Читать книгу 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener - Страница 37
ОглавлениеFunda Agirbas
Berlin. Winter. Der Tod und die Autobahn.
Auszug aus dem Dazwischen.
Du spürst den bebenden Asphalt unter deinen Sohlen. Die Vibration fährt wummernd durch deinen Körper. Der Himmel ist perlgrau und manchmal aufgepflügt vom dunkler werdenden Licht. Der Nieselregen verdichtet sich. Prasselt konsequent auf dich nieder. Deine Klamotten sind durchnässt. Deine Sicht ist verschwommen. Das Heulen der Sirenen pulsiert in deinen Ohren. Langgezogenes Hupen korreliert mit deiner dumpfen Wahrnehmung. Es blitzt. Du weißt, du bist in Gefahr. Du weißt, es ist unmöglich. Du teilst die Wut auf deine Person. Du läufst weiter. Schritt für Schritt. Immer weiter. Du hast keine Wahl, stehen bleiben kannst du nicht. Das Grollen der Motoren paart sich mit dem wütenden Wind und wirbelt wie wahnsinnig um dein Sein, während du wie im Auge des Tornados die Windstille seines Lächelns fokussierst. Du dimmst die Geräuschkulisse um dich herum. Du verschwindest nach und nach. Fast bist du unsichtbar. Fast hast du es geschafft. Dann versinkst du in deine Welt und stellst deinen Körper auf Autopilot.
Du kehrst zurück zu jenen Tagen. Zurück. Du musst Ordnung schaffen. Du fängst ganz von vorne an. Du hast deinen Job geschmissen, hast keinen Auftrag, hängst ziemlich in der Luft. Die Versicherung läuft aus und du hast keine Ahnung, wie du nächsten Monat die Miete zahlen sollst. Dein Vater hat Krebs. Dein Ex droht mit Suizid. Du schickst ihn zur Hölle, woraufhin die Hölle ausbricht. Genau dann stirbt dein Vater. Du hast ihn das letzte Mal vor 5 Tagen gesehen. Du warst zu beschäftigt, um vorbeizuschauen. Mit suizidal belasteten Post-Beziehungs-Problemen. Mit Sorgen um die Zukunft. Mit Versicherungsfragen. Er stirbt um 05.35 Uhr am Freitag. Du bist bereits seit 05.00 Uhr wach. Du könntest anrufen, aber du denkst nicht einmal dran. Dein Ex ist furchtbar betroffen. Alle sind furchtbar betroffen. Verständnis wird dir entgegengebracht und seien es noch so hilflose Beileidsbekundungen, sie tun gut. Du saugst sie auf. Eine nach der anderen. Du willst, dass es alle wissen. Am liebsten hättest du es in den 20.15 Nachrichten gebracht. Stattdessen postet du ein Bild auf Facebook. Du weißt gar nicht warum. Du hast einfach nur das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Ohne zu reden. Du kannst nicht reden. Du willst, aber du kannst es nicht. Weil du nicht weißt, was geschieht. Weil du nicht weißt, wie es dir geht. Weil der einzige der dir helfen könnte dein lebendiger Vater ist. Ein bodenloses Loch hat sich aufgetan und du fällst.
Fällst bis das Fallen ein Normalzustand wird.
Sie haben alle Verständnis. Es hagelt plötzlich Aufträge. Du fragst dich, ob dein Vater nachgeholfen hat. Du schimpfst dich sentimental. Du hast Geld. Du denkst dir, du solltest zufrieden sein. Du hast eine Sorge weniger, aber nichts wird leichter. Bei der Arbeit wird besonders Rücksicht genommen, das Honorar fällt üppiger aus, die Fristen werden geschoben, aber du willst gar nicht ruhen. Du arbeitest unentwegt, jeden Tag, den ganzen Tag. Du schläfst nicht. Du nickst immer nur kurz ein. Du kannst dir das Gesicht deines Vaters nicht vor Augen rufen. Es ist unmöglich. Du bekommst es einfach nicht hin. Du nimmst Schlaftabletten. Du kiffst. Du trinkst. Du schläfst dennoch nicht. Deine Restfamilie fängt dich auf. Deine Freunde verzeihen dir unentwegt. Alle verstehen. Keiner versteht. Ein paar Wochen. Dann geht das Leben weiter. Du denkst, das ist ganz normal. Natürlich geht das Leben weiter. Du glaubst, sie haben Recht. Die Ersten fangen an dich zu fragen warum, wenn du sagst, dass es dir schlecht geht. Du bekommst das Gefühl nicht richtig zu sein. Dein Ex droht wieder mit Suizid. Du denkst, das Leben geht weiter. Die Kollegen sind nicht mehr so nett und die Fristen wieder da. Du denkst, das ist legitim und wunderst dich, dass du nicht mithalten kannst.
