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Die Leiden des Schiedsrichters

Warum eigentlich Schiedsrichter werden? Klare Sache: Weil man umgeben ist von den hilfsbereitesten Menschen der Welt.

Markus Merk, arrivierter Schiedsrichter der Fußball-Bundesliga in den 1990er-Jahren, beantwortete die Frage nach dem Reiz des Daseins als Unparteiischer sinngemäß einmal wie folgt: „Ein vollbesetztes Stadion, aufgeheizte Stimmung – und alle warten nur darauf, dass du einen Fehler machst und sie dich auspfeifen können! Was gibt es Schöneres für einen Schiedsrichter?“. Ja, es ist eine beeindruckende Art von Masochismus, mit der sich Markus Merk so durch sein Leben pfeift. Allerdings: Der Mann arbeitet hauptberuflich auch als Zahnarzt. Für die allgemeine Erheiterung seiner Mitmenschen zu sorgen, scheint nie eines der Hauptanliegen Merks gewesen zu sein.

Doch zurück zum Thema: Was gibt es wohl Schöneres, als sich mit einer Meute betrunkener Dorftrottel konfrontiert zu sehen, die im Minutentakt lautstarke Mutmaßungen über die berufliche Tätigkeit der eigenen Mutter in den Raum stellt? Unzähligen Schiedsrichtern in Deutschlands Amateurligen fällt auf diese Frage wohl ein ganzes Potpourri an Antworten ein. Die eigene Mutter zum wöchentlichen Treffen des örtlichen Landfrauenvereins zu begleiten, beispielsweise. Oder in der Vereinskneipe zu sitzen und wortlos Bier zu trinken. Oder auch einfach nur vor sich hinzustarren. Doch aus irgendwelchen Gründen haben sich all die ehrenamtlich pfeifenden Männer in Schwarz für ein härteres Los entschieden. Das Los, den Bewegungsradius eines Mittelkreises zu haben und sich von Spielern, die den Bewegungsradius eines Mittelkreises haben, vorwerfen lassen zu müssen, dass man lediglich den Bewegungsradius eines Mittelkreises habe. Es sind dies Unterhaltungen direkt aus der Hölle des Amateurfußballs.

Doch das Trauma der Schiedsrichter beginnt schon wesentlich früher, spätestens bei der routinemäßigen Kontrolle der Spielerpässe. Eine viel zu kleine Kabine gefüllt mit einer Männerhorde auf Voltaren und Franzbranntwein zu betreten, ist eine Sache. Sich bei der Kontrolle der Spielberechtigungen allerdings den stümperhaften Täuschungsversuchen ganzer Spielklassen ausgesetzt zu sehen, eine völlig andere. Dass man sich auf Clubseite mitunter nicht einmal die Mühe macht, zumindest den Pass eines Spielers mit derselben Hautfarbe vorzuzeigen, grenzt dabei schon an den Tatbestand des Groben Unfugs.

Besser wird es für den Unparteiischen in der Folge dann auch nicht mehr. Hat er einigermaßen Glück, verzichten die Vereine zumindest auf das Abspielen der Champions-League-Hymne beim Einlaufen der Mannschaften. Anschließend folgt das rituelle Gemeckere der 22 Spieler auf dem Platz, die sich offensichtlich die gesamte Woche über im Trainingsbetrieb ausschließlich mit dem Fußballregelwerk auseinandergesetzt haben. Mit ihrem neu erworbenen Fachwissen wollen sie nun – hilfsbereit wie sie sind – den Schiedsrichter in seiner Arbeit unterstützen. Ein Hinweis auf „Zeitspiel!“ in der fünften Minute, ein „Ball gespielt!“ nach einem Zweikampf mit Tötungsabsicht – und natürlich der voller Inbrunst vorgetragene Einwand, dass es „definitiv gleiche Höhe“ und „niemals Abseits!“ gewesen sei. Auch dann nicht, wenn der betroffene Spieler beim Abspiel schon kurz vor Konstantinopel stand.

Bemerkenswert ist überdies die Fähigkeit vieler Spieler, ihr eigenes Gebaren durch das Verhalten des Schiedsrichters zu erklären. Selbst wenn im Personalausweis das Geburtsjahr 1978 angegeben ist – die eigene Mündigkeit scheint mancher Kicker mitsamt seinem Schamgefühl bei der Passkontrolle an den Unparteiischen abgegeben zu haben. Wenn ein Spiel vollkommen aus dem Ruder läuft, jeder Einwurf von einer ausgewachsenen Rudelbildung begleitet wird und der Torhüter sich in der Halbzeitpause noch einmal die irrsten Ausraster von Oliver Kahn auf YouTube anschaut, ist daran natürlich der Schiedsrichter schuld. Diesem ist die Leitung des Spiels schließlich bereits in der Anfangsphase der Partie entglitten, als er es versäumte, ein Trikotziehen mit der Gelben Karte zu ahnden. Klare Sache. Und nun müssen mal wieder die Spieler die Folgen dieser Inkonsequenz ausbaden. Das ist für jeden auf und neben dem Platz ersichtlich. Müßig zu erwähnen, dass jeder der Anwesenden gerade frisch vom Schiedsrichterlehrgang zurückgekehrt ist.

Ich gebe zu: Auch ich gehörte lange Jahre zu jener Sorte Spieler, die keine Situation ausließen, jede noch so bedeutungslose Entscheidung des Schiedsrichters in Frage zu stellen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass ich als Kapitän vor dem Spiel meine Mannschaft streng darauf hinwies, dass heute „keiner einen Ton gegen den Schiedsrichter“ abzugeben habe. Die erste Beschwerde richtete ich in der Regel meist schon infolge der Platzwahl gegen den Unparteiischen. Gelegentlich überkam mich im Laufe des Spiels allerdings dann doch das schlechte Gewissen. In einem Pokalspiel ließ ich mich wenige Minuten vor Schluss bei einer 5:1-Führung im Angesicht des historischen Erfolgs im Kreispokal gar zu einer wahren Demutsgeste hinreißen: „Respekt, Schiri. Du hast es echt schwer mit unseren dümmlichen Sprüchen.“ Die Folge: Ich bekam von ihm die Gelb-Rote-Karte gezeigt. Warum? „Sie haben mich beleidigt.“ – „Was habe ich?“ – „Sie haben gesagt, ich mache dümmliche Sprüche.“ Fassungslos brachte ich zunächst einige Sekunden kein Wort heraus. Aber da es nun auch egal war: „Dümmliche Sprüche? Was soll das denn heißen? Das macht doch überhaupt kein Sinn, du Arschloch!“

Übrigens: Für Schiedsrichterbeleidigung wird man als Spieler von Verbandsseite aus mittlerweile wirklich drakonisch bestraft. Immerhin.

Falscher Einwurf

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