm das Büro. Gedankenverloren setzte er sich im Flur auf eine Bank.
Wenn nun bei einer Rationalisierungsmaßnahme diese Behörde geschlossen werden würde, so überlegte er, und dieser Mann müsste sich in der freien Wirtschaft eine Anstellung suchen, dann …
Nein, er wollte diese Gedanken nicht an sich heranlassen. Aber es war zu spät. Die Illusionen hatten ihn bereits gepackt. Vor seinem geistigen Auge sah er den Beamten in einer Schlange vor der Suppenküche stehen.
Und wenn er eine Familie mit Kindern hat? Dann würden diese auch … Allerdings trug er keinen Ring, erinnerte er sich. Wie auch immer. Vielleicht bin ich ungerecht. Schließlich sind die Mitarbeiter der Behörden Tag für Tag für uns alle im Einsatz. Und jeder Bürger ist verpflichtet, seinen Teil zum gesellschaftlichen Wohl beizutragen. Beim nächsten Behördenbesuch, nahm er sich vor, werde ich geduldiger und noch höflicher auftreten und meine Mütze bereits vor Eintritt abnehmen.
Er erhob sich von seiner Bank, klemmte sein mühsam erkämpftes Dokument unter den Arm und ging seines Wegs, ein fröhliches Liedchen auf den Lippen: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in den Copy-Shop.“