Читать книгу 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener - Страница 16
ОглавлениеMarlene Ronstedt
Pinsel
Ob in der Schule oder später in der Kunst-Akademie - ich beneidete stets meine Kursteilnehmer um ihre Pinsel. Das Problem war, dass jedesmal, wenn ich mir einen neuen Pinsel kaufte, dieser nach kurzer Zeit genauso kaputt und abgenutzt wie mein restliches Malzubehör aussah.
Das erste Mal, als ich mein Glück mit neuen Pinseln versuchte, war zu Beginn meines Leistungskurses Kunst. Hier hatte ich angefangen, den Pinsel-Neid zu spüren. Was ich nicht wusste: die Öl-Farbe, mit der wir arbeiten würden, sollte meinen neuen Pinseln ein frühes Ende bereiten. Ich wusste nicht, wie man die Farbe entfernt und war gezwungen, das Öl in den neuen Pinseln trocknen zu lassen. Letztendlich blieb mir nichts anderes übrig, als die kaputten Spitzen abzuschneiden. Mit den borstigen Stummeln bekam man aber nicht so zarte Linien hin wie meine Mitschüler.
Ich würde gerne fotorealistisch malen. Aber das geht nur mit den richtigen Pinseln. Doch der Widerwillen meiner Borstenpinsel schließt einige Stile kategorisch aus. Mittlerweile leiste ich mir auch nur noch Ein-Euro-Pinsel aus dem Baumarkt, wenn mir der Sinn danach steht, meine Kollektion zu erweitern. Doch diese sind eben aus Plastik und nicht aus wallenden Pferdemähnen. Deswegen fühlen sie sich eher an wie der Bart eines Ziegenbocks. Und damit kann man nur grobe Ergebnisse erzielen.
Später in der Kunst-Akademie belauschte ich einmal zwei Studentinnen aus einem anderen Kurs. Es war nach dem Unterricht und sie standen gemeinsam am Waschbecken. Unter das kalte Wasser hielten sie ihre teuren Pferdehaar-Pinsel, welche aussahen, als hätten sie noch nie damit ein Bild gemalt. In ihrer Konversation ging es darum, wie sie ihre Pinsel am besten reinhalten würden. Vielleicht könnte das meine künstlerische Krise lösen. Ich hörte also gespannt zu.
Der Trick ist es, Terpentin als Lösungsmittel hinzuzugeben. Damit geht die Farbe wieder raus. Im Keller meiner Eltern hatte ich die besagte Substanz gefunden. Bei der nächsten obligatorischen Pinsel-Reinigung schüttete ich die übel riechende Substanz in ein blau bemaltes Schälchen. Bevor ich auch nur dazu kommen konnte, die Pinsel darin zu baden, begann sich die Glasur des Schälchens aufzulösen. Die klare Flüssigkeit hatte sich in eine blaugraue Brühe verwandelt. Die Farbe auf meinen Pinseln jedoch blieb haften.
Ich muss zugeben, die Pinsel stören mich gar nicht so sehr. Es ist eher meine eigene Unzufriedenheit darüber, nicht die konservativen Kunst-Ideale in meinem Kopf zu erfüllen. Saubere Schattierungen. Ein perfekter Kreis. Da gehören gute Pinsel mit dazu.
Ich habe irgendwann angefangen, absichtlich zu versuchen, unordentlich zu malen. Große Gesten. Dann ist es egal, ob ich einen ehemals feinen kaputten Pinsel aus dem Kunstfachhandel oder einen Spachtel benutze. Wenn ich schon verdammt bin, keinen geraden Strich hinzubekommen, dann will ich wenigstens meine Unfähigkeit perfektionieren.