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Daniel Zöllner

Weltende

Diesen Frühling blieben die Bäume kahl; man zählte die Tage und schaute auf den Kalender, es war Mai, doch die Bäume blieben kahl. Die Vögel saßen träg und fett in den Zweigen und sangen nicht. Und wenn ein Adler kam, dann flohen sie nicht und wurden gerissen. Doch auch die Adler gingen nur noch selten auf Jagd und schrien nicht länger ihre Schreie.

Der Amokläufer, der die Menschen niedergemäht hatte wie reifes Korn, wurde nach seinem Amoklauf mit einem nachsichtigen Schulterklopfen empfangen, wie der Fußballspieler nach dem verschossenen Elfmeter. Dann schickte man ihn wieder zur Arbeit.

Auch die eingefleischtesten Materialisten machten sich jetzt Gedanken darüber, was sie nach dem Tod erwarten würde. Man begann sich vorzubereiten aufs Weltgericht; jeder wollte die besten Plätze ergattern. Zur Bestechung des Richters hortete man sein Vermögen und gab es nicht länger aus. Statt Torten aß man Knäckebrot. Man begann in stinkenden alten Kleidern umherzulaufen und verzichtete auf die tägliche Portion Schokolade.

Die Schauspieler nahmen die Masken ab, da es ja ohnehin bald aus sein würde. Man sah plötzlich überall Schafsköpfe umherlaufen. Die Models wurden hässlich, die Frohnaturen versanken in Depressionen, die Konservativen wurden zu Anarchisten und die Revolutionäre zu Duckmäusern, die Moralisten hielten ausschweifende Orgien ab. Der Schüchterne sang plötzlich Lieder auf dem Marktplatz, und manche stimmten mit ein oder warfen Dreck auf den Singenden.

Man brach den Engeln am Kirchportal den Kopf ab und hängte ihn zur Dekoration über den eigenen Herd. Reichskanzler Bismarck und Kaiser Barbarossa bekamen Narrenkappen und rote Clownsnasen aufgesetzt. Niemand lachte darüber, nur über die Bettler lachte man, und über die Verkrüppelten und die Verrückten.

Uhrmacher gingen pleite, Propheten wurden Millionäre. Sie sagten auf ihren Seminaren voraus, dass morgen die Welt untergehen werde, berichteten, wie man sich retten könne, und alle lagen sie immer falsch.

Manche dachten, die Welt sei schon untergegangen, sei vielleicht schon immer untergegangen gewesen, und man verlebte in einer Art Hölle seine Tage. Vielleicht sogar in einer Art Paradies. Aber das konnte niemand nachweisen.

Morgen soll es so weit sein. Ich werde mich und meine Kleider waschen und in Würde sterben –

Da lacht doch nicht etwa jemand?

Kommentar: Grotesk und doch eingängig.

4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018

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