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Dörte Müller

Schritte in der Nacht

Irgendetwas hatte sie geweckt. Wie im Reflex richtete sie sich auf und lauschte in die undurchdringliche Dunkelheit. Hatte sie nur schlecht geträumt? Das kam in letzter Zeit häufiger vor. Sie blickte nach rechts. Das Bett war leer. Da fiel ihr ein, dass Tom wieder einmal auf Dienstreise war. Sie hasste es, wenn sie allein in diesem großen Bett schlafen musste. Außerdem fühlte sie sich einsam und verlassen hier in diesem abgelegenen Forsthaus mitten im Wald. Schade, dass sie keinen Hund mehr hatten. Der letzte war gerade vor einigen Wochen eingeschläfert worden. Hasso hatte immer gut auf sie aufgepasst, er hatte bei jedem Geräusch gebellt und sicher so manchen Einbrecher erfolgreich in die Flucht geschlagen. Doch jetzt war er tot und lag begraben im Garten unter der alten Eiche. Manchmal träumte sie noch von Hasso. Es waren schreckliche, beunruhigende Träume, die ihr jedes Mal das Blut in den Adern gefrieren ließen.

Angestrengt lauschte sie in der Dunkelheit. Ihr Herz raste. Sie blickte auf den Wecker. Es war zwei Uhr nachts. Sie konnte die Umrisse des Wandschranks erkennen. Es war ganz still. Sie hörte das Rauschen in ihren Ohren und wollte sich gerade wieder unter der warmen Decke verkriechen, da hörte sie eindeutig Schritte.

Sie kamen näher und näher. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Jemand war im Flur. Wie war er bloß in das Haus gekommen? Sie hatte doch alle Türen verriegelt. Oder doch nicht? Was war mit der Hintertür zum Garten? Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie hatte vergessen, die Hintertür abzuschließen! Wie hatte sie nur so dumm sein können! Was sollte sie tun? Sie hielt den Atem an. Die Schritte wurden schneller. Immer schneller. „Oh, mein Gott!“, dachte sie verzweifelt. Gleich ist er da. Was wollte er von ihr? Sie hielt die Luft an und versteckte sich unter der Bettdecke. Sie wollte schreien, doch die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Dann hörte sie, wie jemand die Türklinke herunterdrückte. Sie schmiss die Bettdecke von sich und tastete nach ihrem Küchenmesser, das irgendwo unter dem Bett lag. Für den Fall der Fälle hatte sie es dort einmal versteckt. Tom hatte gelacht. „Wir wohnen so weit draußen, da verirrt sich keiner hin!“ Wenn er nur wüsste, in welcher Notlage sie jetzt war! Tom, ihr geliebter Tom! Sie würde ihn nie wieder sehen! Hätte sie ihm doch bloß gestern noch gesagt, wie lieb sie ihn hatte. Noch nicht einmal einen Abschiedskuss hatte sie ihm gegeben. Es war entsetzlich. Wo war bloß das verdammte Messer? Ein Luftzug ließ die Gardine flattern, sie sah aus wie ein Gespenst. Noch bevor sie einen Laut von sich geben konnte, war er an ihrer Seite. Sie spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Jetzt war alles aus.

„Mami, ich habe Durst!“

4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018

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