Читать книгу 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener - Страница 36
ОглавлениеLaura Schmidt-Niederhoff
Uta
Uta lernte ich kennen, nachdem ich herausfand, dass mein Mann eine Affäre hatte. Sie war unsere Nachbarin und ich zum ersten Mal schwanger. Ich hatte sie einige Male vor der Garage getroffen; ihr Auto stand direkt neben dem unsrigen. Im Unterschied zu uns, die wir unsere Garage als Abstellraum nutzten, hatte sie darin aufgeräumt und konnte ihr Auto unterstellen. Sie war das, was man landläufig eine feine Dame nannte.
Sie lebte allein. Das hatten uns schon die Vormieter erzählt, von denen wir das schmale, inmitten einer Reihe gelegene Haus übernommen hatten. Darüber hinaus hatten sie uns gewarnt, dass die Frau, die da lebte, Kinder nicht besonders mochte. Aber ich machte mir keine Sorgen, da Karl und ich noch gar nicht an Kinder dachten.
Dass ich schwanger wurde, war so gesehen ein Unfall. Als ich Karl von meiner Schwangerschaft erzählte, schien er nicht unglücklich. Er gab sogar vor, sich zu freuen. Doch irgendwann musste ihn der Schrecken übermannt haben. Er blieb immer länger in der Arbeit, es gab so viel zu tun, die Kunden eben, und nicht zu vergessen, die Abendessen mit den Vorgesetzten. Die waren wichtig für seine Karriere. Eines Morgens, es war Samstag, stopfte ich das letzte seiner Hemden in die Waschmaschine, dabei nahm ich den milden Geruch eines fremden Parfums wahr. Da wusste ich es.
Ich sagte nichts. Aus meiner Sicht gab es nichts zu besprechen, außer, dass ich meinen Job kündigte, den ich sowieso nicht mochte. Ich hatte entschieden, mich in den ersten drei Jahren um das Baby zu kümmern. Ich wollte alles richtig machen, eine gute Mutter sein, und Karl war mit allem einverstanden. Das schlechte Gewissen stand ihm in die Stirnfalten geschrieben.
Doch ich machte mir nichts daraus. Inzwischen hatte ich Uta kennengelernt. Ich hatte sie beobachtet, wie sie die Gelbe Tonne zurück in unsere Umfriedung brachte. Das tat sie oft, weil sie früh wach wurde durch das Geräusch der Müllabfuhr und nicht mehr schlafen konnte. Ich wollte mich bedanken, und einige Tage später stand ich mit einer Packung Palinés vor ihrer Haustür.
Sie öffnete in einem geblümten Kleid. Ich glaube, sie war irritiert, mich zu sehen. Vielleicht war sie es nicht gewohnt, Besuch zu bekommen. Artig bedankte ich mich für ihre Hilfe mit der Mülltonne und überreichte ihr mein Präsent. Auf eine gute Nachbarschaft! Sie freute sich und lud mich auf einen Kaffee ein.
Wir verstanden uns auf Anhieb. Sie war Anfang siebzig und hatte viel erlebt. Sie erzählte mir, dass sie dreimal verheiratet gewesen war, der erste Mann war Engländer gewesen und hatte bei einem Sondereinsatzkommando gearbeitet. Wahrheit hin oder her, sie behauptete, sie hätte sich scheiden lassen wegen der Traumata, die ihr Mann erlitten hätte. Da wäre mit ihm nicht mehr gut Kirschen essen gewesen. „Gut Kirschen essen“ – so sagte sie das, und ich sagte es später der Polizei.
Von vornherein stellte sie klar, dass sie Kinder nicht mochte. Aber solange ich schwanger sei, könne ich gerne auf einen Kaffee vorbeikommen. Nur, wenn das Kind geboren sei, solle ich darauf Rücksicht nehmen, dass sie, als eine alte Frau, ihre Ruhe haben wolle. Ich stellte das nicht infrage.
Ihr Charisma faszinierte mich. Schnell wurden wir Freundinnen. Sie führte mich durch ihr Haus, zeigte mir das Dachgeschoss, das zu einem Wohn- und Fernsehzimmer ausgebaut worden war, und den ersten Stock des Gebäudes. Ihr Haus war anders geschnitten als unseres, da es an der Ecke zur Straße lag.
Sie fragte mich, ob ich mich eingelebt hätte. Und wie es meinem Mann ginge, sie hätte festgestellt, dass er zurzeit recht spät nach Hause käme. Sie würde die Leute nicht beobachten, wirklich nicht, aber die Fenster in der Küche verliefen zur Garage hinaus und da bekäme man einfach alles mit, ganz automatisch.
Ich glaube, sie ahnte es. Sie hatte einen untrüglichen Instinkt, nicht umsonst blieb sie so viele Jahre unentdeckt.
Trotzdem machte sie ein überraschtes Gesicht, als ich erklärte, dass mir die Affäre meines Mannes egal war. Sie fragte, weshalb, ob ich ihn nicht lieben würde und warum ich dann ein Kind von ihm bekäme, aber ich entgegnete, das sei ja nur vorübergehend. Er hätte die Torschlusspanik, das könne man schon verstehen. „Ein Kind ist für ihn wie der letzte Nagel im Sarg.“ Während wir sprachen, saßen wir auf der Terrasse und blickten auf ihre Tulpen, die mit den Köpfen fröhlich zum Takt der Frühlingsbrise wippten. „Aber Karl“, verkündete ich, „kriegt sich schon wieder ein. Die Zeit arbeitet für die Ehefrau. Immer.“
Jene Aussage, so vermutet die Polizei, hatte wahrscheinlich den Ausschlag gegeben. Uta lud mich ein, mit in den Keller zu kommen, sie müsse noch den Trockner leeren. Bei dieser Gelegenheit zeigte sie mir die Gräber.