Dann bist du allein. Richtig allein. Du hast das Gefühl, die Berechtigung für deinen Zustand zu verlieren. Du stehst in der Kreide. Du hinkst hinterher. Du nimmst Schlaftabletten. Du kiffst. Du trinkst. Du schläfst nicht. Du weißt nicht mehr, was normal ist. Du befürchtest, du bist abgerutscht, fragst dich, wohin du rutschst. Und das Leben geht einfach weiter. Du fragst dich, ob du mal wusstest, was normal ist. Du versuchst dich zu erinnern. Der Tod gehört zu uns, wie das Leben selbst. Du sagst dir, dass es keinen Sinn macht, so traurig zu sein. Wenn es denn Trauer genannt werden kann, du weißt einfach nicht was das ist, was du fühlst. Du weißt nur, du bist allein. Allein auf eine Art, wie das Wort alleine es nicht fassen kann. Du betrittst Neuland. Nichts ist dir bekannt. Du und du, wie du es zuvor niemals warst. Niemand sonst. Weil keiner sehen kann, weil du nicht sehen kannst und dennoch alles siehst. Weil es für den Tod keine Worte gibt. Du denkst, du kannst nicht fassen. Du denkst, das ist alles viel zu groß. Du wusstest, dass kein Mensch den anderen wirklich verstehen kann. Und dass es mindestens so viele Welten gibt, wie Leben auf der Erde. Du wusstest es nicht. Du wusstest, dass das Leben endlich ist. Du hattest keine Ahnung, dass das Leben endlich ist. Du weißt, dass man sich bestenfalls von weitem grüßen kann. Du hattest einfach keine Ahnung. Dann siehst du klar. Bizarr klar. Lebenskummer. Ent-Täuschung.
Du verachtest das Sein.
Du lechzt zu sein.
Du hasst deine Erkenntnis. Du stellst sie in Frage. Du schreibst es den Umständen zu. Du bekommst das Gefühl, nicht mehr zu können. Wirklich nicht mehr zu können. Und du machst trotzdem weiter. Du willst weg. Von allem. Von jedem. Von dir. Und hin. Zu allem. Zu jedem. Zu dir. Das Leben geht weiter und deine Restfamilie schafft es mitzuziehen. Sie können dich nicht mehr sehen. Du stehst direkt neben ihnen und sie können dich nicht sehen. Du weißt, du bist im Unrecht. Du weißt, sie könnten dich nicht sehen, auch wenn sie dich sehen könnten. Nicht mal du kannst dich noch sehen. Du verstehst deine Wut nicht. Du sagst dir, es ist ok, dass das Leben weiter geht. Du versuchst dich zu beruhigen. Du bist wütend. Du versuchst dich zu beruhigen und das macht dich noch wütender. Du atmest durch. Du wirst sauer. Du weinst, weil du weißt, du bist im Unrecht. Du keifst jemanden an, wegen etwas Banalem. Wegen etwas Wichtigem. Wegen etwas. Dann sind alle verschwunden. Du kannst dich nicht erklären. Es tut dir leid. Alles tut dir leid. Du weißt, dass du erklären musst. Du wünschst dir, du könntest dich verstehen. Aber du verstehst nichts. Du weißt nichts. Bist nichts. Du nimmst Schlaftabletten. Du kiffst. Du trinkst. Du schläfst nicht. Du machst weiter. Du tust, was du musst. Dann fängst du an, weniger zu tun, was du musst. Du stiehlst Zeit. Du wartest. Du wartest darauf, wieder glücklich zu sein. Oder wieder zu leben. Oder zu sterben. Oder auf morgen. Du wartest.
Dann läufst du los.
Du weißt nicht wohin. Du läufst einfach los. Du bemerkst, dass du am Tempelhofer Feld entlang läufst. Über den Wolken kommt dir in den Sinn. Du fragst dich, wann du das letzte Mal geflogen bist. Du bist auf dem Weg nach Zehlendorf. Du merkst es nicht sofort, aber dann wird es dir plötzlich klar. Du schmeißt Google Maps an. Es funktioniert nicht. Der Nieselregen setzt ein. Du denkst, dass Google Maps nie funktioniert und fluchst ein bisschen. Du läufst einfach weiter. Den Weg den du als Beifahrer kennst. Du kannst dich nicht erinnern, wann du das letzte Mal im Flieger warst. Jemand hupt. Jemand schreit dich an. Jemand greift nach deinem Arm. Du reißt dich los. Du läufst weiter. Läufst. L.Ä.U.F.S.T.
Du hebst deinen Blick, als die Stimmen um dich verstummen. Der Geruch von Benzin liegt in der Luft. Trübes Licht spiegelt sich in angestauten Wasserpfützen. Böen wirbeln den Dreck der Straße auf. Der wild rotierende Regen legt sich wie ein Schleier über dein Blickfeld. Du hältst die Hand vor deine Augen, aber du kannst nur seine sehen. Reifen quietschen, verteilen harte Wasserschläge gegen dich. Du versuchst dich zu orientieren. Der Weg ist verschwunden. Die Häuser sind weg. Du siehst keine Bäume mehr. Von irgendwo tönen Sirenen. Du schaust zurück, stellst fest, dass du schon ziemlich weit gekommen bist. Dann klopft die Realität an deine Wahrnehmung. Du weißt nicht, wie du auf der Autobahn gelandet bist. Du denkst, es war eine Schnappsidee zu Fuß über die Autobahn zu laufen. Du fluchst ein bisschen. Dann willst du zurück. Das nervöse Hupen hindert dich. Es dröhnt in deinen Ohren. Du schaust auf deine Turnschuhe. Du denkst dir, dass es Schwachsinn war Turnschuhe für den langen Weg anzuziehen.
Dann spürst du den bebenden Asphalt unter deinen Sohlen.