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Willkommen im Club!

Neuer Verein, neuer Trainer, neue Mitspieler – eine Gemengelage, die für jeden Neuankömmling eine große Portion Zündstoff bereithält.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Davon kann wohl jeder ein Lied singen, der als Frischling auf dem Bau dazu verdonnert wurde, zum Baumarkt zu fahren und zwei Säcke Getriebesand zu kaufen. Oder der in der Schlosserei allmorgendlich den Amboss mit einer Feile abziehen musste, um ihm anschließend mit hochwertigem Ambossfett noch eine Hochglanz-Politur zu verpassen. Als neuer Spieler in einem Fußballverein ist das nicht wesentlich anders. Vor allem bei einem Wechsel vom Lokalrivalen bekommt man es beim ersten Training mit den unterschiedlichsten Clownereien zu tun. Besonders beliebt: Beim lockeren Kick auf dem Kleinfeld dem Neuzugang die Rolle als zusätzliche Torstange zuzuweisen – schließlich habe man ja nur noch drei Stangen, nachdem die vierte geklaut wurde. Vermutlich von osteuropäischen Torstangenschiebern. Daher müsse sich jeder Spieler erst einmal in den Dienst der Mannschaft stellen.

Nachdem der Neue die erste Viertelstunde des Trainings ohne zu murren seiner Funktion als Torpfosten gewissenhaft nachgekommen ist, hat er sich für ernsthafte Ämter empfohlen. Seine Anweisungen empfängt er jetzt von ganz oben: Der Trainer hat die Markierungshütchen im Materialraum liegen lassen, der Neue möge sie doch bitte holen – irgendeiner der vierzehn Schlüssel am Schlüsselbund sei schon der Richtige. „Einfach ausprobieren, bis einer passt!“ ruft man dem eifrigen Freizeitsportler noch jovial hinterher, der mit hektischer Betriebsamkeit den Eingang zum Clubhaus sucht. Im Materialraum findet der Neuling dann zwar keine Markierungshütchen, dafür aber einen ganzen Wald aus Torstangen. Die Hütchen hatten sich unterdessen in der Kiste mit den Trainingsleibchen am Spielfeldrand versteckt, wie der Trainer schon nach kurzer Zeit festgestellt hatte: „Ah, sorry! Die hatte ich vorhin übersehen. Mein Fehler!“

Weiter geht es mit einer Runde 5 gegen 2. Dass der Neue dabei „in die Mitte“ muss, steht natürlich außer Frage. Und damit er auch darin bleibt, wird das Regelwerk zu gegebener Zeit immer wieder modifiziert. Dass er bei einem Beinschuss eine extra Runde in der Mitte drehen muss, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ebenso bei einem Foulspiel. Oder einer besonders misslungenen Abwehraktion. Natürlich auch nach 15 erfolgreichen Pässen. Oder wenn man während des Spielens den Vornamen seiner Mutter errät. Eine besonders schöne Ballstafette (für Kreisliga-Verhältnisse) kann nur eine Konsequenz nach sich ziehen: Extrarunde! Sich ohne Anmeldung eine kurze Auszeit gönnen? Extrarunde! Mit der Hacke getunnelt werden? Zwei Extrarunden! Sich über das Regelwerk beschweren? Extrarunde!

Während in der folgenden Trinkpause die neuen Mitspieler am Spielfeld ein fröhliches Schwätzchen halten, steht das arme Kerlchen völlig entkräftet daneben, stützt die Hände in die Hüfte und keucht wie Gérard Depardieu an der Fleischtheke. „Na, da hat wohl noch jemand die eine oder andere Konditionseinheit nötig!“ erkennt der Trainer sachkundig, tätschelt der Neuerwerbung mitfühlend den Rücken und teilt derweil die Teams für das Trainingsspiel ein.

Immerhin: Nachdem der Neue fünfzig Minuten lang keinen Ball gesehen hatte, darf er nun endlich auch am Trainingsbetrieb teilnehmen. Als Torwart der zweiten Mannschaft. „Damit es aufgeht“, wie der Coach ihm kumpelhaft erklärt. „Außerdem bist du ja körperlich schon an deine Grenzen gelangt.“ Anschließend folgt ein Auftritt als Fliegenfänger hinter der schlechtesten Abwehr des gesamten Fußballkreises, bei dem sich der Neuzugang für jeden Fehlgriff vor seinen Vorderleuten ausgiebig rechtfertigen muss. Warum ist er bei der Eins-gegen-Eins-Situation nicht schneller raus gekommen? Wieso hat er nicht die kurze Ecke zugemacht? Den Distanzschuss kann man schon mal halten, solange wie der unterwegs war! Der Fünfmeterraum muss dem Torwart gehören! Und, hey – hast du Oliver Kahn bei der WM 2002 gesehen? Zeig mal diese Körpersprache!

Nach anderthalb Stunden Training und einer 0:7-Klatsche hat das Martyrium schließlich ein Ende. Die Spieler sitzen zusammen in der Kabine und trinken gemeinsam noch einen Kasten Bier – den selbstverständlich der Neue bezahlt hat, so will es der Brauch. Zumindest haben die anderen Spieler ihn nun als einen der Ihren akzeptiert. Es wird zusammen gelacht und gemeinsam die Leistung als Torpfosten rekapituliert. Zum Abschied folgt ein freundlicher Handschlag mit den neuen Kollegen, Mitfahrgelegenheiten werden angeboten, Nummern ausgetauscht. Ein Mitspieler ruft ihm im Dunkeln noch hinterher: „Aber nächste Woche hängst du dich ein bisschen mehr rein, wenn du wieder im Tor stehst, okay!?“.

Ob das nun ein Scherz oder trauriger Ernst war, weiß eigentlich niemand so genau.

Falscher Einwurf

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